oder durch Österreichs Norden (und ein wenig darüber hinaus)
Ich nehme euch mit auf eine Erkundungstour in die für mich schönste Landschaft Österreichs (und darüber hinaus vielleicht, wer weiß, ein paar anderer Länder?), was einen gewissen Vertrauensbeweis darstellt. Immerhin schreibe und lese ich schon länger in diesem Forum und finde dessen Mitglieder (jedenfalls die meisten) für wert, in die letzten Geheimnisse und Wahrheiten, die unser Mitteleuropa zu bieten hat, eingeweiht zu werden.
Auf ersten Blick wird nicht besonders viel zu sehen sein (überhaupt bei meiner Kameraführung. Auch habe ich es gar nicht darauf angelegt, die Einzigartigkeit dieses Landstriches zu dokumentieren, ich hab halt genommen, was mir vor die Linse kam... naja die Städte sind ganz ordentlich durchgekämmt).
Wir werden Städte wie in Böhmen sehen (in einem Fall kann man das 'wie' weglassen, nun ja, mit Grenzen nehmen es meine Touren nie so genau, auch sonst nicht, aber das war ja schon oben angedeutet), werden ein Gebirge ohne Namen durchqueren, und eine Kulturlandschaft sehen, deren Einzigartigkeit man sich mittlerweile schon schön langsam bewusst wird, und die sogar mich anrührt, der ich äußerst wenig 'Kultur' in der Landschaft benötige - ich hab s in der Regel lieber wilder. Aber hier - das ist schon etwas ganz Besonderes.
Wir werden in Gmünd beginnen, der 'böhmischsten' Stadt Österreichs, was kein Wunder ist, denn schließlich gehört der Westteil zu Böhmen - eine der zahllosen unglücklichen Folgen dieser Pariser Vorortediktate. Immerhin hat die Stadt noch Glück gehabt - der Stadtkern blieb ungeteilt bei Österreich (im Falle Feldsberg, wo das Ziel der Begierde ja eigentlich auch nur der Bahnhof war, der ohne die restliche Stadt abzutrennen gewesen wäre, ging alles verloren). Um den (1945 zerstörten) Bahnhof mit der Schienengabelung nach Budweis und Prag sowie (ebenfalls extrem wichtig!) die Lokomotivfabrik (bis heute werden alle österr. Dampfloks dort repariert) entstand schnell die Schwesternstadt ?eské Velenice, heute mit Gmünd verbundener denn je (gemeinsames Spital ua) mit bald über 90% tschech. Bevölkerungsanteil. Namensgebend war (unter Abkehr der wohl aus einem Lesefehler entstandenen traditionellen tschech. Bezeichnung Cmunt) das mitabgetrennte Dorf Unter Wielands.
Schlimmer war der Umstand, dass mit West-Gmünd eine Reihe von armen Moorlanddörfern verloren gingen, die, obzwar weitestgehend tschechisch, nach 1945 ein schlimmes Schicksal erlitten. Ein Denkmal für die ermordeten tschechischen Volksangehörigen befindet sich heute nicht etwa in Tschechien, sondern am Gmünder Friedhof. Mehr davon (und Bilder dieses interessanten Landstriches) vielleicht ein andermal.
Dieser Landstrich wird von den Tschechen nicht nach Gmünd, sondern nach der Stadt Weitra benannt - Vitorazsko.
Gmünd selbst hat nicht allzuviele Sehenswürdigkeiten und hält in dieser Hinsicht eindeutig keinen Vergleich mit Wittingau oder Neuhaus aus, ist aber mit seinen gezählten zwei Renaissancebürgerhäusern trotzdem ganz nett.
Weit ergiebiger ist da das erwähnte Weitra. Die Namensdeutung ist bis heute strittig. Im Kirchenführer über 'seine' Pfarrkirchen Unserfrau, Altweitra ua vertritt Pfarrer Dr. Tadeusz MIRONCZUK entschieden den 'deutschen' Standpunkt und verwirft alle anderen Deutungen als nicht überzeugend: Weitra kommt demnach von wit -ahe, was weites Wasser bedeutet und sich auf das Flüsschen Lainsitz beziehen soll. Die Lainsitz wird unterhalb von Gmünd Luschnitz heißen, und in ihr werden sich die alten Städte Tábor und Bechin spiegeln, da wird sie schon ein stattlicherer Fluss sein, wenngleich auch nicht übertrieben breit, aber immerhin.
Indes hier in Weitra?
"Das Gebiet von Weitra leitet seinen Namen vom Fürsten Vitorad ab, der in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts ... die Burg Vitoraz - das heißt Weitra oder Weitrach - gründete und unter der Oberhoheit der deutschen Könige und der bayerischen Herzöge stand. Dieses Gebiet, das zunächst ein Fürstentum, dann ein Bestandteil des przemyslidischen Böhmen war, erstreckte sich vom Oberlauf des Flusses Lainsitz ... bis über Neubistritz hinaus. Das Fürstentum hatte sowohl zum deutschen Königshof als auch zum böhm. Adel gute Beziehungen. Unter seiner Führung kamen 14 böhmische Adelige und Stammesführer Ende des Jahres 844 an den kaiserlichen Hof nach Regensburg und wurden dort am 13. Januar 845 getauft." (Der tschechoslowakische Historiker Jan MLYNARIK).
Offenbar besteht bei dieser wichtigen Frage slawische Uneinigkeit, und wir sollten möglicherweise eine Abstimmung über diese beiden widersprüchlichen Theorien machen.
Der Name blieb: Unter Vitorazsko - in übersetzten Reiseunterlagen und Büchern: "das Weitra-Gebiet" - versteht man allerdings nicht das heutige Umland der Stadt, sondern wie erwähnt jenes westliche von Gmünd.
Die Stadt ist recht nett und - mit Einschränkungen - einigermaßen erhalten.
Die Herrschaft Weitra im Waldviertel gelangte 1607 an die Familie Fürstenberg, die aufgrund unserer sattsam bekannten schweren politischen Versäumnisse immer noch Eigentümer des Schlosses und des dazu gehörigen äußerst saftigen Großgrundbesitzes in der Umgebung ist.
Im alten Österreich hatten Mitglieder der Familie hohe und höchste Ämter inne, so etwa das des Fürsterzbischofs von Olmütz oder des Bischofs von Brünn.
Anders sieht es natürlich im unweit westlich gelegenen Gratzen aus - die gleichfalls sehr reichen Buquoys wurden nach dem Krieg enteignet, allerdings 1945 und nicht erst 1948.
Zweifellos haben sie für die Gegend ungleich mehr getan und ungleich wertvollere Spuren hinterlassen als ihre Weitraer Pendants: die Schlösserlandschaft von Gratzen mit dem "Garten der Freundschaft", dem Theresiental, das schon Mörike für seine Novelle 'Mozart auf der Reise nach Prag' inspiriert hatte, und vor allem dem 'Sophien-Urwald' im Gratzener Bergland, dem ältesten ausgewiesenen Naturschutzgebiet Europas.
Hier das traurige Ende des letzten Grafen von Gratzen:
http://www.radio.cz/de/rubrik/geschichte/der-letzte-graf-von-gratzen\r
http://www.radio.cz/de/rubrik/geschicht ... on-gratzen
Die Stadt Gratzen spielt eventuell in der Biographie von Hitlers Großmutter und seiner eigenen Abstammung eine Rolle. Bekanntlich ging das Gerücht um, dass Anna Schicklgruber 1836 bei einem Grazer Juden namens Frankenberger in Diensten gestanden und von diesem geschwängert worden sei. Sie stammte aus dem kleinen Dorf Spital bei Weitra, und ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass dieses von der steirischen Landeshauptstadt (bis heute) ziemlich weit entfernt liegt, und dass die Annahme viel naheliegender ist, wonach sie niemals in Graz, wohl aber in Gratzen war. Soviel ich weiß, hat diese Anregung, den Herrn Frankenberger in Gratzen zu suchen, bis heute noch niemand aufgegriffen.
Die Stadt muss ziemlich wohlhabend gewesen sein, war dann nach 45 völlig heruntergewirtschaftet und hat durch die jüngsten Renovierungen sehr viel an Patina verloren. Eine halbe Ringplatzseite ist leider verdorben.
Kurz war schon die Rede vom Gratzener Gebirge, dessen Lage ziemlich eindeutig bestimmt ist.
Die "imposanten Gipfel" Nebelstein und Mandelstein liegen indes eindeutig auch in einem Gebirge, für welches man jedoch auf österr. Seite keinen Namen gefunden hat.
Um Weitra herum findet sich nicht nur eine sehr schöne Landschaft, sondern eine Reihe von bedeutenden Landkirchen, zumeist gotisch, aber auch die romanische Kirche von Altweitra.
Die allergrößte Attraktion der Gegend ist allerdings die Schmalspurbahn Gmünd-Groß Gerungs, die wohl schönste Schmalspurstrecke der Welt über den sog. Kleinen Semmering mit zwei Tunnels. Hier gibt es noch zT Dampfbetrieb (dzt leider nicht, da die letzte Lok kaputt ist. Wenn ihr das Bisherige brav gelesen habt, wisst ihr auch, wo sie repariert wird )
Das wär s.
Ach so - Bilder gibt es auch noch, ich werde morgen damit kleinweise beginnen. Hoffentlich hab ich euch das Maul wässrig gemacht.
Bis dahin könnt ihr den Text eifrig studieren und kommentieren.