Bremen - St. Ansgarii

  • Durch die Diskussion hier wird wieder mal deutlich, was für eine einmalige Chance die Magdeburger vergeben haben, als sie bei dem Volksentscheid dort gegen die Ulrichskirche stimmten. Die Stiftung dort wollte eine kirchliche und/oder kulturelle Nutzung der Kirche und hat m. W. niemals die Finanzierung durch einen Shoppingcenter erwogen.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Mit ihrer zentralen Lage im geographischen Zentrum der langgestreckten Bermer Altstadt war die Ansagrii-Kirche der Endpunkt zahlreicher Sichtachsen. Gerade im Bereich des wichtigsten Straßenzuges (Am Dom - Grasmarkt - Am Markt -Obernstraße - Langwedler Straße - Hutfilterstraße - Am Brill - Faulenstraße) war sie allgegenwärtig und verband damit optisch viele unterschiedliche Altstadtquartiere.

    Kein heute existentes Gebäude vermag diese Aufgabe auch nur ansatzweise zu erfüllen. Seit innerhalb des letzten Jahrzehnts das westlichste Altstadtquartier, das früher als 'Steffensstadt' bekannte heutige 'Stephanie-Viertel', revitalisiert wurde, ist es nicht gelungen, diesen Bereich an den der östlicheren Teile der Altstadt effektiv anzubinden. Der Turm einer wiederaufgebauten Ansgarii-Kirche wäre wie geschaffen dafür, diese optische 'Scharnierfunktion' zu übernehmen.

    Ich denke die angehängten Vergleiche mit dem Blick in die Obernstraße nach Westen und vom Platz 'Am Brill' nach Osten in die Hutfilterstraße sprechen in diesem Zusammenhang für sich. Im momentanen Zustand zerfasert das Stadtbild: Es ist eine belanglose Ansammlung von aneinander gereihten Kuben ohne erkennbare Struktur !

    (Bildquelle für das aktuelle Obernstraßenbild: Staatsarchiv Bremen)

  • Der Turm der Kirche war nicht nur für den Binnenbereich der Altstadt von eminenter Bedeutung, sondern er entwickelte auch eine erhebliche Fernwirkung als Krone der Stadtsilhouette und Dominante an der 'Schlachte' (der Weserlände am zweitältesten Hafen der Stadt). Für viele Heimkehrende war dieser Turm das Erste, was sie von der Vaterstadt erblickten.


    Die beigefügten Bilder mögen das Gesagte illustrieren. Das Aquarell stammt von der Hand Willy Stöwers, eines von Kaiser Wilhelm II. sehr geschätzten Marinemalers. Trotz der Freiheit der künstlerischen Auffassung kann man dennoch gut erkennen, daß die Kirche den höchsten Turm der Stadt besaß...


    Und wiederum fällt der Vergleich mit der Gegenwart mehr als ernüchternd aus ! Die klaffende Lücke in der 'Skyline' die der Turm hinterließ, ist bis heute nicht verheilt !

    8 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (3. September 2016 um 18:51)

  • Am 11. September 1954 erschien im Bremer 'Weser Kurier' (einer der hiesigen Lokalzeitungen) der hier beigefügte Artikel. Dabei handelt es sich um eine der zahllosen Eingaben des damaligen Staatsarchivdirektors, Dr. Friedrich Prüser, mit denen er sich um den Erhalt der Ruine der Ansgarii-Kirche bemühte. Gerade seine Warnung, daß mit dem Verschwinden der Kirche auch die Erinnerung an den historischen Ort letztlich dahingehen würde, hat sich als prophetisch erwiesen.



    Hoffnungsfroh stimmt allerdings der letzte Satz seines Beitrages: "Möchte nie eine Zeit kommen, die uns vorwerfen kann, nicht alles versucht zu haben, diesen in seinem Werte kaum zu übertreffenden Zeugen bremischer Vergangenheit zu retten."


    Nun, diese Zeit scheinen jetzt anzubrechen ! Die Sensibilisierung breiter Bevölkerungskreise für den Verlust und der dadurch zu generierende Wunsch Fehlstelle im Stadtbild historisch getreu auszufüllen, sind Grundvoraussetzungen für eine Rekonstruktion...

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (3. September 2016 um 18:00)

  • Nachdem die Ruine der Kirche im Jahre 1959 abgebrochen worden war, schrieb Dr. Friedrich Prüser in der Zeitschrift 'Der Wiederaufbau' vom April 1961 im Rahmen des Artikels 'Bremen und seine Türme' den folgenden 'Nachruf' auf die St.Ansgarii-Kirche:

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (3. September 2016 um 18:08)

  • [align=justify]Seit sich die Hildesheimer vor einem Vierteljahrhundert mit der Rekonstruktion des Knochenhaueramtshauses einen lang gehegten Wunsch erfüllten, sind in vielen deutschen Städten ähnliche Projekte angegangen und zum Teil auch schon realisiert worden: Die Frauenkirche in Dresden, die Schlösser in Braunschweig, Hannover-Herrenhausen, Berlin und Potsdam, die alte Waage in Braunschweig, die Garnisonkirche in Potsdam und das Frankfurter Altstadtquartier zwischen Römer und Bartholomäus-Dom sind nur die wichtigsten Beispiele hierfür (ich weiß, daß ich mit dieser lückenhaften Aufzählung auf diesem 'Blog' natürlich 'Eulen nach Athen' trage).

    Als Stadtbild- und Baukunstbegeisterter sowie gesamtdeutscher Patriot fiebert man bei all diesen Vorhaben natürlich mit und freut sich bei deren erfolgreichen Umsetzung. Bei einem heimatverbundener Bremer stellte sich beim Betrachten dieser positiven Entwicklungen bisher leider immer auch ein Gefühl der Melancholie und - das gebe ich ganz unumwunden zu - auch ein gewisser Neid ein. Denn seit in den 1950er Jahren die Rekonstruktionen von Gewerbehaus und Stadtwaage, sowie der Teil-Wiederaufbau des Essighauses abgeschlossen wurden, hat sich in dieser Hinsicht in Bremen nichts mehr getan (wenn man von der vor ein paar Jahren erfolgten Wiedergewinnung der Gauben und des Kupferdaches des Schüttings - dem Sitz der Handelskammer Bremen - einmal absieht).

    Gerade unter gleichgesinnten Bremern wird leider im Hinblick auf eine Rekonstruktion der Ansgarii-Kirche in resignativer Weise oft eingewandt, daß aufgrund des in den letzten Jahrzehnten entstandenen Negativ-Images Bremens als Haushaltsnotlageland und gesellschaftspolitischem Experimentierfeld (beides nur zu berechtigte Kritikpunkte) überregionale Unterstützung für eine Rekonstruktion der Kirche nicht zu erwarten oder nur sehr schwer zu generieren sein dürfte. Darüberhinaus sei die Kirche ja nun auch wirklich nicht mit der Frauenkirche oder dem Schlüterschen Stadtschloß vergleichbar.

    Dem sollte man entgegenhalten, daß die beiden letztgenannten Bauwerke im Verhältnis zur Ansgarii-Kirche regelrechte 'Jungspunde' waren, sie entstanden in ihrer jetzt rekonstruierten From erst, als die Bremer Kirche schon die Patina von mehreren Jahrhunderten trug. Die Verknüpfung mit ihrem Namenspatron Ansgar machte sie zudem zum Symbol der Nordischen Mission und somit kam ihr eine für ganz Nordeuropa wichtige Rolle zu; eine kirchenhistorische Relevanz, die z.B. die nun längst wieder stehende Dresdner Frauenkirche in dieser Form niemals besessen hat.

    Altbundespräsident Richard von Weizsäcker bescheinigte den Bremern einst, daß ihre Heimatverbundenheit und ihr Bürgersinn in deutschen Landen ziemlich einmalig dastehen würden. Bisher war davon im Hinblick auf die unabdingbare Heilung des historischen Altstadtbildes unserer Stadt wenig bis gar nichts zu spüren. Wenn sich jetzt endlich eine Chance andeutet, die Kirche wiederzugewinnen, dann sollten wir Bremer uns den schon lange von Hildesheim, Dresden, Potsdam, Berlin, Braunschweig und Frankfurt 'abgekauften Schneid' zurückholen und die Aussage des Altbundespräsidenten durch ein tatkräftiges Engagement für die Rekonstruktion von Bremens Stadtkrone bestätigen !

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (12. Oktober 2014 um 14:45)

  • Eine Rekonstruktion von St. Ansgarii wäre zwar phantastisch, doch ich halte die Idee für recht unrealistisch. Vielmehr sollte man die noch bestehenden und verstümmelten Bauwerke am Marktplatz wieder in den Vorkriegszustand bringen. Beispielsweise das Dach der Baumwollbörse.

    Wie bereits erwähnt, würde ich auch eher die Rekonstruktion der neuen Börse anstelle der Bremer Bürgerschaft befürworten. Nur selten hat mich ein Gebäude dermaßen gestört. Das Landesparlament könnte eine rekonstruierte Börse einfach weiternutzen.

  • Sehr geehrter Neußer, es ist sehr schön, daß auch Sie zu den grundsätzlichen Befürwortern einer Rekonstruktion von St.Ansgarii zählen !

    Ihr Vorschlag hinsichtlich der Komplettierung von momentan noch baulich verstümmelten Häusern am Marktplatz fällt hier durchaus auf fruchtbaren Boden und es dürfte Sie freuen, zu hören, daß in den Kreisen der Bremischen Baumwollhändler seit einiger Zeit über einen neuen Turmhelm für die Baumwollbörse nachgedacht wird (allerdings wohl eher in der Form der 20er Jahre Version von Otto Blendermann und nicht in der des Poppeschen Originals). Auch die Traufenständigkeit des heute vom Bankhaus Neelmeyer genutzten ehemaligen Restaurants 'Zum Patzenhofer' wird nicht mehr ohne weiteres kritiklos gesehen - zumal wenn man sie mit dem Doppelgiebel der Vorkriegszeit kontrastiert. Gleiches gilt für das fehlende Türmchen der ehemaligen 'Neuen Sparkasse' an der Ecke zur Schüttingstraße.
    Was Heinrich Müllers Neue Börse angeht finden Sie mich auch ganz an Ihrer Seite, auch hinsichtlich der Nutzung durch die Bürgerschaft, die ja nur eine Wiederaufnahme der vor 1933 bestehenden Tradition wäre, da das Bremische Parlament ja bereits seit der Erbauung des Gebäudes im Konventssaal der Handelskammer (der Eigentümerin des Börsengebäudes) ein Dauernutzungsrecht hatte. Allerdings ist der Abbruch des gegenwärtigen Bürgerschaftsgebäudes von Wassili Luckhardt leider wesentlich utopischer, als der Wiederaufbau der Ansgarii-Kirche, da es nicht nur - bereits - unter Denkmalschutz steht, sondern auch eine der baulichen 'Ikonen' der Nachkriegsgeschichte dieser Stadt ist, deren maßgebliche Protagonisten sich mit allen Mitteln gegen einen Abriß stemmen würden. Das 'Bremer Carree' besitzt diesen Status - Gott sei Dank - nicht und ist insofern wesentlich einfacher verfügbar (aber den sicher zweistelligen Millionenbetrag für den Erwerb von Gebäude und Grundstück zu stemmen, ist ja alleine schon Herausforderung genug - ganz zu schweigen von den Kosten der Rekonstruktion !).

    Für die Attraktivität Bremens - gerade auch für auswärtiges Publikum - scheint es mir aber durchaus wichtig zu sein, den Blick nicht ausschließlich auf die bisher bestehenden wenigen 'Traditionsinseln' (Marktplatz, Böttcherstraße, Schnoor und vielleicht gerade eben noch Martinikirche und Schlachte; mehr haben wir effektiv momentan im Altstadtbereich nicht mehr) zu fokussieren, sondern den ganzen Bereich zwischen den historischen Wall-Anlagen ins Auge zu fassen. Wenn man hier die Zahl sehenswerter Gebäudeensembles erhöhen könnte, würde sich auch die Verweildauer von Touristen - die vor dem Kriege bei durchschnittlich drei Tagen lag und heute in der Regel wenige Stunden, allerhöchstens aber eine Übernachtung umfaßt - wieder erhöhen. Die ledigliche Vervollkommnung des Marktplatzes würde dieses Ziel eben alleine nicht erreichen. Ein wiederhergestelltes Ansgarii-Viertel mit der Kirche - in welcher einstweiligen ersten Nutzung auch immer - würde da schon wesentlich mehr bewirken und auch für die Einheimischen von ganz anderer Symbolkraft sein.

    Ich halte den Abriß des Bremer Carrees und die Wiederauferstehung von St. Ansgarii deshalb für genau so realitätsfern oder - nah, wie den Abbruch der 50er/60er Jahre Bauten am Hildesheimer Marktplatz und die Rückkehr der dortigen historischen Platzansicht, genau so utopisch wie den Abbruch des technischen Rathauses in Frankfurt und den Wiedergewinn des dortigen ehemaligen Fachwerkviertels, genau so phantastisch wie den Abtrag von 'Erichs Lampenladen' und die Renaissance des 'Zwing-Cölln' des Kurfürsten 'Eisenzahn'. Und - wenn ich noch ein Beispiel anfügen darf, welches Ihnen als Niederrheiner natürlich sehr geläufig sein dürfte - genau so wirklichkeitsnah, wie den Wiederaufbau der Fassade des Rathauses in Wesel.

    Wichtig wird es allerdings sein, eine Person von der Statur des hochverdienten Professors Ludwig Güttler aus Dresden zu finden, der sich - wie dieser - mit seiner ganzen Virtuosität und Prominenz für die gute Sache 'ins Zeug zu legen' bereit wäre. Aber selbst die Gruppe um Professor Güttler und Baudirektor Burger hat zunächst klein angefangen. Wichtig ist daher, daß überhaupt jemand den Anstoß gibt. Ist dieser erfolgt, stoßen in der Regel recht zügig Gleichgesinnte hinzu !

    Darum: Nicht verzagen, sondern anpacken ! Lassen Sie uns nicht darüber sinnieren, warum es nicht geht, sondern entwickeln wir gemeinsam eine Strategie für den Erfolg !

    5 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (12. Oktober 2014 um 20:56)

  • Zitat

    Sehr geehrter Neußer, es ist sehr schön, daß auch Sie zu den
    grundsätzlichen Befürwortern einer Rekonstruktion von St.Ansgarii zählen
    ! (...)

    Aber sicher doch. Sonst wäre ich in diesem Forum falsch. - Sollte es zur Rekonstruktion kommen, werde ich gern dafür spenden.

    Sie haben schon Recht. Einige Ihrer aufgezählten Baumaßnahmen, wie beispielsweise das DomRömer-Projekt in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon], grenzen schon an ein kleines Wunder.

    Natürlich drücke ich alle Daumen für St. Ansgarii. Seit der Pleite um die Magdeburger Ulrichskirche, bin ich jedoch in meinem Optimismus zurückhaltender geworden. Es kommt nun auf die Stimmung in der Bremer Bevölkerung und Politik an. Da bin ich gespannt.

    Zur Bremer Bürgerschaft. - Sicher weiß ich, daß das Haus unter Denkmalschutz steht. Ganz so abstoßend finde ich das Gebäude nun auch gar nicht. Es stört mich nur wahnsinnig an eben diesem Ort. In einer Seitenstraße wäre das in Ordnung. Übrigens kann man den Denkmalschutz ganz schnell aufheben. Haben wir schon oft und schmerzhaft erlebt. (Darauf hoffe ich persönlich auch beim Pellerhaus in Nürnberg).
    Möglich wäre auch eine Translokation. Nun fange ich aber wirklich an zu phantasieren... :engel:

  • Das Bild im Anhang zeigt die Deckelplatte der ehemaligen Grabtumba des 1304 in der St. Ansgarii-Kirche beigesetzten Bremischen Patriziers Arnd von Gröpelingen, eines der ganz wenigen mittelalterlichen Kunstwerke des Gotteshauses, welches den calvinistischen Bildersturm der 1581 einsetzenden zweiten Bremer Reformation überdauern konnte. Wenn auch die eigentliche Tumba - wahrscheinlich im Zuge dieses Bildersturmes - verloren ging, so blieb der Deckel mit der in Bremen einzigartigen, fast vollplastischen Liegefigur erhalten und befand sich bis zum 2. Weltkrieg hoch am Südpfeiler des Scheidbogens zwischen südlichem Querhaus und östlichem Joch des südlichen Seitenschiffs.

    Nachdem der Sprengbombentreffer vom 21. Dezember 1943, der den Kirchturm in seinen Grundfesten erschüttert hatte, zunehmend zu statischen Problemen im Mauerwerk von Turm und Kirchenschiff führte, ging Landeskonservator Dr. Ernst Grohne daran, vorsorglich die wichtigsten mobilen - oder 'mobil zu machenden' - Kunstwerke des Gotteshaus, wie z.B. den Orgelprospekt, den Kanzelkorb, die flämischen Leuchter und eben auch den 'Arnd von Gröpelingen' zu bergen und auszulagern, so daß diese vom Einsturz des Turmes am 1. September 1944 und auch von dem großen Bombenangriff im Januar 1945, der das bis dato intakt gebliebene Stadtviertel rund um die Kirche und auch die nach dem Turmsturz noch stehenden Dächer und Gewölbe des Kirchenschiffs vernichtete, nicht in Mitleidenschaft gezogen werden konnten.

    Während die meisten der genannten Kunstwerke - und auch die erst aus den Trümmern der Kirche geborgenen zahlreichen Epitaphien - in der 1957 geweihten neuen Kirche in der Schwachhauser Vorstadt eine neue Bleibe fanden und in der Regel ihre alte Funktion wieder ausüben konnten, wurde der 'Arnd' als Dauerleihgabe der Gemeinde an das stadthistorische Museum Bremens, das sogenannte 'Focke-Museum' übergeben. Dort ist er bis heute - neben den originalen Kaiser und Kürfürstenfiguren der gotischen Rathausfassade und dem ursprünglichen Kopf des 'Rolands' - einer der Glanzpunkte der Mittelalter-Abteilung.

    Das vom Syndikus des Senats - Dr. Johann Focke - zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründete historische Museum, hatte nach Stationen im Kreuzgang des ehemaligen Dominikanerklosters St. Katharinen und dem Künstlervereinsgebäude am Dom sein letztendliches Domizil im 1912 geschlossenen alten städtischen Armenhaus an der Großenstraße, am äußersten westlichen Zipfel der Altstadt gefunden. Da die Bestände immer weiter anwuchsen, wurde ein geräumiges Magazingebäude notwendig und man fand dies in der Zwischenkriegszeit in Form eines ehemals erzbischöflichen Vorwerks im Ortsteil Riensberg. Als der Bombenkrieg das Museum in der Innenstadt zu bedrohen begann, entschloß sich der Museumsdirektor, der qua Amt in Personalunion gleichzeitig Landeskonservator und demzufolge niemand Anderer als der oben schon erwähnte Dr. Ernst Grohne war, die kostbaren Exponate zu evakuieren und im Magazin auszulagern. Nachdem das Museumsgebäude bald darauf total zerstört worden und nach Kriegsende gegen einen Wiederaufbau an historischer Stelle entschieden worden war, wurde das bisherige Magazin kurzerhand als 'Haus Riensberg' zum neuen Museumssitz erklärt. Passenderweise wohnte Dr. Ernst Grohne bereits seit den 20er Jahren in einer eleganten Vorstadtvilla direkt gegenüber des - nun neuen - Museumskomplexes. Man fühlt sich daher ein wenig an die Vorgehensweise des 'alten Fuchses' aus Rhöndorf erinnert, dem es ja auch gelang, die Bundeshauptstadt vor die 'eigene Haustür' zu bringen....

    So angenehm ein Besuch des dortigen Museums - welches von 1957 bis 1963 um den heutigen elegant-unaufdringlichen Hauptbau aus der Hand des Architekten Heinrich Bartmann erweitert wurde - gerade auch durch die umgebende Parklandschaft auch immer sein mag, so ist es unter den deutschen Städten doch offenbar allein Bremen vorbehalten ein stadthistorisches Museum zu haben, welcher mehrere Kilometer vom alten Stadtzentrum entfernt in der Vorstadt liegt und wohin sich in der Regel kein auswärtiger Tagestourist hin 'verirrt'.

    Eingedenk der Tatsache, daß der 'Bartmann-Bau' mit seinen großen Glaswänden gerade für die Mittelalter-Abteilung in konservatorischer Hinsicht als nicht unproblematisch zu betrachten ist und das Museum zudem mit der vor Jahren erfolgten Übernahme der Oberneulander Mühle den Zwang zur Konzentration auf allein einen Standort bereits aufgegeben hat, wäre es doch durchaus der Überlegung wert, Teile der Sammlungen und gerade die, welche aus der Altstadt stammen, in eine teilweise als Museum zu nutzende wiederaufgebaute St.Ansgarii Kirche zu überführen. Dort könnte man u.a. die für Gäste immer sehr anschaulich gewesenen historischen Stadtmodelle von Rudolf Gangloff, die momentan - weil sie nicht mehr ganz den aktuellsten Erkenntnissen entsprechen - ins Depot abgeschoben sind, wieder aufstellen. Eine Mischnutzung von Kommerz und Museum hat sich - im Fall der Kirche sicherlich nur als Übergangszustand zu denken - in Bremen ja bereits in Form des 'Übermaxx' am Bahnhof bewährt, wo es durch die Kooperation mit einem Groß-Kino möglich wurde, für die umfangreiche Schausammlung des ethnographisch und naturkundlich ausgerichteten 'Übersee-Museums' ein für die Öffentlichkeit zugängliches Magazingebäude zu errichten, dessen andere Hälfte mit Kino-Sälen belegt ist. Aber natürlich wäre eine Mischnutzung aus Museum, Konzerthalle und 'Schaufenster für die diversen christlichen Liturgien (wie in einem früheren Beitrag ausgeführt) zu bevorzugen.

    Also, schickt den Kaiser, die Kurfürsten, Rolands Kopf und - nicht zu vergessen - den guten 'Arnd' auf die Reise zurück in die Altstadt. Dort gehören sie hin und dort können sie auch von Gästen der Stadt viel einfacher bestaunt werden, als in der weit entfernten Vorstadt !

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (3. September 2016 um 18:11)

  • Noch bevor die Ruine der alten Kirche 1959 abgetragen wurde, konnte 1957- zweieinhalb Kilometer entfernt vom alten Standort - ein neues Gotteshaus an der Holler Allee, in der Schwachhauser Vorstadt eingeweiht werden. Ein baukünstlerisch ansprechender Bau des Architekten Fritz Brandt, der mit der Form der durch eine halbrunde Apsis geschlossenen klassischen Basilika mit zwei niedrigen Seitenschiffen gewissermaßen den in etwa (bis auf den hier fehlenden Umgangschor) gleichartig gestalteten Ursprungsbau der alten Kirche aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zitiert. Die Verwendung eines- in Bremen seit langen Jahrhunderten unüblich gewesenen - freistehenden Campaniles als Glockenturm scheint einerseits einer persönlichen Neigung des Architekten, andererseits möglicherweise aber auch tiefenpsychologisch in dem erlittenen Trauma des Turmsturzes begründet gewesen sein: Bei einem nicht mit dem Kirchenschiff baulich verbundenem Turm mag die Gefahr eines Falles genau in dasselbe, als geringer erachtet worden sein .... Im Innenbau präsentiert sich die Kirche -gerade hinsichtlich der wieder aufgehängten alten Epitaphe - als 'Lapidarum' und in Bezug auf Kanzelkorb und Orgelprospekt als 'Schatzkästchen'. Trotzdem man dem Gebäude somit - innen wie außen - seine Schönheit nicht wird absprechen können, ist es aufgrund des anderen Standortes, der anderen Baustruktur und nicht zuletzt auch des gänzlich anders gestalteten Turmhelmes in keiner Weise ein Äquivalent der alten Kirche. Es wäre - wie es die Domkapelle am Osterdeich oder das mit einer Kapelle verbundene Gemeindehaus der Gemeinde Unser Lieben Frauen am Schwachhauser Ring für ihre jeweiligen innerstädtischen Pendants sind - eine gute Ergänzung für die Altstadtkirche, mehr aber auch nicht ! Nur leider fehlt der Ansgarii-Gemeinde momentan eben ihr historisches 'Stammhaus' !

    Wenn man der neuen 'Vorstadt-Kirche' nach dem Gesagten also auch positive Seiten abgewinnen kann, so ist der Eindruck den der Nachfolgebau am historischen Ort beim heutigen Betrachter hinterläßt ein durchgehend negativer. Selbst die auf die Reste der Außenmauern - ohne Giebel - reduzierte Ruine der Kirche belebte das Stadtbild mehr, als der nach ihrem Abbruch entstandene nichtssagende Kubus des Hertie-Konzerns. So sehr man z.B. die imposante - leider in der Nachkriegszeit in der DDR abgetragene - Fassade des Hermann-Tietz-Warenhauses am Berliner Alexanderplatz mit seinem jugendstilartig geschweiften Frontgiebel unter der überhöhenden Weltkugel loben muß - übrigens zusammen mit der Statue der Berolina vor dem Haupteingang einer der 'Hingucker' des alten Berlin - so sehr war die Bremer Repräsentanz ein wirklicher Schandfleck. Er wurde Anfang der 90er Jahre abgerissen und durch das - nicht wesentlich bessere - 'Bremer Carree' ersetzt. Wie sagt man doch so schön: ' Vom Regen in die Traufe '.....

    Es wird deshalb hohe Zeit, daß dieser städtebaulichen 'Brache' durch den Wiederaufbau der alten Kirche ein Ende bereitet wird.

    Die Bilder im Anhang zeigen Außen- und Innenansichten der neuen Kirche, sowie eine Ansicht des Hertie-Kaufhauses mit Blick in die Hutfilterstraße (im Hintergrund kommt einer der Giebel des Gewerbehauses ins Bild).
    Die Bilder der neuen Kirche stammen von Jürgen Howaldt.

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (14. Oktober 2014 um 10:03)

  • Die St.Angarii Kirche war für über 700 Jahre eine feste Größe im Stadtbild. Mochte sich auch sonst Vieles ändern, mochten die andere Kirchen ihre Turmhelme oder gleich ganz ihre Türme verlieren (der Dom mußte 1638 seinen Südturm einbüßen), mochte das Rathaus eine neue Fassade erhalten, mochte dessen Dach Gauben bekommen und wieder verlieren, der Turm der 'Schaarskaaken' - wie die Bremer sagten - stand als stummer Zeuge all dessen unerschütterlich in der Mitte der Stadt.

    Wäre es nicht endlich Zeit, diesen Zustand wiederherzustellen ? Der Dom brauchte 250 Jahre, bis 1888 mit dem Wiederaufbau des Südturmes begonnen wurde. Sollte es nicht eine Ehrensache sein, bei St. Ansgarii schon nach 70 Jahren zu beginnen ?

    Steht die Kirche erstmal wieder, wird die 'optische Gewöhnung' an den alltäglichen Anblick dazu führen, daß Viele den Eindruck haben werden, Kirche und Turm hätten schon immer da gestanden, wären niemals 'weg gewesen'; so wie es heute ja schon beim Campanile von San Marco in Venedig oder dem Turm des Hamburger Michel der Fall ist und bei der Frauenkirche in Dresden der Fall sein wird, wenn Verwitterung und Patina die neuen Sandsteine farblich den alten angenähert haben werden.

    Also: Geben wir St. Ansgarii die Chance auf ein ähnliches 'Come back' - oder besser: - auf eine ähnliche Renaissance !

    Anbei einige Blicke auf die Kirche aus Richtung des Marktplatzes. Sie dokumentieren die Veränderungen des Umfeldes der Kirche im Laufe der Jahrhunderte. Das zweite Bild ist ein Ausschnitt aus der berühmten Merian-Ansicht des Marktes.

  • Bei dem angefügten Bild aus der ersten Nachkriegszeit schaut man von der Obernstraße in Richtung Hutfilterstraße auf die Ruine der Kirche. Im Einzelnen sieht man das südliche Querschiff mit noch vorhandenem Giebelansatz und angebautem Treppentürmchen, die Südseite des Chores, und im Winkel zwischen letzterem und dem Querschiff den spätgotischen Kapellenanbau (in dem am 9. November 1522 die erste lutherische Predigt in Bremen erklang und die später deswegen nach dem 'Halter' dieser Predigt, Heinrich von Zütphen, benannt wurde). Der auf dem Bild zu sehende Giebelansatz war aber nicht der einzige, der den Krieg überdauert hatte: Sämtliche drei Ostgiebel (also von Zütphenkapelle, Chor und ehemaliger Kirchspielsschule - dem nördlichen Pendant zu Zütphen-Kapelle), der Giebel des nördlichen Querhauses und der östliche Giebel des südlichen Seitenschiffs konnten sich -ohne wesentlichen Substanzverlust -über den Krieg retten und wurden erst nach 1945 - wegen angeblicher Einsturzgefahr - beseitig. Selbst der im Photo nur noch rudimentär vorhandene Südgiebel des Querhauses war bei Kriegsende noch in voller Höhe vorhanden und wurde dann - letztendlich vollkommen - aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht geopfert.

    Statt diese - uns Baukunstinteressierten aufgrund vieler trauriger Beispiele ja leider sattsam bekannte - Salamitaktik des sukzessiven Abbruchs anzuwenden, hätte man in eine kluge Strategie zur nachhaltigen Sicherung der Ruine investieren sollen, um das Gebäude für einen zukünftigen Wiederaufbau vorzuhalten. Bedauerlicherweise wurde aber anders entschieden...

    Diese Fehlentscheidung sollte aber nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit haben. Im Endeffekt sollte sie uns einfach nur mehr 'Arbeit gemacht haben'. Denn anstelle eines -bei Erhalt der Ruine möglichen - lediglich komplettierenden Wiederaufbaus der infolge der Kriegseinwirkungen fehlenden Teile des Gebäudes, müssen wir nun eine Totalrekonstruktion hinlegen....

  • Ersteinmal vielen Dank, Pagentorn, für deine ausführliche, sehr informative und spannende Dokumentation!


    Weißt du, oder wer anders, ob noch Krypta oder andere Kellerreste, Fundamente, vorhanden sind, wenn ja, ist bekannt, in welchem Zustand sie sich befinden?

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (14. Oktober 2014 um 13:06)

  • Sehr geehrte(r) Kaoru,

    vielen Dank für Ihre freundliche Resonanz !

    Nein derartiges gibt es nicht, da die Kirche weder eine Krypta, noch ein sonstiges 'Tiefgeschoß' besessen hat. Es gab natürlich Grablegen - so z.B. auf dem hohen Chor die von Erzbischof Hartwig II. (die letztere war allerdings schon lange vor der Zerstörung des Gotteshauses nicht mehr auffindbar) - aber diese unterschritten nie das Niveau der Fundamente, die im übrigen beim Turm mit ca. 2,40m (unter der Oberfläche des Ansgarikirchhofes) erstaunlich flach waren.
    Wie es sich beim Hertie-Kaufhaus verhielt ist mir nicht geläufig, aber das 'Bremer Carree' besitzt jedenfalls ein Kellergeschoß (teils als öffentlich zugängliche Verkaufsfläche genutzt), welches wesentlich tiefer reicht, als die Fundamente der Kirche. Spätestens beim Aushub der Baugrube für das 'Carree' dürften somit alle 'bodendenkmal-artigen' Reste der Kirchenfundamente beseitigt worden sein - einschließlich etwaiger Pfahlgründungen (letztere sind aber reine Spekulation meinerseits).

    Wichtig ist somit, sich zu merken, daß der Turm einer rekonstruierten Kirche auf alle Fälle ein stabileres und tiefer reichendes Fundament erhalten muß !

    Vielen Dank Kaoru, daß Sie mir mit Ihrer Frage Gelegenheit gaben, auf diesen Aspekt einzugehen !

  • Kaoru ist tatsächlich ein Mädel.
    Von mir auch vielen Dank für deine Beiträge.
    Endlich einmal ein Nachkriegsbild.
    Der Kirchenabriss war wirklich ein Skandal. Man muss dabei an Wismar denken.
    Eine "romantische Ruine" wär das allemal gewesen...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.