Mainz – die südliche Altstadt (Galerie)

  • Mit dem heutigen Tag möchte ich beginnen, Stück für Stück allen APH´lern und auch den Gästen des Forums meine Goldene Stadt vorzustellen. Mit dem Namen Mainz dürften sich natürlich mit einigem Augenzwinkern einige Klischees verbinden, die wohl jeder kennt und die ich hier nicht an erster Stelle nennen muß. Desungeachtet finden sich im Bereich der Inneren Altstadt grandiose und überwältigende Bauzeugnisse der Stadtgeschichte, die trotz des zweimaligen Untergangs der Stadt 1793 und 1942-1945 einen reichen Eindruck der Baugeschichte aller Epochen geben.
    Ziel ist, Zug um Zug die Baudenkmale durchzufotografieren und in jeweils neuen Beiträgen jeweils einen Straßenzug neu einzustellen.
    Da für die Zukunft noch erhebliches Potential zur Verfügung steht, halte ich es für sinnvoll, verschiedene Stränge mit Bildmaterial vorzusehen. An erster Stelle steht die bürgerliche Altstadt; der Ordnung halber müßten wenigstens noch zwei weitere Stränge mit den sakralen und städtischen Gebäuden sowie den Adelspalais zum einen, sowie der Bausubstanz der bürgerlichen Neustadt bzw. der Oberstadt folgen, damit der Überblick etwas gegliedert wird.
    Die Fotos wurden ab 2009 in mittlerweile etlichen Durchgängen geschossen und immer wieder das bessere durch das schlechtere ersetzt.

    Zunächst die Bilder nach Straßenzügen geordnet beginnend mit der Leichhofstraße, die wir auf den ersten Bildern zunächst einmal mit dem Ziel eines ersten Eindrucks als ganzen Straßenabschnitt sehen.

    Das folgende Bild, die Totale des relativ kurzen Abschnitts der Leichhofstraße nach Süden, dürfte für die meisten Besuchern die Visitenkarte auf dem Weg in die Altstadt sein.
    In der Bildmitte sehen wir mit dem zweiachsigen Haus Nr. 73 schon die Augustinerstraße, es ist das Haus zum KLEINEN ELEFANTEN, ein Bau um 1780 im Louis-XVI-Stil, sowie rechts angeschnitten daneben eine der großen Kostbarkeiten der Stadt, der "SPIEGELBERG", ein Renaissance-Fachwerkbau um 1610 mit geschnitzten Hermenpilastern, im 18. Jhd. barockisiert. Diese Gebäude werden im nächsten Beitrag mit der Augustinerstraße vorgestellt.
    Die Leichhofstraße ist ein relativ kurzer Straßenzug, der den Leichhof mit der Augustinerstraße verbindet. Die Grundrisse des Quartiers wie auch der Hausparzellen sind seit dem Mittelalter relativ unverändert geblieben, wenn man einmal davon absieht, daß es in Einzelfällen zu einer unbedeutenden Verschiebung der Parzellen kam. Aufgrund der im Mittelalter hier ansässigen Hutmacher wurde dieser Straßenzug im MA mit "Unter den Hutmachern" bezeichnet, wechselte dann in der französischen Zeit in "Rue des Frippiers" und ist etwa seit 1825 als Leichhofstraße geläufig.
    Das Erscheinungsbild der westlichen Straßenhälfte ist durch Kriegsbeschädigungen nicht mehr demjenigen entsprechend, wie es sich über die Jahrhunderte präsentierte und läßt sich am ehesten dadurch erklären, daß aus ehemals sieben Parzellen durch Zusammenlegung nunmehr vier geschaffen wurden. Durch die auf den Vorkriegsaufnahmen noch reichlich erkennbaren Hausgiebel der bisherigen sieben Parzellen scheint die Raumwirkung damals eine wesentlich tiefere gewesen zu sein. Die Änderungen umfassen heute:
    - Die heutige 1-3 ist eine Zusammenlegung der ehemaligen 1 (Haus zum Großen Spiegel) und 3 (Haus zum Kleinen Spiegel).
    - Die heutige 5 ist eine Zusammenlegung der beiden Häuser Zum Großen Schildknecht bzw. zum Kleinen Schildknecht.
    - DIe heutige 7-9 ist eine Zusammenlegung der bisherigen Häuser 7 Zum Hohen Haus bzw. 9 Zur Großen Henneburg.
    - Die Leichhofstraße 13 (Zur Bechtelmünz) hat auf der Seite zur Leichhofstraße hin ihr altes Erscheinungsbild gewahrt, zum Leichhof hin ist sie mit dem Nachbarn, dem Haus zum Frauenstein, innen vereinigt worden.
    Das Erscheinungsbild der Ostseite ist der Zeit des Wiederaufbaus nach 1793 entsprechend, bei der durch Zusammenlegung von ehemals 10 Parzellen auf heute sieben das jetzige Bild geschaffen wurde. Die ehemaligen 10 Häuser der Ostseite trugen von Norden nach Süden die Hausnamen:
    Goldene Waage - Kemenich - Kleiner Glockengießer - Großer Glockengießer - Kleiner Goldener Helm - Großer Goldener Helm (vormals: Zur Medeburg) - Großer Gaukelstein - Kleiner Gaukelstein (Nord) - Kleiner Gaukelstein (Süd) - Geigelstern - nochmals: Gaukelstern (Eckhaus zur Grebenstraße.


    Wenn auch die direkt südlich der Leichhofstraße anschließende Augustinerstraße den prominentesten Rang in ihrer Bedeutung als gewachsene Geschäftsstraße aufweist, kann es keinen Zweifel geben, daß der Leichhofstraße der Status als Herzmitte des alten Mainz zukommt. Das hat verschiedene Gründe: die Dichte an für die Stadtgeschichte bedeutsamen Baudenkmälern, die Überleitung zum Leichhof, der seit Jahrhunderten ebenfalls Marktfunktion hat, die Überleitung in die Augustinerstraße sowie natürlich als Stelle des erhabensten und überwältigendsten aller Domblicke, über der der Westturm in überirdischer Schönheit thront.

    Ernst Neeb, der hochverehrte Altmeister und Nestor der Mainzer Denkmalpflege, begann um die Jahrhundertwende herum mit der Dokumentation des Bestandes sowohl dokumentarisch, wo sein "Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Stadt Mainz", 1905 erschienen, Schlüsselfunktion für ein erstes Einarbeiten bietet. Seine unzähligen Aufnahmen und Dokumentationen, die auch vielfach Details liefern, von denen man sich ansonsten kaum noch ein Bild machen könnte, sind in ihrer Wertigkeit nicht hoch genug einzuschätzen. Immer schon, auch vor 1942, wurde der Leichhofblick zum Dom als der erhabenste angesehen. Wenn auch nun die folgende Fotodokumentation der bürgerlichen Altstadt den ersten Rang erhalten soll, hat es seine Richtigkeit, dem Westturm als Herz und Seele der Stadt mit den ersten Bildern seine Reverenz zu erweisen. Die beiden Wahrzeichen von Mainz, der Dom, sowie der Blick durch die Leichhofstraße mit dem Haus zum SPIEGEL zur linken, sind untrennbar miteinander verbunden!

    Das Haus zum SPIEGEL (Leichhofstraße 1-3) dürfte das mit Abstand meistfotografierte Bürgerhaus der Stadt darstellen. Seine Lage als Kopfbau im keilförmigen Quartier zwischen Heiliggrabgasse, Leichhof und Leichhofstraße sowie im nördlichen Anschluß an die Augustinerstraße mit Hinleitung zum Westturm des Doms haben es zum Wahrzeichen und einem Sinnbild des alten Mainz gemacht. Daß der Leichhofstraßenblick mit ihm zur linken "eigentlich" eine Selbstverständlichkeit auf dem Titel eines jeden Stadtführers ist, sei am Rande erwähnt. Die erhaltenen Dokumentationen des alten Mainz vor 1942 zeigen, daß im Hinblick auf die Gesamtanzahl der Bürgerhäuser gesehen Fachwerkbauten insgesamt nicht die größte Anzahl darstellten und einer höheren Summe von rein konstruktiv bedingten, im allgemeinen verputzten Bauten nur ein geringerer Anteil von Zierfachwerkbauten zukam. Natürlich wird man auch zugestehen, daß Mainz trotz vielfältiger Beziehungen zu Frankfurt niemals Bauten wie die des großen und kleinen Engel, des Salzhauses, dem Schwarzen Stern oder der Goldenen Waage aufwies. Bei einem Gebäude, das Haus zum LANDECK / Zum KUCKUCK, ehemals SOLMSER HOF, in der Betzelsgasse 1, läßt sich aufgrund des außerordentlich reichen Zierfachwerks eine Ausnahme machen. Seine Lage mit dem Nachbarn zur linken, dem KRONBERGER HOF, machte das Gebäude einst zum meistfotografierten Punkt der Altstadt. Im Bewußtsein geblieben sind auch die außerordentlich reichgeschnitzten Hoferker des Hofs zum KORB in der Korbgasse 3 von 1621 und des Köthergäßchens 4 von 1605.

    Beim Haus zum SPIEGEL soll vorbemerkt werden, daß das Haus nicht ohne größere Beschädigungen den Krieg überlebt hat und daß das Erscheinungsbild heute dasjenige des Wiederaufbaus um 1950 ist, bei dem neben des Neuaufbaus des Hausgiebels die Ostseite zur Leichhofstraße mit neuem Material in kompositorisch völlig neuer Zusamenstellung erfolgte und daß dabei die Hausfläche der zerstörten Nr. 3 mit einbezogen , die Fassadenbreite und ehemalige Parzellenzugehörigkeit somit aufgedoppelt wurde.
    Nach den Zerstörungen im 30jährigen Krieg durch Schwedische Besatzung lag ein großer Teil des gesamten Areals brach und die Baugeschichte der südlichen Altstadt geht auch großteils einher mit der Neubebauung auf dem alten Grundriß der bisherigen Häuser Zum Großen Spiegel (vormals Spiegelberg) und Zum Kleinen Spiegel
    Wenn auch das Baujahr des SPIEGEL bisher nicht eindeutig festgelegt werden konnte, dürfte die Errichtung dieses Hauses etwa zwischen 1660 und 1680 erfolgt sein. Die Abschnitte der Entwicklung des Gebäudes ist heute in allen Teilen ablesbar. Das steinerne Erdgeschoß wurde entsprechend der Nutzung als Geschäftshaus mehrfach verändert. Bis zur Mitte des 19. Jhd. spannten sich jeweils an der Süd- und Ostseite 3 Laubenbögen, die in ihrer Form mit einiger Sicherheit auf einen Umbau laut Datierung der Wetterfahne auf 1730 schließen lassen. Dagegen sind für die Westseite in der Heiliggrabgasse 3 Fenster mit geohrten Rahmen, auch aus etwa dieser Zeit, überliefert. Nach dem Wiederaufbau des Gebäudes nach Kriegsbeschädigung um 1950 wurde es in die folgende Form gebracht.
    Süd- und Westseite sind heute weitgehend original überliefert und präsentieren sich als dominanter Kopfbau mit reichem Zierfachwerk und markantem zweigeschossigem Mittelerker, dessen Konsolen allerdings etwa um 1900 erneuert wurden.

    Bei den folgenden Bildern handelt es sich um den "SCHILDKNECHT", Leichhofstraße 5. Das heutige Erscheinungsbild ist im Vergleich mit der Hausgeschichte etwas verändert. Das Haus geht auf ursprünglich 2 separate Gebäude zurück, die unter dem Namen GROSSER bzw. KLEINER SCHILDKNECHT überliefert waren und ebenfalls in der 2. Hälfte des 17. Jhd. im Zug der Wiederbebauung errichtet wurden.
    Die beiden Hausteile wiesen vor dem Krieg beide steile Hausgiebel auf und setzten Akzente in der Höhenwahrnehmung des gesamten Baublocks. Die ursprüngliche Hausteilung läßt sich nachvollziehen, wenn man im zweiten Obergeschoß eine "optische Trennung" zwischen den 3 Fenstern links und den 2 Fenstern rechts macht und sich für die linke Haushälfte einen hoch aufragenden, rechts einen weniger hohen Hausgiebel vorstellt.
    Im ersten Viertel des 18. Jhd. wohl etwa um 1720, wurden die beiden Gebäude durch prachtvolle Laubenbögen vereinigt, die heute in ihrer Art eine besondere Kostbarkeit darstellen. Die nördlichen 3 Bögen tragen Scheitelsteine mit grotesken Blattmasken. Die beiden südlichen wirken durch ihre Rokokokartuschen jünger, wobei natürlich die Möglichkeit besteht, daß zu einem späteren Zeitpunkt diese Bögen durch Ladeneinbauten verändert wurden und die Kartuschen frei nachgestaltet wurden.
    Die Bogenansätze sind mit Akanthusmotiven verziert, im Sockelbereich der südlichen Hälfte ist ein Christusmedaillon ausgearbeitet, an der nördlichen Ecke ein ionischer Pilaster. Ansonsten trägt der Fachwerküberhang und die gewachsene Anordnung der Fenster wesentlich zu einem unverwechselbaren Gesamtbild bei.
    Den Krieg überstand das Haus mit Zerstörung von Dächern bzw. Giebel. Stattdessen wurde eine Traufenfront gebildet, die natürlich im Vergleich zum vorherigen Zustand dem Haus einiges von seiner Kleinteiligkeit genommen hat und doch sehr lagernd wirkt. Gleichzeitig ist sie Zeugnis für die verschiedenen Phasen der Vereinigung der beiden Hausteile. Aus historischer Sicht war die Wahrnehmung der Leichhofstraße eine ganz andere, da, wie bei den anderen Bauten auch, auch dieser Bau vor 1942 als zwei individuelle Hausteile wahrgenommen wurden.

    Die folgenden Bilder stellen den heutigen Zustand der 7 und 9 dar. Die ehemaligen beiden viergeschossigen verputzten Fachwerkhäuser dürften aus der Zeit um 1700 gestammt haben und trugen die Hausnamen " Zum HOHEN HAUS (vormals: ZUM GROSSEN KANNENGIESSER)" und "Zur GROSSEN HENNEBURG (auch: Großer Henneberg)". Bei der zweiachsigen 9 sind im Erdgeschoß zwei Bögen Ladenarkaden überliefert, die an einen späteren Einbau in der Spätphase des Barock, vielleicht um 1740 denken lassen und die nach dem vorhandenen Bildmaterial zu schließen um 1900 unverständlicherweise unter Putz lagen oder ganz erneuert wurden. Nach 1860 scheint das Haus eine Aufstockung um ein 3. Obergeschoss und ein Zwerchhaus erfahren zu haben. Im Vergleich zur 9 lag die Fassade der 7 etwas zurückversetzt; vermutlich erfuhr dieses Haus ebenfalls im 19. Jhd. eine Aufstockung um ein weiteres Obergeschoß. Nach Beschädigungen und Zerstörungen wurde die dreiachsige 7 und die zweiachsige 9 zu einem nur dreigeschossigen Putzbau in Traufenstellung, mit Wiederaufnahme der Anordnung der Fenster, vereinigt. Im modernisierten Erdgeschoss sind noch 3 originale Kragsteine bzw. Balkenköpfe übernommen worden; die anderen stellen Neuschöpfungen im Rahmen des Wiederaufbaus dar. Es handelt sich um schöne Zeugnisse ihrer Zeit.

    Die heutige 11 und 13, das Haus zur BECHTELMÜNZ, stellt eines der herausragendsten Bauzeugnisse bürgerlichen Bauens dar. Für das Grundstück sind vor der Benennung in "Bechtelmünz" die Hausnamen: Zur Kleinen Henne, später: Zum Frauenstein, überliefert. Die Parzellengeschichte reicht bis ins Mittelalter zurück; um eine Erklärung des heutigen Hausnamens zu finden, scheint am ehesten in Betracht zu kommen, daß das mit der Familie Gensfleisch/ Gutenberg verwandte Geschlecht der Bechtermünze im Quartier einigen Grundbesitz aufweisen konnte. In Eltville ist die Erinnerung an Johannes Gensfleisch zur Laden und die Bechtermünz´sche Verwandtschaft mit dem Hof Bechtermünz(e) als ältestem überhaupt erhaltenem Druckhaus sehr lebendig geblieben - Gutenberg richtete dort den Bechtermünzes eine Druckerei ein, dort wurde unter anderem auch das "Vocabularius ex quo", gedruckt.
    Im Bewußtsein, daß das Gebäude das erste von echtem Format auf dem Weg in die Altstadt, von Norden her kommend ist, wird das Gebäude mit etwas umfangreicherem Bildmaterial vorgestellt - es soll nicht für jedes Haus zur Regel werden, hat aber hier doch seine Berechtigung.
    Da in vielen Fällen die Baugeschichte der Häuser für die Zukunft noch ein umfangreiches Betätigungsfeld liefert, muß leider das genaue Baujahr zunächst noch offen bleiben. Es wird auf das Ende der 1720er bzw. um 1730 datiert.
    Die vierachsige Fassade zur Leichhofstraße und die nur zweiachsige zum Leichhof wird durch breite Stockwerkgesimse horizontal, sowie vertikal geprägt durch die Fensterrahmen, die durch Sturz- und Brüstungsfelder verlängert sind.
    Eine wesentliche Dominanz erhält das Gebäude durch individuelle Bandelwerkdekorationen in allen Sturz- und Brüstungsfeldern und besonders durch die Betonung der Hausecke durch den raumprägenden Eckerker mit einem Brüstungsrelief des ruhenden heiligen Franz Xaver. Die Ausprägung als Eckerker, auf zwei toskansichen Säulen ruhend, war schon im alten Mainz vor 1942 einzigartig.
    Im 19. Jhd. erfuhr das Gebäude eine Aufstockung um ein Vollgeschoß, das sich nach dem vorhandenen Bildmaterial sehr gut an den Bestand anpaßte und nur auf Bandelwerkdekorationen verzichtete. Nachdem das Gebäude vollständig ausbrannte und vor einer Sicherung einsturzgefährdet war, wurde es auf den Zustand des 18. Jhd. hin (bei Verzicht auf das 3. Obergeschoss) wieder aufgebaut. Als optischer Bruch erscheinen natürlich die stark veränderten Erdgeschosse in der 11 und 13; im Vergleich mit allen Vergleichsbeispielen wären auch für dieses Gebäude ursprünglich Laubenbögen anzunehmen. Allerdings waren die beiden Erdgeschosse schon um die Jahrhundertwende durch unmaßstäbliche Ladeneinbauten verändert.
    Das Gebäude ist unter anderem auch deshalb von besonderem Interesse, da es als eines von nur noch zwei aus der klassischen Zeit die Erinnerung wachhält an eine nicht zu unterschätzende Zahl von Bürgerhäusern bzw. Adelshöfen, deren Ecke mit einem Erker ausgestaltet war und die nun alle verschwunden sind. Das zweite Gebäude steht nicht weit von der Leichhofstraße in der Heringsbrunnengasse Nr. 7, Ecke Weihergarten, und ist unter den Namen STOLZENBERG / STOLZENBURG, GROSSER und KLEINER NASSAU, ebenfalls ein herausragendes Schmuckstück der Altstadt.

    Das Brüstungsrelief im Eckerker der BECHTELMÜNZ zeigt den heiligen Franz Xaver, auf einer Matte ruhend mit einem Kruzifix im Arm. Aus den Wolken schauen Cherub, von rechts fliegt ein Engel mit einem Kranz herbei, am unteren Ende ein Buch und ein Krug.

    Die rechte Haushälfte (Leichhof 13, Zum FRAUENSTEIN), scheint aus der gleichen Zeit zu stammen wie die BECHTELMÜNZ, erfuhr im Vergleich zu dieser aber eine ganz andere Fassadengestaltung. Die dreigeschossige und dreiachsige,schlicht ausgebildete Fassade zeigt hohe, rechteckige Fenstereinfassungen und Gurtgesimse. Im Gegensatz zu heute war die Fassade 1836 durchgehend rustiziert und unter den Fenstern Spiegelfelder ausgelassen; ob damit der ursprüngliche Zustand repräsentiert wird, bleibt zunächst offen. Der weitgehend ausgebrannte Bau wurde zusammen mit der BECHTELMÜNZ wiederaufgebaut und ist heute in geschäftlicher Nutzung mit ihm vereint.

    Mit den folgenden Bildern soll nun die Ostseite der Leichhofstraße vorgestellt werden.

    Die 2 stellt einen ganz einfachen, zurückhaltenden Putzbau aus dem 19. Jhd. dar, der nicht unter Denkmalschutz steht und bei dem auch zur Hausgeschichte bisher nichts herauszufinden war. Die drei ursprünglichen Parzellen des jetzigen Hauses wurden offensichtlich im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau nach 1793 zusammengelegt und trugen vorher die Hausnamen: Kleiner Gaukelstein, Zum Geigelstern und nochmals Zum Gaukelstein. Das jetzige Haus trug wahrscheinlich um 1900 den Namen "Zur LANDSKRONE" , das bleibt zunächst noch offen.
    Auf dem Bild sieht man die Mainzer Eigenart blauer und roter Straßenschilder. Die blauen Schilder laufen parallel mit dem Rhein, die roten führen zum Rhein hin. Die allgemein geläufigste Erklärung (bei der allerdings die Fakten nicht mit dieser übereinstimmen, da die Straßenschilder erst lange nach 1797-1815 in Umlauf kamen, bringt diese mit den französischen Zeiten der Stadt in Verbindung und besagt, dies habe den Soldaten zur Orientierung gedient. Das Rot soll auch warnende Funktion gehabt haben; wer würde das bei etwa 200 Wein- und Bierstuben auch nicht verstehen...

    Durch den Durchgangsbogen des Bockshöfchens hindurch ergibt sich ein reizvolles Bild auf das ebenfalls hochbedeutende Haus zum GAUKELSTEIN, um 1900 auch: Zur LANDSKRONE, Leichhofstraße 4.

    Das Haus ist leider ebenfalls undatiert und dürfte anhand der Scheitelsteine in etwa auf 1730 bis 1735 zu datieren sein. Der Putzbau vereint die vorherigen Hausplätze KLEINER bzw. GROSSER GAUKELSTEIN, deren Namen schon für das 15. Jhd. überliefert sind. Im ansonsten zurückhaltenden Abschnitt der Ostseite der Leichhofstraße stellt das Gebäude mit Abstand die größte Dominante dar. Es läßt sich vermuten, daß das Haus überdies das einzige im Straßenabschnitt ist, das die Beschießung 1793 überlebt hat. Das Erdgeschoß ist in einer Sandsteinarkatur aus drei Bögen zusammengefaßt, links davon öffnet sich der vierte als Eingangsbogen. Die Bogenläufe sind profiliert und tragen 4 individuell ausgearbeitete Maskenköpfe. Die beiden Obergeschosse werden besonders geprägt durch die rustizierten Ecklisenen sowie die geohrten Fensterrahmungen, die für diese Zeit für die Stadt typisch sind. Angemerkt werden sollte, daß die Rahmen des ersten Obergeschosses nach der Mode des 19. Jhd. nach unten verlängert wurden. Es ist bedauerlich, daß sich im Gebäude keine Stuckaturen der Erbauungszeit mehr erhalten haben. Umgekehrt ist in der Beletage ein Stempelstuck des Jugendstil um 1910 erhalten geblieben.
    Wenn wir in absehbarer Zeit zur Augustinerstrasse kommen werden, begegnet uns auch der heutige "Frankfurter Hof". Das Vorgängergebäude wurde um 1900 herum abgerissen. Sein äußeres Erscheinungsbild wies mit der Leichhofstraße 4 ein so erstaunlich übereinstimmendes Erscheinungsbild auf, daß es fast als Zwilling angesehen werden kann. Man wird in wenigstens 2 Fällen auf das Haus zum FUCHS, Augustinerstraße 67, zu sprechen kommen. Da der originale FUCHS 1903 abgerissen wurde, und mittlerweile schon zweimal rekonstruiert wurde, nämlich am Kästrich und in ahistorischer Weise auch am Markt, hat er einen gewissen Sonderstatus inne. Heute ist der GAUKELSTEIN das einzige erhaltene Zeugnis in dieser Art im Straßengefüge der siamesischen Zwillinge Leichhofstraße und Augustinerstraße und erscheint als bürgerliches Bauzeugnis aus dem Goldenen Zeitalter der Stadt etwas isoliert. Auffallend für das heutige Verständnis ist die Verschmelzung von zwei erkennbaren Grundkomponenten zu der Zeit des Baues. Zum einen ist die Verbindung als Wohn- und Geschäftshaus durch die Laubenbögen des Erdgeschosses klar erkennbar. Zum anderen muß man es aus heutiger Sicht doch als "starkes Stück" auffassen, daß der Bauherr in einer derart selbstbewußten Weise auch neben den geohrten Fensterrahmen die beiden Hauskanten mit rustizierten Ecklisenen versah, die ansonsten eigentlich nur bei den Bauten des Adels und des bürgerlichen Patriziats auftraten und so ein Gesamtbild schuf, daß ein bürgerliches Wohnhaus mit 4 Fensterachsen doch bei aller Bescheidenheit zumindest einem bürgerlichen Adelshof recht nahe kam.

    Die folgenden Bilder stellen die sog. KRÄMER-HÄUSLEIN der Parzellen 6, 8 und 10 dar. Die schmalen, auf das Mittelalter zurückgehenden Parzellenstrukturen, möglicherweise aus Krämerbuden hervorgegangen, sind in diesen beiden zweiachsigen und dem dreiachsigen Haus nach wie vor ablesbar geblieben. Die Gebäude stellen zurückhaltende, verputzte Fachwerkhäuser dar, die wohl auf vorhandenem Restbestand nach der Beschießung der Stadt nach 1793 hochgezogen wurden und aufgrund des Wohnungsmangels im 19. Jhd. z.T. mehrfach aufgestockt wurden. Als Nachbarn zwischen 2 bedeutenden Bürgerhäusern stellen sie einen interessanten Vergleich dar. Man fühlt sich unweigerlich auch an die Gebäude der Rampischen Straße 11, 13 und 15 erinnert. Auch das "Schweben" des Westturms im Raumgesamteindruck erinnert etwas an Dresden.

    Leichhofstraße 6 (ZUM GROSSEN GOLDENEN HELM, vormals: Medeburg)

    Leichhofstraße 8 (ZUM KLEINEN GOLDENEN HELM)

    Leichhofstraße 10 (ZUM GROSSEN GLOCKENGIESSER)

    Die Leichhofstraße 12 ist ein interessantes Gebäude, ist es doch das Ergebnis eines "Leitbaugedankens", bei dem der GAUKELSTEIN (Nr.4) als Vorbild diente. Die Vorgängerbebauung bestand im Mittelalter aus zwei Hausparzellen, wovon die nördliche Hälfte das Haus zum KEMENICH, die südliche das Haus zum KLEINEN GLOCKENGIESSER gewesen ist. Beide Häuser wurden offensichtlich 1793 zerstört. Die heutige 12 ist etwa in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jhd. entstanden und zeigt in klassizistischer Grundhaltung die Merkmale seines Vorbilds Leichhofstraße 4 erkennbar auf. Hierzu gehört Traufhöhe, Kubatur, Stockwerks- und Achsenzahl sowie die dominante Ausprägung der hochrechteckigen Fenster, der Gurtbänderung sowie der rustizierten Ecklisenen.

    Die Änderung im Erscheinungsbild betrifft in erster Linie das Erdgeschoß, welches ebenfalls nach Vorbild der 4 neu gestaltet wurde.

    Leichhofstraße 12 (ehemals: ZUR GOLDENEN WAAGE)
    Das vorhandene Bildmaterial zeigt am nördlichen Zeilenabschnitt eine Kriegslücke. Der jetzige Bau dürfte aus den späten 50ern stammen und ist doch recht an den Raum angepaßt.
    Das Vorgängergebäude besaß eine abgerundete Hausecke und ein klassizistisch geprägtes Gesamtbild.

    Das heutige Gebäude Leichhof 22-24-26 entstand 1953 nach Plänen des bischöflichen Baumeisters Schneider und des Architekten Böswetter als Nachfolgebau des kriegszerstörten Vorgängers von Joseph Rödler aus 1837. Mit seinen 45 m. Fassadenlänge bildet es die östliche Begrenzung des Leichhofs. Ziel war, das Gebäude auf den Bestand hin auszurichten und sich gleichzeitig dem Dom einzuordnen. Es ist subtil auf die Neumannschen Domhäuser ausgerichtet und bezieht die wesentlichen Merkmale wie Traufhöhe, Stockwerkshöhe, Materialwahl, Reduzierung der Fensterhöhe nach oben, wie auch die neoklassizistische Grundkomponente, von ihm. Gleichzeitig erinnert es an die von Anselm Franz Ritter zu Groenesteyn im 18. Jhd. errichteten Palais des Deutschordenshauses, des Stadioner und des Bassenheimer Hofs in Hinblick auf die kubische Gestalt mit übergiebeltem Mittelrisalit.

    26 Mal editiert, zuletzt von Weingeist (10. November 2011 um 14:40)

  • Herrliche Fotos, Weingeist, und in solcher Fülle, dass man Lust bekommt, Mainz einmal gründlich zu erwandern. Vielen Dank! Dieses andere Mainz neben dem kriegszerstörten ist mir viel zu wenig bekannt. Die Frage stellt sich mir, wie realistisch der Gedanke ist, dass sich dieser unversehrte Stadtkörper im Laufe der Zeit durch Rekonstruktion des Stadtgrundrisses und einiger Leitbauten nach Westen erweitern lässt, damit wieder ein Ganzes entsteht.

  • Klasse Bilder aus einer Stadt die noch viel zu bieten hat.!

    Wie die kommenden Bildunterschriften wohl erläutern werden, ist dieser Bereich keineswegs unversehrt. Bereits 1942 gab es hier enorme Bombenschäden, die aber z.T. mit Teilrekonstruktionen und historisierenden Neubauten repariert wurden. Daher kommt die Mainzer Restaltstadt auch etwas kulissenhaft daher. Vom "Goldenen Mainz" zur "Vorstadt"-Tristesse, die zum Haareraufen einlädt sind es oft nur wenige Schritte.
    So sehr eine Aufwertung in der Nordwestlichen Altstadt nötig wäre. Es ist im Süden noch sehr viel zu tun. Holzstrasse und Hopfengarten sind ein echter Graus. Dort wo praktisch alle wertvollen Altstadtstrassen zusammenlaufen!

  • Die bisherigen Bilder umfassen zunächst einmal die Straßenzüge Leichhofstraße und Leichhof. Im Bereich südlich des Domes ist der Restbestand der bürgerlichen Bebauung alles in allem noch in relativer Dichte vorhanden, obwohl es natürlich auch hier zu Verlusten kam.
    Was wir hier sehen, dürften etwa mehr als 100 m. umfassen. Es bleiben noch etliche hundert Meter, die noch ausstehen. Bitte Geduld!

  • Dieser Teil der Mainzer Altstadt um die Augustinerst. ist ein sehr schoenes Ensemble. Die Augustinerkirche ist eine der herrlichsten Barockkirchen in D. Natuerlich gibt es auch wichtige Punkte ausserhalb diesem Teil, z.B. der Schillerplatz und der Barocke Adelshof in der Klarastrasse.

  • @ Weingeist:
    Vielen Dank für die wunderschönen Bilder, die sehr schön die eigenen eindrücke ergänzen. Ich war gerade letzten Samstag nach Jahren zum ersten Mal wieder in Mainz, als ich einen Zwischenstopp auf der Rückfahrt von einem Kongreß gemacht habe.

    Ich muss dabei freilich sagen, dass der Kontrast zwischen den erhaltenen Teilen der Altstadt im Südosten und dem Rest extrem hart ist.

    Ich bin den Weg vom Bahnhof zum Dom zu Fuß gegangen und muss ganz ehrlich sagen, dass ich bis jetzt weder in Frankfurt, noch in Nürnberg, noch in Dortmund oder sonstwo etwas vergleichbar Häßliches gesehen habe wie auf diesem Weg durch diese sogenannte "nordwestliche Altstadt" bis wirklich kurz vor dem Dom. Dagegen ist die 60'iger Jahre-Bebauung Frankfurts oder selbst Bochums ja noch richtig schön. Der Schmuddel, der sich in den näher zum Bahnhof gelegenen Teilen ausgebreitet hat, macht den Eindruck dabei noch katastrophaler.

    Es tut mir wirklich leid für die Mainzer und ich hoffe, niemand fühlt sich dadurch auf den Schlips getreten. Aber ich war einfach - auch vor dem Hintergrund, das das alles mal Teil der Altstadt war - so entsetzt, dass ich das mal irgendwo loswerden musste.

  • @ Philon

    Es ist aber auch so, dass es innerhalb der Altstadt ziemlich grosse Bereiche gibt, die durchaus ansprechend sind. Die südliche Altstadt wird ja hier gerade vorgestellt (und vielen Dank dafür!), und sie umfasst den ganzen Bereich Leichhof - Dagobertstrasse und Holzhofstrasse/Weisslillienstrasse - Rheinstrasse. Dazu kommt der Bereich Ballplatz - Schillerplatz - Schillerstrasse und Marktplatz - Liebfrauenplatz - Fischtorplatz (Gründerzeit Schmuckstück!). Das Viertel um die Stephanskirche bis Kästrich hat auch vieles zu bieten, wenn auch weniger als die Südliche Altstadt. Und dann noch das Schloss, der Landtag...

    Bei nächsten Mal lieber die Schillerstrasse vom Bahnhof nehmen - der Bereich zwischen Bhf und Stadttheater ist wirklich unerträglich.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Danke für die Fotos, Weingeist!

    Ich war 2002 in Mainz und muss sagen, der Dom ist schon eine Wucht. Er braucht den Vergleich mit Köln, Ulm, Bamberg,.. nicht zu scheuen. Was mir aber ein Rätsel blieb, war das Aussehen des auch von dir gezeigten Westturmes. Aus der romanisch / gotischen Entstehungszeit kann der nicht stammen. Wann wurde er in dieser verspielten Form überarbeitet?

    Die Altstadt selbst empfand ich damals mit den Plätzen und einigen wenigen intakten Gassen um den Dom als schön, aber auch begrenzt. Ein Vergleich mit Ulm drängte sich mir auf, wo ja auch ein ganz großer Dom und immerhin ein Altstadtviertel überdauert haben. Deshalb würde mich interessieren, ob es auch außerhalb dieser zwar großen, aber eben doch "Traditionsinsel" noch weitere sehenswerte Viertel in der Stadt gibt.

  • Es ist wichtig, dass die Augustinerstrasse und die Kapuzinerstrasse eine lange (und fast intakte) Axis durch die Altstadt bilden. Sehr bemerkenswerte Kirchen, die Augustinerkirche und St. Ignaz, sind auf dieser Achse.

  • Der Westturm ist in seiner Art einzigartig. Um es kurz auf den Punkt zu bringen, wurde die gesamte Westgruppe zwischen 1200 und 1239 hochgezogen. Das Aussehen des Turmhelms ist nicht abschließend geklärt; wahrscheinlich sind 8 Giebel und ein Pyramidendach oder Turmhelm; das Erscheinungsbild des Westturms insgesamt doch als relativ niedrig erscheinend. Vermutet wird ein Gesamtbild, das dem heutigen Bild des Wormser Doms sehr verwandt ist. Zwischen 1480 und 1490 erhielt der Westturm das beherrschende gotische Glockengeschoß, auf das eine hohe und schlanke Turmspitze anschloß. In älteren Stadtansichten erscheint diese noch. Nach Blitzschlag 1767 brannte sowohl diese als auch alle weiteren Domdächer ab. Gleichzeitig wurde auch die Bebauung rund um den Dom zerstört. Das Domkapitel wünschte nun eine weitgehend feuerfeste Neubebauung und der Kontakt mit Franz Ignaz Michael Neumann, Sohn des großen Balthasar Neumann, erwies sich als einen der großen Glücksmomente für die Stadt. Neumann überwölbte die romanischen Gewölbe des Querhauses und des Trikonchos. Auf das gotische Glockengeschoß spannte er zwei sich verjüngende steinerne Geschosse mit einem oberen Abschluß einer Steinspitze. Neumann verwendete eine Formensprache, die in der 2. Hälfte des 18. Jhd. schon in der Entwicklung stand und die er als "nouvelle gothique" bezeichnete; in diesem Fall eine deutliche Anlehnung an den Bestand mit nur moderat spätbarocken Zügen. 1844 wurde das Gesamtbild purifiziert und neugotisch umgestaltet.
    Unser großer Mainzer Denkmalpfleger, Fritz Arens, hat den Brand der Turmspitze als positiv folgenreich gesehen. Er spricht bei der Neumann´schen Haube vom originellsten und malerischsten Abschluß, über den eine deutsche Kathedrale verfügt und daß Neumann dem spätromanischen Bau gewissermaßen die Krone aufgesetzt hat.
    Er ist die größte Dominante des Stadtbilds und beherrscht die meisten Straßen der Altstadt; selbst die Stadterweiterungen des 19. Jhd. haben auf ihn Rücksicht genommen. Seine feierlichste Wirkung zeigt sich von Süden kommend aus dem Stadtteil Weisenau. Seine beleuchtete Spitze in der Adventszeit läßt ihn wie eine gigantische Weihnachtskerze wirken. Er ist magisch.
    Die auf den Bildern direkt unterhalb anschließende Baugruppe entstammt ebenfalls aus Neumanns Hand und bezeichnet die Hausnummern Leichhof 26-36 und Schöfferstraße 2/4.
    Auch diesen Gebäuden liegt das Ziel des Domkapitels als Bauherrn zugrunde, eine möglichst feuerfeste Bebauung zu erzielen. Die Neubebauung des Areals wurde 1775 projektiert und 1778/79 umgesetzt. Von besonderem Interesse sind die steingewölbten verschieferten Dächer, die die Beschießung 1793 und auch das Inferno der Jahre 1942-45 überlebt haben. Neumann entwickelte eine Formensprache, die sich an die Wohn- und Geschäftshäuser Balthasar Neumanns in Würzburg anschlossen und durch eine sehr sparsame Verwendung spätbarocker Formen (Vasenbekrönungen, Zierobelisken), und französischen Einflüssen, sowie das Aufleben des Klassizismus gekennzeichnet sind. Es handelt sich um sein profanes Hauptwerk.
    Ein merkwürdiges Detail der Mainzer Baugeschichte ist, daß die beiden Werke Franz Ignaz Michael Neumanns eigentlich unversehrt erhalten blieben, während die Jesuitenkirche und das Treppenhaus im Schloss aus der Meisterhand Balthasar Neumanns die Beschießung der Stadt und die französische Epoche der Stadt nicht überlebt haben.

    Die Frage nach weitgehend geschlossenen Stadtbildern ist nicht ganz einfach zu beantworten. Im gesamten Bombengebiet haben lediglich 2 schmale Gebäude aus der 2. Hälfte des 18. Jhd. in der Klarastraße überlebt. Von allen Ruinen bürgerlicher Bebauung sind ansonsten nach dem Abrißwahn der 50er und 60er Jahre lediglich die spätgotische Fassade mit Treppengiebel und Ecktürmchen des Hofes zum Korb und die Fassade des um 1770 errichteten Guiolett´schen Hauses in der Emmeransstraße in einen Neubau mit eingezogen worden. Die Wiederherstellung der Westseite der Leichhofstraße sollte man unter einem anderen Aspekt sehen ( die Bilder sind oben aufgeführt). Im Vergleich zu 7 Häusern vorher wurde die Fassade des "Spiegel", Leichhofstraße 1, auf die Parzelle der 3 erweitert, die beiden Gebäudeteile Schildknecht Nr. 5 unter Verzicht auf die zerstörten Hausgiebel zu einer Fassade zusammengeführt, die 7 und 9 (Hohes Haus, Große Henneburg), ebenfalls zu einer Fassade zusammengeführt.
    Abgesehen von der südlichen Altstadt mit Augustinerstraße, Leichhof, Leichhofstraße, Heiliggrabgasse, Kirschgarten, Hollagäßchen, Heringsbrunnengasse, Kapuzinerstraße, Karthäuserstraße, Schönbornstraße, Neutorstraße, Domstraße und Jakobsbergstraße, Grebenstraße und Pfaffenstraße teilweise, Weißliliengasse, dem annähernd vollständigem klassizistischem Weihergarten, Weintorstraße nur in wenigen Beispielen, sind im westlichen Stadtgebiet nahe der Stefanskirche glücklicherweise noch einige Straßenzüge aus der Epoche der Bebauung von Brachflächen in der Zeit um 1850/60 erhalten geblieben. Diese qualitativ außerordentlich hochwertigen Zeugnisse des 19. Jhd. finden sich in mehr oder weniger geschlossenen Raumbildern in der Emmerich-Josef-Straße, der Breidenbacherstraße, teilweise der Gaugasse, der Walpodenstraße, der Drususstraße, dem Kästrich, der Mathildenstraße und der Martinsstraße. Der Blick von der Kupferbergterrasse herunter durch die Emmerich-Josef-Straße auf die Goldene Stadt, nebenan das "Kleine Paris" in der Drususstraße, ist fast überirdisch schön.
    Ein eher unbekannter Rest Altstadt ist ansonsten zum einen ganz nahe dem Ostchor des Doms, neben dem "Römischen Kaiser" und dem "Schwan" in der Fischergasse und der Rotekopfgasse erhalten geblieben, wobei besonders bemekenswert ist, daß diese Gassen nur etwa 2 m. breit sind und ein Teil der Häuser an die Stadtmauer angebaut sind. Auf der gegenüberliegenden Scharngasse haben lediglich 2 Häuser, ebenfalls an der Stadtmauer, überlebt.
    Die Neustadt des 19. Jhd. ist bis auf eine Handvoll Häuser untergegangen. Man ist froh, in einer Straße noch ein überlebendes Gebäude zu finden. Glücklicherweise ist der Fischtorplatz östlich des Doms zum Rhein hin, weitestgehend erhalten, so daß es wohl auch eine kleine Ironie darstellt, daß man den besten Eindruck vom 19. Jhd. "neben" der eigentlichen Altstadt hat.
    Einen wenigstens noch teilweise geschlossenen Raumeindruck hat man in der nördlichen Altstadt im Bereich der Ruine der Christophskirche am Karmeliterplatz mit der Karmeliterkirche, dem Bentzel´schen Hof, dem Walderdorffer Hof, dem Algesheimer Hof und dem Dienheimer Hof zusammen mit dem Rest der Gartenmauer des Sickinger Hofs.
    Trotz teilweise starker Zerstörungen stellen die Adelspalais am Schillerplatz, in der Großen Bleiche, am Ballplatz und in der Klarastraße nach dem Wiederaufbau die großen Höhepunkte im Stadtbild dar, wie auch am Rhein das Schloss, das Deutschordenshaus (heute Landtag) und das neue Zeughaus (heute Staatskanzlei).


    Post scriptum: Mit den bisherigen Bildern habe ich einen ersten Anfang gemacht "zum Naschen" mit der schönsten Mainzer Straße. Für die weiteren Profanbauten bitte ich um etwas Geduld, bis alles Bildmaterial vorliegt; die Kommentare kommen Zug um Zug, wobei etliche Bilder zunächst einmal unkommentiert bleiben müssen.

    6 Mal editiert, zuletzt von Weingeist (8. Juni 2011 um 18:16)

  • Vielen Dank!

    Es wäre sehr interessant ein ehrliches Bild der Stadt zu bekommen - eine darstellung der angepassten Nachkriegsbauten wäre auch schön.

    Sehr schöne Bilder bisher!

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Vielen Dank für die Bilder. Ich war vor ca 25 Jahren in Mainz und habe die Stadt als eine der ganz wenigen zerstörten Städte als "schön" empfunden. Ich weiß nicht, ob in Mainz etwas besser gemacht wurde als zB in Franken oder Oberbayern, oder ob die Zerstörung einfach nicht so umfassend war - jedenfalls schaut die Stadt "etwas gleich" und hat mir Freude bereitet - woran ich mich angesichts dieser Bilder gerne erinnere. Freue mich auf die Fortsetzung.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Natürlich ist das Buch "Kriegsschicksale..." eine der Möglichkeiten, um sich ein erstes Bild über die Verluste zu machen, wobei ja klar ist, daß die Beschreibungen der Verluste in ihrer Sprache eher zurückhaltend und etwas distanziert dastehen.
    Wenn man sich mit der Baugeschichte befaßt, treten mit der Zeit eine beachtliche Zahl von Bauten ins Bewußtsein, bei der die Umstände des endgültigen Verlusts tief ins Gedächtnis eindringen und auch kaum mehr gelöscht werden können.
    Dabei fällt auf, daß, letztendlich genauso wie z.B. in Dresden durch Hans Nadler, Fritz Arens der einzige Denkmalpfleger von Format war, der die Bedeutung der Bauten erkannt hat und daß diesem Umstand immer wieder die Stadt zuwiderlief und nach der Sicherung der wichtigsten Ruinen schon bald die Zahl de Abrisse überwog. Besonders offenkundig wird dies beim größten Mainzer Schatz, den Adelspalais, deren Anzahl keine andere Stadt Deutschlands das Wasser reichen konnte und nur noch von Wien übertroffen wurde. Der Ingelheim´sche Hof hat als nur im inneren ausgebrannte Hof überlebt und wurde abgerissen, ohne daß danach die Fläche eine sinnvolle Nutzung erfahren hätte (der Nachfolgebau von 1999 kann als Modell einer kritischen Reko gesehen werden). Der Kronberger Hof, dessen Renaissance-Eckerker mit dem Haus Landeck, Betzelsgasse 1 zusammen, das meistfotografierte Raumbild der Altstadt war, wurde zugunsten eines Parkhauses abgerissen, das man ebensogut an jeder anderen Stelle hätte bauen können. Der Verlust des Bischöflichen Palais, in den 1660ern als Domkustodie von den Schönborns erbaut, fiel um 1962 zugunsten eines Hertie-Parkhauses; der Verlust scheint tatsächlich im kollektiven Gedächtnis der Mainzer bis heute sehr präsent. Alles in allem hat man den Eindruck, die Ruinenbeseitigung sei wacker und unbekümmert vonstatten gegangen.
    Eine tiefe Dankbarkeit ist bis heute den Verantwortlichen der französischen Besatzung geschuldet, ohne deren vielfältige Hilfe der hinreißend schöne Schönborner Hof, dessen Abriß seitens der Stadt mehrfach beschlossen wurde, gesichert und wieder aufgebaut wurde. Dies gilt ebenso auch für die alte Universität und das heutige Kriegsmahnmal St. Christoph. Hierbei scheint auf eine gewisse Art auch ein schlechtes Gewissen über die französische Zeit zwischen 1797 bis 1815 geherrscht zu haben - der Verlust an Baudenkmälern durch die Franzosen damals ist enorm.
    Das Bild der Stadt ist also durchwachsen - eine Annäherung an die Stadt an den Orten, an denen der Verlust nach wie vor greifbar ist, dürfte schwerlich möglich sein. Glücklicherweise ist es heute trotz eines Zerstörungsgrads von über 80 % möglich, durch Traditionsinseln zu gehen, in denen das alte Mainz noch sehr lebendig geblieben ist. Daß man nach Lust und Laune beim Aufenthalt sich selbst sagen kann, heute ist mal wieder dieser oder jener Bau dran, dürfte nicht mehr in allen Städten möglich sein.
    Als Sinnbild all dessen komme ich auf den Spiegel, Leichhofstraße 1, zurück. Im Bewußtsein, daß dieses Gebäude eine Entsprechung als Kopfbau genau wie die Rampische Straße 33 in Dresden oder den Markt in Frankfurt mit den drei Römern aufweist, verbindet sich das Gefühl enormen Glücks und Dankbarkeit, daß der Bau steht. Fritz Arens hat aufgewiesen, daß andere Städte alles verloren haben - dieses und das Bewußtsein, daß der Dom trotz Schäden den Krieg so gut überlebt hat, läßt sehr vieles ertragen, was sonst nicht tragbar wäre.
    Ein Urteil über die Verantwortlichen in Politik und den städtischen Ämtern kann nicht anders als verheerend ausfallen. Der endgültige Verlust einer außerordentlich hohen Zahl von Baudenkmälern geht einher mit dem Willen, Platz für Nachfolgebeauung und einer offenbar möglichst schnellen Nicht-Existenz von Ruinen zu schaffen. Die Stadt hat es sogar fertiggebracht, unzerstörte, denkmalgeschützte Häuser zu vernichten. Hier spielt natürlich auch eine allgemeines Problem hinein, das der Verantwortlichen in der Politik, mit Neubauten und Veränderungen im Stadtbild sich selbst in ein möglichst positives Bild zu rücken. Aus heutiger Sicht mehr als bedenklich dürfte sein, an der Markt-Nordseite eine Fassade zu schaffen, deren Vorbild nach dem Abriß in der Augustinerstraße am Kästrich neu ausgebildet wurde (Haus zum Fuchs). Dem aufmerksamen Beobachter wird jedenfalls nicht entgehen, daß der damalige Oberbürgermeister sich in der Konsole des Erkers selbst zu Amtszeiten verewigen ließ, worüber man mehr als geteilter Meinung sein kann - so etwas hätte es nicht geben dürfen.
    Glücklicherweise lassen wir Meenzer uns von dem vielen negativen, das die Stadt erfahren hat, das Leben nicht versauern.

    3 Mal editiert, zuletzt von Weingeist (5. Juli 2011 um 21:24)

  • Mesdames, messieurs: la Mayence:
    Der Kirschgarten:
    Der Kirschgarten bildet das Zentrum der südlichen Altstadt zwischen Leichhofstraße und Augustinerstraße in Nord-Süd-Verlauf, wie auch in Süd-Ost-Verlauf zwischen Grebenstraße und Schönbornstraße bzw. Hollagäßchen und gilt als schönster Platz der Altstadt.
    Der Name ist über viele Jahrhunderte praktisch unverändert überliefert und fußt zum einen auf der sog. Kirschbornquelle, die im Bereich des Rochusspitals entsprang, andererseits stellt das Gebiet das Resultat einer Siedlungsausdehnung des 13. und 14. Jhd. dar, in deren Zusammenhang auch bisher unbebautes Gebiet und Gartenflächen bebaut wurden, wozu auch sumpfiges Areal, Gärten und offensichtlich auch ein namengebender Kirschgarten mit hineinspielen. Trotz einer nicht vollständigen Besiedlung des Areals ist es möglich, anhand der Quellenlage sich ein zufriedenstellendes Bild zu machen. Ein ältestes schriftliches Zeugnis ist aus dem Jahr 1247 erhalten (ortum nostrum in Maguntia qui dicitur kirsgarte, darauf folgt eine Fülle erhaltener Haus- und Platzbezeichnungen. Exemplarisch hier: 1267: Kirsgarte, 1279: kirsgarten, 1294: orto cerusorum, hues zuem Ruensteine in dem Kirsgarten (1339), Huse zum Lebekucher (1400), Haus zum Gruenwalde (1401), Zum Großen Schildwegke in dem Kirsgarte (1403), Zum Großen Cristoffel (1609), Umbenennung in: Jardin des cerisiers" in der Französischen Epoche, Rückbenennung in: "Am Kirsch Garten" 1815 etc. etc. Das Domnahe Kirschgartenareal stand überdies unter der Immunität des Domkapitels. Das Platzgefüge bildet ein ganz eigentümliches Milieu: auf der Ostseite wurde durch den 1803 erfolgten Abriß der Blasiuskapelle der Kirschgarten mit der Augustinerstraße verbunden. Vorher bildete die Blasiuskapelle eine östliche Begrenzung zur Augustinerstraße hin und ließ nur einen relativ schmalen Zugang zum Kirschgarten frei, der dadurch offensichtlich weniger als städtischer Platz, sondern eher als ein etwas eingebauter kleiner altstädtischer Platz zur Kirschgartenstraße und zum Hollagäßchen freilies. Die Nordseite ist durch eine geschlossene Bebauung gekennzeichnet, die Südseite wird durch Vor- und Rücksprünge belebt, im Bereich der Häuser Goldene/ Wilde Gans und Aschaffenberg bildet sich zusätzlich der Charakter eines kleinen Innenhofs aus. Bemerkenswert ist auch, daß im Bereich von Kirschgarten 24, in dessen Bereich der Platz in die Straße gleichen Namens mündet, die Straße um die Jahrhundertwende zugunsten einer Straßenbahnführung verbreitert wurde und man das Haus Kirschgarten 24 etwa um einen Meter kappte. In die Westseite münden sowohl das Hollagäßchen als auch die gleichnamige Straße "Kirschgarten". Hierdurch erfährt das Haus Kirschgarten 19 eine besondere Akzentuierung aufgrund seiner Stellung als Kopfbau eines Quartiers zwischen zwei Gassen, die durch den leicht trapezförmigen Grundriß noch verstärkt wird.
    Die besondere Bedeutung des Platzes erschließt sich nicht allein durch sein geschlossenes, überwiegend durch Fachwerkbauten begründetes Raumbild, sondern auch durch den Umstand, daß in einer ganz einzigartigen Abfolge eine Kontinuität des Bauens vom 15. Jhd. bis zum 20. Jhd. ablesbar bleibt und daß der größere Teil der Bauten wenigstens noch in Teilen gotischen Ursprungs sind. Gotisches Fachwerk ist ansonsten in Mainz nur noch im Bockshöfchen und am Leininger Hof in der Kappelhofgasse erhalten. Der Kirschgarten ist der einzige Platz, der noch eine rein bürgerliche Kontinuität atmet und ist somit einer der großen Höhepunkte der Altstadt und im Mainzer Jargon dasjenige, was man bei uns als die "Gut Stubb" bezeichnet. Da der Kirschgarten im allgemeinen nie menschenleer ist, ist es eigentlich nur Sonntagsmorgens in aller Frühe möglich, in Ruhe zu fotografieren. Was die kontinuierlich steigenden Zahlen der Touristen und Gästeführungen in der Augustinerstraße, Kirschgarten, Leichhofstraße etc. betrifft, scheint es so, als daß es immer mehr werden, aber man kann den Leuten auch nur sagen: "Richtig so".
    Von den Häusern am Kirschgarten liegt eine große Anzahl an Schwarz-Weiß-Aufnahmen nach der Jahrhundertwende vor, bei denen nachvollzogen werden kann, daß im Prinzip alle Häuser unter Putz lagen. Die Freilegung von Haus Baumberg war eine von nicht besonders zahlreichen nach der Jahrhundertwende; manche Fachwerkhäuser lagen noch bis in die 1970er Jahre unter Putz.
    Durch die Kriegsereignisse wurden auf der Nordseite des Platzes zum einen das Eckhaus zur Augustinerstraße hin (Haus zum Großen Elefanten) zerstört, wie auch zwei Fachwerkhäuser, auf die man noch zu sprechen kommen wird.
    Der Kirschgarten vermittelt heute aufgrund seiner gewachsenen geschichtlichen Kontinuität eine Geschlossenheit, die in dieser Qualität in der Region sonst kaum mehr anzutreffen ist und stellt daher ein wichtiges Zeugnis dar.
    Da in der Innenstadt Frost und Schnee an sich schon etwas besonderes sind, ist denn nun auch das erste Bild ein etwas ungewöhnliches. Ich hoffe, von der etwas gefrorenen Atmosphäre kommt ein bißchen was rüber.

    Wie man sieht, war es wohl hier schon etwas wärmer... In der Bildmitte fällt das Haus Baumberg/ Baumburg auf, welches uns noch begegnen wird. Da ich aber zur Zeit keine Ganzkörperaufnahme der Hauptfassade habe, muß dieses Bild eine Ersatzfunktion aufnehmen. Der Baumberg genießt aufgrund seiner besonders ensemblebildenden Erscheinung einen äußerst prominenten Rang und ist nach dem Haus Zum Spiegel in der Leichhofstraße sozusagen das zweite bürgerliche Wahrzeichen der Altstadt.



    Kirschgarten 30 (1568: Zur Genss, später: Zur Wilden Gans/ Zur Großen Gans/ Zur Goldenen Gans)
    Das traufständige Haus gehört in seiner wesentlichen Substanz zu den ältesten erhaltenen Fachwerkhäusern, das wohl im Zusammenhang mit seinem Nachbarn, dem Aschaffenberg, um 1450 errichtet wurde. Hiervon scheint auf der linken Hausseite das Fachwerk in Form von Andreaskreuen und gebogenen Streben relativ unverändert überkommen zu sein, währenddessen auf der rechten Seite rechts des Bundständers deutliche Veränderungen des 18. Jhd. erkennbar sind, die wohl im Zusammenhang mit einer Umgestaltung des Erdgeschosses stehen, bei der das Erdgeschoß einen Kellerabgang bekam, wie auch neue geohrte Fenstergewände aus Sandstein. Auf der Rückseite ist eine heute vermauerte Laubenarkade noch erkennbar. Der Keller besitzt überdies noch eine Zisterne. Die Goldene Gans ist im Zusammenspiel mit dem Nachbarn Aschaffenberg ein herausragendes Ensemble gotischen Fachwerks und dürfte in Rheinland-Pfalz auch aus dieser Perspektive eine hervorgehobene Bedeutung genießen.


    Das Hauszeichen mit der Goldenen Gans stammt offensichtlich aus der Renaissance und ist in Mainz unter anderem deshalb ein Solitär, da es das einzig erhaltene Hauszeichen an einem Bürgerhaus darstellt. Zwar ist die Quellenlage und die Zahl an überlieferten Hausnamen offensichtlich sehr gut (hierzu zählen solche Herrlichkeiten wie "Haus Zum Toten Bein" und "Haus Zum Steinsarg), doch stellt das Hauszeichen in dieser Form ein Unikum dar.

    Kirschgarten 26/28, Haus zum Aschaffenberg, im Weihnachtsschmuck 2009...

    ... und am Mantelsonntag Ende Oktober 2012.
    Die Quellenlage zu diesem Haus, das zu den Königen der Mainzer Bürgerhäuser gehört, ist offenbar sehr vielschichtig und auch etwas komplex. Eine heute noch erkennbare ursprüngliche Hausteilung, also zweier gleichzeitig erbauter Häuser auf ehemals zwei Parzellen, scheint sich mit der Parzellengeschichte um 1450 zu decken, wobei die vordere Hälfte (heute nach Osten) den Parzellennamen Aschaffenberg trug und die hintere Hälfte (nach Westen) als "Große Gans" bezeichnet wurde. Weiterhin ist zu vermuten, daß im Bereich der heutigen Häuser Aschaffenberg und Wilde Gans, der heute einen platzartigen Hofcharakter hat, eine Bebauung bestand, aus der heutigen Sicht die Wilde Gans bzw. die Giebelseite vom Aschaffenberg eingebaut waren durch die Hausfläche des Hauses zum Weinberg, das zur Augustinerstraße stößt. Nebenbei ist der Aschaffenberg von ganz erheblichem stadtgeschichtlichen Interesse durch die mittelbare Verbindung zu Johannes Gensfleisch zur Laden, auch als Herr Gutenberg bekannt. Im Zusammenhang mit dem notwendigen Kredit, den Gutenberg zur Entwicklung seiner Erfindung wie auch zur Einrichtung der Werkstatt aufnehmen mußte, stammte ein Teil des Geldes von seinem Cousin Arnolt Gelthus zum jungen Aben, in dessen Besitz auch der Aschaffenberg war und er als Sicherheit u.a. die Mietzinseinnahmen vom Haus Aschaffenberg angab. Das auf dem Foto erkennbare blaue Hinweisschild stammt aus dem Jahr 2000 (Gutenbergjahr), in dessen Zusammenhang die wesentlichen Stätten in Mainz, die im Zusammenhang mit Johannes Gutenberg stehen, in dieser Form kenntlich gemacht wurden).

    Hausmadonna am Aschaffenberg
    Das Original steht im Kloster Allerheiligen im Schwarzwald (14.Jhd.) und diente als Vorbild für diese Hausmadonna, die 1978 von Adam Winter angefertigt wurde. Im Kirschgarten ist sie die zur Zeit einzige Hausmadonna.

    Kirschgarten 19, Haus Zum Baumberg/ Zur Baumburg, Backhaus auf dem Treppchen (geläufige Bezeichnung fälschlicherweise Beymburg)
    Der Baumberg gehört aufgrund seiner prominenten Lage zwischen dem Hollagäßchen und dem Kirschgarten und auch aufgrund seiner Position auf der Westseite des Kirschgartens sicherlich zu den meistfotografierten Bürgerhäusern der Altstadt und ist, auch im Zusammenhang mit dem ganz leicht trapezförmigen Grundriß, zu einem zweiten Wahrzeichen der Altstadt aufgestiegen, dessen Abbild mittlerweile auch Radierungen, Kunstdrucke und Gemälde ziert . Das Haus hat etwas von einem Patriarchen, der einen von der Augustinerstraße aus kommend durch seine Präsenz in den Bann zieht.
    Den immer zahlreicher werdenen Touristen (Herzlich Willkommen...!) wird der Hausname "Beymburg" vermittelt, der mich schon seit Jahren meschugge macht. Dieser Hausname stammt aus der Stadtaufnahme von 1568, die glücklicherweise auch herausgegeben wurde und somit auch nachvollziehbar ist. Wer auch immer der Urheber der Stadtaufnahme war, der gute Mann hatte ein beachtenswertes Pensum an Arbeit abzuleisten und war offensichtlich nicht nur ein Meenzer geburtshalber, sondern auch ein "native speaker". In diesem Zusammenhang müssen eine größere Anzahl an Hausnamen gesehen werden, die von der Benennung damals einem heutigen, hochdeutsch sprechendem Menschen als eher unerklärbar erscheinen müssen. Man würde heute mit einer "Genss" (Kirschgarten 26/28, Jahr 1568) schwerlich etwas anfangen können, wäre nicht heute von einer Gans die Rede. Für die alten Rheinhessen ist heute noch völlig klar, daß man von Birnenbäumen auch von "Beer(en)bäumen" sprechen kann, und daß demzufolge auch aus einem Haus zum Maulbeerbaum ein Haus zum Birnbaum werden kann, wenn man das "Maul" wegläßt. (In der berühmten Orgelbauwerkstätte Stumm in Rhaunen-Sulzbach wurde z.B. die Flaut Travers 8´ Discant immer aus "Bierenbaumen Holß" angefertigt. (Siehe den Vertragstext der Ockenheimer Stummorgel etc).
    Der Jargon der Zeit und auch der heutige läßt das "y" in der Aussprache zum "h"werden. Dieses läßt sich auch bei den anderen Hausbezeichnungen aus der Stadtaufnahme ablesen, der Rheinhessische Dialekt kennt heute noch für das Wort "Bäume" die Aussprache "Beem/ Behm". Dem Nestor der Mainzer Denkmalpflege, Ernst Neeb, fiel dieser Punkt schon vor über 100 Jahren auf und er verwendetet, wenn er auf dieses Haus zu sprechen kam, immer "Baumberg/ Baumburg".
    Daß diese seit über 100 Jahren geläufige Fehlinterpretation auf alle Zukunft weitergeführt werden soll, macht wenig Sinn, noch weniger Spaß; und es hat in vielen Punkten des Lebens seine Richtigkeit, wenn man im Gehirn einfach mal die Reset-Taste drückt und man gewillt ist, eine Information, die man einmal irgendwo empfangen hat, als Fehler zu akzeptieren. Aber wir haben uns genug vom Thema entfremdet; und nun sollten wir wieder zum Haus Baumberg/ Baumburg zurückkehren, da dieses Haus ohnehin schon ein ganz eigenständiges Individuum darstellt.
    Den meisten Menschen wird aus heutiger Sicht zwar die Nutzung als Galerie bemerkbar, doch dürfte dem überwiegenden Teil nicht bekannt sein, daß man bis in die 1960er Jahre eine Nutzung als Backhaus für dieses Haus, die sich über 650 Jahre(!) erstreckte, belegen konnte. Die weiteren Hausnamen wie Fladenbackhaus, Backhaus auf dem Treppchen, erscheinen daher nur umso verständlicher.
    Der Baumberg ist heute ein durchsaniertes Haus, welches sich auf ursprünglich drei Parzellen erstreckt und durch seine drei Hausgiebel das Erscheinungsbild der Hollagasse, dem Platz Kirschgarten und der Straße Kirschgarten entscheiden prägen. Von diesen ursprünglich drei Parzellen sind die Keller heute noch vorhanden. Der vielleicht interessanteste Punkt des Hauses ist, daß sich das Erscheinungbild, obwohl das Haus in einem Zug erbaut wurde, aus zwei Grundkomponenten zusammensetzt. Im massiven Erdgeschoß hat sich in der Form von Verkaufsfenstern nach außen das in Mainz einzig erhaltene Zeugnis analog der für Alt-Mainz einstmals so typischen Ladenarkaden der geschäftlich genutzten Häuser erhalten, das in Form der beiden Erdgeschoßfenster sowie dem Portal noch greifbar ist. Die beiden Ladenfenster wie auch das Portal sind der nachgotischen Epoche einzuordnen und erklären sich am besten dadurch, daß sich in Mainz die Gotik im 16. Jhd. auch noch lange nach dem Aufleben der Renaissance, gehalten hat,.


    Kirschgarten 21, Haus Zum Kirschgarten, unter "Doctor Flotte" altbekannt und vielgeliebt.

    Kirschgarten 29, Zur Amelburg/ Zur blauen Klingel

    Giebel von Kirschgarten 29, Zur Amelburg, Zur Blauen Klingel.
    Die Datierung in der Denkmaltopographie (Datierung auf das 18. Jhd.) erscheint wegen des Neigungswinkels des Daches und der erkennbaren überkreuzenden und gebogenen Streben im Giebelbereich als wenig plausibel. Diesem Umstand steht die Hauptfassade gegenüber, bei der die Balkenquerschnitte einen angegebenen Umbau zwischen 1760/1770 als eher plausibel erscheinen lassen. Daher wäre am ehesten statt einem Neubau ein Umbau anzunehmen, bei dem die Fassade wohl weitestgehend neu erstellt wurde, der Giebel aber in Teilen bestehen blieb.

    Die Nordseite des Kirschgartens ist wie erwähnt, eine geschlossene Bebauung, die aber durch Vor- und Rücksprünge sehr belebt wird. Die Neubebauung dreier zerstörter Häuser hat die Würde des Platzes gewahrt und darf als durchaus gelungen bezeichnet werden.

    Kirschgarten 31. Das Gebäude ist eine Nachfolgerbebauung des Hauses zum Großen Elefanten (kriegszerstört), welches an dieser Stelle stand. Dieses Gebäude war aufgrund seines ungeheuerlichen Überhangs und dem Neigungswinkel des Daches sehr leicht als Gotisches Fachwerkhaus wenigstens aus dem 1. Drittel des 16. Jhd. zu erkennen, wenn es auch bis zuletzt unter Putz lag und eine Freilegung von demselben aufgrund einer die ganze Fläche der Traufseite beherrschenden Fassadenmalerei nicht verwirklicht werden konnte. Die Zerstörung brachte für seinen Nachbarn Augustinerstraße 73 (Zum Kleinen Elefanten) offensichtlich erhebliche statische Probleme mit sich, da dessem rein konstruktiven Fachwerk auf einer Seite der Halt genommen war. Der Nachfolgebau der 50er Jahre nahm die Kubatur des Hauses, vor allem auch seines Daches, wieder auf, wurde aber natürlich der Zeit entsprechend als Betonskelettbau erstellt.

    Detailaufnahme der Kirschgartenmadonna am 1932 durch den Verschönerungsverein erneuerten Kirschgartenbrunnen, dessen Vorgänger viele Jahrhunderte am Ort bestand. Die Madonna ist eine Kopie der "Harxheimer Madonna" ; ihre Gloriole wird mit Abbildungen typisch Rheinhessischer Ackerprodukte geschmückt. Der Brunnen ist mit Reliefs des Bildhauers Carl Hoffmann geschmückt, darunter findet sich eine Abbildung der bereits erwähnten, 1803 abgebrochenen Blasiuskapelle.

  • Weingeist: jetzt bin ich endlich mal dazu gekommen, deinen äußerst interessanten und detaillierten Bericht über den Kirschgarten genauer zu lesen. Mein besonderer Dank hierfür!

    Als ich das erste Mal in Mainz war, hatte ich mich noch nicht sonderlich für Architektur interessiert. Aber auch damals hatte ich gleich beim ersten Anblick dieses Platzes gespürt, dass die Schönheit dieser historischen Architektur eine besondere Aufenthaltsqualität erzeugt. Wenn ich alle paar Jahre mal wieder nach Mainz komme, freue ich mich immer vorab auf diesen Platz (kommt gleich nach dem Dom und noch vor den barocken Kirchen dran ;-))

    Der Neubau anstelle des Hauses zum Großen Elefanten ist tatsächlich wenig störend, was für ein Bauwerk der damaligen Zeit in einer solchen Lage für mich schon ein großes Lob ist. Ich habe gerade ein Bild dieses Vorgängerbaus gesucht und nur dieses Bild gefunden, auf dem es am rechten Rand ein wenig zu erkennen ist: http://www.akpool.de/ansichtskarten…-fachwerkbauten

    Da der Vorgängerbau damit wohl auch nichts spektakuläres war, ist der Neubau umso akzeptabler.

    Aber im Grunde muss ich doch feststellen, dass auch dieser Neubau wohl das erste Gebäude am Platze wäre, dass ich opfern würde, wenn eines der Häuser am Platz für den Abriss bestimmt werden müsste.

  • Das Problem mit diesem neuen Großen Elephantenhaus besteht mE darin, dass das dt. Mittelalter imgrunde nichts anderes neben sich duldet. FWH fordern als um Umgebung weitere FWH, bzw zumindest ähnlich dimensionierte ma. Steinhäuser. Und so nimmt sich das Elephantenhaus wie ein Elephant im Porzellanladen an - plump und ungeschlacht, dies bei allem zweifellos vorhandenem guten Willen zur Anpassung, ein Wille, der leider zu wenig ist und keine Berge versetzen kann.
    Für Zufriedenheit oder gar Begeisterung wahrlich kein Anlass.
    Aber natürlich hätte es weit schlimmer kommen können, und natürlich gehört dieser Bau noch zu den "besseren" dieser unglücklichen Wiederaufbauzeit.

    Wie geht es eigentlich hinter dem Kirschgarten weiter? gibt es noch weitere Gassen oder ist gleich alle Herrlichkeit zu Ende? Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, weiß nur, dass die Augustinerstraße sehr wohl ein relativ weitläufiges und sehr schönes Altstadtquartier bildete, das auf der einen Seite bis zum Dombezirk reichte. Wie mir überhaupt Mainz als ganzes sehr gut gefallen hat. Auch das Elephantenhaus hab ich (anders als den Kirschgarten) nicht mehr in Erinnerung, es hat mich also damals kaum gestört.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Herzlichen Dank an MunichFrank und Ursus!
    - Hinter dem Kirschgarten geht es in westlicher Richtung mit der Hollagasse weiter, deren Bebauung in den 70ern niedergelegt wurde und im Stil der Zeit neu bebaut wurde. Man muß allerdings auch dazusagen, daß diese Gasse von sehr schmalen Häusern geprägt war und diese offensichtlich sehr baufällig waren. Noch habe ich keine Fotos von der Hollagasse, aber man würde nach Süden hin eine Riegelbebauung der 70er sehen; und nach Norden hin wird die Gasse von der Gartenmauer des Gartens der Johanniterkommende geprägt. Die Hollagasse heute ist überdies ein etwas besonderer Fall: man hat in den 30er Jahren zwischen Kirschgarten und Hollagasse einen Bogen gemauert, der auch eine Art optische Barriere bilden soll, um die damals schon stark heruntergekommene Hollagasse etwas aus dem Blickfeld zu nehmen. Diese optische Barriere wirkt heute immer noch...
    Von der Hollagasse aus geht man in westlicher Richtung weiter in die Weihergartenstraße (herausragendes Klassizismusensemble!)
    Die Namensgebung dürfte sich mit einiger Sicherheit aus Holler (Rheinhessisch für Holunder) ableiten lassen, doch hat der Mainzer Jargon auch für diese Gasse seine Erklärung gefunden: Im Angesicht zum einen der bedeutendsten Weinhandelsstadt und zum anderen der Stadt, die ehemals außerhalb Bayerns die höchste Brauereidichte aufwies und demzufolge im Angesicht von über 200 Wein- und Bierstuben soll die Bezeichnung auf das "Hallo!/ Holla" der Überraschten zurückgehen, die nüchtern (oder einen "gepetzt" habend,) sich in diesem Gäßchen, die obendrein noch eine Sackgasse war, wiedergefunden haben.

    - Nach Süden setzt sich der Platz Kirschgarten mit einer Straße gleichen Namens fort, von der aus man in die Weihergartenstraße, die Heringsbrunnenstraße, die Rochusstraße und die Schönbornstraße gelangt. Im Rahmen der Neubebauung des Areals zwischen Hollagasse und Kirschgarten(straße) wurde das Haus zum grünen Baum (Fachwerk) niedergelegt und kopierend wiederaufgebaut.
    Das Areal ist von einer beschaulichen Ruhe geprägt, die teilweise eher an eine Vorstadt erinnert als den Innenstadtbereich einer Landeshauptstadt.

    - Mit der Nachfolgebebauung des Hauses zum großen Elefanten haben wir eins der ganz wenigen Beispiele, denen man alles in allem zugestehen muß, daß sich die Nachfolgebebauung an den Gegebenheiten orientierte, währenddessen der weitaus allergrößte Teil des "Wiederaufbaus" jegliche Sinnhaftigkeit vermissen läßt.
    Nach Norden schließt die Augustinerstraße 73 an (Kleiner Elefant, Louis-XVI-Bau um 1780, drei Obergeschosse, zwei Achsen, daraufhin der Spiegelberg, Augustinerstraße 75, heute das historisch bedeutendste Bürgerhaus der Stadt, sechs Achsen, 3 Obergeschosse, zweigeschossiger Steilgiebel, Renaissance-Fachwerkbau mit geschnitzten Hermenpilastern, in der Höhenwahrnehmung wohl auf Alt-Frankfurter Niveau stehend; z.B. mit Saalgasse oder Bendergasse. Der Große Elefant bildete somit ein einzigartiges Ensemble aus Gotik, Louis XVI und Renaissance. Doch sollte man sich auch vor Augen halten, daß das Haus bis zuletzt unter Putz lag und zusätzlich noch eine Fassadenmalerei auf der Breitseite zum Kirschgarten hin das Erscheinungsbild ganz wesentlich prägte. Daß es ein Fachwerkaufmaß geben sollte, würde ich für unwahrscheinlich halten. Auch auf den verschiedenen Fotos kann man eigentlich keine Unregelmäßigkeiten erkennen, die einen Rückschluß auf das darunter liegende Fachwerk ermöglichen würden. Der Vorteil, den das Gebäude heute unbestreitbar hat ist der, daß es die Kubatur wieder aufnimmt und somit das Ensemble mitprägt. Natürlich ist es nicht abzustreiten, daß die Gegebenheiten ähnlich der Form sind, die man von Frankfurt vom Salzhaus bzw. dem Haus Frauenstein kennt.
    Ein weiteres Detail ist auch, daß man schon um 1900 die Augustinerstraße verbreiterte und der westliche Block zwischen Badergasse und Kirschgarten niedergelegt wurde, um die Straße zu erweitern. Auch das Eckgebäude Kirschgarten/ Augustinerstraße ist zwar ein schönes Gründerzeitbeispiel, das aber kritisch betrachtet jegliches Einfügen in den Kirschgarten vermissen läßt. Man kennt die Problematik auch am Dresdner Neumarkt mit der Post bzw. dem Hotel de Saxe.

    Vielleicht sollte man am Rande auch noch einmal anmerken, daß natürlich die heutige südliche Altstadt nicht das Hauptzentrum der mittelalterlichen Patrizierstadt war, sondern ein Areal, das von Handwerkern und normalen Kaufleuten geprägt war. Das alte gotische Mainz des Patriziats lag nördlich des Domes, ist aber bis auf die wenigen Ausnahmen wie Römischer Kaiser, Heiliggeist-Spital, Eisenturm, Quintinskirche, Knebel´scher Hof, Hof zum Korb, Christophskirche, Karmeliterkirche, Gästehaus des Bentzel´schen Hofs und dem Dienheimer Hof völlig verschwunden. Auch der Brand als das Zentrum des Patriziats und des Handels wurde vollständig überbaut und die nördliche Altstadt hat in vielen Bereichen ihren Stadtgrundriß verloren.

    Um noch einmal auf Ursus´Frage zurückzukommen, geht natürlich die Altstadt auch hinter dem Kirschgarten weiter, doch ist sie wesentlich ruhiger und nicht so stark frequentiert wie die Augustinerstraße. Man ist ganz schnell im Weihergarten oder auch der Rochusstraße/ Badergasse (Weinhaus Bluhm...!!!, dort lernt man zum Beispiel, was en Schoppe, en halbe, e Piffche, en Korze, en Gespritzte oder e Flasch Flaschebier ist), oder auch in der Heringsbrunnengasse. Das Viertel weist eine ruhige und ganz eigene Atmosphäre auf, wo man "für sich ist."

  • Weingeist: Vielen Dank für deine weiteren sehr fachkundigen Erläuterungen.
    @DW: schöne Impressionen. Speziell das Relief am Bahnhof ist ja goldig :)