Ent- und Wiederbestuckung von Altbauten


  • Aber auch Primitiv-Lösungen sind in Berlin noch immer an der Tagesordung. Gar zu häufig wird lediglich der Rauputz durch Glattputz ersetzt und angestrichen, obschon man sich die technische Modernisierung einschließlich Dachgeschossausbau einiges kosten lässt. Dabei hätte der Senat in solchen Fällen ein vorzügliches Druckmittel in der Hand: er könnte die Genehmigung des Dachgeschossausbaus an die Bedingung knüpfen, dass den Belangen der Öffentlichkeit Rechnung getragen und die Fassade in ihrer historischen Erscheinungsform wiederhergestellt wird.

    Hier ist noch einiges an Bewusstseinsarbeit zu leisten!

    Ich habe diesen Thread zufällig entdeckt und da mich dieses Thema sehr interessiert, hole ich dieses Thema mal wieder hoch!

    Diese Primitiv-Lösungen sind leider nicht nur in Berlin an der Tagesordnung. Der Dämmwahn, der zur Zeit in Deutschland ausgebrochen ist, macht vernünftige Fassadenrekos auch nicht einfacher, denn die meisten Hausbesitzer scheinen die einfachere und preisgünstigere Variante bei entstuckten Häusern zu bevorzugen (Dämmung an die Fassade, Putz drauf fertig). Damit werden die eh schon gepeinigten Gründerzeitler endgültig verunstaltet.
    Dabei könnten mit verhältnismäßig wenig Mitteln ganze Straßenzüge und Viertel effektiv aufgewertet werden. Ich kann es nicht nachvollziehen, dass das kaum einer realisiert. Damit meine ich insbesondere die Kommunalpolitik und die Bundesländer.
    Den Hausbesitzern mache ich da noch nicht mal so große Vorwürfe. Aber warum werden keine Programme initialisiert, die genau solche Fassadenrekonstruktionen mit einem gewissen Betrag fördern und somit die Hausbesitzer animieren, solche Rekos durchzuführen.

    Ist der Sinn für Ästhetik denn überhaupt noch vorhanden? Man kann nur hoffen, dass die heute so verunstalteten Häuser stehen bleiben und irgendwann die Einsicht kommt. :unsure:

  • Ich denke viele Hausbesitzer sind froh, wenn sie einen bereits entstuckten Gründerzeitler zur Sanierung haben. Gibt keinen Ärger, wenn man auf die schon bereinigte Fassade WDVS aufbringen will. Denn die Entfernung von Stuck wird, ja sollte, MUSS zunehmend unpopulär werden.

  • Glücklicherweise stellt eine gut erhaltene und prächtige Fassade für viele, nicht für alle aber für die Meisten, noch ein moralisches Hindernis dar. Den wirklichen Hammer erleben gerade Wohngebäude der 20er, 30er und wie ich jüngst in Erfurt gesehen hab auch frühen 40er. Siehe hier in der Feldstraße 15a 4 Zimmer Etagenwohnung in Erfurt/Ilversgehofen mit 102 qm (ScoutId 62836374) Vorzustand ist bei Bing recht gut einsehbar
    Da wird alles verpackt solang es nicht denkmalgeschützt ist. Viel zu tun ist nicht. Oftmals sind es nur wenige Stilelemente die diese Gebäude zieren wie bsp. ein ausgeklügeltes Klinkermuster oder umlaufende Riemchenbänder.

    Dass es auch anders geht zeigt diese Beispiel keine 2 Häuser neben meinem ersten Beispiel in der Erfurter Feldstraße Willkür und Gewaltexzess im ehemaligen "Schutzhaft-Lager" – Erfurt | Thüringer Allgemeine .

    Einmal editiert, zuletzt von Saxonia (15. November 2012 um 23:21)

  • Glücklicherweise stellt eine gut erhaltene und prächtige Fassade für viele, nicht für alle aber für die Meisten, noch ein moralisches Hindernis dar. Den wirklichen Hammer erleben gerade Wohngebäude der 20er, 30er und wie ich jüngst in Erfurt gesehen hab auch frühen 40er. Siehe hier in der Feldstraße 15a 4 Zimmer Etagenwohnung in Erfurt/Ilversgehofen mit 102 qm (ScoutId 62836374) Vorzustand ist bei Bing recht gut einsehbar
    Da wird alles verpackt solang es nicht denkmalgeschützt ist. Viel zu tun ist nicht. Oftmals sind es nur wenige Stilelemente die diese Gebäude zieren wie bsp. ein ausgeklügeltes Klinkermuster oder umlaufende Riemchenbänder.

    Dass es auch anders geht zeigt diese Beispiel keine 2 Häuser neben meinem ersten Beispiel in der Erfurter Feldstraße Willkür und Gewaltexzess im ehemaligen "Schutzhaft-Lager" – Erfurt | Thüringer Allgemeine .

    Ja, glücklicherweise, sonst würde die Zerstörung schöner Gründerzeitensemble wahrscheinlich wieder richtig aufleben. :unsure:

    Sind die Gebäude aus diesen Jahrzehnten nicht unter Denkmalschutz? Dann muss man sich wirklich nicht wundern, dass denn sowas entsteht.
    Die Gebäude dieser Epoche sind in MD z.B. nahezu vollständig unter Denkmalschutz, zumindest die Gebäude, die noch Fassadenschmuck oder Verziehrungen aufweisen.

  • Das musst du sicher nicht hier fragen... Die Meinung unsererseits sollte klar sein :wink:

    Du solltest die Kandidatin besser direkt in den Tageszeitungen herausfordern, mit einem kurzen, prägnanten Text. Leider ist es aber so, dass man Leserbriefen keine Bilder beifügen kann, denn ein prägnantes Vergleichsbeispiel wäre natürlich das beste. Oder hast du vielleicht einen direkten Draht zur lokalen Stadtredaktion?

  • Wir könnten ja mal der Henriette schreiben und sie fragen, wie ihre Pläne dahingehend sind.
    Und vielleicht noch den Vorschlag für städtische Unterstützung von Fassadenrekonstruktionen miteinbringen :biggrin:

  • Wer Berlin zum ersten Mal besucht wird bald bemerken, dass mit vielen Altbaufassaden im Straßenbild etwas "nicht stimmt" - offensichtlich vor dem 1. Weltkrieg erbaute Häuser zeigen eine irgendwie kahle, flach verputzte, meist seltsam unproportioniert wirkende Fassade, bei der es sich offensichtlich nicht um den Originalzustand handelt. Hier wurde in späteren Jahren der Stuck abgeschlagen, in Berlin leider konsequenter und häufiger als anderswo. In den meisten Fällen betraf dies die bis in die 1960er Jahre wenig geschätzten gründerzeitlichen Bauten mit Gipsstuck; Naturstein- und Ziegelfassaden sowie historisch bedeutendere Bauwerke waren deutlich seltener betroffen.
    Interessant ist auch, dass, wie dieser Wikipedia-Artikel berichtet, die Grundlagen der Entstuckungen bereits vor dem 1. Weltkrieg in der Verachtung des eklektizistischen Baustils sichtbar wurden. Nach 1918 gab es dann, offensichtlich hauptsächlich in Berlin, einen bereits wenig wertschätzenden Umgang mit gründerzeitlichen Fassaden. Man kann auf historischen Berlin-Fotos aus den 1920er Jahren bereits häufig sehen, dass erste Fassaden abgestuckt und geglättet und mit teils großformatigen Werbeanbringungen versehen wurden. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Entstuckungen fortgeführt, nun auch als "Entschandelungen" tituliert, und nach dem 2. Weltkrieg war das "Glätten" von Stuckfassaden bei Renovierungen anscheinend im Osten und Westen Berlins gleichmaßen üblich. Neulich fand ich in einem Bericht über das Erhaltungsgebiet Schillerpromenade in Berlin-Neukölln die Zahl von 223 abgestuckten Gründerzeitgebäuden von insgesamt 249, also gut 90%. Ähnliche hohe Anteile finden sich in den meisten anderen Bezirken, mit der Ausnahme einiger "Traditionsinseln" wie der Husemannstraße in Prenzlauer Berg oder der Gegend zwischen Bergmannstraße und Chamissoplatz in Kreuzberg.

    Was nun die Sanierung bzw. Wiederbestuckung von entstuckten Gründerzeitlern betrifft, so kann man etwa in Berlin (und andernorts) tatsächlich zahlreiche mehr oder weniger gelungene Ausprägungen in der Gestaltung beobachten, deren kritische Dokumentation und Bewertung in diesem Strang erfolgen soll.
    Für die Berliner Gebiete mit Erhaltungssatzung gibt es Leitlinien für die Sanierung entstuckter gründerzeitlicher Fassaden, in denen unter anderem folgende Empfehlungen gegeben werden (beispielhaft der sehr zu empfehlende Leitfaden für den Umgang mit historischer Bausubstanz im Erhaltungsgebiet Schillerpromenade (pdf):(

    - Rekonstruktionen sind erlaubt (wenngleich sicherlich die absolute Ausnahme)
    - erfundene bzw heute erhältliche vorfabrizierte Stuckelemente werden nicht empfohlen
    - es sollten reduziert gestaltete Elemente zum Einsatz kommen: Wiederherstellung der horizontalen Gliederung, Absetzen der Geschosse mit durchlaufenden Gesims- oder Reliefbändern, Ausbildung von Bossenputz in der Sockelzone, Fensterumrandungen mit aufgesetzten oder eingelassenen Profilierungen.
    - feinkörniger, glatter Putz
    - helle Farbtöne mit leichtem Kontrast zum Nachbargebäude, einheitliche Farbgebung der Einzelfassade incl. der Ornamente, Erker, Balkonbrüstungen;
    - Erhalt bzw. Rekonstruktion historischer Balkone, wenn möglich;
    - Erhalt und ggf. Runderneuerung/Sanierung der historischen Doppelkastenfenster und Fenstergliederungen
    - Verzicht auf Wärmedämmverbundsysteme, unter Würdigung der günstigen energetischen Daten gründerzeitlicher Blockbauweisen, bei denen die Energieeinsparungen durch Fassadendämmung kaum über 6% liegen, und unter Berufung auf §24 EneV, wonach bei "besonders erhaltenswerter Bausubstanz" von den Anforderungen an die Fassadendämmung abgewichen werden kann.

    Folgend ein paar Beispiele aus dem Denkmalbereich Spandauer Vorstadt in Berlin-Mitte (die Aufnahmen sind von 2011-12):

    Reinhardtstraße, zu beachten der rechts angeschnittene wiederbestuckte Bau mit Reliefband über der bossierten Sockelzone und im oberen Bereich, Fensterprofilen, originalgerechter Fensteraufteilung und zurückhaltender Farbgebung:

    Scheunenviertel, zu beachten der linke, vormals sicher komplett kahle Bau in der Straßenflucht mit bossierter Sockelzone, darüber einem doppelten Reliefband, diskreter Fensterumrandung und angepasster Farbgebung - so entsteht mit relativ einfachen Mitteln ein gut eingepasster Bau in einem harmonischen Straßenbild (wenngleich die eigentliche schöne und gefällige Wirkung des Straßenbilds doch ganz überwiegend nur den beiden mittleren Bauten mit erhaltenen Stuckfassaden zu verdanken ist):

    Nicht ganz so geglückte Wiederbestuckung im Denkmalbereich Marienstraße. Etwas "unnatürlich" wirkende Ausdehnung des Bossenputzes bis ins 2. OG, offenbar nicht original vorhandene Balkone links, unschöner Dachgeschoss-Giebelaufbau mit übergroßen Fenstern. Gleichwohl angenehme Farbgebung und qualitativ guter Eindruck:

    Die Beispiele sollen fortgesetzt werden - mindestens ebenso interessant sind Wiederbestuckungen an nicht denkmalgeschützten Gründerzeitlern, die offenbar eher der Wertsteigerung der Immobilie ("Stuckaltbau" als Stichwort in der Vermarktung) dienen.
    Hierzu möchte ich einen interessanten Fund aus einem Nachbarforum verlinken: Todorowa-Architekten, mit Vorher-Nachher-Vergleichen.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Das Grundlagenbuch zu diesem Thema: https://www.bauwelt.de/themen/buecher…ts-2100882.html
    Ein weiterer Entstuckungsgrund Dämmfassaden: https://www.morgenpost.de/printarchiv/be…ckfassaden.html
    Ein Zeitzeuge: http://www.memoro.org/de-de/Die-Ents…inen_12540.html
    Und der schon vorhande Forum Thread Entstuckung von Altbauten früher & heute

    Danke, Wikos, ich hab jetzt meinen Beitrag auf den alten Thread gesetzt - hatte diesen glatt übersehen...
    Snork

    ...

  • Einige Beispiele für mehr oder weniger überzeugende Wiederbestuckungen vom Bereich Kurfürstendamm und Seitenstraßen. Wie der Denkmalkarte Berlin zu entnehmen, befinden sich die Häuser teilweise in Denkmalbereichen. Leider kann ich nicht von allen Gebäuden die genaue Adresse benennen. Die Fotos sind von 2014.

    Recht gut gemachte Fassadensanierung, wobei der Schwerpunkt auf der Bossierung, den Reliefbändern und Fensterprofilen liegt - als "Füllbau" zwischen original erhaltenen Fassaden sicherlich völlig akzeptabel:

    Hier wurde der linke Bau wiederbestuckt. Man beachte den Kontrast zur original erhaltenen Fassade rechts! Erwähnen sollte man übrigens, dass die Innen-Eingangsbereiche sowie die oft opulenten Treppenhäuser in der Gegend meistens im Ursprungszustand erhalten sind - es lohnt sich, bei einer Gelegenheit mal einen Blick hineinzuwerfen:

    Ein fassadensanierter Bau direkt am Kurfürstendamm.

    Weitere Ansicht. Leider wirkt der Eckgiebel mit den unpassend hohen Fenstern ziemlich plump, um nicht zu sagen hässlich... allerdings wurde diese Fassade meiner Erinnerung nach schon in den 1990ern saniert; damals war das Niveau noch schlechter.

    Fasanenstraße. Gemeint ist das links sichtbare Haus. Ziemlich gut gemacht, finde ich; insbesondere ist der Gesamtablauf der Fassaden nun sehr schön einheitlich erlebbar. Es handelt sich um einen Denkmalbereich.

    Direkt am Kurfürstendamm. Der linke Bau:

    Uhlandstraße. Nicht so gelungen. Hier kann man sehr schön erkennen, wie erheblich störend sich unterschiedliche Farbgebungen innerhalb einer Fassade auf den Gesamteindruck auswirken.

    Beim folgenden Gebäude war der Stuck anscheinend teilweise erhalten. Das oberste Geschoss wirkt aufgesetzt. Störend auch hier der dunkle Sockelbereich.

    Beim folgenden Haus rechts im Bild wurden die beiden unteren Geschosse leider grau abgesetzt. Im oberen Bereich wurde die Fassade anscheinend nur weiß gestrichen. Negativ wirkt sich insbesondere die fehlende Ausbildung von Fensterbedachungen bzw - profilen aus. Dadurch ergibt sich ein dysproportioniertes Gesamtbild. Aber nun gut, als Füllbau sicherlich hinnehmbar.

    Beim folgenden Haus kenne ich den Vorzustand nicht, ich vermute eine weitgehende Neubestuckung. Der Gesamteindruck ist stimmig. Etwas seltsam freilich die roten Schindeln im Sockelbereich.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • @Snork

    Mitunter sehr schöne Beispiele und besonders gut gefällt mir, die (bis auf die genannten Ausnahmen) einheitlich helle Fassadenfarben, die ganze Ensembles nebeneinander stehender Gründerzeithäuser sogar richtig groß- um nicht zu sagen weltstädtisch aussehen lässt! Die Richtung stimmt und da in Berlin aktuell eh nur noch Eigentumswohnungen (vor allem im Bereich des Altbaus) wirtschaftlich verwertet werden können, werden wir in Berlin hoffentlich die nächsten Jahre viel mehr solcher Fassadenrekonstruktionen sehen dürfen!

    Schrecklich finde ich aber die Nachkriegskäfige, die ab den 60er Jahren sukzessive neben den ehrwürdigen Altbauten entstanden sind! Kann man hier überhaupt noch von artgerechter Haltung sprechen?

  • Hier in Leipzig werden entstuckte Fassaden teilweise nach Archivfoto nachgefertigt. Die Ergebnisse sind, wenn der Stuckateur fähig ist, hinreißend.

    Unabdingbare Voraussetzung ist allerdings eine handfeste, sichere und detailgenaue Kenntnis der Materie.

    Habe auch schon Häuser gesehen, wo der Bauherr Stuck gewünscht hat und der Baubetrieb offensichtlich nicht wußte, wo und wie er das Zeug anbringen sollte. Da wurden dann auch schon mal Einzelteile kopfüber angebracht oder atypisch über die Fläche verteilt.

    Es bedarf auf jeden Fall einer detailgenauen Planung, bei welcher der Teufel bekanntlich im Detail sitzt. Ich hatte schon die Ehre, beim Neuentwurf des (Innen- und Außen-)Stuckes am Herrenhaus Möckern in Leipzig mitzuwirken. Es braucht irrsinnig viel Zeit, Quellensuche, Vergleichsstudien, Detailentwürfe für Gesamtansicht, Querschnitte etc.

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    (Quelle SW-Foto: Pro Leipzig e.V.) Alle anderen Fotos sind von mir

    Das SW-Foto zeigt das Hauptreppenhaus in den 1920er Jahren. Sämtlicher Stuck dort sowie nahezu alles an der Fassade war geglättet worden.

  • Snork 15. März 2020 um 12:28

    Hat den Titel des Themas von „Entstuckung von Altbauten früher & heute“ zu „Ent- und Wiederbestuckung von Altbauten“ geändert.
  • Hier mehrere Beispiele für eher zurückhaltende Fassaden-Wiederbestuckungen im Rahmen von Sanierungen im Umfeld des Babelsberger Zugangs zum Schlosspark Babelsberg. Voraufnahmen habe ich nicht zu bieten, die Gegend ist nicht in Streetview abgedeckt.

    Generell ist Potsdam ein positives Beispiel für denkmalgerechte Sanierungen im gesamten Stadtgebiet (nicht wie in Berlin nur in einzelnen Denkmalbereichen). Diese Fürsorge und Sorgfalt im Umgang mit der historischen Bausubstanz wirkt sich, auch wenn man sie gar nicht bewusst wahrnimmt, nach meinem Eindruck vorteilhaft auf das gesamte Lebensgefühl und weitere menschliche Konditionen dort aus. Auch Besucher, die sich eigentlich kaum für Fragen von Baukultur und Denkmalschutz interessieren, werden davon berührt, wie ich immer wieder beobachten kann (da ich ja nicht nur alleine unterwegs bin). Eigentlich wird diese immaterielle Werthaftigkeit der Stadtbildpflege viel zu wenig erforscht und gewürdigt, und wenn, dann eher im negativen Bereich ("Broken Window"). Durch die gesellschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre werden diese Dinge teils sogar vermehrt aktiv behindert und diskreditiert, Stichwort Gentrifizierungskritik.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Ich möchte gerne ein Beispiel aus Köln nennen, wo es zwar nicht um Wiederbestuckung (der Stuck wurde nie entfernt) aber das Wiederbekrönen eines Eck-Erkers ging.

    In den 80ern sah es das Gebäude an der Ecke Moltkestraße/Aachener Straße so aus:

    k%C3%B6ln_neustadt_s%C3%BCd_renovierte_fassade_denkmal_denkmalschutz_konservator_stadt_historisch_347c158896_600x450xfr.jpeg

    1986 bekam das Haus dann seine "Haube" zurück:

    k%C3%B6ln_neustadt_s%C3%BCd_moltkestr_65a_denkmal_denkmalpflege_konservator_stadt_historisch_5ec399629_600x450xfr.jpeg

    Heute sieht es so aus:

    Köln Ecke Aaachener Straße Moltkestraße

    Durch die Bekrönung ist das Haus wieder ein absoluter Hingucker in einem, sagen wir, gemischten Umfeld, wie man auf dem Bild schon sehen kann. Ich freue mich jedesmal, wenn ich daran vorbei komme.

    Noch ein paar Details vom eher aufwändigen Stuck, ob das nun plumpe Köppe oder hochwertige Kunst ist, müssen andere Experten hier klären :lachentuerkis::

    Köln Ecke Aaachener Straße Moltkestraße

    Köln Ecke Aaachener Straße Moltkestraße

  • Anhand eines kleinen Fotospaziergangs durch den Berliner Denkmalbereich Spandauer Vorstadt in Mitte möchte ich einige Beispiele unterschiedlich gelungener Re- und Neustuckierungen zeigen. Insgesamt kann man nicht genug betonen, wie wichtig es für ein schönes Straßenbild ist, dass die Fassaden eine am historischen Vorbild orientierte Farbgebung aufweisen und ein Mindestmaß an Gliederung und Strukturierung aufweisen.

    Beginnen wir mit der vorgründerzeitlich geprägten Sophienstraße nahe dem Hackeschen Markt:

    (Streetview)

    Eingang von der Rosenthaler Straße:

    Sophienstraße Berlin 11-2020

    Die Restuckierungen am 3. bis 6. Haus von rechts wirken sich positiv auf das Straßenbild aus:

    Sophienstraße Berlin 11-2020

    Einzig die nach oben spitzen Fensterverdachungen im 1. OG scheinen nicht ganz perfekt - ansonsten vorbildlich sanierte Fassade:

    Sophienstraße Berlin 11-2020

    Nachfolgend ein sehr lobenswertes Beispiel einer zurückhaltenden und schönen Neugestaltung einer aller Wahrscheinlichkeit nach zuvor abgestuckten Fassade (habe leider keine älteren Fotos - vielleicht kann jemand aushelfen?):

    Sophienstraße Berlin 11-2020

    Bossenputz in ganzer Gebäudehöhe:

    Sophienstraße Berlin 11-2020

    Straßenbild:

    Sophienstraße Berlin 11-2020

    Ecke Große Hamburger Straße:

    Sophienstraße Berlin 11-2020

    Fortsetzung folgt...:harfe:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Danke für den Hinweis, Götzenhainer - hier die Baudokumentation von Mantikor von 2016. Da sieht man mal, wie gut eingepasst dieser Neubau ist...:zwinkern:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Weitere mehr oder weniger gelungene Fassadensanierungen im Bereich Linien- und Auguststraße:

    Berlin - Denkmalbereich Spandauer Vorstadt 11-2020

    Berlin - Denkmalbereich Spandauer Vorstadt 11-2020

    Berlin - Denkmalbereich Spandauer Vorstadt 11-2020

    Berlin - Denkmalbereich Spandauer Vorstadt 11-2020

    Berlin - Denkmalbereich Spandauer Vorstadt 11-2020

    Berlin - Denkmalbereich Spandauer Vorstadt 11-2020

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Und weiter geht's mit unserem kleinen Spaziergang durch die denkmalgeschützte Spandauer Vorstadt an Linien- und Auguststraße.

    Das folgende Beispiel des Eckhauses Oranienburger-/Friedrichstraße zeigt ganz gut, dass eine angenehme Farbgebung, Bossenputz, Gesimse und Fensterrahmungen bereits einen sehr guten Gesamteindruck bewirken können. Einziger Wermutstropfen sind die meines Erachtens unpassenden Dachaufbauten: das breit herausragende Terrassendach und der sicherlich gut gemeinte, aber doch recht grobschlächtige Eckturm.

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Das folgende Beispiel lehrt m.E., dass unhistorische Fensterverdachungen meistens dann doch nicht so recht passen. Da wäre es vielleicht besser gewesen, das Geld dafür zu sparen und sich auf schlichte Fensterrahmungen und Gesimse zu beschränken. Auch die Mini-Balkone stören das Gesamtbild:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Die folgende Fassade finde ich sehr schön, auch wenn die Farbe etwas weniger zitronig hätte sein können:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Sicherlich unhistorisch, aber nicht so schlecht:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Oberhalb des Hochparterres machen sich die fehlenden Fensterrahmungen nachteilig bemerkbar:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Erst beim nachträglichen Bildbetrachten ist mir aufgefallen, dass rechts ein Teil der gründerzeitlichen Originalfassade erhalten geblieben ist. Auch bei diesem Haus fehlen die Fensterrahmungen, und die Spitzdachaufsätze passen nicht so recht dazu:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Die folgende Fassade ist eine recht eigenwillige Kreation. Sieht immer noch um Längen besser aus als der entstuckte Nachbar zur Rechten:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Den folgenden Eckbau finde ich durchaus gelungen wiederbestuckt. Betonte Gesimslinien, Bossenputz-Rustizierung bis über die halbe Gebäudehöhe:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Auch sehr schön. Diese schlichten Fensterverdachungen passen am besten. Nur die Ecke hat man irgendwie vergessen:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Beim folgenden Bau sieht man sehr gut, wie negativ sich eine fehlende Fassadengliederung auf das Fassadenbild auswirkt:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Recht schön:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Angepasste Plattenbauten aus den 1980er Jahren. Ganz ordentlich gemacht:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Der nachfolgend mittige Eckbau ist schon auf den ersten Blick passender, schöner als der links im Hintergrund sichtbare Eckbau an der Torstraße. Bei letzterem wirkt die fehlende EG-Rustizierung und die fehlenden Gesimse schon von weitem nachteilig. Dabei kann man mit vergleichsweise geringem Aufwand eine entstuckte Fassade ganz erheblich verbessern:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    So wie hier:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Oder hier:

    Spandauer Vorstadt 11-2020

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir