• An sich Zustimmung und ohne jetzt wieder ein Faß aufmachen zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, dass von offiziell-tschechischer Seite (und ebenso wenig von den angelsächsischen Reise-Agenturen) im Grunde genommen - zumindest meines Wissens - nie der deutsche Anteil an der Geschichte und am städtebaulichen Erbe Prags thematisiert wird.

    Die Namen Peter Parler, Benedikt Ried oder Kilian Ignaz Dientzenhofer sind aber schon omnipräsent in Prag, wenn man nicht ganz mit Scheuklappen durch die Stadt läuft.

  • Die Namen Peter Parler, Benedikt Ried oder Kilian Ignaz Dientzenhofer sind aber schon omnipräsent in Prag, wenn man nicht ganz mit Scheuklappen durch die Stadt läuft.

    Ah! Peter Parler, ein Gmünder! Sein Vater Heinrich Parler der Ältere, sein Bruder Johann und er waren maßgeblich am Bau des Heilig-Kreuz-Münsters zu Schwäbisch Gmünd beteiligt. Sie ist die größte gotische Hallenkirche Südwestdeutschlands.

    Sein Name ist in Schwäbisch Gmünd ebenfalls omnipräsent. Ich ging seinerzeit auf das Peter-Parler-Gymnasium :biggrin:

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • Als ich am Abend in einem Club außerhalb des Prager Zentrum einen jungen Mann auf englisch ansprach, war dieser sauer, dass ich ihn nicht auf tschechisch angesprochen hatte. Er sagte er könne es nicht mehr ertragen in seiner Heimatstadt immer wieder auf englisch angesprochen zu werden.

    Ich war schon ziemlich oft in Prag und hatte bestenfalls das Problem, dass die Leute kein Englisch sprachen, beschwert hat sich aber noch niemand. Gleich hinter der Grenze sprechen manche Supermarktbetreiber ein wenig Deutsch, die Englischkenntnisse sind in Polen generell sehr viel besser.

    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Ich war schon ziemlich oft in Prag und hatte bestenfalls das Problem, dass die Leute kein Englisch sprachen, beschwert hat sich aber noch niemand. Gleich hinter der Grenze sprechen manche Supermarktbetreiber ein wenig Deutsch, die Englischkenntnisse sind in Polen generell sehr viel besser.

    ich konnte den Unmut des jungen Tschechen damals schon verstehen, Es war damals um die Sylverterzeit 2002 und das Stadtzentrum war - gerade Richtung Abend - extrem vollgepackt mit Menschen, die Mehrzahl wohl ausländische Touristen.

    Das ist einfach die Schattenseite als populäre Touristendestination, zumal ja Prag deutlich kleiner ist als Paris, London oder Berlin.

    Wir waren seinerzeit eine recht bunte Truppe: ein gebürtiger Prager, eine Engländerin, die in Prag lebte (vorher in Leipzig), ein Pole, ein slowakisches Pärchen, meine Freundin und ich. Über unseren tschechischen Freund konnten wir auch andere Teile Prags sehen und feiern. Eben dort wo auch Tschechen feierten und daher vielleicht das Ungemach, dass ich dann auch dort noch mit Englisch daher kam ;)

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Keiner weiß irgendwas von Tschechien, kann auch nicht ein Wort Tschechisch

    Doch, ich. Ich habe in Prag studiert.

    möchte ich darauf hinweisen, dass von offiziell-tschechischer Seite [. . .] im Grunde genommen - zumindest meines Wissens - nie der deutsche Anteil an der Geschichte und am städtebaulichen Erbe Prags thematisiert wird.

    Ich kann mit der Formulierung "offiziell-tschechische Seite" wenig anfangen. Was wäre denn in Deutschland die "offiziell-deutsche Seite"? Aber egal, wie man deine Formulierung interpretieren will: du irrst dich.

    Die Namen Peter Parler, Benedikt Ried oder Kilian Ignaz Dientzenhofer sind aber schon omnipräsent in Prag

    Ja, und man kann auch in tschechischen Publikationen nachlesen, wo diese Künstler bzw. ihre Familien herstammten. In der Prager Kunstgeschichte finden wir auch Italiener, Franzosen, Tschechen und andere. An der Kunstgeschichte Dresdens haben übrigens auch Italiener und Franzosen einen wichtigen Anteil.

    Dafür ist Prag einer der ganz großen Player, wenn es um die europäische Architekturgeschichte geht. Da kann Dresden nicht ganz mithalten, trotz einiger bedeutender Bauten. Und Prag bietet etwas, was Dresden kaum erreichen kann: die Atmosphäre und den Charme des Authentischen, einer nie zerstörten, gewachsenen Stadt.

    Ganz richtig. Und "europäisch" ist sowieso ein gutes Stichwort, wenn es um Prag geht. Von der Romanik bis zur Moderne sind alle Architekturstile mit bedeutenden Werken in Prag vertreten. Und hinter historischen Fassaden gibt es auch oft schöne Interieurs. Vieles davon bleibt dem Massentourismus verborgen.

    Ich war zuletzt vor 20 Jahren in Prag und schon damals schien mir das Stadtzentrum übermäßig touristisch ausgelegt

    Da täuscht die oberflächliche Sicht der Touristen. Prag ist das politische, religiöse, kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Zentrum der Tschechischen Republik, und die entsprechenden Einrichtungen finden wir überwiegend in den alten Teilen der Stadt. Ich werde dazu mal was in der Prag-Galerie bringen.

  • Ich kann mit der Formulierung "offiziell-tschechische Seite" wenig anfangen. Was wäre denn in Deutschland die "offiziell-deutsche Seite"? Aber egal, wie man deine Formulierung interpretieren will: du irrst dich. [...]

    Da täuscht die oberflächliche Sicht der Touristen. Prag ist das politische, religiöse, kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Zentrum der Tschechischen Republik, und die entsprechenden Einrichtungen finden wir überwiegend in den alten Teilen der Stadt. Ich werde dazu mal was in der Prag-Galerie bringen.

    Es ist ermüdend. Kannst du eigentlich auch Repliken verfassen ohne spöttischen Unterton? Gut, es mag sein, dass das bei dir gar nicht absichtlich geschieht.

    Zu keinem Zeitpunkt hatte ich bestritten, dass Prag nicht das politische, kulturelle etc. Zentrum Tschechiens wäre. Du hast also einen Strohmann hier aufgebaut, um diesen anschließend zu beseitigen - wieder mal.

    Ich schrieb, dass das historische Zentrum Prags touristisch überladen wäre und dass viele gebürtige Prager nicht immer froh darüber sind.

    Ein etwas älterer Artikel der WELT zu diesem Sachverhalt, den ich auf die Schnelle fand:

    Die Prager Angst, ein Vergnügungspark zu werden

    Die Goldene Stadt wird Prag auch genannt – doch für die Einheimischen ist das Vergangenheit. Sie wollen einfach nur noch weg.

    Ich denke, du kannst bestimmt auch recht gut Englisch verstehen. Nachfolgend Titel und Header eines Artikels von BBC Travel zu diesem Prager Sachverhalt:

    What’s it like to live in an over-touristed city?

    Locals explain how the influx of travellers has affected them, how authorities are responding and how visitors can remain respectful of people who live there year-round.


    Und eben diese Stimmung bekam auch ich mit im Umgang mit jüngeren Tschechen vor 20 Jahren. Vielleicht ein allzu subjektiv eingefärbtes Urteil, andererseits wandelte ich in Prag auch nicht unbedingt immer auf kulturhistorischen Pfaden, sondern war auch in Clubs, Bars und Kneipen unterwegs (auch und vor allen Dingen abseits des Stadtzentrums) und somit lernte ich auch weniger Personen aus den erlauchten Kreisen Prags kennen. Insofern habe ich hier wohl andere Erfahrungen gemacht als Rastrelli oder Tegula..

    Darüber hinaus zielte meine Einlassung keineswegs darauf ab, dass in einschlägiger kunsthistorischer Literatur Tschechiens der Einfluss deutscher Künstler und Baumeister vernachlässigt würde. Sondern dass meiner Auffassung nach das deutsche Erbe Prags - im Sinne dass Prag über viele Jahrhunderte nicht nur eine tschechische, sondern eine tschechisch-deutsche Stadt war (noch um 1848 immerhin mit einer knappen deutschen Bevölkerungsmehrheit) - weder in der touristischen Aussenvermaktung der tschechischen Hauptstadt, noch im Bewusstsein der Tschechen (Kunsthistoriker, Historiker und anderweitige Nobelpreisträger freilich ausgenommen) eine wirkliche Rolle spielt.

    [...]

    Und damit soll der Off-Topic-Exkurs von meiner Seite beendet sein.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Meine Mutter ist noch in Prag geboren und wenn ich mit ihr durch die Prager Kleinseite spaziere kann sie mir zu jedem zweiten Haus etwas über deren ehemalige Bewohner (zum Teil Verwandte) erzählen, die zum Großteil 1945 bzw manche auch erst 1948 vertrieben wurden bzw. später selbst nach dem kommunistischen Putsch nach Österreich oder Deutschland flüchteten. Nach der Revolution haben wir noch uralte Tantchen besucht, die tschechisch geheiratet haben und quasi den letzten Rest der Deutschprager ausmachten… die deutsche Minderheit war auf Gesamtprag bezogen zum Schluss wirklich nur noch eine quantitative Minderheit, aber auf der Kleinseite und Teilen der Altstadt dennoch in diesen Teilen die Mehrheit - und kulturelle und vor allem bildungstechnisch omnipräsent. In der (unsäglichen) Nazizeit waren die Deutschen aufgrund von Beamten, Militär und sonstigen Zuzügler aus dem Reich wieder auf über 200.000 Deutsche angewachsen und in den zentralen Teilen der Stadt war Prag wieder sehr „deutsch“ geworden, wobei die Deutschen Altprager sich hier anderweitig wieder in der Minderheit fühlten…naja, bloß mein Input zur Geschichte Prags.

  • Quote

    Prag, das viel mehr Besucher hat, hat keine Kunstwerke von der Qualität Dresdens.

    Also so einen Schwachsinn hab ich noch nirgendwo gelesen. Und das sage ich als Freund Dresdens.

  • nunja. Diese Meinung hab ich nicht zum ersten Mal gehört.

    Die guten Sachen aus Prag haben die Habsburger eben nach Wien mitgehen lassen.

    Und im 30 jährigen waren die Schweden auf Einkaufstour. Es kann daher schon auch gesagt werden, dass die Qualität der Kunstsammlungen in Dresden besser ist als die der Prager Sammlungen.

    Schöne Städte werden letztlich auch glückliche Städte sein.

  • Ich möchte noch auf den letzten Beitrag von Valjean antworten.

    noch um 1848 immerhin mit einer knappen deutschen Bevölkerungsmehrheit

    In deiner englischen Quelle steht "near-majority". Das bedeutet "fast die Hälfte". Eine deutsche Bevölkerungsmehrheit hatte Prag nie. In den Jahren vor 1848 war insbesondere eine äußerliche, rein sprachliche Germanisierung zu beobachten. Das hing mit dem Schulwesen zusammen, auch mit dem höheren Bildungswesen und der Verwaltung. Landesherren waren die deutschen Habsburger, die aus praktischen Erwägungen die Verwendung der deutschen Sprache förderten.

    Ein Bild von den realen Nationalitätenverhältnissen in der böhmischen Hauptstadt gibt uns dann die Revolution von 1848. Damals war Prag das Zentrum der tschechischen Nationalbewegung. Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung wurden hier boykottiert. Gewählt wurde in den deutschen Siedlungsgebieten Böhmens, aber nicht in Prag. Die Frankfurter Nationalversammlung hatte ja das Ziel, einen deutschen Nationalstaat zu gründen, und daran wollten die Tschechen nicht teilnehmen. Nach der Niederschlagung der Revolution herrschte zehn Jahre Eiszeit. Als das politische Leben wieder erwachte, ergab die Kommunalwahl von 1861 eine klare tschechische Mehrheit. Bei dieser Wahl galt noch ein Zensuswahlrecht, das die vermögenden Schichten begünstigte und große Teile der Bevölkerung ausschloss. Dennoch waren die Mehrheitsverhältnisse in Prag nun geklärt - zugunsten der tschechischen Seite.


    Zur Frage, ob die Prager wissen, dass in ihrer Stadt früher auch Deutsche lebten. Ja, wissen sie.

    Darüber hinaus zielte meine Einlassung keineswegs darauf ab, dass in einschlägiger kunsthistorischer Literatur Tschechiens der Einfluss deutscher Künstler und Baumeister vernachlässigt würde.

    Ich schrieb nichts von Fachliteratur, sondern

    man kann auch in tschechischen Publikationen nachlesen

    Denn es gibt ja nicht nur Fachliteratur, sondern auch populärwissenschaftliche Literatur, Nachschlagewerke, Reiseführer, Medienbeiträge usw. Vor einiger Zeit sah ich im Tschechischen Fernsehen eine Doku über das Gebäude der Prager Staatsoper. Darin wurde mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies früher das Theater der Deutschen in Prag gewesen sei. Und zwar ohne irgendeinen negativen Unterton.


    Zum Massentourismus: Niemand bestreitet, dass es Probleme mit dem Massentourismus gibt. Ich reagierte konkret auf die Formulierung:

    schon damals schien mir das Stadtzentrum übermäßig touristisch ausgelegt

    Dem setze ich entgegen, dass das Zentrum Prags vor allem auf die Hauptstadtfunktion ausgelegt ist. Ich finde es wichtig, dass sich die Touris bewusst machen, dass sie in einer großen Stadt wie Prag nur zu Gast sind. Dieses Bewusstsein ist für mich der erste Schritt zur Kultivierung des Tourismus. Ich bin nicht der Mittelpunkt der Welt, ich bin hier nur Gast. Je offener ein Besucher Prags ist, desto eher wird er auch etwas von der deutschen Vergangenheit der Stadt wissen oder entdecken. Zumindest Franz Kafka ist international bekannt.

  • Eine deutsche Bevölkerungsmehrheit hatte Prag nie.

    Nur in diesem Punkt möchte ich Dich bitte korrigieren. Prag hatte vom Mittelalter an und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich eine deutsche Bevölkerungsmehrheit. Als Halbprager ist mir das natürlich immanent wichtig festzuhalten, wenn Du erlaubst.

    Es gibt sicher viele bessere Quellen als Wikipedia, aber selbst auf dieser populärwissenschaftlichen Seite wird folgendes festgehalten:

    "Die Volkszählung von 1847 ergab einen Bevölkerungsbestand von 66.046 Deutschen und 36.687 Tschechen. Bis 1861 amtierte ein deutscher Bürgermeister. Von da ab nahm die Zahl der tschechischen Einwohner sprunghaft zu, bedingt durch die Industrialisierung der Prager Vorstädte."

    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Prags

  • Hab ich eigentlich auch immer so gelernt. Aber heute ist man mit Zahlen aller Art sehr flexibel, deshalb wundert mich nix mehr... Ich widersprech eigentlich auch gar nicht mehr. Soll jeder doch meinen, was er will, er wird schon irgendwo eine passende seriöse Quelle für sein Halbwissen haben.

    Mit der Formulierung "vom Mittelalter an" wär ich mir hingegen nicht so sicher, schon wegen der Hussitenkriege.

  • Im Wiener Auktionshaus Dorotheum wird aktuell eine historische, recht große Fotographie vom "Radetzkydenkmal" in Prag versteigert:

    Quelle: Dorotheum Wien https://www.dorotheum.com/de/l/8251919/

    So wie die Mariensäule am Altstädter Ring, soll auch das Denkmal des österreichischen Feldmarschalls wieder auf den Kleinseitner Ring zurückkehren:

    https://deutsch.radio.cz/fehlendes-monu…er-ring-8279271

    Auf der hier eingestellten Fotographie kann man die Inschrift nur schemenhaft entziffern, aber auf dem Link zum Auktionshaus kann man diese vergrößern:

    "Dem Feldmarschall

    Josef Grafen Radetzky von Radetz

    dem Führer der tapferen k.k. Armee

    in Italien 1848-1849"

    x eine Zeile in tschechisch x

    Im Jahre 1858"

  • Es gibt sicher viele bessere Quellen als Wikipedia, aber selbst auf dieser populärwissenschaftlichen Seite wird folgendes festgehalten:


    "Die Volkszählung von 1847 ergab einen Bevölkerungsbestand von 66.046 Deutschen und 36.687 Tschechen. Bis 1861 amtierte ein deutscher Bürgermeister. Von da ab nahm die Zahl der tschechischen Einwohner sprunghaft zu, bedingt durch die Industrialisierung der Prager Vorstädte."

    Ich hab mir diesen Wikipedia-Artikel angesehen und dann auf die tschechische Variante zu diesem Thema geklickt. Dort ist für die Zeit um 1850 folgender bemerkenswerte Satz auf tschechisch aufgeführt, den ich mit Google übersetzen ließ:

    Díky snaze národních obrozenců však Praha i přes stálý vliv z Vídně nebyla již městem ryze německým.

    Dank der Bemühungen der nationalen Erneuerer war Prag jedoch trotz des ständigen Einflusses aus Wien keine rein deutsche Stadt mehr.

    Aber ich stimme ursus carpaticus zu: es wird gewiss auch Quellen geben, die vermeintlich belegen, dass Prag niemals eine deutsche Bevölkerungsmehrheit hatte.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • "rein deutsch" wird es wohl niemals gewesen sein. Der tschechische Nationalismus war bis 1850 noch äußerst gering ausgeprägt, falls überhaupt vorhanden. Smetanas Eltern nannten etwa ihren Sohn noch Friedrich. Sein Tagebuch verfasste er auf Deutsch, weil er diese Sprache noch im Alter einfach besser beherrschte. Ich denke, auch so lässt sich das "Kippen" vieler Städte nach 1850 miterklären. Clemens-Maria Hofbauers Vater wurde noch als Dvorák geboren. Janácek wurde als Leo Eugen ins Geburts- und Taufregister eingetragen. Ab 1850 bekannten sich die Tschechen halt als Tschechen. Die erwähnten "nationalen Erneuerer in Prag" konnten auch keine großartige Siedlungspolitik lancieren, sondern nur Tschechen dazu zu bringen, sich als Tschechen zu sehen. Tschechischsprachige Gegenden außerhalb der böhmischen Länder haben die "nationale Erweckung" überhaupt verschlafen, wie Teile der Bezirke Mistelbach und Gmünd, das Hultschiner Ländchen und der Südwesten der Grafschaft Glatz.

  • Zu den Nationalitätenverhältnissen in der Geschichte Prags

    Ich möchte hier noch auf die letzten Beiträge antworten. Leider habt ihr euch gar nicht mit dem befasst, was ich geschrieben habe. Schauen wir uns das Ganze nochmal an!

    Ich hab mir diesen Wikipedia-Artikel angesehen und dann auf die tschechische Variante zu diesem Thema geklickt. Dort ist für die Zeit um 1850 folgender bemerkenswerte Satz auf tschechisch aufgeführt, den ich mit Google übersetzen ließ:

    Auch in der tschechischen Wikipedia gibt es gute Artikel und weniger gute. Wenn du dir den Artikel "Dějiny Prahy" insgesamt ansiehst, wirst du feststellen, dass er ziemlich schwach ist. (Das deutsche Pendant "Geschichte Prags" ist übrigens auch nicht gut.) Hinter dem von dir konkret zitierten Satz steht eine Fußnote: "Zdroj?", also "Quelle?" lesen wir da. Und die Frage: "Praha byla někdy městem ryze německým?" Die Aussage, dass Prag irgendwann "rein deutsch" gewesen sei, ist also zweifelhaft. Davon abgesehen geht aus dem von dir zitierten Satz eindeutig hervor, dass sich "deutsch" hier nicht auf Ethnizität bezieht, sondern auf die sprachlich-kulturelle Germanisierung, von der ich gesprochen hatte. Schließlich verdankt sich der Wandel den Bemühungen der nationalen Erwecker (buditelé).

    Es gibt sicher viele bessere Quellen als Wikipedia, aber selbst auf dieser populärwissenschaftlichen Seite wird folgendes festgehalten:

    "Die Volkszählung von 1847 ergab einen Bevölkerungsbestand von 66.046 Deutschen und 36.687 Tschechen. Bis 1861 amtierte ein deutscher Bürgermeister. Von da ab nahm die Zahl der tschechischen Einwohner sprunghaft zu, bedingt durch die Industrialisierung der Prager Vorstädte."

    Jetzt müsstest du nur wissen, was da gezählt wurde. Die österreichischen Statistiker behalfen sich zur Beschreibung der Nationalitätenverhältnisse im Vielvölkerstaat mit dem Kriterium "Umgangssprache". Das ist etwas anderes als "Nationalität", und es ist ebenfalls vom Kriterium "Muttersprache" zu unterscheiden. Systematisch erfasst wurde die Umgangssprache erstmals bei der Volkszählung 1880. Für die Jahrzehnte davor gibt es begründete Schätzungen. Für noch länger zurückliegende Zeiten muss sich die Geschichtswissenschaft mit Indizien aus anderen Quellen behelfen.

    Der Prager Universitätsprofessor Georg Norbert Schnabel ermittelte für 1846 die Zahl von 66.000 Deutschen und 40.000 Tschechen in Prag. (Quelle: Georg Norbert Schnabel: Tafeln zur Statistik des Königreichs Böhmen. Prag 1846, Tafel 8.)

    Schnabel schlug alle wohlhabenden und gebildeten Personen einfach den Deutschen zu, da damals die gesamte höhere Bildung, Wirtschaft und Handel deutschsprachig waren. Siehe dazu:

    Jiří Kořalka: Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815-1914. Sozialgeschichtliche Zusammenhänge der neuzeitlichen Nationsbildung und der Nationalitätenfrage in den böhmischen Ländern. Wien 1991, S. 79

    Schnabels Statistik, die Kořalka als "unglaubwürdig" bezeichnet, spiegelt also genau die von mir oben angesprochene sprachliche Germanisierung wider. Da die im Exilwiener-Zitat genannten Zahlen etwas abweichen, könnten sie sich eventuell auf Statistiken von Karl Freiherr von Czoernig oder Joseph Hain beziehen. Am Sachverhalt ändert das jedoch nichts.

    Bei Schnabel ist also František Palacký, der zu den Honoratioren Prags gerechnet wird, 1846 ein "Deutscher". Palacký erhält 1848 aus Frankfurt eine Einladung zur Mitarbeit im Fünfzigerausschuss, der die deutsche Nationalversammlung vorbereiten soll. Er reagiert am 11. April 1848 mit einem Absageschreiben, in dem das tschechische Nationalprogramm erstmals öffentlichkeitswirksam formuliert wird.

  • Wenn du dir den Artikel "Dějiny Prahy" insgesamt ansiehst, wirst du feststellen, dass er ziemlich schwach ist. (Das deutsche Pendant "Geschichte Prags" ist übrigens auch nicht gut.)

    Nun, dann wäre es doch nahelegend, dass du dazu beiträgst diesen tschechisch-sprachigen Artikel auf Wikipedia zu verbessern.

    Im englischen-sprachigen Artikel zur Geschichte Prags ist von einer "Beinahe-Mehrheit der Deutschsprachigen" für das Jahr 1848 zu lesen, die hauptsächlich in den historischen und zentralen Stadtteilen Prages lebten:

    For most of its history Prague had been an ethnically mixed city with important Czech, German, and Jewish populations. Prague had German-speaking near-majority in 1848, but by 1880 the German population decreased to 13.52 percent, and by 1910 to 5.97 percent, due to a massive increase of the city's overall population caused by the influx of Czechs from the rest of Bohemia and Moravia and also due to the assimilation of some Germans. As a result, the German minority along with the German-speaking Jewish community remained mainly in the central, ancient parts of city, while the Czechs had a near-absolute majority in the fast-growing suburbs of Prague.

    Bei Schnabel ist also František Palacký, der zu den Honoratioren Prags gerechnet wird, 1846 ein "Deutscher" ...

    Klar, gibt es hier Unschärfen. So trugen beispielsweise viele der vertriebenen Sudetendeutschen tschechische Familiennamen: Biolek, Novotny, Pospichil etc..

    Viele kamen ja nach Bayern und nicht zuletzt in die Oberpfalz.

    Mein Mathe-Lehrer auf dem Gymnasium in den 1980'er Jahren hieß Cerny mit Nachnamen. Ein eindeutig tschechischer Name, dennoch wurde er als Jugendlicher mit seinen Eltern und Geschwistern aus Böhmen rausgeschmissen, weil sie - von tschechischen Nationalisten/Kommunisten - als Deutsche ausgemacht wurden.


    ---

    Der Parteichef der "deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei" war Ludwig Czech.

    Der Vorsitzende der "Tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Partei" hieß Antonin Hampl.

    (Der Familienname "Hampl / Hampel" ist eindeutig deutschen Ursprungs).

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Valjean

    Es ging in meinem Beitrag nicht um Familiennamen, sondern um Sozialstatus und Germanisierung. Mit Auisnahme des englischen Wiki-Zitats hast du also das Thema verfehlt.

    In dem Zitat ist auch von "deutschsprachig" die Rede, was meine These von der Germanisierung stützt. In der Revolution von 1848 ist Prag das Zentrum der tschechischen Nationalbewegung. Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung werden hier boykottiert, so wie im übrigen tschechischen Siedlungsgebiet Böhmens. In den deutschen Bezirken Böhmens finden die Wahlen hingegen statt. Wir können die Rolle Prags in der Revolution auch nicht mit Verweis auf die Vorstädte erklären, denn die sind zu dem Zeitpunkt noch klein.

    1861 ergeben die Kommunalwahlen eine klare tschechische Mehrheit. Auch daran haben die Vorstädte keinen Anteil. Denn Prag besteht zu diesem Zeitpunkt aus den 1784 vereinigten vier Prager Städten Hradschin, Kleinseite, Altstadt und Neustadt sowie dem 1850 eingemeindeten Judenviertel Josefstadt. Die Juden schlossen sich mehrheitlich dem deutschen Lager an. Das Zensuswahlrecht war ein weiterer Faktor, der das deutsche Lager bei der Wahl 1861 begünstigte.

    In der englischen Wiki steht, dass 1880 der Anteil der Deutschsprachigen auf der Kleinseite und in der Altstadt bei einem Fünftel lag.. Zu dieser Zeit gibt es eine hinreichende Korrelation zwischen Umgangssprache und nationaler Identität. Die "Deutschsprachigen" sind nun tatsächlich Deutsche oder Juden. Denn die tschechische Gesellschaft hatte in den Jahren davor erhebliche Fortschritte gemacht.

    Aber kann sich heute eigentlich jemand vorstellen, dass es 1880 noch nicht möglich war, auf Tschechisch Medizin zu studieren?