Berlin - Reichstagsgebäude und Spreebogen

  • Wie ich bereits öfter ausführte, hat jede Zeit Ihre Formensprache. Darum empfinde ich die aktuelle Kuppel auf dem Reichstagsgebäude auch sehr gelungen. Warum? Vor 130 Jahren gab es noch die Monarchie mit vererbter Macht. Heute sind wir eine Demokratie; transparent, modern, dem Bürger als Souverän mit einem gesunden Bewusstsein für unsere Geschichte. All das verdeutlicht die Mariage der neuen Kuppel auf dem alten Reichstagsgebäude: Transparenz, Modernität, der Bürger steht wortwörtlich über der Regierung; alles auf einem historischen, soliden Fundament.

    Dieser Formensprache folge ich gerne!

  • Die Parlamentsgebäude in Paris, Wien, Rom, Madrid, Stockholm, Oslo oder London sind zwar nicht im Krieg zerstört worden, gleichwohl blieb diesen im Inneren ein gnadenloses Tabularasa wie dem Reichstag erspart. Man tagt dort also noch weitgehend im historischen Dekor bzw. im Prunk des 19. Jahrhunderts. Dass dies auch nur ansatzweise den parlamentarischen Betrieb beeinträchtigen würde ist mir nicht bekannt.

    In Wien fiel eine Bombe auf den Parlament, die den Sitzungssaal des Nationalrates zerstörte. Und hier wurde tabula rasa nicht erspart.

    Der Fr. Parlament ist ein ehemaliges Palast aus dem 18. Jahrhundert. Schon allein aus diesem Grund ist den Palais Bourbon ziemlich prunkvoll, und steht seit den 30ger unter eDenkmalschutz, und der wurde davor mehrmals umgestaltet und umgebaut. Hinzu wurde den Parlament während im 2.WK als Hauptquartier für den OKW und OKL verwendet, plus ein Saal wurde als Gericht gegen Widerstandskämpfer missbraucht. Aus diesen Gründe war es praktisch eine Frage der Nationalehre, das Gebaüde wieder im Originalzustand herzustellen. So sah es nämlich 1940 noch aus:

    Bundesarchiv_Bild_183-2004-0216-500%2C_Paris%2C_deutsche_Parole_am_Bourbon-Palast.jpg

  • Wie ich bereits öfter ausführte, hat jede Zeit Ihre Formensprache. Darum empfinde ich die aktuelle Kuppel auf dem Reichstagsgebäude auch sehr gelungen. Warum? Vor 130 Jahren gab es noch die Monarchie mit vererbter Macht. Heute sind wir eine Demokratie; transparent, modern, dem Bürger als Souverän mit einem gesunden Bewusstsein für unsere Geschichte. All das verdeutlicht die Mariage der neuen Kuppel auf dem alten Reichstagsgebäude: Transparenz, Modernität, der Bürger steht wortwörtlich über der Regierung; alles auf einem historischen, soliden Fundament.

    Dieser Formensprache folge ich gerne!

    Um Voltaire zu persiflieren: ni transparent, ni moderne, ni souverain.

    Transparent? Die alte Beschwörungsformel, dass Architektur aus Glas die demokratische Transparenz verkörpere, ist inzwischen wirklich mehr als ausgelutscht; vor allem aber zeig mir bitte, in welchem praktischen Bereich die so großartige Transparenz in unserer deutschen Parteien-, Gremien- und Bürokratiedemokratie liegen soll.
    Modern? Gläserne Architektur gab es schon in den verwünschten monarchischen Zeiten: u.a. der Crystal Palace in London von 1851, der Münchner Glaspalast von 1854 oder das Palmenhaus im Schönbrunner Schlosspark in Wien von 1882. Damals war das hochmodern und drückte den technischen Fortschritt aus, erstmals kam man ohne tragendes Mauerwerk aus und konnte stattdessen leichte und filigrane Eisenträger verwenden. Zum Zeitpunkt des Aufsetzens der Glaskuppel auf das Berliner Reichstagsgebäude in den 1990ern war dies hingegen keinerlei Zeichen von Modernität mehr.
    Der deutsche Bürger als Souverän mit einem gesunden Bewusstsein für unsere Geschichte? Ich bitte Dich, da musst Du doch selbst lachen... es dürfte vermutlich kaum ein Volk auf dieser Erde geben, das ein problematischeres Verhältnis zur eigenen Vergangenheit besitzt als die Deutschen.

    In Wahrheit dürfte so ziemlich das Gegenteil von all dem, was Du geschrieben hast, der Fall sein: der verkrampfte Versuch, mit sich selbst und der eigenen Vergangenheit klarzukommen.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • In Wien fiel eine Bombe auf den Parlament, die den Sitzungssaal des Nationalrates zerstörte. Und hier wurde tabula rasa nicht erspart.

    Der große Rest des Wiener Parlamentsgebäudes ist aber wunderbar erhalten und von einer absolut erstklassigen Grandezza (:zwinkern:), u.a. der historische Sitzungssaal:

    52048-parlament-historischer-sitzungssaal.webp

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Wie ich bereits öfter ausführte, hat jede Zeit Ihre Formensprache. Darum empfinde ich die aktuelle Kuppel auf dem Reichstagsgebäude auch sehr gelungen. Warum? Vor 130 Jahren gab es noch die Monarchie mit vererbter Macht. Heute sind wir eine Demokratie; transparent, modern, dem Bürger als Souverän mit einem gesunden Bewusstsein für unsere Geschichte. All das verdeutlicht die Mariage der neuen Kuppel auf dem alten Reichstagsgebäude: Transparenz, Modernität, der Bürger steht wortwörtlich über der Regierung; alles auf einem historischen, soliden Fundament.

    Dieser Formensprache folge ich gerne!

    Ich darf mich den Ausführungen von Leonhard anschließen. Der Palast der Republik in der DDR bestand überwiegend aus Stahl und Glas, das Kapitol in Washington, das Bundeshaus in Bern , das Parlamentsgebäude in London etc. sind aus Stein. Darüberhinaus ist unsere Demokratie heute leider alles andere als transparent. Und die Mauern in den Köpfen mancher Politiker sind zum Teil ziemlich massiv. Nicht zuletzt zeichnete sich die alte Reichstagskuppel gerade dadurch aus, dass sie in ihrer Stahl-Glas-Konstruktion höchst modern war und sich damit signifikant von der Typologie der klassischen Schlosskuppel abhob.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Seinsheim Demnach setzt Du also den Palast der Republik in der DDR, der 'überwiegend aus Stahl und Glas' bestand mit der von Dir präferierten, alten Kuppel des Reichstags in ihrer 'höchst modernen' Stahl-Glas-Konstruktion gleich - und das auch noch politisch? Das ist höchst bedenklich.

  • Nachtrag: Gerade bei hoch repräsentativen Gebäuden wissen wir, schon seit den Ägyptern und Sumerern, dass diese immer einen Machtanspruch ausdrücken - sollen. Umso bombastischer, je größer der Alleinherrschaftanspruch. Ein modernes Beispiel dafür ist hier der ehemalige Palast von Ceaucescu in Bukarest.

    In einer Demokratie hingegen, wo das Volk der Souverän ist, muss es eine andere Formensprache geben. Und die finde ich im Reichstagsgebäude eben sehr gelungen. Wo gibt es auf der Welt noch die Möglichkeit, dass der Souverän seiner Regierung faktisch auf das Dach steigen darf? Und das zudem noch in einer nach allen Seiten offenen und lichtdurchfluteten Kuppel?

  • Nachtrag: Gerade bei hoch repräsentativen Gebäuden wissen wir, schon seit den Ägyptern und Sumerern, dass diese immer einen Machtanspruch ausdrücken - sollen.

    In einer Demokratie hingegen, wo das Volk der Souverän ist, muss es eine andere Formensprache geben. Und die finde ich im Reichstagsgebäude eben sehr gelungen. Wo gibt es auf der Welt noch die Möglichkeit, dass der Souverän seiner Regierung faktisch auf das Dach steigen darf? Und das zudem noch in einer nach allen Seiten offenen und lichtdurchfluteten Kuppel?

    Ich möchte nur daran erinnern, dass der Reichstag nicht nur ein demokratisches Symbol darstellte, sondern geradezu Ausdruck der Demokratie in Deutschland war. Das zeigte sich auch daran, dass Wilhelm II. diesen als "Quasselbude" bezeichnete. Der autokratisch gesinnte Kaiser hielt offensichtlich nicht all zu viel vom Parlament. Und in unserer Diskussion geht es doch darum, diesen demokratischen Parlamentsbau in seiner ursprünglichen Form - HALLO, "Stadtbild Deutschland" ist ein Rekonstruktionsforum - wiederherzustellen. Mit den Schmuckelementen, den Skulpturen und natürlich auch mit der ursprünglichen, zur Architektur des Gebäudes passenden Kuppel. Da der Bau demokratisch war, war es natürlich auch die Kuppel.

    Demnach geht es jetzt hier wohl nur noch darum, welche Kuppel demokratischer ist: die historische, zum Bau passende, oder die heutige Glaskuppel.

  • HALLO, "Stadtbild Deutschland" ist ein Rekonstruktionsforum

    Gut, dass du das nochmal ansprichst. Das vergesse ich immer öfter, wenn ich die Beiträge mancher Teilnehmer hier lese. :wink:

    In dubio pro reko

    Der größte Feind der Ideologie ist die Realität

  • EINSPRUCH eines energischen Demokraten: Rekonstruktion bedeutet nicht, dass alles unverändert, ursprünglich wieder entstehen muss. Und schon gar nicht in einem Gebäude mit derart historischen Schnittpunkten, wie dem Deutschen Reichstag. Das Gebäude hat zuviel erlebt, als einfach nur 1:1 im Zustand von vor 130 Jahren rekonstruiert zu werden. Hier die Fakten:

    1.) Errichtung: Der Reichstag war mitnichten vor 130 Jahren ein demokratisches Gebäude. Vielmehr symbolisierte er den Fürstenbund, der sich Deutsches Reich nannte. Das ist noch heute am Gebäude nachvollziehbar. Blick nach oben und man erkannt an der Portikusdecke die Wappen der damaligen Fürstentümer. Nur wenige in diesem Forum werden uns noch sagen können, welches da für Hessen-Nassau, Schleswig, Braunschweig, Sachsen Coburg-Gotha und was sonst nocht hängt. Aber sie sind da und erinnern an die Gründung des Deutschen Reiches von oben. Dass das nicht verheimlicht wird, ist unter anderem, was ich mit 'historichem Fundament/Basis' bezeichnet habe.

    2.) Und es geht weiter: Erst 22 Jahre später, als die Monarchie im 1.WK zu wanken begann, war man bereit, dem Volk Zugeständnisse zu machen und Behrens durfte den Spruch "Dem Deutschen Volke" gestalten und anbringen. Das war eine Maßnahme, um das Volk für den millionenfachen Grabentod bei Laune zu halten. Der Schriftzug ist also nicht ursprünglich. Wollt Ihr den abnehmen?

    3.) Reichstagsbrand 1933 (sichtbares Ende der Demokratie und Rechtfertigung für das Ermächtigungsgesetz): Der Anarchist Van der Lubbe soll es gewesen sein, aber es gibt ja noch den Tunnel zu Göhring. Auch der Tunnel ist heute noch erlebbar (siehe historisches Fundament/Basis). Bei dem Brand fiel übrigens Eure Kuppel in Asche und wurde ein Skelett.

    4.) Während der Nazizeit plante Speer am Spreebogen den architektonischen Nabel der Welt. Die große Halle des Volkes der Welthaupstadt Germania mit einer Kuppel über 300 Meter hoch und Hitlerschattenriss im Inneren an einem bestimmten Tag (Führers Geburtstag?) = optische Nutzung das Sonnenlichts zur Götzenverehrung wie in Abu Simbel. Der Reichstag sollte da nur noch ein Randdasein gegenüber dem Führerbau führen.

    5.) Kriegsende Mai 1945: Der 2.Wk endet militärisch mit dem Sturm der Roten Armee auf den Reichstag, in dem sich noch skandinavische Legionäre der SS-Division Nordland verschanzt hatten; die Deutschen Landser waren da schon lange geflohen. Das Foto der Rotarmisten, die auf dem Dach des Reichstags die Rote Fahne hissen, ging viral. Danach schweigen die Waffen. (Nur nebenbei: Einer der Rotarmisten trägt an seinem Arm eigentlich mehrere geklaute Armbanduhren. Die wurden aber wegretuschiert.) Die russischen Grafittis sind noch heute im Reichstag sichtbar (siehe historisches Fundament/Basis).

    6.) 13. August 1961: Die Mauer führt bis Ende 1989 nur wenige Meter entfernt am Reichstagsgebäude vorbei. Die Kreuze der dortigen Mauertoten sind noch da (siehe historisches Fundament/Basis).

    7.) 1999: Der Reichstag erhält wieder eine Kuppel; transparent, luftig, spiegelnd und von jedermann begehbar.

    8.) Dezember 2024: Im Internetforum "Stadtbild Deutschland" wird darüber debattiert, dass die ursprüngliche Kuppel, die "Kaiserhaube oder auch Pickelhaube" wieder auf das Reichstagsgebäude gesetzt werden sollte.


    Meint Ihr das wirklich ernst? Ein Gebäude, dass Monarchie, Demokratie, Nazidiktatur, Kapitulation, kommunistische Teilung, Wiedervereinigung und eine aktuelle Demokratie - auf die ich übrigens sehr stolz bin - hautnah erlebt (hat) und an dem noch die Spuren all dieser Ereignisse sichtbar sind, soll die alte, zopfige Kaiserhaube wieder aufgesetzt bekommen - ERNSTHAFT?

  • Meint Ihr das wirklich ernst? Ein Gebäude, dass Monarchie, Demokratie, Nazidiktatur, Kapitulation, kommunistische Teilung, Wiedervereinigung und eine aktuelle Demokratie - auf die ich übrigens sehr stolz bin - hautnah erlebt (hat) und an dem noch die Spuren all dieser Ereignisse sichtbar sind, soll die alte, zopfige Kaiserhaube wieder aufgesetzt bekommen - ERNSTHAFT?

    8.) Dezember 2024: Im Internetforum "Stadtbild Deutschland" wird darüber debattiert, dass die ursprüngliche Kuppel, die "Kaiserhaube oder auch Pickelhaube" wieder auf das Reichstagsgebäude gesetzt werden sollte.

    Auch andere wichtige Gebäude haben eine bewegte Geschichte vorzuweisen. Jedoch ist dies kein Grund, ein historisches Gebäude mit einer unpassenden Kuppel zu verunstalten. Mit seiner bauzeitlichen Kuppel hatte das Reichstagsgebäude eine stimmige ästhetische Gesamtwirkung. Diese wurde durch den Fosterschen Aufbau zerstört.

    Dass wir es hier bedauern, dass dieses ursprünglich stimmige Gesamtbild des gründerzeitlichen Reichstags anscheinend unwiederbringlich verloren ist, ist doch wohl völlig legitim. Dies mittels Sticheleien ins Lächerliche zu ziehen oder zu versuchen, es politisch negativ zu konnotieren ("Kaiserhaube oder auch Pickelhaube"), finde ich keinen guten Stil.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • :lachen:
    Tschuldigung, aber durch Hevellers pathetisch erhobenen Zeigefinger driften alle Argumente eher ins Lächerliche ab.
    Unsere Demokratie würde eine Rekonstruktion der alten Kuppel gut überstehen, keine Sorge. Außerdem, merkt es einer, unsere Demokratie ist sogar standhaft genug, dass wir noch immer vom "Reichstag" sprechen und nicht korrekterweise vom Bundestag, der er heute ist.

    Und das bemerke ich als jemand, der eigentlich die derzeitige Kuppel als ganz schick und einzigartig empfindet.

  • . Das Foto der Rotarmisten, die auf dem Dach des Reichstags die Rote Fahne hissen, ging viral. Danach schweigen die Waffen. (Nur nebenbei: Einer der Rotarmisten trägt an seinem Arm eigentlich mehrere geklaute Armbanduhren. Die wurden aber wegretuschiert.)

    ...Das später verbreitete Foto Chaldeis wurde wegen der anhaltenden Kämpfe erst am Morgen des 2. Mai 1945 nachgestellt.

    Chaldei hatte seit Juni 1941 verschiedene Teilstreitkräfte der sowjetischen Armee an Kriegsschauplätzen als Fotograf begleitet. Nach der Eroberung Berlins durch die sowjetische Armee suchte er nach einem passenden Motiv mit hohem Symbolwert. Ob er Joe Rosenthals wenige Monate zuvor entstandenes Foto Raising the Flag on Iwo Jima kannte, ist umstritten.[6][7] Vom Hausmeister der Nachrichtenagentur TASS erhielt er rote Tischdecken und ließ daraus bei einem befreundeten Schneider drei Siegesflaggen schneidern. Mit drei Soldaten, die er im Eingangsbereich des brennenden Reichstags traf, stieg er auf das Dach des Gebäudes und fotografierte sie beim Hissen der Fahne. Danach reiste er zurück nach Moskau...

    Demnach wurde nach Abschluss der Kämpfe eine Serie von Fotos geschossen. Offensichtlich wurden nicht alle retuschiert. Unten sieht man bereits flanierende Personen.



    Raising a flag over the Reichstag 2
    Mil.ru, Public domain, via Wikimedia Commons

  • Seinsheim Demnach setzt Du also den Palast der Republik in der DDR, der 'überwiegend aus Stahl und Glas' bestand mit der von Dir präferierten, alten Kuppel des Reichstags in ihrer 'höchst modernen' Stahl-Glas-Konstruktion gleich - und das auch noch politisch? Das ist höchst bedenklich.

    Nein, ich will nur sagen, dass die Kategorien Transparenz = Demokratie und Stein = autoritäre Staatsform nicht greifen, weil die Kuppel des alten Reichstags ebenso viel oder wenig "demokratisch" war die die Forster-Kuppel und Bauten aus Glas ebenso Diktaturen repräsentieren können wie massive Steinbauten eine Demokratie.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • 1.) Errichtung: Der Reichstag war mitnichten vor 130 Jahren ein demokratisches Gebäude. Vielmehr symbolisierte er den Fürstenbund, der sich Deutsches Reich nannte. Das ist noch heute am Gebäude nachvollziehbar. Blick nach oben und man erkannt an der Portikusdecke die Wappen der damaligen Fürstentümer. Nur wenige in diesem Forum werden uns noch sagen können, welches da für Hessen-Nassau, Schleswig, Braunschweig, Sachsen Coburg-Gotha und was sonst nocht hängt. Aber sie sind da und erinnern an die Gründung des Deutschen Reiches von oben. Dass das nicht verheimlicht wird, ist unter anderem, was ich mit 'historichem Fundament/Basis' bezeichnet habe.

    Der Reichstag war vor 130 Jahren durchaus eine demokratische Institution, und zwar insofern, als er die Volksvertretung war - im Unterschied zum preußischen Herrenhaus. Die in ihn gewählten Parteien wurden vom Volk gewählt und waren nicht Repräsentanten der Fürsten. In diesem Sinne repräsentierten die Wappen der verschiedenen Länder auch nicht die regierenden Fürsten, sondern die Territorien, aus denen sich das Reich zusammensetzte. Die Krone auf der Kuppel war die Reichskrone, die freilich auch im Wappen des Kaisers vorkam. Die vom Reinhold Begas geschaffene Bronzegruppe über dem Hauptrisalit stellte Germania dar, nicht Wilhelm II. Der Herold neben ihr führte den sogenannten Stratordienst aus, der im Mittelalter eigentlich nur dem Kaiser oder dem Papst zustand. Mit anderen Worten: die Nation in ihrer Gesamtheit hatte die Stelle des Kaisers eingenommen.

    Daher ist es auch falsch, von einer Kaiserkuppel oder polemisch von einer Pickelhaube zu sprechen. Die quadratische Glaskuppel, ich sagte es schon, bildete die Antithese zu den runden Schloss- und Kirchenkuppeln aus Stein. Das Volk beanspruchte die Kuppel als Hoheitssymbol nun auch für sich, allerdings in einer neuartigen, ihm "eigentümlichen" Form (wie dies auch am Bundeshaus in Bern der Fall ist). Während das klassische Kuppelrund für das Himmelsgewölbe und die göttliche Ordnung steht, die auf Erden vom Klerus bzw. vom Monarchen vertreten wird, symbolisiert das Quadrat die irdische, innerweltliche Vollkommenheit. Die Reichstagskuppel ist also wie das gesamte Gebäude Sinnbild für den deutschen Einheitsstaat und für den deutschen Parlamentarismus, der sich von der Monarchie emanzipiert hat und eine gleichwertige Repräsentationsform sucht. Eben deshalb hat Wilhelm II. die Kuppel auch nicht gewollt und darauf bestanden, dass sie niedriger als die Schlosskuppel ausfiel.

    Letztlich verhält es sich mit der Kuppel wie mit den Belfrieden der flandrischen Rathäuser, die ein selbstbewusstes Bürgertum in Konkurrenz zu den Türmen der Kathedralen und Stadtkirchen errichtete. Das gilt auch für den Turm des Berliner Roten Rathauses, der die Schlosskuppel bewusst überragt. Die Gestaltung von Rathäusern in den Dimensionen von Palästen mit ähnlich prunkvollen Treppenhäusern, Loggien und Repräsentationsräumen zielt in dieselbe Richtung wie die Architektur des Reichstages. Es ist wichtig, dass man innerhalb der Ikonographie auf die semantischen Feinheiten achtet.

    Im übrigen: Das House of Parliaments in London ist auch mit Wappen der Königreiche England, Schottland und Irland gespickt; im Oberhaus steht sogar ein Thron für den Monarchen, der Hauptturm ist nach Königin Viktoria benannt. Und doch ist es ein durch und durch demokratisches Gebäude.

    Nicht nur unter ästhetischen, sondern gerade auch unter historischen Aspekten hätte ich es begrüßt, man hätte die alte Kuppel wiederhergestellt - gerade als Sinnbild für den Beginn der Demokratie in Deutschland.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Noch eine Ergänzung: Dass der Reichstagsbrand den Nazis mehr als gelegen kam und Speer den Wallot-Bau durch die Halle des Volkes zu marginalisieren suchte, zeigt ja bestens, dass es sich um einen demokratisch konnotierten Bau handelte. M. W. hat Hitler das Gebäude auch niemals betreten - und dies aus einer programmatischen Grundhaltung heraus.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Ich finde es schon absurd, das Thema überhaupt unter dem Gesichtspunkt "demokratisch oder nicht?" zu betrachten. Abgesehen davon, dass diese Debatte heute an allen Ecken und Enden geführt wird und langsam eine ähnliche Argumentationskeule wird wie Anschuldigungen über mangelnde sozialistische Gesinnung im früheren kommunistischen Ostblock, handelt es sich beim Reichstagsgebäude zunächst einmal um ein Gebäude in einem gewissen Stil, das unter architektonischen Gesichtspunkten betrachtet und respektiert werden sollte, so wie jedes andere anspruchsvolle Gebäude auch. Und gerade wir in diesem Forum, die wir uns für historische Architektur einsetzen, haben alles Recht und sogar die Pflicht, die nach dem 2. Weltkrieg durchgeführten Entkernungen und Beseitigungen historischer Substanz zu kritisieren. Die meisten Menschen sind in architekturhistorischer Hinsicht nicht gebildet und unsere Aufgabe ist es, um Verständnis und Respekt für historische Bausubstanz zu werben. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Frage, ob der Reichstag jetzt demokratisch ist oder nicht, völlig egal.

    "In der Vergangenheit sind wir den andern Völkern weit voraus."

    Karl Kraus

  • Die "alte" Reichstagskuppel ist also wie das gesamte Gebäude Sinnbild für den deutschen Einheitsstaat und für den deutschen Parlamentarismus, der sich von der Monarchie emanzipiert hat...

    ...mich überzeugen die Darlegungen von Seinsheim viel mehr und sie sind alle historisch belegbar. Trotzdem wird einem ständig erklärt, man will der Demokratie etwas böses antun, nur weil man historische Gebäude mit ihren Dekorationen mag. Diese Erklärungen werden einem von Menschen, die offenbar nicht so viel Wissen und Geschichtskenntnisse haben (Heveller?) mit dem "moralisch erhobenen Zeigefinger" vorgeworfen. Im gleichen Atemzug wird behauptet, dass modernes Glas dagegen immer demokratisch einwandfrei ist.

    Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass man heute technisch in der Lage ist, auch in eine "hübsche, passende, historische Kuppel" Rampen usw. für für Besucher einzubauen. Man hätte also trotz der "alten Kuppel" die Demokratie noch "erhöhen können.

    Außerdem haben wir in der Schule gelernt, dass die Inschrift "dem deutschen Volke" immer vorgesehen war und dafür im Giebel auch der Platz freigehalten war. Das Volk hat dafür gekämpft und sich schließlich erfolgreich durchgesetzt. Warum behauptet Heveller also, dass wir -die Liebhaber der klassischen Architektur- dafür sein müssen, dass sie wieder abgenommen wird? Weil wir automatisch "Anitdemokraten" sind?

    Mich würde sehr stark interessieren, ob das ursprüngliche Nationaldenkmal vor der Schlosskuppel nicht auch viel besser die Gesichte unserer inzwischen demokratischen Nation erklärt. Warum ist die Wippe demokratischer? Waren da nicht auch die Mosaike der Fürsten oder Bundesländer. Ist das Entfernen dieser Symbole ebenfalls moderner, transparenter, demokratischer, oder vielleicht auch nicht?