Bauen zwischen 1933 und 1945

  • "Rastrelli", Du möchtest nicht über Suizide sprechen. Das kann ich nachvollziehen. Ich habe das Thema nicht aufgebracht, sondern nur etwas darauf geantwortet.
    Dann fange aber bitte nicht an, von der "Befreiungstat der Roten Armee" zu schreiben, die noch weniger mit dem Thema des Threads zu tun hat. Was soll das also? Ich könnte/müsste Dir eigentlich etwas von den Befreiungstaten im Dorf meiner Familie erzählen. Oder vom 17.6.1953, als die Rote Armee ihr befreiendes Image präsentierte. Oder vom Prager Frühling, als sie wieder die Freiheit brachte. Das würde aber nur Unfrieden stiften und noch weiter vom Thema wegführen. Also halte ich mich zurück.

  • Ein Beispiel, wo Bürger den Abriss eines Gebäudes aus dem 3.Reich wirksam ablehnten, finden wir am Platz an den sieben Säulen in Dessau. Dieser Platz wird vom Georgiumspark mit den nachgebauten 7 Säulen aus der Zeit des Fürsten, von der Mauer mit der "Trinkhalle" des Meisterhäuserareals und von 2 moderneren Gebäuden begrenzt. Eines davon beherbergte die bekannte Buchhandlung Neubert und stammt aus dem 3.Reich. Gerade hier war einer der Standorte für das Bauhausmuseum vorgesehen. Einen gegenüber liegenden freien Platz hätte man erst erwerben müssen.
    Beim Standort an der Stelle der ehemaligen Buchhandlung sollte das bislang denkmalgeschützte Gebäude abgerissen werden. Dagegen gab es 2011deutlichen Widerstand aus der Bevölkerung. 2 450 Dessauerinnen und Dessauerunterzeichneten eine Unterschriftensammlung gegen den Abriss. Sogar das Landesamt für Denkmalschutz hatte 2011 einen Abriss abgelehnt.
    Nun steht das Museum im Stadtzentrum.
    https://www.mz-web.de/dessau-rosslau…en-ein-25543426

  • Wir waren im letzten Jahr erstmals in Prora und sind angesichts der Widersprüchlichkeit dieses Ortes hin- und hergerissen. Größenwahn, der in der Gegenwart zu erhebliche Problemen auf vielerlei Ebenen führt. Unser Bericht dazu:

    Prora - KdF-Seebad und NS-Architektur auf Rügen
    Prora: NS-Architektur für die Volksgemeinschaft - Propaganda der Deutschen Arbeiterfront und ihrer Unterorganisation "Kraft durch Freude"
    www.zeilenabstand.net

    Und hier noch ein sehr anschauliches Video des Dokumentationszentrums Prora, das die Anlage in seinen ganzen Dimensionen zeigt.

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Eine weitere Empfehlung: DenkMALProra von Dr. Stefan Stadtherr-Wolter:

    Startseite | DenkMALProra - Die reale Geschichte von Prora und Mukran
    Denk-MAL-Prora e.V. bemüht sich darum, die reale Geschichte von Prora und Mukran nicht in Vergessenheit geraten zu lassen!
    denkmalprora.de

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Wenn man sich noch nicht so wirklich mit diesem Thema beschäftigt hat, ist die Erstbegegnung mit der Visualisierung und dem gesehenen gar nicht so wirklich überraschend und nichts, was einem vollkommen neu und fremd wäre. Fast scheint es umgekehrt, als ob einem viele kleine Details bereits in vielen anderen Städten begegnet wären. Die Abkehr von jeglicher Maßstäblichkeit dieses Projekts ist eines der Resultate der ab 1933 herrschenden Ideologie. Für den Umgang mit der Substanz gibt es zwangläufig drei Alternativen: Abriß, Sanierung oder den Status quo beibehalten. Ein Paradox unserer Zeit ist es, daß für alle potentiellen Wohnungen Bedarf bestehen würde. In erster Linie dürfte dem hauptsächlich die räumliche Lage entgegenstehen.

  • Ich durfte Prora als Teenager in den 90-er Jahren bereits kennenlernen. Schon damals fand ich die Anlage monströs, erdrückend und landchaftszerstörend. In Beton gegossener Kollektivismus und Gleichschritt, ein Bauwerk, das wie kein anderes das Menschenbild des NS-Regimes verdeutlicht. Gottseidank ist Prora nie vollendet worden, denn etliche weitere Wohnblöcke und die "große Halle" wurden nie vollendet bzw. begonnen.

    Architektonisch ist der Gebäudekomplex überaus schwach. Der zeittypische kalte faschistische Klassizismus a la "Germania", dessen Fassaden zwar überaus puritanisch, aber wenigstens ein wenig gestaltet und gegliedert waren, ist hier gar nicht vorzufinden. Proras Fassaden erinnern daher mehr an den Bauhaus-Rationalismus bzw. eine pervertierte-Bauhaus-Idee, wie sie dann ja auch im Ostblock durch die Plattenbauten tausendfach adaptiert wurde.

    Von daher hätte ich mir damals einen Abriss Proras gewünscht, zumal die monströse Anlage eigentlich nicht mit der idyllischen Ostseelandschaft kompatibel ist. Durch den Denkmalschutz-Status war ein Abriss aber nicht möglich. Somit war die Option 'Sanierung' und die Suche nach einer neuen Nutzung die einzig realistische, denn ein grauer, ruinöser "Lost Place" wäre natürlich keine sinnvolle Zukunftsperspektive gewesen. Die Sanierung Proras und der Einbau neuer Wohnungen und Hotels ist mittlerweile fast abgeschlossen, trotzdem wirkt die Anlage auf mich weiterhin abweisend und erdrückend. Auch die nun durchgehend weiß gestrichene Fassade und die zahlreichen Balkone (ohne die letztgenannten hätte man die Wohnungen kaum vermarkten können) befreien das Gebäude nicht von seiner kilometerlangen, endlosen Monotonie.

    1442px-20-07-06-Prora-RalfR-DJI_0120.jpg

    By Ralf Roletschek (talk) - Fahrradtechnik auf fahrradmonteur.de - Own work, CC BY-SA 3.0 at, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18122132

  • Wir sind letzten Sommer aus Binz kommend mit dem Rad daran vorbeigefahren. Der Kontrast zur Bäderarchitektur mitsamt der Gestaltung des Geländes herum könnte kaum größer sein.

    Umso weiter man von den bereits sanierten Blöcken bis zu den Rohbauruinen am Ende fährt, desto mehr wird einem diese menschenfeindliche Architektur samt Ideologie dahinter zuwider.

    Anderes Thema: Interessant ist auch der Bau des einzigen fertiggestellten Gauforums in Weimar mitsamt großflächiger Umgestaltung von Natur und Abriss/Umgestaltung ganzer Stadtviertel. Gut dokumentiert und mit Abbildungen auf der entsprechenden Seite des Gauforums.

    Das Gauforum in Weimar — ein Erbe des Dritten Reiches · Abriss und Vernichtung

  • Ich durfte Prora als Teenager in den 90-er Jahren bereits kennenlernen.

    Wahrscheinlich als einer von denen, die uns damals hinterm Parkplatz zum heimlichen Rauchen verführen wollten :wink:

    ... und doch stellt man sich diesen Komplex vor dem inneren Auge vollständig und in lebhaftem Betrieb vor, wenn man kopfschüttelnd davor steht. So ging es mir in den 90ern, als ich dort als Grundschüler schon wegen der damaligen Kasernenhaftigkeit der Jugendherberge, der Ausmaße des Komplexes, und der Trostlosigkeit des Areals immens beeindruckt war, und so ging es mir letztes Jahr, als ich knapp 30 Jahre später den Ort nochmal ausgiebig erkundete, um meine Erinnerung zu überprüfen.

    Man steht dort und sucht nach Vergleichen, und seltsamerweise würde man insgeheim sogar diese Anlage in Funktion, allein wegen der Faszination, die diese Gigantomanie auslöst - nur, um zu sehen, wie es gewesen wäre - einem gesichtslosen Mittelmeerstrand mit aneinandergereihten Beton-Bettenburgen vorziehen - logischerweise ohne den ideologischen Hintergrund und logischerweise unabhängig davon, dass die idyllische Insel Rügen für diese Art Tourismus absolut der falsche Ort ist.

    Die umfangreichen Sanierungsmaßnahmen mit Balkonen, Terrassen, Vorplätzen, Anbauten, usw. wirken völlig verloren und man merkt dem Komplex und der Umgebung immer noch an, dass keiner wirklich etwas damit anzufangen weiß; dass man damit vielleicht auch gar nichts anfangen kann. Als authentischste Nutzung erschien mir noch der Sandparkplatz am Nordende, wo sich am Wochenende die örtliche Jugend mit ihren aufgemotzten Karren zum Feiern vor den Ruinen traf. Noch "authentischer" wäre wohl nur die ursprünglich geplante Nutzung, mit Zaun drumherum und Kassenhäuschen, als Themenpark für ideologischen Irrsinn.