Berlin - Reichstagsgebäude und Spreebogen

  • Wir alle sind uns unserer Geschichte bewusst und doch gewiss auch, dass die Demokratie nur das geringere Übel ist. Aber es ist und bleibt ein Übel.

    Warum? Weil ich - wäre ich der Alleinherrscher - gemäß des Bundestrainerprinzigs natürlich alles richtig machen würde. Das würdest aber Du natürlich anders sehen. Genauso wie ich wiederum es anders sehen würde, wenn Du der Alleinbestimmer wärst.

    Ich glaube, diese allgemeingültige Erkenntnis der Aufklärung droht abhanden zu kommen. Aber darum sollten wir kämpfen.

  • Eine treffende Beschreibung der Bundestagskuppel und eine Bestätigung meines Kommentars. Es geht einzig und alleine darum, der gesamten Welt beinahe zwanghaft-routinemäßig seine „demokratische Gesinnung!“ zu demonstrieren (ob es damit trotz solcher Lippenbekenntnisse und Symbolarchitektur tatsächlich weit her ist, ist natürlich die große Frage). Mehr sagte ich ja eigentlich auch nicht.


    Nennen die Briten und Amerikaner virtue signalling. Eine Tugendprahlerei. Damit wird in der Regel etwas anderes kompensiert.

  • Vielleicht sollte man aber auch heutzutage als Demokrat Kante zeigen und nicht immer klein beigeben. Popper wird immer aktueller... :/

    FINGER WEG VON UNSERER DEMOKRATIE, HERR CLINTWOOD!

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Erst Elon Musk und dann auch noch die Schweizer...alle müssen sie sich einmischen...tztztz :smile:

    Ich bin übrigens nach reiflicher Überlegung zu der Ansicht gelangt, dass ich die alte Kuppel immer noch schöner finde.

    In dubio pro reko

    Der größte Feind der Ideologie ist die Realität

  • Tief in den Alpen versteckt, lauern wir. Kernig und gestählt durch allzu viel Schokolade und vom jeweiligen Alp-Öhi (jede Gemeinde hat einen) selbstgebrannten Absinth, warten wir auf den günstigsten Moment, die deutsche Demokratie zu stürzen. Die Mistgabel ist unser demokratischer Wahlzettel, die Kuhglocke unser Sturmsignal. Jodelnd und voller Kehllaute aus den Urzeiten der deutschen Sprache stürmen wir den Reichstag und versuchen, die alte Pracht mit Skulpturen aus dem Mist unserer Bauernhöfe zu rekonstruieren. Habt acht, wir sind schon kurz vor Berlin.

  • Tief in den Alpen versteckt, lauern wir. Kernig und gestählt durch allzu viel Schokolade und vom jeweiligen Alp-Öhi (jede Gemeinde hat einen) selbstgebrannten Absinth, warten wir auf den günstigsten Moment, die deutsche Demokratie zu stürzen. Die Mistgabel ist unser demokratischer Wahlzettel, die Kuhglocke unser Sturmsignal. Jodelnd und voller Kehllaute aus den Urzeiten der deutschen Sprache stürmen wir den Reichstag und versuchen, die alte Pracht mit Skulpturen aus dem Mist unserer Bauernhöfe zu rekonstruieren. Habt acht, wir sind schon kurz vor Berlin.

    Im Mittelalter waren es die Nor(d)mannen, die Europa in Angst und Schrecken versetzt haben, jetzt sind es die aus dem Süden kommenden Alamannen, die uns das Fürchten lehren. =O

    Und leider haben wir keine Leopardpanzer mehr, um sie aufzuhalten... huh:)

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Außerdem hat die Fosterkuppel einen Nachteil, den ich schon vor Jahren einmal dargelegt habe: Ein rechtwinkliges Gebäude wie der Reichstag verbreitert sich in der Schrägansicht (Hypothenuse-Effekt), eine runde Kuppel hingegen nicht. Anders als die historische Kuppel wirkt die neue Kuppel in der Schrägansicht zu klein.

    Danke! Deswegen empfinde ich die Fosterkuppel je nach Blickwinkel manchmal als zu kugelig. Mir war das gar nicht bewusst.

    Ich bin schon fast versucht einen eigenen Strang aufzumachen mit dem Titel „Architektur als Ausdruck der Demokratie“.

    Ich war ja schon mehrmals auf der Kuppel. Das erste Mal war ich enttäuscht, da man die Parlamentarier gar nicht von oben herab sehen kann. Ich genoss aber dann die Aussicht und den Spaziergang in der Spirale. Mir fällt eigentlich keine demokratische Architektur ein, bzw. Architektur die dies versinnbildlicht.

    Beauty matters!

  • Ich bin schon fast versucht einen eigenen Strang aufzumachen mit dem Titel „Architektur als Ausdruck der Demokratie“.

    Bitte nicht. Architektur kann zwar gewisse Effekte erzielen, aber wirklich nachweisbar ist vor allem eine unmittelbare Wirkung. Wenn man da wieder anfängt zu kategorisieren in hoch subsummierenden Sphären (wie Staatsformen), dann kommt man ganz schnell dahin, wo einige die Debatte gerne hätten. Dann sind konkrete Schmuckelemente stets geeignet Leute zu verhetzen oder auszuschließen, Architektur aus bestimmten Epochen inkompatibel mit der Demokratie usw. Wir kennen die Untiefen dieser Debatten.

  • Majorhantines Ich stimme Dir zu. Am Reichstag gefällt mir halt die mE gelungene Mariage aus historischer und gegenwärtiger Formensprache. Weiter muss man das nicht treiben.

  • Majorhantines Du hast mit Deinem Einwand völlig Recht.

    Ich dachte eher ergebnisoffen mit einem Fragezeichen.

    Vorstellbar für mich wären Schmuckelemente, die nicht ausschließen, sondern Politiker ehren könnten. Beispielsweise in der Kommunalpolitik, da es dort Nachwuchsprobleme gibt. Wer hat schon Lust, abends, nach einem anstrengenden Tag, sich in einen kalten sterilen Konferenzraum mit Neonlicht zu setzen. Viel anziehender wäre ein vertäfelter naturnaher Saal mit echten Holzbänken und Tischen am prasselnden Kaminfeuer. So eine Art Neuinterpretation eines Rittersaals.

    Für mich sollte das Amt eines Politikers viel mehr gewürdigt werden! Es ist eine Ehre gewählt zu werden, es aber auch keine Schande, nicht mehr wiedergewählt zu werden.

    Ich kann mich noch gut erinnern, als ich als Schülerin eine Aufnahmeprüfung bestand und dann eine barocke Schule besuchen durfte. Das hat mich so motiviert und bereitete mir Freude durch die Gänge zu schweben. Architektur kann erheben, kann natürlich auch das Böse erheben. Wie Du schon sagtest, unmittelbar wirken. Aber eine „demokratische“ Architektur gibt es für mich nicht. Andere Meinungen (falls es welche gibt) würden mich aber trotzdem interessieren.

    Beauty matters!

  • Am Reichstag gefällt mir halt die mE gelungene Mariage aus historischer und gegenwärtiger Formensprache.

    Ich möchte das hier jetzt nicht zu weit treiben, aber ich finde, man muss bessere Ansätze der Gegenwartsarchitektur würdigen, um eine Exitstrategie zu entwickeln, die attraktiv ist. Wenn ich heute ein etablierter Bauschaffender bin, Architekt bin, was habe ich davon mich einer Bewegung anzuschließen, die nahezu alles umwerfen möchte, alles ablehnt was ich mache. Bestehen dagegen Brücken, wo man sagen kann, ja, das sind gute Ideen, die in der weiteren Arbeit berücksichtigt werden sollten und hoffentlich im Ergebnis dann doch irgendwann in eine weitgehende Abkehr der heutigen Praxis mündet, hat man ein attraktives Angebot. Die Idee gestalterische Traditionsstränge wieder aufzugreifen ist gut, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass das so revolutionär und zäsurartig einschlägt, wie eine von Grund auf völlig neue Formensprache. Wir wissen, dass es diese Evolution geben kann, die Postmoderne spiegelt viele Ideen wieder, zeigt aber auch, wie schnell das Pendel zurückschlägt bei so einem evolutiven Pfad. Vielleicht entdeckt man aber auch jetzt wieder auf dem Weg eine neue Formensprache, nur dazu müssen die Etablierten erstmal experimentierwillig sein. Und vor diesem ganzen Hintergrund sehe ich beim Reichstag genau so ein Projekt in eine bessere Richtung.

    Gegenbeweise:

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    Wie viel mehr greift nun also die Kuppel des Reichstags vorhandene Strukturen des Altbaus auf, versucht eine abgerundete zusammengehörige Architektur zu schaffen? Warum fühlt sich der Reichstag überhaupt noch so an wie ein altehrwürdiges Gebäude? Hier oben hat man den Bauten diese Ehre genommen. Sie sind im besten Fall noch Staffage, häufiger allerdings offensichtlich störendes Beiwerk im Geiste der Architekten. Gerade noch dazu zu gebrauchen, das eigene Schaffen umso verstärkter als die bessere, ausdrucksstärkere, zeitgemäße und fortschrittlichere Gestaltung darzustellen.

  • Aber eine „demokratische“ Architektur gibt es für mich nicht. Andere Meinungen (falls es welche gibt) würden mich aber trotzdem interessieren.

    Sind die anderen Meinungen dazu nicht umfassend bekannt aus der Reko-kritischen Ecke? Die brauchen so etwas wie ,,demokratische Architektur" meiner Meinung nach. So kann man auch das Gegenteil davon isolieren und bekämpfen. Und schon wird es wieder absurd, wenn Gestaltung bekämpft wird, weil man meint dass das Auswirkung hat, ob die Menschen für oder gegen die Demokratie sind.

    Eigentlich müssten doch Parlamente per se demokratische Architektur sein.

    Ich denke mit einer solchen Überlegung kommt man in ähnliche Problemräume. Ist dann ein Verteidigungsministeriumsbau per se militaristisch in seiner Architektur? Kann man durch eine andere Nutzung danach diese Bauten ,,ausräuchern" und damit eine ,,Friedensarchitektur" erreichen?

    Besser ist es von all diesen freien Deutungen soweit Abstand zu nehmen, so sie nicht in irgendeiner Form objektiv nachzuweisen sind. Jeder weiß, dass es Stadträume gibt, die soziale Brennpunkte erstehen lassen. Das sind dann vielleicht undemokratische, unmenschliche Orte. Das lässt sich nachweisen über Wahlbeteiligung, Verwahrlosung etc. Umfassende Daten auch in Richtung Gegenthese verhindern, dass so etwas passiert wie bei Oswalt: Dass man höchst selektiv Daten erfasst und genau weiß, dass man egal was man darin findet ein bestimmtes Narrativ damit erzeugen kann, das seit Jahren und Jahrzehnten für ihn feststeht.

  • Majorhantines Ich wollte mit meiner Bemerkung den Bogen weiter spannen - weg von der rein gesellschaftlichen Betrachtung. Denn Parlamente befinden sich ja idR in sehr repräsentativen Gebäuden, die tlws. historisch aber auch historisierend sind. (Westminster Palace 1840-1870: Neogotisch, Parlamentsgebäude in Budapest 1884-1904: Neogotisch etc.) Demnach scheint die Formsprache wohl weniger der Gesellschaftsform sondern - steingeworden - primär der Würde und Verdeutlichung der dortigen Macht zu entsprechen - wo wir wieder bei Phi wären.

    Es wäre spannend, eine Matrix zu haben, in der alle Parlamentsgebäude mit deren Baujahr und jeweiligen Baustil erfasst wären.

  • Die Wahl der Neogotik als Stil für Parlamente und Ratshäuser im geschichtsbewussten 19. Jh dürfte in vielen Fällen darauf zurückgehen, dass man an die Tradition der repräsentativen Stadtverwaltungen der großen mittelalterlichen Handels- und freien Reichsstädte anknüpfen und somit die bürgerliche Emanzipation und Unabhängigkeit von Adel und Kirche unterstreichen wollte.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Danke. Spannend, wie diese Konzepte bis heute wirken. Ich googelte nämlich gerade. Und dabei stolperte ich über diese Einladung. Es geht um einen Ausschuss. Das Interessante daran ist, dass visuell mit einem neugotischen Sitzungssaal geworben wird. Man hätte als visuellen Anreiz auch ein themenbezogenes Foto einfügen können.

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  • Ich möchte das hier jetzt nicht zu weit treiben, aber ich finde, man muss bessere Ansätze der Gegenwartsarchitektur würdigen, um eine Exitstrategie zu entwickeln, die attraktiv ist.

    Bessere Ansätze der Gegenwartsarchitektur sollte man definitiv würdigen. Ich laufe häufiger durch die Stadt und schaue mir die wenigen neuen Gebäude an, die Dinge mal besser machen. Oft sind das keine großen Wunder, hier mal farbige oder runde Balkonbrüstungen, dort mal ein ungewöhnlicher Winkel oder mehrfarbige Klinkerstreifen. Wenn man sich beim heutigen Städtebau nicht an solchen kleinen Details erfreuen kann, dann bleibt ja nicht mehr viel.


    Und um zur Reichstagskuppel zurückzukehren: Ob sich aus solchen besseren Ansätzen der Gegenwartsarchitektur allerdings eine Exitstrategie - im Sinne der meisten Foristen hier - entwickeln läßt, wage ich stark zu bezweifeln. Ich denke alles was man auf absehbare Zeit hoffen darf, ist, dass der Städtebau vielleicht zu maßvolleren und angepassten Dimensionen zurück findet.

  • Ob sich aus solchen besseren Ansätzen der Gegenwartsarchitektur allerdings eine Exitstrategie [...] entwickeln läßt, wage ich stark zu bezweifeln. Ich denke alles was man auf absehbare Zeit hoffen darf, ist, dass der Städtebau vielleicht zu maßvolleren und angepassten Dimensionen zurück findet.

    Gut, dann erkläre mir mal bitte, wie eine Ablehnung der Kuppel bzw. des Hybridbaus und Forderung nach vollständiger Rekonstruktion des ursprünglichen Entwurfs in irgendeiner Form mehr erreicht? Es geht ja um eine Richtung, bei Dir lese ich Richtungslosigkeit heraus (,,man kann eh nichts erwarten bei der Baukultur außer vielleicht eine kleine Redimensionierung")? Die Idee von einem in sich abgeschlossenen Architektur,,produkt", das nicht mehr angerührt werden darf, ist im Übrigen eh ein recht modernes. Das ermöglicht erst den ganzen Wahnsinn, dass sich Architekturbüros ein ,,Branding" im Bereich der Gestaltung zulegen, woran man sie dann idealerweise erkennen kann. Also die Essenz von nicht für die Nutzer bauen, sondern für den ,,Baukünstler" und bloß keine gestalterische Weiterentwicklung.

  • Der Reichstag war mitnichten vor 130 Jahren ein demokratisches Gebäude. Vielmehr symbolisierte er den Fürstenbund, der sich Deutsches Reich nannte. Das ist noch heute am Gebäude nachvollziehbar. Blick nach oben und man erkannt an der Portikusdecke die Wappen der damaligen Fürstentümer. Nur wenige in diesem Forum werden uns noch sagen können, welches da für Hessen-Nassau, Schleswig, Braunschweig, Sachsen Coburg-Gotha und was sonst nocht hängt.

    Also der Reichstag selbst wurde (abgesehen vom fehlenden Frauenstimmrecht) aufgrund eines sehr demokratischen Wahlrechts gewählt, im Vergleich zu den meisten ausländischen Staaten, einschließlich England usw. ohnehin. So gesehen war es durchaus im Kaiserreich ein demokratisches Gebäude.

    Im Gebäude war damals jedoch auch der Bundesrat untergebracht (der erst in der Weimarer Republik in Reichsrat umbenannt wurde), wohl in einem der Ecktürme. So ist wohl eher auch eine Symbolik wie die Wappen der damaligen Fürstentümer zu erklären. Der Bundesrat selbst war im Kaiserreich kaum demokratisch legitimiert.


    Eine gute Beschreibung über Skulpturen und Reliefs am Gebäude findet sich hier

    Deutscher Bundestag - Die Skulpturen und Reliefs des Reichstagsgebäudes
    Das Reichstagsgebäude in Berlin ist ein Besuchermagnet und beliebtes Ausflugsziel vieler Touristen. Doch die Bedeutung der Ornamente, Reliefs und…
    www.bundestag.de