Kandidaten für "das hässlichste Gebäude"

  • Stimme ich zu. Bei solchen Ensembles auf der grünen Wiese ist der Brutalismus für sich und kann eine gewisse Wirkung entfalten.
    Studieren würde ich da nicht wollen, aber zum besuchen ist es mal ganz interessant und für sich erhaltenswerter als viele todesbanale Hochschulneubauten der letzten Jahre, ohne jedes erkennbare Konzept oder Gestaltungsanspruch.

  • Warum wird denn so ein Brutalismus gerne "totsaniert", "angestrichen mit Farbe"? Weil er wüst ist, weil der offene Beton so altert, dass der Verfall sich beschleunigt und nicht stabilisiert, weil es oft um Probleme mit mangelndem natürlichen Licht geht, weil gefährliche Baustoffe verwendet wurden und weil die Energieverbräuche kaum in den Griff zu bekommen sind. Das ist und war menschenfeindliche Architektur. Wer Menschen zwingt sich in einer künstlichen Umgebung aufzuhalten, die kahl ist, mit wenig Licht, ungesunden Baustoffen, schlechten Wärmeeigenschaften, kaum in gutem Zustand erhalten werden kann, also meist gammlig aussieht ,und gerne erschlagende/erdrückende Dimensionen (oft die Assoziation mit "brutal") aufweist, der braucht sich nicht wundern, wenn sowas nicht erhalten wird. Die Welt ist kein Museum, sagen oft die Verfechter der Moderne, gleiches gilt für diese Denkmäler der Ignoranz und Menschenfeindlichkeit.

  • Das stimmt. Der Brutalismus hat die letzten Jahre viele "Fans" auch außerhalb der Architektenblase gewonnen.
    Ob sich dieser Trend nochmal umkehrt und wie, das ist fraglich.

    Ich finde ja, diese Bauten stehen für die Hybris des Erdölzeitalter-Hochpunktes und seinen blinden Fortschrittsglauben. Konsequenterweise endete diese Architektur dann auch weitgehend mit der Ölkrise 1979/80.

  • Das stimmt. Der Brutalismus hat die letzten Jahre viele "Fans" auch außerhalb der Architektenblase gewonnen.
    Ob sich dieser Trend nochmal umkehrt und wie, das ist fraglich.

    Allerdings. Die Facebook Gruppe "Brutalism Appreciation Society" hat über 190.000 Mitglieder.

    Da haben wir mit der auf Ästhetik ausgelegten "Architektur Rebellion" mit den knapp 4.000 Mitgliedern noch einiges aufzuholen.

  • Solche Bereiche werden mittlerweile vielerorts bis zur Unkenntlichkeit kaputtsaniert und sehen dann fast immer noch viel schlimmer aus als vorher.

    Das gilt meiner Auffassung nach für die meisten Bauten, z.B.aus den 1950er Hahren, die uns heute häßlich erscheinen, aber kaum noch jemals im Urzustand erhalten sind, sondern durch Modernisierungen mit Dämmplatten, ungeteilten Kunststofffenstern statt der filigranen Originalfenster etc. entstellt auf uns gekommen sind. Jedes Gebäude ist eigentlich als Gesamtkunstwerk zu betrachten, wobei jedwede Modernisierung oder Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist in der Regel eine Verschlimmbesserung bedeutet.

    Das gilt meiner Meinung nach im Besonderen gerade für ein Brutalismus-Gebäude wie das Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Charité Berlin (1966-1974) von Daniel Gogel und Herrmann Fehling, das ich irgendwie genial finde und das heute noch absolut avantgardistsch wirkt (diente des öfteren auch schon als als Filmkulisse).

  • Jedes Gebäude ist eigentlich als Gesamtkunstwerk zu betrachten, wobei jedwede Modernisierung oder Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist in der Regel eine Verschlimmbesserung bedeutet.

    Das würde bedeuten, dass man Gebäude nicht aktualisieren könnte. Ein Gebäude müsste weitgehend auf dem Stand seiner Bauzeit verbleiben, oder abgerissen werden.

    So funktioniert aber die Architektur erst seit der Moderne. Davor wurden Gebäude mehrfach überformt, Fassaden ausgetauscht, Fensterformate verändert, Erweiterungen eingearbeitet. Ich möchte das nicht glorifizieren, jeder kennt die daraus hervorgegangenen Kompromisse an solchen Bauten. Manches mag auch dadurch verschwunden sein oder musste wieder zurückgebaut werden. Doch die Bauten aus vormodernen Zeiten haben diese Veränderungen zugelassen, sie haben nicht vollständig ihren Wert eingebüßt.

    Gebäude sind etwas Lebendiges. Gebäude, die sich nicht aktuellen Ansprüchen anpassen lassen, sind tote Kunst. Ja man kann sie ausstellen, mal vorbeifahren und sich anschauen, wertschätzen als Ausdruck einer bestimmten Zeit, aber wirklich nutzen, damit leben möchte keiner so recht. Gerade moderne Architektur, die eigentlich technisch die besten Möglichkeiten aller Zeiten hatte, um sich lebendig neuen Ansprüchen anpassend zu gestalten, versagt in diesem Aspekt überraschend oft. Gut erkennbar u.a. daran, wie die Gebäude in deutlich geringem Alter bereits wieder abgebrochen werden.

    Moderne Sanierungen schaffen darüberhinaus es genauso schwer nur, sich auf das Bestehende einzulassen und damit etwas Einheitliches zu schaffen. So entsteht das Parodox, dass moderner Nachkriegsbau geschützt werden soll vor moderner Sanierung. Und macht aus lebendigen Häusern tote Kunst.

  • Im DAF ist mir in diesem Strang hier eine einzigartige Kaskade an Neubauten aufgefallen, sodass ich sie hier teilen muss:

    Wilmersdorf, Halensee, Grunewald, Schmargendorf | Kleinere Projekte - Deutsches Architekturforum
    Auf der Seite von Graft-Architekten [URL:http://www.graftlab.com/] gibts u.a. auch einen wie ich finde wirklich sehr gelungen Entwurf für ein Eckgebäude…
    www.deutsches-architekturforum.de

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    Bildrechte: WVM Immobilien

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    Bildrechte: Backstein im DAF

    achtunseins06.jpgBildrechte: Backstein im DAF

  • Ok, danke! Vielleicht kann Badner ja etwas dazu sagen. Baden-Baden ist nun immerhin Weltkulturerbe. :koenig:

    Das Foto zeigt allerdings nicht die Müller-Filiale in Baden-Baden, sondern diejenige in Offenburg, was ca. 30 km südlich liegt. :biggrin:

    Offenburg hat ansonsten eine überwiegend recht hübsche, vergleichsweise gut erhaltene Altstadt, abgesehen von ein paar modernen Ausreißern wie auf dem Foto zu sehen.


    Offenburg:

    https://www.schwarzwaldportal.com/wp-content/uploads/2021/11/Offenburg_279554554-Gross.jpeg

    https://www.mobilitaetsnetzwerk-ortenau.de/fileadmin/media/mobilitaetsnetzwerk-ortenau/Kommunen/Offenburg/Header_Offenburg_web.jpg

    Offenburg aus der Vogelperspektive: Stadtansicht vom Innenstadtbereich in Offenburg im Bundesland Baden-Württemberg, Deutschland
    Stadtansicht vom Innenstadtbereich in Offenburg im Bundesland Baden-Württemberg, Deutschland. Im Luftbild-Archiv von euroluftbild.de finden Sie faszinierende…
    www.luftbildsuche.de

    „Sollt ich einmal fallen nieder, so erbauet mich doch wieder!“ (Inschrift am Schwarzhäupterhaus in Riga)

    Nach Baden-Baden habe ich ohnedies immer eine Art Sehnsucht.
    Johannes Brahms (1833-1897)

  • Stimmt, ich konnte mich sogar latent an dieses Gebäude erinnern, gelegen in der Hauptstraße in Offenburg, gleich neben der Kirche Heilig Kreuz, oben links in der Luftaufnahme.

    Gegenrichtung mit Blick zur Stadtkirche:

    Und die Heilig-Kreuz-Kirche gleich daneben:

    Ich finde Offenburg aber eher durchwachsen, jedoch keinesfalls häßlich.

    Easy does it.

  • Ich finde Offenburg aber eher durchwachsen, jedoch keinesfalls häßlich.

    Ja, das ist nachvollziehbar. Es kommt ein wenig darauf an, an welchen Straßen und Plätzen man ist. Das benachbarte Gengenbach im Kinzital hingegen ist zwar deutlich kleiner, aber dafür eine geschlossene Fachwerk-Idylle.

    „Sollt ich einmal fallen nieder, so erbauet mich doch wieder!“ (Inschrift am Schwarzhäupterhaus in Riga)

    Nach Baden-Baden habe ich ohnedies immer eine Art Sehnsucht.
    Johannes Brahms (1833-1897)

  • Allerdings. Die Facebook Gruppe "Brutalism Appreciation Society" hat über 190.000 Mitglieder.

    Da haben wir mit der auf Ästhetik ausgelegten "Architektur Rebellion" mit den knapp 4.000 Mitgliedern noch einiges aufzuholen.

    Nun ja, die deutschsprachige Architektur-Rebellion hat ja erst kürzlich begonnen. In Skandinavien hat die Bewegung schon annähernd 200.000 Follower insgesamt, also ähnlich groß wie dieses Brutalismusdingsbums.

    Und darüber hinaus gibt es ja auch noch solche Kanäle:

    ArchitecturalRevival (über 100.000 Follower auf twitter und 145.000 auf facebook)

    NewClassicism (von classicist.org (ICAA)


    Wrath of Gnon (über 140.000 Follower), viele Architekturbeiträge, viel Kontroverses

    Mein Favorit: New Traditional Architecture (facebook Gruppe mit 36.000 Mitgliedern)


    Architects Against Humanity auf twitter. Bis vor kurzem über 100.000 Follower. Scheinbar gelöscht - fragt sich warum..

    Und dann gibt es noch die unzähligen Gruppen über Altbauten, historische Architektur, Sanierung, Denkmalpflege, Haunted / Lost Places, usw.


    Also insgesamt ist die Anhängerschaft klassischer und traditioneller Architektur auf Social Media riesig, viel größer als beim Brutalismus. Sie ist nur wohl weniger vernetzt und gemeinsam organisiert, deutlich lokaler und weniger global orientiert. Doch da tut sich ja auch einiges, unter anderem durch AU/AR, INTBAU, NewTrad und verschiedene Initiativen.

  • Ich nenne mal ein lokales Beispiel. Die Seite ,,MG anders sehen" (Schwerpunkt ist es, Mönchengladbach nochmal neu zu erforschen) hat mittlerweile über 6000 Follower und wenn man sich die eingereichten Fotos anschaut, sind es meistens historische Bauwerke. Ab und zu taucht auch mal ein moderneres Gebäude auf, aber das sind dann überwiegend Beispiele aus der Postmoderne wie das Museum Abteiberg. Also eine Architekturepoche, mit der man etwas anfangen kann. Es gibt auch immer wieder gemeinsame Erkundungstouren in den Stadtteilen und die letzte hatte das Thema Fachwerkhäuser.

    https://instagram.com/mg_anders_sehen?igshid=YmMyMTA2M2Y=

  • Ein gerade fertiggestellter Bau:

    Man sollte sich nicht vom optimistischen rot-orange täuschen lassen:

    Hier stand einst das Union-Gebäude des Kaufmännischen Vereins, erbaut glaube ich in den 1890-Jahren (ungefähr). Ein schönes Haus. Heute dagegen ca. 200 Meter vom historischen Bremer Marktplatz entfernt.....

  • Ein gerade fertiggestellter Bau

    Ich vermute, dass das Graffiti an der Seite bewusste Zutat ist? Als hip-trendige "Kunst am Bau"?


    Man sollte sich nicht vom optimistischen rot-orange täuschen lassen

    Wenn dafür nichts wertvolles abgerissen wurde, ist der Bau jetzt keine komplette Katastrophe. Er ist jedenfalls nicht schlimmer als Massen von Nachkriegsarchitektur, die in unseren Städten zu finden ist. Keine Schönheit, aber auch nicht das "hässlichste Gebäude". Es sei denn, man will 50% der bundesdeutschen Städte zum hässlichsten Gebäude küren. :zwinkern: :lachen:

  • Gerade moderne Architektur, die eigentlich technisch die besten Möglichkeiten aller Zeiten hatte, um sich lebendig neuen Ansprüchen anpassend zu gestalten, versagt in diesem Aspekt überraschend oft.

    Das Hauptpropblem sind mE die heutigen Baustoffe und -methoden, vor allem der Bau mit Beton. Vorher hat man überwiegend mit Holz, Lehm, Ziegeln, Stein usw. gebaut, da konnte man leichter Durchbrüche und Veränderungen schaffen und das Baumaterial weiterverwenden. Man war auch zu menschlicheren und natürlicheren Konstruktionsweisen und Größen "gezwungen".

    Heute produziert man aufgrund der Funktionsweise der Bauindustrie fast immer nur kurzsichtigen Müll und vieles lässt sich kaum umbauen, weil die starren Betonstrukturen das nicht zulassen. Ständige Reparaturen schlechter Bauten sind natürlich auch ein einträgliches Geschäft.

  • Das Hauptpropblem sind mE die heutigen Baustoffe und -methoden, vor allem der Bau mit Beton.

    Oder etwas abstrahierter, denn im Grunde ist das auch das von Dir beschriebene Problem des Betons, das Hauptproblem ist das des Verklebens. Verkleben ist eine industrielle Methode, um ohne große manuelle Arbeit in kurzer Zeit etwas zusammenzusetzen. Das hat dann nicht nur Auswirkungen auf die Gestaltung und Anpassbarkeit, sondern auch auf die Wiederverwendbarkeit bei Abbruch. Wir produzieren da Single-Use Produkte im ressourcenintentivsten Gewerben überhaupt. Ein Schritt zur besseren und nachhaltigeren Gestaltung könnte die Vorgabe sein, Verklebungen nur noch reversibel zuzulassen und der Rest muss modular aufgebaut werden, statt verklebt.

  • Ich habe noch einen tollen Kandidaten in Dresden. Der Bau fügt sich wunderbar in den Altbestand ein.. :crying:

    Eine exemplarische Gegenüberstellung des Begriffs Baukultur in der Vergangenheit und der Gegenwart. Wann haben wir aufgehört, die Schönheit zu ehren?

    In dubio pro reko