@GF
ZitatIch verstehe ja deine Wut ob des auch in Bamberg mitunter gescheiterten Wiederaufbaus und leide mit dir, aber deine heftigen Anklagen gegen die alte Bundesrepublik (während du gleichzeitig bei der DDR beide Augen und sämtliche Hühneraugen zudrückst) sind eher von Ideologie getrieben als von Objektivität gestützt.
Letzteres würde ich bestreiten. Vergleiche bloß die Lückenschließung am Görlitzer Obermarkt mit den Bamberger Beispielen, oder zB den Wiederaufbau am Weimarer Markt.
Ansonsten möchte ich nicht drauf eingegehen, denn dies würde zu weit führen - das Thema BRD-DDR hatten wir schon zu oft.
ZitatGenuin westdeutsch war an der Wiederaufarbeit nach dem Krieg kaum etwas... Du bestätigst diese Gesamtentwicklung im Nachkriegseuropa ja selbst, wenn du sagst, in England, Spanien und zum Teil in Frankreich sei mit dem kulturellen Erbe bisweilen noch viel stärker urasst worden. Warum also immer die gesamteuropäische Wirklichkeit ausklammernde und ausschließlich Westdeutschland attackierende Sätze wie "In jedem anderen Land hätte man eine solch wertvolle und so gering zerstörte Stadt behutsam, mit diskreter Lückenfüllung bzw gar Rekonstruktionen wiederaufgebaut, im Wirtschaftswunderland klotzte man solche geschmacks- und proportionslosen Dinger hin.", die du im Nachhinein dann sogar selbst negierst?
ganz einfach: England und Spanien sind mir wurscht. Ich gehe von mitteleuropäischen Standards aus. So gesehen ist der Satz: 'in jedem anderen Land' natürlich zu weit gefasst .
ZitatTschechien, Österreich und Italien standen nie vor der Aufgabe, die totalzerstörte Altstadt einer Großstadt wiederherzustellen, irgendwelche Analogien zu Nürnberg sind demnach grundsätzlich wenig aufschlussreich.
Das stimmt, aber hier ging es um Bamberg. Und solche Problemstellungen gab es in allen Ländern zuhauf, allerdings nicht so bedeutende Stadtbilder. Aber schau dir nur an, wie solch nationale Vorzeigeobjekte woanders geschützt sind.
ZitatBeim Erhalt alter Substanz haben sich Österreich und Tschechien in der Tat wohl tendenziell vorbildlicher verhalten als Westdeutschland (allerdings hätten wir von Tschechien womöglich ein völlig anderes Bild, wenn wir den Norden und Osten des Landes stärker in den Blick rücken würden, und in Österreich gibt es auch negative Fallbeispiele à la Klosterneuburg.
Nun ja... Klosterneuburg ist nun aber wirklich nicht mit Bamberg zu vergleichen - ein abseits vom Stift unbedeutendes Kaff. Sooo übel ist es dafür auch wieder nicht. Der lange Straßenmarkt ist in erster Linie eine Verkehrshölle, was ob der spezifischen Lage der Stadt unvermeidbar erscheint, stadtbildmäßige Überlegungen sind da zweitrangig. Dafür ist er nicht so schlecht erhalten, 'nur' zwei moderate Neubauten...
Der Rathausplatz ... nun ja... sieht allerdings auf Bildern ärger als in Wirklichkeit aus. Bedeutendes Ensemble ist er sicher ohnehin keines. Bedeutend ist in Klnbg nur das Stift.
Den Hinweis auf den Norden und Osten Tschechiens versteh ich nicht.
ZitatItalien schneidet ganz sicher deutlich besser ab (es dürfte in Europa kein Land gegeben haben, welches insgesamt sorgsamer mit seinen Altstädten umgegangen ist; auch dort gibt es jedoch klare denkmalpflegerische Negativbeispiele wie Udine, Pordenone oder Ravenna und auch Städte wie Treviso, die du mindestens genauso kritisieren müsstest wie Bamberg oder Regensburg.
Nein. Ravenna und Treviso waren kriegszerstört, und sind überdies, wie Udine und Pordenone doch recht hübsch, zumindest im Zentrum. Dieses Bewusstsein, die eigentlichen Zentren sauber zu halten, scheint in D zu fehlen. Eine Bausünde auf einer italienischen Piazza ist undenkbar.
Zitat
Trotzdem bleibt zu bedenken, dass auch in Ländern ohne radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit der Wiederaufbau kriegszerstörter Städte gescheitert ist (Rotterdam, Le Havre, Calais, Caen, Dünkirchen, Coventry, Portsmouth, Plymouth... - die Liste ist lang). Insofern müsste dieser Bewusstseinswandel nicht etwa zu einer europäischen Normalität zurückführen, sondern sehr viel weitgehender sein.
Auf die von Gottfried gezeigte Parallelität des dt Schuld- und Minderwertigkeitskomplexes zu gewissen ähnlichen Phänomenen in der angloamerikanischen Welt hat schon philon hingewiesen. Immerhin bleibt die Durchtränkung der deutschen (selbsternannten) Eliten mit westeuropäischem Gedankengut zu konstatieren (und, soweit es meine Einstellung betrifft, zu beklagen. Eine Beeinflussung ost- und mitteldeutscher Intellektueller von der russischen Denkungs- und Empfindungsart wäre wünschenswerter gewesen).
Zitat... dass der Wille zum allumfassenden Bruch mit der eigenen Geschichte, das unbedingte nicht-deutsch-sein-Wollen und die Flucht in eine penetrant zur Schau getragene Weltoffenheit, die gänzlich unreflektiert blieb, aber trotzdem gesinnungsethisch verordnet wurde
Aber geht es da wirklich um 'deutsch sein' usw? Sind das alles nicht in erster Linie Fragen der Ästhetik?
Ich sehe in erster Linie wirklich nur ein ästhetisches Versagen. Natürlich kann man dies in einen weiteren Kontext stellen. Ich neige ja auch dazu, bevorzuge allerdings gesellschaftlich-ökonomische Begründungen, was mir für die Bamberger Beispiele ja auch naheliegender zu sein scheint. Diese grauenvoll aufgeblähten, aber immerhin spitzgiebeligen Häuser Nürnbergs, denen auch die Bamberger Beispiele nachgeäfft sind,
verleugnen ja ihr 'Deutschsein' keineswegs. Was ihnen ästhetisch zum Verhängnis wird, liegt in der Billigheit der Fertigung, einer daraus resultierenden Lieblosigkeit sowie natürlich dem Bestreben der maximalen Grundstücks- und Raumnutzung, also Profitmaxierung.
Daran krankt es in dt. Städten mE in erster Linie. Die dt Wirtschaftswunderzeit war ja nicht frei von einem gewissen, allerdings äußerst unsympathischen, selbstbewussten, ja protzerischen Patriotismus, welcher das alte kulturelle Bewusstsein allerdings gründlich verleugnet hat. Seiner selbst unbewusst war diese Zeit wirklich nicht, und auch die 'Anpassungsbauten' aus dieser Zeit sind es nicht. Nicht mangelndes nationales Bewusstsein sondern ästhetische Unreflektiertheit macht sie so hassenswert.
@Johan
Ich gestehe gerne zu, dass du, wie ich deinem desaströsen Bericht über schwedische Verhältnisse entnehmen muss, mit anderem Maß misst als ich. Aus meinem von französischer Clarté, angloamerikanistischer Rationalität und Tugendhaftigkeit lange Zeit nur wenig angekränkelten ostmitteleuropäischen Kulturraum mit seinem leicht morbiden Charme heraus betrachtet, sieht die Lage allerdings etwas anders aus, da kommt die alte Bundesrepublik sehr schlecht weg.