• Aus der Luft betrachtet macht Bielefeld immer noch einen vergleichsweise guten Eindruck für eine kriegszerstörte Großstadt. In der zentralen Obernstraße steht noch einiges aus der Vorkriegszeit. Alter Markt und Klosterplatz wirken recht stimmig, mit Abstrichen scheint auch der Papenmarkt erträglich zu sein. Einige Gründerzeitbauten liegen über das gesamte Altstadtareal verstreut. An die Altstadt, die wie gewohnt im Bombenkrieg perfekt ins Visier genommen wurde, grenzen größere Gründerzeitbestände in lockerer, villenartiger Bebauung. Die Ausgangslage erscheint mir deutlich besser als bei vielen anderen zerstörten Städten in NRW. Schon mit einer geringen Zahl an Abrissen der größten Nachkriegsbausünden und entsprechender Neubauung ließe sich viel bewirken.

    Abgesehen von den Kriegszerstörungen gab es offenbar, wie Leipziger ausführlich darlegte, in den 20er, 30er und 50er Jahren etliche unnötige Abbrüche wertvoller vorindustrieller Bausubstanz. Anhand des bisher gezeigten Bildmaterials sind in meinen Augen die bittersten Verluste Niedernstraße 12 (um 1600, abgerissen 1927) und Kreuzstraße 37 (bez. 1633, abgerissen um 1955).

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Das 1929 erbaute Haus der Technik am Jahnplatz erhielt jüngst seinen gläsernen Lichtturm zurück, der im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde:

    BIELEFELD MITTE: Lichtturm lässt Jahnplatz strahlen | Neue Westfälische: Zeitung, Tageszeitung für Bielefeld, Schloß Holte-Stukenbrock, Oerlinghausen, Leopoldshöhe, Werther, Steinhagen, Borgholzhausen - Neue Westfälische - Bielefeld

    Beim Wiederaufbau nach dem Krieg wurde das obere Geschoss des Gebäudes allerdings verändert wiederaufgebaut, so dass es heute - auch nach der Rekonstruktion des Lichtturmes - nicht mehr vollkommen dem Originalzustand entspricht. Den oberen Abschluss bildete ehedem ein Fensterband, das durch ein Gesims von den übrigen Geschossen deutlich abgesetzt war:

    http://www.hood.de/img1/full/2187/21873156.jpg

    http://www.bielefeld.de/ftp/bilder/aem…11109_1_235.jpg

    Nach dem Krieg wurde das Haus wiederhergestellt und die Fenstereinteilung des letzten Geschosses denen der übrigen angeglichen. Darüber erhebt sich jetzt eine Art Mezzaningeschoss mit rautenförmigen Fenstern. Der Nebentrakt wurde ebenfalls aufgestockt und mit einem etwas zurückversetzten Geschoss versehen:

    http://www.direkt-bielefeld.de/img/posts/originals/47315.jpg

    Hier mehr Infos zu Bielefelds erstem Hochhaus:

    Bielefeld - 01112009

  • Kaum habe ich den skandalösen Abbruch des Wiesenschen Hauses in Nienburg/Weser (=Lange Straße 34) einigermaßen verdaut, da ereilt mich eine weitere Schreckensnachricht aus meiner Heimatstadt Bielefeld: Das Haupthaus des Hofes Meyer zu Sudbrack wurde in dieser Woche abgebrochen!

    Man mag es kaum glauben, aber der stattliche, ortsbildprägende Vierständerbau mit Krüppelwalmdach (Foto) stand nicht unter Denkmalschutz und wurde zugunsten einer Seniorenwohnanlage abgebrochen:

    http://www.nhv-ahnenforschung.de/Torbogen/Orte/…us_Falkmann.jpg

    Hier der reich beschnitzte Torbogen, der erhalten werden soll:

    http://www.nhv-ahnenforschung.de/Torbogen/Orte/…n-Ehrdissen.jpg

    Die übrigen Balken sollen in der Möbelindustrie verwertet werden!

    Der Hof gab übrigens einem ganzen Stadtteil seinen Namen! Das Gebäude wurde ursprünglich 1820 auf dem Hof Falkmann im lippischen Hovedissen (heute [[Leopoldshöhe]]) errichtet und nach dem Brand des alten Haupthauses in Sudbrack 1868 am jetzigen Standort wiederaufgebaut.

    Auf dem Gelände soll eine Seniorenwohnanlage entstehen. Es werden wieder einmal die typischen Flachdachklötze sein:

    http://www.nw-news.de/owl/bielefeld/…tt_Gewerbe.html

    Am Mittwoch dieser Woche begannen die Abbrucharbeiten, nachdem alle Bemühungen, das Haus doch noch zu retten, scheiterten:

    http://www.nw-news.de/owl/bielefeld/…und_Steine.html

    Dass das Haus angeblich so marode war, dass man es nicht erhalten konnte, mag ich kaum glauben. Eine Unterschutzstellung aufgrund der "unfachmännischen Restaurierung" letztendlich nicht in Frage gekommen.

    Bielefeld ist wieder um ein stadtbildprägendes, historisch wertvolles Gebäude ärmer!

  • Noch ein weiterer Artikel über das alte Hofgebäude:

    http://www.nw-news.de/owl/bielefeld/…ahrzeichen.html

    Mit einer guten und durchdachten Planung hätte man aus dem Haus sicher etwas machen können. Es hätte - als Café oder Seniorentreffpunkt genutzt - zum Zentrum der Wohnanlage werden können. Ein Blickfang wäre es allemal gewesen und somit wäre auch das Wahrzeichen Sudbracks erhalten geblieben. Anstatt hier wieder einmal nichtssagende Wohnklötze hinzustellen, hätte man das historische Gebäude als Maßstab für die Neubauten nehmen können.
    Aber der Wille war einfach nicht da. Doch nicht nur den Bauherrn und den Architekten trifft die Schuld, sondern auch die Stadt, die zu leichtfertig eine Abbruchgenehmigung erteilte.

    Jahrelang wurde der Bau von der Baugesellschaft Sudbrack gepflegt und gehegt und nun - offenbar in einer Nacht- und Nebelaktion einfach zerstört. Es ist eine Schande! Die Denkmalpflege hat wieder einmal einfach geschlafen. Das Haus war sehr gut erhalten, das Fachwerkgerüst intakt und die Deele noch unverbaut. Andere Gebäude, die in der Bielefelder Denkmalliste geführt werden, weisen erheblich weniger Originalsubstanz auf als dieses Haus. Der Beckhof etwa ist so stark verändert und durchsaniert, dass er eigentlich nichts mehr auf der Denkmalliste zu suchen hätte:

    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…adt-Beckhof.jpg

  • @Ravensburger: wieder einmal unglaublich (oder auch nicht), dass ein solches Gebäude so einfach abgerissen wird. Die Denkmalpflege hat leider nicht "wieder einmal einfach geschlafen". Wie du ja einführend auch schreibst, hat die Denkmalpflege wohl wieder einmal mit voller Absicht und bewusst wegen ihrer allseits bekannten ideologischen Doktrinen den Abriss nicht verhindert:

    Zitat

    weil das Haus nicht mehr originalgetreu sei und die Teile aus mehreren Baustadien stammen würden. Vor Jahren habe die Baugesellschaft zudem prüfen lassen, ob der Hof unter Denkmalschutz gestellt werden könne. Mit der Begründung einer "unfachmännischen Restaurierung" sei auch dies nicht möglich gewesen.


    http://www.nw-news.de/owl/bielefeld/…tt_Gewerbe.html

    Ein kleiner Trost ist es (nicht wirklich), dass die hässlichen Neubauten sich bestens in die umgebende triste Bebauung einfügen, wie Zenos google.maps Link zeigt

  • Das war gewissermaßen ein Nacht+Nebel-Abriss:
    1) Gespräche des Eigentümers (Baugesellschaft Sudbrack) mit der Baubehörde der Stadt hinter verschlossenen Türen
    2) Beauftragung des Abrissunternehmens
    3) Info über die Presse - Tenor: das ganze ist alternativlos und wir sind ja so bemüht (Tränendrüse, Halbwahrheiten) ---> Abriss wahrscheinlich übernächste Woche
    4) Abriss beginnt tatsächlich 3-4 Werktage später etwas verstohlen von hinten (nicht einsehbare Seite)

    Zu der Umgebung:
    Es handelt sich bei dem Meyerhof Sudbrack um einen Einzelhof. Bis Mitte der 1920er Jahre stand dieser in Alleinlage inmitten seiner Felder und Wiesen. Dann bebaute der Bauunternehmer Klarhorst (Vorgängerunternehmen der Baugesellschaft Sudbrack) große Flächen mit eigentlich recht schönen Mehrfamilienhäusern ("sozialer Wohnungbau" der Weimarer Republik). Leider sind diese nach 1960 nicht stilgerecht instand gesetzt worden, so dass ihr ursprünglicher Charakter kaum noch erkennbar ist. Der qualitätsvolle Städtebau aus der gleichen Zeit ist jedoch nahezu ungestört.

    Für den Stadtteil ist der Abriss ein gewaltiger Verlust, war der Meyerhof doch das einzige markante Gebäude aus vorindustrieller Zeit und das eigentliche Ortszentrum. Man sollte zumindest den (hoffentlich) geretteten Torbogen in der Nähe des Standortes zur Erinnerung aufstellen (und nicht auf einem Firmengelände in Sennestadt).

  • Ich musste heute beim Gang durch die Bielefelder Bahnhofstraße mit Erschrecken feststellen, dass der von der ECE forcierte Neubau der City Passage (Ex-Kaufhof, s. Loom Bielefeld) leider auch den nebenstehenden Altbau fordert. Ein Foto von dem Gebäude ist auf Seiten der Neuen Westfälischen Zeitung zu sehen:

    Foto vom Altbau (weiß) im Hintergrund
    Foto vom Abriss

    Ich hatte heute leider keine Kamera dabei. Die komplette Vorderfassade war weggerissen und man konnte genau sehen, dass das Gebäude ein Fachwerkbau war. Wie man auf Seiten der Baustellenwebcam der ECE sieht, ist am Hinterhaus sogar noch eine schöne Fachwerkfassade erhalten (zumindest bis morgen oder übermorgen).

    Ich bin immer wieder schockiert, wie viele unscheinbare Bauten einfach so abgerissen werden, ohne das man es mitbekommt. Auf der offiziellen Visualisierung auf Seiten der ECE ist der Bau sogar erhalten dargestellt, vmtl. hat es deswegen keinen Aufschrei gegeben.

    Ansonsten hat sich mein Bielefeld-Bild mal wieder bestätigt. Eine Stadt mit enorm viel Potenzial, würde man sich der zerschundenen und gammeligen Altbauten und 50er-Jahre-Bauten mal annehmen und die später hinzugekommenen größeren und häßlichen Blöcke durch kleinteilige Bebauung ersetzen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • dass der von der ECE forcierte Neubau der City Passage ... leider auch den nebenstehenden Altbau fordert.

    Nein, das ist nicht der Fall. Es handelt sich um ein anderes Bauvorhaben: Der Eigentümer lässt schon mal den Abbruch vornehmen, weil er hofft, die Genehmigung für ein viergeschossiges Geschäftshaus zu kriegen:

    http://www.nw.de/lokal/bielefel…-Bielefeld.html
    http://www.nw.de/lokal/bielefel…Innenstadt.html

    Das ändert natürlich nichts daran, dass der Verlust des Altbaus bedauerlich ist.

  • Hallo Zeno,

    vielen Dank für die Richtigstellung. Ich hoffe, er bekommt diese Genehmigung nicht, nicht das so etwas noch Schule macht. Allerdings überrascht es mich auch, dass eine Altbau-Abbruch-Genehmigung einfach so erteilt wird. Meines Wissens wird so etwas mittlerweile auch bei nicht vorliegender Denkmaleigenschaft zumindest nochmal hinterfragt. Da es sich hier um ein Fachwerkhaus handelt, ist das vorgehen m.E. umso tragischer. Mich wundert allerdings auch, dass in der Bahnhofstraße ausschließlich der gegenüberliegende Gründerzeitler unter Denkmalschutz steht. M.E. gibt es dort noch mehr stadtbildprägende Bauten wie z.B. einige Gründerzeitler zwischen Feilen- und Arndstraße an der Westseite oder das Ensemble an Gründerzeit- und älteren Gebäuden rechts neben dem diskutiertem abgerissenen Gebäude. Genauso die Gebäude Bahnhofstraße 2, 4 und 6, von denen die ersten beiden auf diesem Bild von 1939
    zu sehen sind, sind noch erhalten. Insbesondere das ehemalige Capitol Kino (Nr. 4) ist ein schönes Beispiel für den Städtebau der Zwischenkriegszeit.
    Dazu kommt noch der Karstadt-Bau, der immer noch wie aus den frühen 1960ern wirkt - man muss ihn nicht mögen, aber es ist irgendwie auch ein Stück Stadtgeschichte.

    Viele Grüße
    Michael

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • ... wenn man mal einmal anfängt, sich mit einer Stadt zu beschäftigen, fallen einem direkt mehrere Sachen auf, die falsch laufen.

    Der Bielefelder Neumarkt, von 1870 bis 1992 Marktplatz der Stadt, bekommt ein neues Gesicht in Form eines Luxushotels sowie eines 6-stöckigen Wohnblocks. Für letzteren werden bzw. wurden die letzten beiden Altbauten am Platz abgerissen, ein Foto ist in diesem Artikel der Neuen Westfälischen zu sehen. Da der Platz nach äußerlicher Beurteilung schon vorher jegliche Art von Behaglichkeit verloren hat, macht der Neubau es nicht schlimmer. Schade ist jedoch, dass wieder ein Stück kleinteiliger Bebauung an der Kavalleriestraße verloren geht. Die Bebauung von Neumarkt und angrenzendem Kesselbrink sind ohnehin m.E. die Schandflecke dieser Stadt. Im ebenfalls altbauarmen Bahnhofsviertel finden sich immerhin ein paar Perlen der 50er-Jahre wieder.

    Es scheint, als ob Bielefeld (oder allgemein Westfalen) eine Ortsgruppe von Stadtbild Deutschland brauchen könnte, um dort eine Diskussion anzufachen. Allgemein glaube ich, dass Rekonstruktionen sowie historisierende Neubauten durchaus möglich wären, zumal die Region dort sehr heimatverbunden ist (allein die hohe Dichte an Freilichtmuseen) und sich bisher nicht als Aushängeschild für eine modernistische Architektenelite herausgebildet hat.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Der ehem. Gloria-Palast von 1927/28, das einzige Lichtspieltheater im Werk von Wilhelm Kreis soll umgebaut werden:

    http://www.nw.de/lokal/bielefel…twohnungen.html

    http://www.westfalen-blatt.de/OWL/Lokales/Bi…tatt-Satteldach

    Das Ganze hört sich nicht gut an, ich hoffe, wenigstens die Fassade bleibt stehen!

    Zitate:
    Laut Dieter Ellermann, stellvertretender Leiter des Bauamts, sollen im Erdgeschoss weiterhin Geschäftsräume bleiben. Dort und in der ersten Etage eröffnet die Filialkette für Wohnaccessoires und Kleinmöbel "Depot" einen Store.
    Zudem werden das zweite und dritte Obergeschoss abgetragen und komplett entkernt. Dort sollen drei sogenannte Stadthäuser über je zwei Etagen entstehen, außerdem eine Wohnung. Quelle: NW


    Darüber aber, anstelle des bisherigen hohen Satteldaches, sollen außerdem drei Reihen-Stadthäuser entstehen. »Jedes hat ein Vollgeschoss und darüber ein Schlafgeschoss mit zwei Zimmern und Bad und außerdem eine Dachterrasse«, sagt Bergedieck.
    Diese kleinen Stadthäuser sollen Anfang 2017 fertig gestellt sein. Höher wird das Gebäude dadurch nicht, im Gegenteil: »Wir bleiben etwas niedriger als der bisherige First ist.« Quelle: Westfalen-Blatt

  • Oh nein... das wollen die hoffentlich nicht wirklich machen. Meiner Meinung nach ist der Gloria-Palast eines der schönsten 20er-Jahre Gebäude in Bielefeld und unbedingt erhaltenswert!! Zumindest die Fassade darf auf keinen Fall angetastet werden. Inwiefern das Satteldach von der Straße sichtbar ist, kann ich nicht beurteilen, leider ist meine Internetverbindung derzeit nicht gut genug für Bing Maps.

    Kann man sich irgendwo einbringen, um wenigstens das schlimmste zu verhindern? Ich verstehe auch überhaupt nicht, warum das Bau nicht unter Denkmalschutz steht, das ehemalige Atrium-Kino aus den 50ern schräg gegenüber dagegen schon. Kann man als Bürger selber den LWL antriggern, den Denkmalstatus zu prüfen oder ist schon alles durch?

    @ Neußer: Der Gloria-Palast ist auf beiden von Ravensbergern verlinkten Artikeln abgebildet. Es ist die hellbeige Fassade der Frühmoderne.

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    Karl Kraus (1874-1936)

  • Zitat von Booni

    (...) @ Neußer: Der Gloria-Palast ist auf beiden von Ravensbergern verlinkten Artikeln abgebildet. Es ist die hellbeige Fassade der Frühmoderne.


    Einen Bruchteil der Fassade kann man auf den Bildern sehen, ja. Aber Den Dachbereich leider nicht. Auf der Bing-Karte (Vogelperspektive) sieht man, daß der Bau nur im hinteren Gebäudeteil ein sehr flaches Satteldach hat. Das dürfte man von der Straße aus kaum sehen. Da das zweite und dritte Obergeschoss abgetragen wird, muss die Fassade sicher dran glauben. Man kann den Artikel aber auch so verstehen, daß nur der hintere Teil des Hauses angetastet wird. Wie dort allerdings "drei Reihen-Stadthäuser" entstehen sollen, kann ich mir nicht ausmalen.