Traditionelle Architekten

  • Habe gestern Plakatwerbung für Fachwerkhäuser gesehen mit der Aufschrift „Bauen anno 1830“ oder so ähnlich, kann mich aber leider nicht mehr an das Architekturbüro erinnern.

    Du meinst sicher die aktuelle Kampagne der Deutschen Stiftung Denkmal (die ich übrigens für sehr gelungen halte)?

    Nachtrag; hier der Link: https://www.denkmalschutz.de/service/inform…for-future.html

  • Ich habe das von Klassiker oben gezeigte Haus identifiziert.

    Es befindet sich in Moskau, in dem ziemlich zentral gelegenen Presnenski rayon / Пресненский район.

    Die Adresse ist Malaja Nikitskaja 15 / Малая Никитская 15.

    Erbaut 1912. Der Architekt ist Olgerd Gustawowitsch Piotrowitsch / Ольгерд Густавович Пиотрович (1859-1916), der damals eine ganze Reihe solcher Mietshäuser baute. Das Haus ist auch unter dem Namen seines einstigen Besitzers als Baskakow-Haus / доходный дом Баскакова bekannt.

    Im Jahre 2004 wurde das Haus von der Stadtverwaltung als Sanierungsfall eingestuft. Das folgende Foto entstand im März 2007. Das Gebäude war bereits abgerissen, nur die Fassade stand noch. Im April 2008 war die Situation unverändert. 2009 wurde auch die Fassade abgerissen.

    Moskau, Malaja Nikitskaja 15, gesicherte Fassade (Foto: NVO, März 2007, CC-BY-SA-2.5)

    Moskau, Malaja Nikitskaja, das gelbe links ist Haus Nr. 13, das anschließende Gerüst mit Plane markiert den Standort des abgerissenen Hauses Nr. 15 (Foto: NVO, Sommer 2009, CC-BY-SA-3.0)

    2011 wurde das Baskakow-Haus mit dreifachem Bauvolumen und einer "ziemlich genauen" oder "weitgehend dem Original enstprechenden" Replik der Fassade von Piotrowitsch wiedererrichtet. Die Einschätzung der Qualität der Fassadenrekonstruktion habe ich von dem Moskauer Fotografen übernommen, der solche Projekte eher kritisch sieht. Geeignetes Bildmaterial für einen eigenen Vergleich habe ich nicht gefunden.

    Malaja Nikitskaja 13 (gelb) und Malaja Nikitskaja 15 (grau) (Foto: Gennady Grachev, April 2016, CC-BY-2.0)

    Gennady Grachev (sprich: Gratschow) ist ein versierter Moskauer Architekturfotograf. Er bevorzugt allerdings eine etwas düstere Farbstimmung. Grachev bezeichnet das Haus als "Neubau an Stelle des Baskakow-Hauses" oder auch als "Replik von 2011 nach Motiven des abgetragenen Baskakow-Hauses". Die graue Seitenwand entspricht wohl der ursprünglichen Gebäudetiefe. Der hellere Abschnitt passt aber stilistisch zu Moskauer Häusern dieser Art.

    Malaja Nikitskaja 15 (Foto: Gennady Grachev, April 2016, CC-BY-2.0)

    Details von Malaja Nikitskaja 13 und 15 (Foto: Andreykor, September 2015, CC-BY-SA-4.0)

    Die Aufnahme von Andreykor gibt einen realistischen Farbeindruck. Die beiden Garagentore sind ganz sicher moderne Zutaten, aber doch gut eingepasst. Und es sind nur zwei Tore für Ein- und Ausfahrt. Daneben kommt ein normales Erdgeschoss mit Haustür.

    Malaja Nikitskaja, links Detail der Straßenfassade des Baskakow-Hauses, rechts ein Großbau von 1936-1938, Haus Nr. 16, an dem sich die typische Gebäudetiefe solcher Bauten ablesen lässt (Foto: Gennady Grachev, April 2016, CC-BY-2.0)

    Malaja Nikitskaja 15, Ansicht von der anderen Seite (Foto: Shuvaev, April 2014, CC-BY-SA-4.0)

    Das Foto, das Klassiker oben zeigt, stammt von der auf Architekturthemen spezialisierten russischen Internetseite archi.ru . Der Artikel stammt aus dem Februar 2015 und hat den Titel "Die neuen Möglichkeiten des Glasfaserbetons. Glasfaserbeton - ein Material mit unbegrenzten Möglichkeiten". Es geht darin um das Material für die Fassadengestaltung. Alle Abbildungen in dem Artikel zeigen Fassadendetails Moskauer Häuser bzw. dekorative Elemente, die von der Firma OrtOst-Fassad / ОртОст-Фасад aus "Glasfaserbeton" produziert wurden. Ich fasse das wichtigste aus dem Artikel zusammen. Ich recherchiere aber nicht, was im deutschen Sprachraum zu diesem neuartigen Material bekannt ist.

    Die Fassade des Baskakow-Hauses wurde mit Hilfe von Glasfaserbeton geschaffen, der es erlaubte, das Gebäude seinem historischen Vorbild anzunähern. Glasfaserbeton ist eine Art Kunststein aus feinkörnigem Beton, der mit laugenbeständiger Glasfaser armiert wird. Diese Verbindung verleiht dem Material eine besondere Festigkeit und Langlebigkeit. Erstmals wurde Glasfaserbeton in Russland zu Beginn der 1960er Jahre verwendet, damals für Ingenieurbauten. Erst in den letzten Jahren wurde er zu einem der wichtigsten Dekorationsmaterialien. Führend auf diesem Gebiet ist die Moskauer Firma OrtOst-Fassad. Mit Glasfaserbeton lassen sich die verschiedensten Materialien imitieren (Ziegelstein, Holz, Marmor usw.). Eine breite Palette an Farben ist möglich. Das Material ist billig und leicht in die gewünschte Form zu bringen, haltbar, feuerfest.

    Das von Klassiker gezeigte Haus ist also die Rekonstruktion eines Entwurfs von 1912 und hat eine Betonfassade. Nach meinem Eindruck ist die Rekonstruktion gut gelungen und Glasfaserbeton ein interessantes Material. Ich hatte übrigens bei Klassikers Bild gleich die Vermutung, dass es sich nicht um einen neoklassischen Fassadenentwurf unserer Tage handelt.

  • Rastrelli: gute Recherchen! :smile:. Fand es eigentlich auch all zu gut gelungen für ein Neubau Entwurf. Es gibt aber viele traditionelle Neubauten in den USA, Grossbrittannien die ziemlich gelungen aussehen. Sehe dafür das Wolkenkratzer Forum. Bij Patschke und Nofer bin ich eher kritisch weil die nicht besonders an der Gliederung, Detaillierung, Dächer und Geschosshöhe der Bauten 1900-1918 anknüpfen. Glasfaserbeton könnte also auch in D. benutzt werden.

  • Traditionelle Architekten gibt es in Moskau natürlich auch. Ich möchte hier drei Gebäude von Sergej Tkatschenko / Сергей Ткаченко (englische Schreibweise: Sergey Tkachenko) vorstellen.

    Wohnkomplex "Auf der Trubezkaja" (Straße)

    Erbaut 2010-2013. Bewohnt seit 2014. Hochwertige Eigentumswohnungen zwischen 100 und 260 qm, zwei Parkdecks, zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen (Fitnessräume, Solarium, Bibliothek mit Wintergarten, Kindergarten mit Spielzimmer usw.). Plattenbau, hinterlüftete Fassade mit Natursteinverkleidung, dekorative Fassadenelemente aus Glasfaserbeton, hochwertige Wandverkleidungen im Innern.

    Moskau, Rayon Chamowniki / Хамовники, Trubezkaja 28 / Трубецкая 28, Wohnkomplex "Auf der Trubezkaja"

    (Foto: Svetlov Artem, Dezember 2013, CC-BY-3.0)

    Hier eine Fassadenansicht .

    Auf archi.ru gibt es zahlreiche Fotos dieses Wohnkomplexes, ganz unten auch Innenansichten (wobei der Schwerpunkt auf die Türen gelegt wurde) - Klick


    Wohnhaus "Patriarch"

    Erbaut 2000-2002.

    Moskau, Presnenski rayon, Malaja Bronnaja / Малая Бронная, Haus "Patriarch" (Foto: Myfreeweb, April 2014, CC-BY-3.0)

    Moskau, Blick über die Bolschaja Sadowaja (Straße), der runde Baukörper im Hintergrund ist der obere Teil des Hauses "Patriarch"

    (Foto: Shakko, 2015, CC-BY-SA-4.0)

    Dieses besonders verspielte, reich mit Säulen und auch Skulpturen verzierte Gebäude gilt als eine Ikone des sogenannten Luschkow-Stils, der nach dem damaligen Moskauer Oberbürgermeister benannt ist. Das Haus selbst hat seinen Namen von einem nahegelegenen Teich.


    Verwaltungs- und Wohngebäude "Respekt"

    Fertiggestellt 2008

    Moskau, Presnenski rayon, Bolschoj Gnesdnikowski pereulok 3 / Большой Гнеэдниковский переулок 3, Verwaltungs- und Wohngebäude "Respekt" (Foto: Shakko, 2014, CC-BY-SA-4.0)

    Bolschoj Gnesdnikowski pereulok (Gasse) 3, Haus "Respekt", Detail (Foto: Shakko, 2014, CC-BY-SA-4.0)

    Diese Architektur wird in Moskau durchaus kontrovers diskutiert. Sie hat aber auf jeden Fall dort eine höhere Akzeptanz als in Deutschland und wurde durch den Moskauer Oberbürgermeister (Maire) Juri Luschkow (amtierte 1992-2010) gefördert.

  • Diese Architektur wird in Moskau durchaus kontrovers diskutiert.

    Wie äußert sich das konkret? Gibt es in Rußland also auch Modernisten, die gegen die Verwendung traditioneller Bauelemente Sturm laufen? Oder kommt die Kritik von traditionalistischen Puristen?

  • Ich hoffe, es ist nicht unerwünscht, wenn ich nach und nach die Filme Dieter Wielands hie und da, wo es passt, einpflege.

    Hier ein kritischer Blick auf den neobajuvarischen Landhausstil, von Wieland als "Jodlerstil" verhöhnt. Wieland nicht nur ein unglaublich strenger Lehrer wider allen Kitsches, sondern auch ein Rhetoriker gleichen Ranges wie der Rhetoriker und Redner Franz Josef Strauß.

    Einige Kostproben (lange nicht die besten. Verzeiht auch meine grottenschlechte Umschrift des bairischen. Aber es war nicht ins Standard-Deutsche übersetzbar)

    "Joa herrschaftszaitn, a Windbred is do koa Raizwäschn!"

    "Gsund samma, schmalz hamma, hund samma, und an flins hammer a."
    sinngemäß: wir sind gesund, haben Kraft (Schmalz), wir sind Schlitzohren (gewieft, schlau) und Geld (Vermögen) habern wir auch.

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  • Unerwünscht ist das keinesfalls. Ich habe das Video gerade nur mal überflogen. Aber, die heutige Entwicklung betrachtet, könnten die Bayern sehr froh sein, wenn noch im "Jodler-Stil" gebaut würde.

    Die heutigen Neubauten dieser Region sehen gänzlich unmusikalisch aus. (Z.B. hier, hier oder hier)

  • @Kaoru die Filme sind immer und immer wieder ein wichtiger Augenöffner (gleichsam ein Sehschule), insofern macht das überhaupt nichts, die Videos hier und dort zu posten. Heute ist es nicht mehr der Jodlerstil sondern Toskanastil und sonstige ortsuntypischen Bauten, Schotter"gärten" etc, die die Landschaft verschandeln....

    Heimdall, naja du vergleichst jetzt Bauten in größeren Städten wie Rosenheim oder dem München-nahen Holzkirchen mit im Film eher ländlich geprägten Orten. Auch damals hat man nicht überall im "Jodlerstil" gebaut. Es gibt aber im Oberland mittlerweile eine ganze Reihe aus der Tradition schöpfenden Architekten, die entweder sehr nahe an den Original-Häusern dran sind - ohne rustizierenden Kitsch - oder auf eine Moderne setzen, die sich and die Grundformen anlehnt, und somit auch keine totalen Fremdkörper sind.

    http://erlacher-architekt.de/

    https://www.kammerl-kollegen.de/html/projekt_privat_05.html

    http://www.zimmerei-stoib.de/mehrfamilienhuser-wiessee-projekt

    Freilich, gebaut wird heute in den meisten Orten ohne große gestalterische Einschränkungen, und so ist dementsprechend auch das Ortsbild... Da steht dann Toskanahaus neben Schwedenhaus neben ultramodern (graues Pultdach und zumindest ein Eck verkleidet mit anthrazitgrau- oder dunkelroten Blech ist momentan der letzte Schrei).

  • Snorks Beitrag über Berlin-Wilmersdorf (übrigens ALLE Wohnungen beim Alexander Projekt bereits verkauft - man sieht, traditionelle Architektur "zahlt" sich im wahrsten Sinne des Wortes aus!) hat mich auf die Idee gebracht, wieder auf dei HP von RS zu schauen und siehe da, das neue Projekt aus Düsseldorf - Aschenbach 43 ist auch schon online:

    https://www.ralfschmitz.com/duesseldorf/achenbach43/

    Müsste sich mittlerweile im Bau befinden.

  • Ein liebloser Nachruf, den sich Nikolaus Bernau besser gespart hätte. Unüberhörbar klingt die Arroganz des sich für alle Zeiten überlegen wähnenden Architektur- und Feuilleton-Establishments an, als einer derer Wortführer Bernau seit jeher auftritt. So kann er natürlich auch nicht anerkennen, dass Jürgen Patzschke es jahrzehntelang aushalten musste, von diesem Establishment verachtet, verhöhnt und geschnitten zu werden, obwohl er doch mit seinem Bruder und seinem Büro mehr zur sensiblen, respektvollen Stadtreparatur Berlins beigetragen hat als jeder andere.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • So ist es!

    Nachfolgend einige dieser "Patzschkes", die zum Glück statt anderer Bauten entstanden sind.

    Hotel Adlon, Unter den Linden & Behrenstraße

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    Charlottenstraße N° 35/36, 'Charlottenpalais'

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    Charlottenstraße N°62, 'Dompalais'

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    Jägerstraße N°40, Quartier am AA

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    Kurstraße N°17/Alte Leipziger

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    Niederwallstraße N°31/Alte Leipziger

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    Jerusalemer Straße N°14/HVP

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    Kronenstraße N°8, 'Kronenpalais'

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    Beuthstraße N°5, 'Seydel & Beuth'

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    Seydelstraße N°8, 'Seydel & Beuth'

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    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)