Neue "Gründerzeitarchitektur" in Osteuropa

  • Das ist kein Historismus, sondern einfach nur fake

    Hmm... wieso? Man könnte doch einfach von einem neuen zeitgenössischen Baustil sprechen, der eben darin besteht, ältere Baustile zu reproduzieren, wie es für die diversen Neo-Baustile des späten 19. Jahrhunderts typisch war.

    Zwar gab es damals betont eklektizistische Bauten, bei denen verschiedene Stile bunt zusammengewürfelt wurden, so daß selbst ein Laie wie ich sofort erkennt, daß es sich um eine Neuschöpfung der damaligen Zeit handelt. Aber bei vielen Gebäuden, ob Kirchen oder palastartige Villen, habe ich schon den Eindruck, daß man dem historischen Vorbild möglichst nahe kommen wollte und auf bewußte Unterscheidungsmerkmale verzichtete.

    Mich würde in diesem Zusammenhang auch interessieren, inwiefern ein Experte - ohne Kenntnis der historischen Hintergründe - das Vorbild wie z. B. die Loggia dei Lanzi von der Kopie, der Feldherrnhalle, unterscheiden könnte oder ob hier bewußt Details eingearbeitet wurden, mit denen eine solche Unterscheidung zumindest für Eingeweihte ermöglicht werden sollte (Form der Säulen?).

    Das macht die Gebäude dieser Zeit authentisch, sie sind Ausdruck einer Zeit im Umbruch.

    Seitdem ich das geniale Architekturwiki zu Straßburg entdeckt habe, wurde mir klar, daß ich viele Gebäude völlig falsch eingeschätzt hatte (nicht zuletzt zeitlich), weil ich zuvor völlig selbstverständlich davon ausgegangen war, daß der Erste Weltkrieg nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich eine Zäsur darstellte - der Übergang von den historisierenden Baustilen zur neuen Sachlichkeit (vielleicht abgesehen vom Heimatschutzstil, der aber ja auch ziemlich minimalistisch daherkommt).

    Tatsächlich lag ich damit aber völlig falsch, ganze Straßenzüge, die ich gefühlt irgendwie im Jahr 1890 (auf jeden Fall aber in der deutschen Epoche) verortet hatte, stammten aus den 20er Jahren, selbst Mitte der 30er Jahre enstanden noch Neobarock- und Jugendstilensembles. So gesehen sollte man mit "Epochen" vorsichtig sein, die durchaus landesspezifisch unterschiedlich ausfallen können (um wieder den Bezug zu Osteuropa herzustellen).

  • erbse, schlecht formuliert von mir, sorry. Das Adlon sollte nicht als Beispiel für "fake" dienen, sondern im Gegenteil als ein positives Beispiel für traditionelles Bauen - durchaus das historische Vorbild zitierend - das man aber dennoch unschwer als Schöpfung unserer Zeit erkennt.
    Solche Gebäude sind glaubwürdig. Das Beispiel "Royal Hermitage Palace" dagegen will mir etwas vormachen, wenn ich es böse formulieren wollte würde ich sagen, es will mich historisch verarschen. Dagegen hab ich persönlich was, mag ja jeder anders sehen. Auch Rekonstruktionen wird dies ja gerne vorgeworfen, hier halte ich es jedoch für absolut unangebracht, weil es sich dabei um eine originäre architektonische Idee ihrer Zeit handelt, die man wiederaufleben lässt.

    In dubio pro reko

  • Ich finde, wenn man heute traditionell baut sollte man zumindest bei genauem Hinsehen ablesen können, aus welcher Zeit die Architektur stammt, ein gutes Beispiel hierfür ist das neue Hotel Adlon. Ein Gebäude, das im 21. Jhd gänzlich ironiefrei den Eindruck erwecken will als stamme es aus der Kaiserzeit, mich gezielt über seine Entstehungszeit täuschen will, kann ich nicht wirklich respektieren.

    Da gebe ich Dir recht. Das Hotel Adlon lässt, obgleich man in polemischer Absicht das Gegenteil behauptet hat, durchaus seine Entstehungszeit erkennen, ist also aufgrund der sensibel, aber gekonnt gesetzten Abstrahierungsmomente ein Musterbeispiel für das, was eine zukünftige Architektur anstreben sollte. Die hier gezeigten ukrainischen Beispiele dagegen halte ich für eher abschreckende Beispiele, die dem Trend zu einer künftigen ornamentbejahenden Architekur eher im Wege stehen - nicht weil sie zu nah am gründerzeitlichen Vorbild wären, sondern weil sie Zucht und Maß, wie sie auch in der Gründerzeit im allgemeinen noch beachtet wurden, außer Kraft setzen. Ich finde nicht, dass man diese mit originalen Gründerzeitbauten verwechseln kann, sie erfüllen vielmehr die Entstehungsvoraussetzungen des Kitschs, der bestimmte Wirkungen erzielen will, ohne über die geistigen und künstlerisch-handwerklichen Voraussetzungen seiner Vorbilder zu verfügen. Man muss genau hinschauen. Echte gründerzeiliche Gebäude sind um Längen besser als diese neumodischen "Hochzeitstorten".

  • Eine sehr interessante Diskussion hier über einem eventuell "neuartigen" Stil, die sich entwickelt hat. Schon früh habe ich versucht, alt und "neu" (damals war es der modernisitische "Bauhaus") zeichnerisch miteinander zu verbinden. Ich habe nach einigen erfolglosen Versuchen schließlich kapituliert und festgestellt, dass dies unmöglich sei, da sich die traditionellen Baustile mit dem kalten Bauhaus beißen!
    Was ich ein wenig bei den traditionellen Architekten heutzutage vermisse ist einerseits der mangelnde Mut an Ornamente und die Verhaftung an dem Klassizismus. Der einzigste Schmuck an den Anlangen ist oftmals nur das Gesims, welches die Stockwerke nach außen hin voneinander trennt, und manchmal ein paar Pfeiler. Man könnte sich eher an dem neuen Baustil, der leider durch WK 1 abgebrochen wurde, den Jugenstil orientieren, der sich mehr mit pflanzlichen Ornamenten beschäftigt hatte. Das wäre auch spannend im Hinblick auf unseren germanischen Vorfahren, die der Natur sehr verbunden waren. Oder man inspieriert sich von den geschwungenen Formen der Renaissance und des Barocks. Aber die Wiederholung von der Wiederholung (Neoklassizismus) halte ich nicht für besonders kreativ!

  • Da hat FWL etwas wahres angesprochen. Das Hotel Royal Hermitage Palace in Kiew ist Neo-Neobarock a la Osteuropa, wo man zu mehr Klimbim mit dominanteren, hellbunten Farben neigt und hier deswegen den abfälligen Eigennamen "Russen-Kitsch" erhalten hat. Ich würde meinen, dass dieser Stil einfach nicht zu uns passt und deswegen nicht gefällt. Im Prinzip aber machen wir (es gibt hier im Forum zumindest viel Zustimmung für solche Entwürfe und Neubauten) genau dasselbe, nur in Form eines Neo-Neoklassizismus.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Ich würde meinen, dass dieser Stil einfach nicht zu uns passt und deswegen nicht gefällt. Im Prinzip aber machen wir (es gibt hier im Forum zumindest viel Zustimmung für solche Entwürfe und Neubauten) genau dasselbe, nur in Form eines Neo-Neoklassizismus.

    Wie ich bereits an einem Beispiel ausgeführt habe, machen wir eben nicht dasselbe. Es ist ein Unterschied, ob man erkennbar Neues mit traditionellen Mitteln erschafft, oder Palastbauten mit fiktiver Vergangenheit in die Welt setzt.

    In dubio pro reko

  • Ich wüsste nicht was eine "fiktive Vergangenheit" das Gebäude hat, ist schließlich ein Neubau und hat damit noch keine nennenswerte Vergangenheit. Wenn sich morgen dort Putin, Trump, Merkel ect treffen, den Ukraine-Konflikt lösen und vielleicht noch eine neue Weltordnung schaffen, hätte es schon eine historische Bedeutung. Nun, wahrscheinlich wird seine Geschichte aber die von sich vergnügenden Leuten mit viel Geld sein.
    Allgemein halte ich es nicht für sinnvoll bei Neubauten mit "Geschichte/Historie", "alt" und "neu" zu argumentieren.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Doch das ist sinnvoll, wenn der Neubau, wie in diesem Fall, selber damit Suggestion betreibt. Ich hätte ehrlich gesagt auch große Bauchschmerzen, wenn man heute ein Schloss Neuschwanstein bauen würde. Zu seiner Zeit war es repräsentativ für die romantische Geisteshaltung des 19. Jahrhunderts und damit ein authentisches Zeitzeugnis, heute wäre es dagegen nur grotesk, weil es keine mit damals vergleichbare Basis mehr gibt.

    In dubio pro reko

    6 Mal editiert, zuletzt von reklov2708 (28. März 2018 um 11:01)

  • Es kommt ja aber immer auf den Bauherren an. Wenn der Bauherr der Typ vormoderner Idealisierer und Romantiker ist, soll er doch ruhig sich so ein Schloss bauen können. Auch damals hatte das nicht nur Freunde. Aber wie gesagt, letztendlich liegt es doch immer an den Bauherren, was gebaut wird. Das kann man schwerlich verordnen oder befehlen.

    Ich meine, mal ehrlich, wie authentisch ist es denn, dass eine fiktive neue Burg mit mittelalterlichen Methoden in Frankreich gebaut wird (Guedelon)? Oder das Klosterdorf in Meßkirch nach dem Klosterplan von St Gallen? Natürlich sind diese Fälle anders gelagert, aber das Argument wäre ja das selbe.

    Letztendlich ist doch das tolle an unserer Zeit, dass wir so frei sind. Und eben aus diesem reichen Formenkanon schöpfen können. Deswegen kann man weder in der Mode, noch in der Musik noch in der bildenden Kunst oder in der Architektur heute sagen, das und das ist auf keinen Fall dem Zeitgeist entsprechend. Denn im Grunde ist alles möglich. Das sehen wir doch auch an allen anderen Kunstformen, Rückgriffe auf frühere Zeiten sind gang und gäbe. Das muss endlich auch in der Architektur eine Selbstverständlichkeit werden - wieder.

  • Ja, aber wenn alles aus jeder Zeit stammen kann, wer vermag dann noch den wahren kunsthistorischen Ursprung eines Objekts zu erkennen? Der Experte sicherlich, der Laie wird überfordert sein. Ich habe ja überhaupt nichts gegen gestalterische Rückgriffe auf frühere Zeiten, nur nicht zum reinen Zweck der Vortäuschung einer Vergangenheit, die es nie gab. Das hat der Historismus zwar teilweise auch getan (Beispiel Sakralbauten), vermutlich wurde ihm aber gerade dies zum Verhängnis. Wir hätten heute unendliche Möglichkeiten, mit Hilfe traditioneller Formensprache neuartige Bauwerke zu erschaffen, irgendwelche Imitationen hätten wir dabei überhaupt nicht nötig. Daher war ich auch für das Palais Holler als Bauwerk des Jahres, weil hier dieser spannende Ansatz wirklich sichtbar war.

    PS: Sehr interessante Diskussion.

    In dubio pro reko

    Einmal editiert, zuletzt von reklov2708 (28. März 2018 um 12:16)