Bamberg - Kriegszerstörung und Wiederaufbau (Galerie)

  • Im zweiten Teil meiner Specialreihe zu Bamberg (Bausünden und Historismus sowie ein paar Einzelwünsche von Innenhöfen u.ä. folgen noch) möchte ich die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg thematisieren, denn obwohl es im Großen und Ganzen stimmt, wenn Bamberg als "größte unzerstörte Altstadt" in Deutschland bezeichnet wird, so gab es doch vier Bereiche im heutigen Weltkulturerbe, die teils empfindliche Einbußen erlitten. Da sie räumlich voneinander getrennt sind, werde ich sie im Folgenden auch getrennt voneinander darstellen. Es kann sein, dass es vereinzelt weitere Zerstörungen gab (z.B. rund um den Bahnhof), aber die vier unten vorgestellten Bereiche sind die einzigen, die ich in der Literatur gefunden habe.

    Doch zuerst ein Überblick des historischen Stadtkerns aus der Luft. Rot umgrenzt ist der Bereich des Weltkulturerbes, gelb markiert die Stellen, die bei Luftangriffen, vorwiegend am 22. Februar 1945, in Mitleidenschaft gezogen wurden.

    Der nördliche Bereich umfasst die Zerstörungen beidseits der Kettenbrücke, der mittlere Bereich den Obstmarkt, der südliche Bereich den Frauenplatz südlich der Oberen Pfarre und zuletzt die Laurenzikapelle ganz im Süden, den einzigen Sakralbau, der dem Krieg zum Opfer fiel:

    Zuerst schauen wir uns den Bereich rund um die Kettenbrücke an. Hier wurden ebenso wie am Obstmarkt etwa 20 Häuser zerstört bzw. stark beschädigt. Die gelb markierten Häuser sind Totalverluste, die rot markierten wurden nach starken Schäden (z.T. waren sie ausgebrannt) wieder aufgebaut:

    Wie man sieht, wurden nördlich der Kettenbrücke vor allem das Quartier westlich der Kettenbrückstraße (Kettenbrückstraße 1, 3 und 5, Untere Königsstraße 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13) sowie zwei Häuser östlich (Kettenbrückstraße 4 und 6) zerstört. Der Wiederaufbau (betrifft die Häuser zwischen den Pfeilen) erfolgte in einem zurückhaltenden Stil mit vorgeblendeten (?) Sandsteinfassaden und gleichmäßiger Fensterreihung. Sowohl die Mansarddächer als auch die Korbbögen in den Erdgeschossen und die Ecklisenen wirken stark barockisierend. Die industriell gefertigten, schlichten Fenstergewände zeigen jedoch ganz klar den Stil der Nachkriegsjahre.

    Leider weiß ich nicht, was vor dem Krieg dort stand, analog zur übrigen Bebauung der Oberen und Unteren Königsstraße dürfte es sich allerdings vorwiegend um Häuser mit barockem Erscheinungsbild (vielfach noch mit spätmittelalterlichem oder frühneuzeitlichem Kern) gehandelt haben. Das auffällige Eckhaus ganz links (Untere Königstraße 1, "Haus zum Hufeisen") wird übrigens Johann Leonhard Dientzenhofer zugeschrieben und ist 1945 völlig ausgebrannt, während die Außenwände bis zur Traufe intakt blieben. Wegen seines berühmten Baumeisters wurde es wiederaufgebaut.

    Auch die zwei Häuser südlich des Eckhauses (im Süden, also links, die Kettenbrückstraße, rechts die Untere Königstraße) wurden in diesem zurückhaltenden Stil wiederaufgebaut, das Haus Kettenbrückstraße 1 leider nicht. Stattdessen errichtete man einen fünfgeschossigen Flachdachklotz, der zwar von dieser Seite aus noch relativ harmlos aussieht...

    ...von der anderen Seite des rechten Regnitzarms aus jedoch sein ganzes hässliches Antlitz offenbart. Der Steg ist übrigens nur ein Notbehelf, da die Kettenbrücke zurzeit neugebaut wird.

    Folgendes Bild aus dem Bildindex zeigt, dass zumindest das barocke Haus links des "Hauses zum Hufeisen" (Kettenbrückstraße 5) nach dem Krieg in den Außenmauern komplett erhalten war. Dennoch wurde es beim Wiederaufbau beseitigt und durch einen Neubau ersetzt:

    Die andere Seite der Kettenbrückstraße wurde leider sehr uneinheitlich wiederaufgebaut. Während das Eckhaus Obere Königstraße 1 und das Haus zur Flussseite (Kettenbrückstraße 2) erhalten blieben, wurden die beiden Häuser dazwischen (Kettenbrückstraße 4 und 6) zerstört. Die Nr. 4 wurde in einem eher unansehnlichen Nachkriegsstil (aber zumindest mit vernünftigem Dach) wieder aufgebaut, anstelle der Nr. 6 klafft jedoch bis heute eine Lücke. Vor einiger Zeit pappte im Erdgeschoss von Nr. 4 ein Baustellenschild, das großmundig eine Lückenschließung unter Abriss des rechten Hauses und Neubebauung beider Parzellen ankündigte (auf den daneben hängenden Plänen wäre das einer der üblichen Flachdachglaskästen geworden), passiert ist jedoch bislang nichts.

    Die Brandmauern hat man in den letzten Jahren schön verziert. Vor allem das Gemälde der ehemaligen barocken Seesbrücke ist sehr schön anzuschauen. Rechts im Hintergrund noch ein Mauerrest des kriegszerstörten Baus. Übrigens die einzige noch sichtbare Wunde der Kriegszerstörungen im Stadtzentrum.

    Nun begeben wir uns auf die Südseite der Kettenbrücke, in die Hauptwachstraße. Hier fällt einem gleich die Nachkriegsbebauung auf der Linken Seite ins Auge. Um eine Einfügung ins Stadtbild hat man sich an dieser Stelle nicht bemüht. Die Vorgängerbauten der beiden großen Bauten links waren sicherlich gründerzeitlich.

    Dem Eckhaus auf dem oberen Bild gegenüber steht dieser ehemals prachtvolle Jugendstilbau, der im Krieg ausbrannte und seine Dachaufbauten verlor. Beim nachfolgenden Wiederaufbau wurde er weiter vereinfacht. Auch die beiden Gründerzeitler dahinter brannten aus, wurden jedoch wiederhergestellt:

    Die Ostseite der Hauptwachstraße (Mischung aus Gründerzeitlern und Barockbauten) nördlich der Hauptwache wurde samt der anschließenden Nordseite der Promenade (Gründerzeit) völlig zerstört. Die Häuser in der Hauptwachstraße wurden in einem barockisierenden Stil (das weiß gestrichene Haus in der Mitte ist Hauptwachstr. 28) wieder aufgebaut:

    Hauptwachstraße 20 (das Eckhaus zur Promenade) und die anschließenden Gebäude in der Promenade wurden unter Neuordnung der Parzellen schlicht neu bebaut.

    Etwas aufwändiger, aber auch nicht sonderlich ansehnlich, erfolgte der Neubau der Post (Promenadestr. 2). Lediglich der Erker und das Glockenspiel auf dem Dach (das jedoch schon länger außer Betrieb ist) lockern die Fassade auf:

    Ganz übel wird es dann östlich der Post. Anstelle der ehemaligen Gründerzeitler rückten hässliche zu hoch gezonte Kästen (links Heinrichstraße 2):

    Zum Abschluss des ersten Teils das ganze Areal noch einmal aus der Luft (von Bing Maps). Gelb wieder die totalzerstörten Bereiche, rot die lediglich beschädigten:

  • Die zerstörungen rund um den Obstmarkt und den Grünen Markt

    In diesem Bereich waren die Zerstörungen nicht nur etwas größer, sondern vor allem in Bezug auf die Bedeutung der zerstörten Bausubstanz gravierender. War im oben beschriebenen Bereich vorwiegend barocke und gründerzeitliche Bausubstanz betroffen, traf es hier einen der historisch bedeutendsten Bereiche der Stadt mit im Kern teils noch hochmittelalterlicher Bausubstanz. Zudem wurden mit der Alten Maut und der städtischen Altane zwei bedeutende öffentliche Bauten der historischen Stadt zerstört.

    In diesem Bereich wurde beim Wiederaufbau auch die Straßenführung teilweise verändert, um für den Verkehr einen Zugang zwischen Lange Straße und Kranen zu ermöglichen. Zuvor trennte ein Häuserriegel die beiden Straßen und somit auch die Obere und die Untere Rathausbrücke voneinander (das Brückenrathaus ist links unten in der Ecke zu erkennen). Auf dem folgenden Bild sind gelb umrandeten die total zerstörten und wieder aufgebauten Häuser, rot umrandet die lediglich beschädigten und erhalten gebliebenen und blau markiert die ehemaligen Straßenverläufe von Obstmarkt, Austraße und Lebergasse. Diese Gasse verlief ursprünglich direkt südlich der Alten Maut (deren ehemalige Grundfläche ist gelb schraffiert):

    Wie man sieht, gab es Zerstörungen vor allem am Obstmarkt, am Grünen Markt und an der Austraße, vereinzelt auch am Kranen und an der Habergasse. Die Lange Straße blieb auf das Haus Nr. 2 unversehrt.

    Der Wiederaufbau erfolgt sehr unterschiedlich. An der Stelle, wo der Obstmarkt in die Lange Straße übergeht, wurden teils Parzellen zusammengelegt und eher schlichte Bauten errichtet, die sich jedoch durch ihre Traufständigkeit und die hohen Satteldächer gut einfügen. Alle Bauten ab dem Pfeil nach rechts sind Nachkriegsbauten, ebenso die am linken Bildrand.
    An der Stelle des Gebäudes links neben dem siebenachsigen Bau mit der wiederverwendeten Hausmadonna (heute Obstmarkt 10), befand sich bis 1945 ein im Kern aus der Renaissancezeit stammendes Haus mit barockisierter Fassade (heute Obstmarkt 12), das auf der Rückseite einen Treppenturm in Frührenaissanceformen (ähnlich dem Hochzeitshaus am Kranen) besaß:

    Die zwei Bauten in der Bildmitte, links des gelben Pfeils, sind ebenfalls Nachkriegsneubauten (Obstmarkt 2 und 4), orientieren sich allerdings stärker an der barock erscheinenden Altbebauung und leiten somit gut zu den erhaltenen Bauten rechts davon über, die zur Oberen Brücke gehören.
    Das Haus rechts, obere Brücke 11, war ursprünglich dreigeschossig und besaß einen barocken Schweifgiebel. Es wurde 1945 bis auf das Erdgeschoss und Teile des ersten Obergeschosses zerstört und zweigeschossig wiederaufgebaut. Es trägt noch heute ein extrem flaches Notdach.

    Wenden wir uns nun der Westseite des Obstmarktes zu. Hier gab es ursprünglich keinen direkten Durchgang zwischen Lange Straße und Kranen, sondern einen nahezu parallel zur linken Straßenseite verlaufenden Häuserzug, der erst etwa an der Stelle des rechten Baumes in der Bildmitte endete. Dahinter begann ehemals die Austraße, zu welcher der Vorgängerbau des viergeschossigen Hauses in der Bildmitte (Obstmarkt 5/7) direkt überleitete. Der arg überdimensionierte mintgrüne Bau wurde übrigens erst um 1980 errichtet, nachdem 1972 der barocke Vorgängerbau abgebrochen wurde, der ebenso wie die zwei links anschließenden Häuser Obstmarkt 1 und 3 den Krieg überstanden hatte:

    Die Ostseite des Obstmarkts (die Sparkasse ist das Haus Kranen 6, rechts daneben die Häuser Obstmarkt 9 und 11) ist in dieser Form erst beim Wiederaufbau entstanden (links die Einmündung in die Austraße). Dabei wurden die Parzellen in diesem Bereich völlig neu aufgeteilt. Ursprünglich gab es hier keinen geraden Abschluss der Häuserzeile zwischen Austraße und Grünem Markt (der direkt rechts hinter dem knallbunten Haus am rechten Bildrand einmündet), sondern eine dreieckig in den Obstmarkt vorspringende Bebauung. Auf dem unteren Bild (wieder von Bing Maps) habe ich versucht, das zu verdeutlichen (blau = ehemalige Häuserflucht, gelb = Blickwinkel des Fotos darüber):

    Ähnlicher Blick 1946, nach Beräumung der zerstörten Bauten (anstelle des Pavillons in der Bildmitte stand ursprünglich die Alte Maut). Bereits mit heutiger Straßenflucht:

    Quelle: Bildindex

    Wenden wir uns nun den Zerstörungen am Grünen Markt zu. Hier fällt vor allem der Eckbau zum Obstmarkt auf (Grüner Markt 1), der mit seiner bunten Fassadengestaltung, der Viergeschossigkeit und dem zu niedrigen Dach eher störend wirkt. Ist allerdings jammern auf hohem Niveau, wenn man bedenkt, dass dort auch so ein Kasten wie an der Kettenbrücke stehen könnte. Grüner Markt 3 rechts daneben ist ein sehr klassizistisch wirkender Nachkriegsbau, durch dessen rechte Bogenöffnung heute die Lebergasse führt, die also nurmehr eine Ladenpassage ist:

    Rechts daneben der Nachfolgebaut der 1945 zerstörten Alten Maut (Grüner Markt 5), die ich schon im "Renaissance in Bamberg"-Thread vorgestellt habe. Ich hab jetzt allerdings noch eine Vorkriegsaufnahme beim Bildindex gefunden:

    Die Häuser rechts daneben (Grüner Markt 7, 9 und 11) wurden im Krieg nur beschädigt. Nr. 9 sieht heute noch nahezu aus wie vor 100 Jahren (auf dem Bildindex-Foto darunter von 1900 das zweite Haus von links). Das im Kern noch gotische zweiachsige Haus rechts daneben (Grüner Markt 11) verlor seinen steilen Giebel und wurde beim Wiederaufbau stärker barockisiert, um das Bild des Grünen Markts zu vereinheitlichen. Die übrigen drei Häuser rechts davon (Nr. 13, 15 und 17) wurden völlig zerstört, allerdings auf altem Grundriss und teils unter Beibehaltung der Keller neu errichtet. Auch hier verwendete man eher schlichte Formen mit Sattel- bzw. Vollwalmdächern. Die St-Martin-Kirche rechts daneben und die übrigen Häuser erlitten keine oder nur leichte Schäden:

    Direkt gegenüber der Alten Maut befand sich die Städtische Altane (Grüner Markt 2), die ehemals sieben kleine Läden im Erdgeschoss besaß und zuletzt eine barocke Erscheinung mit Balkon-Vorbau hatte. Nach der nahezu vollständigen Zerstörung im Krieg war zwar ein Wiederaufbau in der alten Form geplant, der jedoch in vereinfachter, eher klassizistischer Form durchgeführt wurde. Der Balkon-Vorbau schloss ursprünglich auch das rechts daneben stehende erhalten gebliebene Barockhaus Lange Straße 1 mit ein.

    Nun noch ein kurzer Blick in die Austraße. Hier setzte die Zerstörung auf der östlichen Straßenseite rechts des gelben Pfeils ein (Austraße 2 und 4). Anstelle des dreigeschossigen gelben Hauses befand sich der mächtige Rückgiebel der Alten Maut.

    Auf der westlichen Straßenseite kann man den Beginn des zerstörten Bereichs gut an der Zurücksetzung der Häuserflucht um etwa einen halben Meter erkennen (Am Kranen 6 und Austraße 15). Im Hintergrund der Blick auf den Giebel des um 1980 erbauten Hauses, das den Obstmarkt heute nach Westen abschließt und ihn zumindest ein wenig von der Unteren Brücken abtrennt.

    Apropos Untere Brücke. Wie die meisten Bamberger Brücken wurde sie zwischen dem 11. und 13. April 1945, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner gesprengt. Während die 1452-56 erbaute Obere Brücke in der alten Form wiederaufgebaut wurde (wenn auch mit Stahlbetonkern und Sandsteinummantelung) erfolgt der Wiederaufbau der Unteren Brücke erst 1963, allerdings nicht in Anlehnung des neubarocken Vorgängerbaus von 1912, sondern in Sichtbeton - übrigens schon damals stark kritisiert. Inzwischen scheinen sich die Bamberger jedoch an das hässliche Ding gewöhnt zu haben, denn während in den letzten Jahren mit Millionenaufwand die Brücken über den rechten Regnitzarm neu erbaut wurden (2005-2007 die Luitpoldbrücke, 2007-2009 die Löwenbrücke und 2009-2011 die Kettenbrücke) ist ein Neubau der Unteren Rathausbrücke nicht geplant. Wohl auch, weil sie lediglich dem Fußgängerverkehr dient und darum wahrscheinlich auch in 100 Jahren noch den statischen Anforderungen genügt.

    Zuletzt noch ein Bild, das den gesprengten östlichen Teil der Oberen Brücke und die dadurch verursachten Schäden am Rottmeisterhäuschen des Alten Rathauses zeigt (ebenfalls wieder Bildindex):

    Der dritte und letzte Teil wird deutlich kürzer ausfallen und die Zerstörungen um die Obere Pfarre und die Laurenzikapelle zeigen.

  • So eine tolle, anschauliche Darstellungsweise, hab' vielen Dank dafür!!

    Man kann wirklich sagen, dass der Wiederaufbau noch gelinde ausgefallen ist. Zu erwähnen sind vor allem die Beibehaltung der Parzellengrössen, selbst auch bei den veränderten Strassenfluchten, und auch die Steildächer. Wenn spätere Generationen hier Verbesserungen anstreben möchten, so könnte dies durch Umbau der Bausubstanz geschehen, und nicht durch Totalabrisse. Dies drückst Du auch mit deiner Aussage "Jammern auf hohem Niveau" aus.

    Freilich hatte Bamberg für den Wiederaufbau eine bessere Ausgangslage als Städte, die massiver zerstört worden waren, aber es ist trotzdem nicht selbstverständlich, dass hier das Stadtbild eine altstadtgerechte Reparatur erfuhr. Den Strassendurchbruch beim Obstmarkt empfindet man gemäss den Bildern nicht als brutale Strassenschneise, wie sie andernorts geschlagen worden waren (Berliner Strasse in Frankfurt, Neue Strasse in Ulm...). Bemerkenswert finde ich zudem, dass man sich bei den Neubauten vor allem am Barock orientierte, standen da doch vorher auch Bauten früherer Stile.

  • Unterer und Oberer Kaulberg

    Im Bereich des unteren Kaulbergs gab es relativ kleinflächige Zerstörungen am Frauenplatz (komplette Südseite bis auf das Eckhaus) und bei den Häusern Unterer Kaulberg 5 und 7. Zuerst das Luftbild:

    Die zerstörten Häuser am Frauenplatz (wie fast überall in der Stadt Barockbauten mit älterem Kern) wurden erst 1979-81 wieder aufgebaut. Die seltsame Staffelung der Fassaden wirkt jedoch eher störend:

    Bebauung am Schulplatz und der Unteren Seelgasse. Nur das Eckhaus links ist alt:

    Auch die Häuser Unterer Kaulberg 5 und 7 wurden zerstört und durch eine angepasste Neubebauung in eher stilisierten barocken Formen ersetzt (zweites und drittes Haus von rechts):

    Dieses Foto aus dem Bildindex gibt mir einige Rätsel auf. Angeblich handelt es sich um ein Haus am Unteren Kaulberg, die Nr. 7 (in den "Kriegsschicksalen" abgebildet) kann es jedoch nicht sein, denn die ist dort im Zustand vor der Zerstörung abgebildet und schien ein kompletter Neubau aus dem Barock zu sein. Da auf dem Bildindex-Foto "Von SW" steht, dürfte es sich am ehesten um eines der zerstörten Häuser am Schulplatz oder der Unteren Seelgasse handeln. Offenbar war es im Kern ein Renaissancebau (Portal und Kellerzugang), der später barockisiert wurde:

    Nachtrag: Ganz links auf dem Bild erkennt man den Turm der Oberen Pfarre (erkennbar am seltsamen Dachaufbau, der die ehem. Türmerstube beherbergt). Demnach dürfte das linke Haus Unterer Kaulberg 5 sein und rechts daneben das bis auf den rückseitigen Teil zerstörte Haus die Nr. 7:

    Der letzte zerstörte Bereich betrifft die Ecke um die Kapelle des ehemaligen Antoni-Siechhofes. Sie wurde 1627-29 unter Verwendung gotischer Bauteile als schlichter Saalbau mit 3/8-Schluss und Dachreiter errichtet und 1945 durch einen Bombenvolltreffer mit Ausnahme des Westgiebels komplett zerstört. Neben der 1930-34 erbauten Erlöserkirche außerhalb des Zentrums handelte es sich um den einzigen Sakralbau der Stadt, der durch den Krieg vernichtet wurde.

    Das untere Bild zeigt die Kapelle und das direkt anschließende Haus des ehem. Siechenhausvaters aus dem 16. Jh., das ebenfalls zerstört wurde (von Bing Maps). Beide Bauten wurden auf den alten Fundamenten und in ähnlichen Proportionen wieder aufgebaut.

    Zustand nach den Zerstörungen mit erhaltenem Westgiebel (Quelle: Bildindex):

    Die Kapelle wurde beim Wiederaufbau, der größtenteils durch ehrenamtliche Helfer aus der Nachbarschaft geschah (das Laurenziviertel ist fast ein eigenes Städtchen) außen völlig barockisiert - besonders auffällig beim Portal, das ursprünglich einen gotischen Spitzbogen hatte:


    Fazit

    Alles in allem hat Bamberg im Zweiten Weltkrieg wahnsinniges Glück gehabt. Die nur sehr punktuellen Zerstörungen haben vielleicht etwa 50 Häuser zerstört, vereinzelt zwar durchaus wertvollere Bausubstanz (wie das oben erwähnte Haus mit Renaissance-Treppenturm am Obstmarkt und vor allem die Alte Maut am Grünen Markt), die Wunden im Stadtbild sind jedoch fast alle angemessen geschlossen worden, da man sich beim Wiederaufbau grundsätzlich am Altbaubestand orientiert hat. Besonders bemerkenswert finde ich die Sandsteinfassaden an der Kettenbrückstraße und der Unteren Königstraße, genauso wie die Tatsache, dass die Stadt beim Wiederaufbau vereinzelt noch weiter barockisiert wurde.

    Und wie Riegel schon sagte wirkt auch der Straßendurchbruch von der Langen Straße zum Kranen nicht störend, da der Straßenraum dafür nicht aufgeweitet wurde, sondern lediglich der Gebäuderiegel zwischen den beiden Straßen nach dem Krieg der Straße zugeschlagen wurde. Selbst der Obstmarkt an sich ist nach wie vor als Platz zu erleben (auch wenn er vor dem Krieg eher ein Straßenmarkt denn ein richtiger Marktplatz war).

  • Zitat

    Wenden wir uns nun den Zerstörungen am Grünen Markt zu. Hier fällt vor allem der Eckbau zum Obstmarkt auf, der mit seiner bunten Fassadengestaltung, der Viergeschossigkeit und dem zu niedrigen Dach eher störend wirkt. Ist allerdings jammern auf hohem Niveau,

    Na, aber wirklich nicht!
    Das sind genau jene abstoßenden Bauten, die mir die BRD-Städte, und hier im besonderen Bamberg, so gründlich vermiest haben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sehr mich diese unpassenden Neubauten gestört haben, und wie enttäuscht ich letztendlich von Bamberg war.
    In jedem anderen Land hätte man eine solch wertvolle und so gering zerstörte Stadt behutsam, mit diskreter Lückenfüllung bzw gar Rekonstruktionen wiederaufgebaut, im Wirtschaftswunderland klotzte man solche geschmacks- und proportionslosen Dinger hin. Das ist kein hohes Niveau, sondern letztklassig.
    Auch Riegels Bemerkung, Bamberg sei einigermaßen erträglich wiederaufgebaut, ist mE unverständlich. In Wahrheit ist der Wiederaufbau so abstoßend wie die anderen fränkischen Städten auch, nur dass hier die Fehler noch unverzeihlicher sind - während in Wüzburg oder Nürnberg eh schon alles wurscht ist, gilt hier: kleine Ursache, große Wirkung.

    Eine Stadtbildreperatur wäre dringen vonnöten.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich teile die Sicht von "ursus carpaticus" nicht, gleichwohl scheine ich diese mittlerweile ein wenig zu kennen, so daß ich ihn verstehen kann. Objektiv (und für mich) betrachtet ist Bamberg gut aus der Zerstörung des Krieges weggekommen. Die Nachkriegsbauten versuchen weitgehend die Struktur der Stadt beizubehalten und sich einzupassen. Verglichen mit vielen schrecklichen Stadtwucherungen in Deutschland ist Bamberg idyllisch. Gleichwohl ist "ursus" eben nicht objektiv, und das liegt daran, daß seine Liebe eigentlich diesen mittelalterlich-barocken fränkischen Städten gilt. Und wenn man sehr liebt ist man unleidlicher gegenüber dem Makel. Das heißt, wenn eine Frau aus dem Bekanntenkreis äußerlich nachlässig wird, sagt man vielleicht objektiv: "Das hält sich im Rahmen. Sie sieht immer noch gut aus. Die meisten sind viel ungepflegter." Wenn es aber die eigene Geliebte ist, an der man mit Herzblut hängt, dann verzweifelt man daran, wenn sie sich vielleicht ihr Haar nicht mehr regelmäßig wäscht oder nur noch Sahnetorten in sich hineinstopft. Insofern darf man "ursus" Worte nicht völlig auf die Goldwaage legen. Und natürlich ist auch bei Nürnberg und Würzburg nicht "alles wurscht" oder verloren. Objektiv und mit Distanz betrachtet.
    (Ich hoffe, jetzt "ursus carpaticus" mit meinen Interpretationen nicht zu nahe getreten zu sein. Seine leidenschaftliche Sicht ist völlig legitim. Es läge mir fern, sie zu verdammen.)

  • Zitat von "ursus carpaticus"

    Na, aber wirklich nicht!
    Das sind genau jene abstoßenden Bauten, die mir die BRD-Städte, und hier im besonderen Bamberg, so gründlich vermiest haben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sehr mich diese unpassenden Neubauten gestört haben, und wie enttäuscht ich letztendlich von Bamberg war.

    Die drei, vier Bausünden in der Bamberger Altstadt haben dich enttäuscht? Dann müsstest du ja eigentlich jede andere deutsche Stadt noch hässlicher finden, denn ich kenne keine einzige Stadt, in der es nicht wenigstens ein paar hässliche Bauten aus dem Wiederaufbau und der Wirtschaftswunderzeit gäbe.

    Zitat von "ursus carpaticus"

    In jedem anderen Land hätte man eine solch wertvolle und so gering zerstörte Stadt behutsam, mit diskreter Lückenfüllung bzw gar Rekonstruktionen wiederaufgebaut, im Wirtschaftswunderland klotzte man solche geschmacks- und proportionslosen Dinger hin. Das ist kein hohes Niveau, sondern letztklassig.
    Auch Riegels Bemerkung, Bamberg sei einigermaßen erträglich wiederaufgebaut, ist mE unverständlich. In Wahrheit ist der Wiederaufbau so abstoßend wie die anderen fränkischen Städten auch, nur dass hier die Fehler noch unverzeihlicher sind - während in Wüzburg oder Nürnberg eh schon alles wurscht ist, gilt hier: kleine Ursache, große Wirkung.

    Die meisten Bauten sind doch als diskrete Lückenfüllung wieder aufgebaut worden.
    Solche Neubauten wie am Obstmarkt mögen zwar keine ästhetischen Meisterwerke sein, aber sie fügen sich problemlos in das Stadtbild ein, ohne zu stören. Die Dachgauben und die kleinteilige Fensterverglasung (wobei ich vermute, dass diese erst später ergänzt wurde) unterstützen diese Einpassung sogar noch:

    In der Inselstadt finde ich allein das Haus Grüner Markt 1 eher misslungen, vor allem weil es ein Geschoss zu hoch ist, der Giebel zu gedrungen wirkt und es bunt bemalt ist.

    Dennoch ist es allemal besser als der Fünfziger-Jahre-Bau an der Kettenbrücke. Schließlich hätte solch ein in Balkone aufgelöster Kasten auch mitten im Herzen der Stadt stehen können:

    Und die Nachbarbebauung neben diesem Kasten finde ich sogar äußerst gelungen, dank Sandsteinfassaden und relativ steiler Dachformen. Dort kann man klar erkennen, dass man sich beim Wiederaufbau um eine Einpassung ins Stadtbild gekümmert hat, denn schließlich hätte man dort nach dem Krieg auch die Parzellen zusammenlegen und großflächig neu bebauen können, ohne auf die historische Umgebung Rücksicht zu nehmen. Bei folgendem Anblick wird jedenfalls kein Laie erkennen können, dass dort jemals etwas zerstört war:

    Und wenn zum Beispiel Nürnberg in einem ähnlichen Stil wieder aufgebaut worden wäre (was ja rund um das Nassauer Haus oder die Albrecht-Dürer-Straße sogar teilweise geschehen ist), würde heute auch weniger über den Nürnberger Wiederaufbau gemeckert - wobei ich den Wiederaufbau dort insgesamt sogar für recht gelungen halte, da die erhaltene historische Substanz im Gegensatz zu Städten wie Braunschweig oder Hildesheim nicht bloß wie Relikte aus einer anderen Zeit wirkt, sondern die Altstadt nach wie vor als solche erlebbar ist (unter anderem auch deshalb, weil die 10-15 Prozent erhaltene historische Bausubstanz in der Altstadt immer noch mehr sind, als manche Kleinstadt jemals hatte).

  • Vielen Dank für die anschauliche Darstellung der Zerstörungen in Bamberg.
    Ja, Bamberg hat wahnsinnig Glück gehabt. Auch mir gefällt der angepasste Wiederaufbau ganz überwiegend gut, störend empfinde ich diese Betonbrücke, weil sie direkt neben dem Rathaus steht und die Zeile an der Hohen Pfarre.
    Einige der Neubauten (gerade auch dieses bunte Haus) haben ein ganz eigenes Gepräge und sind in meinen Augen auch schon wieder Denkmale ihrer Zeit.

    @ ursus carpathicus
    Einige wenige Bausünden hat mittlerweile wirklich jede Stadt. Ich erinnere mich beispielsweise an den Hauptbahnhof oder die moderne Bebauung der Ara pacis in Rom. Und wie empfindest du als Wiener dann die Altstadt von Wien? Die ist doch mindestens so stark von der Nachkriegszeit betroffen wie Bamberg?

  • Zitat von "jojojetz"

    Einige wenige Bausünden hat mittlerweile wirklich jede Stadt. Ich erinnere mich beispielsweise an den Hauptbahnhof oder die moderne Bebauung der Ara pacis in Rom. Und wie empfindest du als Wiener dann die Altstadt von Wien? Die ist doch mindestens so stark von der Nachkriegszeit betroffen wie Bamberg?

    nicht böse zu sein, aber das zeugt von Realitätsverlust. Nämlich der Vergleich zu Rom mit seinem endlosen, völlig geschlossenen Altbestand. Da gibt es in D so etwas von nichts Vergleichbarem, dass jeder Verweis drauf läppisch erscheint.
    ad Vindobonam:
    Nun wurde Wien weit schlimmer getroffen als Bamberg, was wohl zu berücksichtigen ist.
    Wien brüstet sich auch nicht mit seiner mittelalterlich-barock geschlossenen Altstadt, obwohl es hiezu mehr Grund hätte als Bamberg.
    Natürlich gibt es dort schmerzliche Spuren von Bombardements und Straßenkämpfen.
    Aber der Wiederaufbau an den Schlüsselstellen, und der Grüne Markt ist eine solche in Bamberg, zB vergleichbar mit dem Platz am Hof in Wien, ist weit behutsamer, viel geschmackvoller und ensemblebewahrender erfolgt. Eine einzelne Wiederaufbausünde auf einem ansonsten erhaltenen Platz mit Vorgründerzeitbestand wirst du in Wien nicht finden.
    Die alte Maut wäre in Wien, das wage ich zu behaupten, rekonstruiert worden. Solche schrecklichen Bauten wie Grünmarkt 1 an einer derart zentralen Stelle des Altstadtgefüges hat es in Wien nicht gegeben.
    Natürlich wurden in Wien gewisse schwer zerstörte Bereiche stadtbildmäßig 'aufgegeben' - was dort heute steht, entspricht in , wenn man so will, 'Qualität' völlig dem BRD-Wiederaufbau. Aber diese Bauten sind immerhin ärmlich, ihnen fehlt völlig jenes aufdringliche Protzende der Wirtschaftswunderzeit.

    Sowohl in Ausmaß der Zerstörung als auch nationaler Bedeutung wäre Bamberg hingegen gut mit Steyr vergleichbar - auch hier gab es wenige, gleichwohl empflindliche Schäden, wie am Stadtplatz und in der Enge, aber welch ein Unterschied im Wiederaufbau!


    Maxileen:

    Zitat

    Dann müsstest du ja eigentlich jede andere deutsche Stadt noch hässlicher finden, denn ich kenne keine einzige Stadt, in der es nicht wenigstens ein paar hässliche Bauten aus dem Wiederaufbau und der Wirtschaftswunderzeit gäbe.

    Keine Angst, das tu ich auch, gewisse Ausnahmen zugestanden. - Genauer gesagt, jede westdeutsche Stadt.
    Was meine Begeisterung für dt Stadtbaukunst nach langen Jahren der Enttäuschung und Frustration wieder weckte, war die Entdeckung der urbanen Schätze der ehem. DDR, vor allem Sachsens - Meissen, Görlitz, Bautzen, Torgau, Quedlinburg, Wittenberg nebst vielem anderen, weniger Perfektem, aber immerhin Charmantem, wozu ich auch Großstädte wie [lexicon='Leipzig'][/lexicon] und Halle rechne, stimmten mich wieder versöhnlich.

    Schwieriger ist es auf zeno zu antworten.
    Er hat natürlich teilweise recht, nämlich was meine - in summa sehr unglückliche- Vorliebe für fränkische Stadtbaukunst betrifft.
    Er hat jedoch mE insofern unrecht, als ich ihm seine Argumentation mit gleicher Münze zurückzahlen kann - in meinen Augen bin ich objektiv, und er ist es nicht. Er sieht, Tschuldigung, einiges im bayerisch-fränkischen Bereich zu sehr mit der rosa Brille.
    Generell gesprochen: Die Orientierung der BRD nach W bringt mE einen gewissen Einschätzungsverlust für mitteleuropäische Standards mit sich. Dass man in Ländern wie England, Spanien und tw Frankreich, mit dem kulturellen Erbe noch viel stärker urasst als in D, kann keine Entschuldigung für einen 'Wiederaufbau' à la Grüner Markt 1 odr va Obstmarkt sein (lediglich ein pars pro toto für den mir verhassten, protzigen, geschmacklosen, geschichtsvergessenen BRD-Wiederaufbaustil, der etwa in Nürnberg zum Standard der Innenstadt geworden ist). Aber in Polen (dt Ostgebiete natürlich ausgenommen), Tschechien, auch Österreich, va natürlich Italien sieht die Sache anders aus - da ist dergleichen grosso modo undenkbar.
    Aus einem kurzen Dialog hier hab ich einiges gelernt: irgendjemand fragte, ob es denn in Paris keine Bausünden gäbe, und jemand, ich glaube es war uaoj36, antwortete mE völlig zutreffend, so etwas gäbe es nur in dt Kulturstädten, und der vergleichende Blick nach Paris sei vom Ansatz her völlig verfehlt. Ich glaube, genau das ist es.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • @ ursus carpaticus

    Na, Rom habe ich ja auch nur genannt, um zu zeigen dass man heute - wenn man nur genau sucht - auch in den historischsten Städten schon Modernes findet. Habe ich auch in Florenz oder Prag gesehen.
    Was Bamberg betrifft, hat es mich einfach geärgert, dass du die Stadt in einem Zug mit Nürnberg und Würzburg genannt hast. Ich möchte nur daran erinnern, dass Bamberg 2.200 denkmalgeschützte Bauten im Zentrum als kompakte Masse besitzt. Das ist ein ganz schöne Stange und runtergebrochen auf die nur 70.000 Einwohner braucht die Stadt wirklich keine Vergleiche zu scheuen.

  • @ ursus:

    Im Grunde hast du mit allem, was du sagst recht. Den Grund für das, was in Deutschland beim Wiederaufbau passiert ist und noch immer passiert, hat Michael Klonovsky einmal - freilich bezogen auf ein anderes Politikfeld - unmißverständlich auf den Punkt gebracht:

    Zitat

    "Das internationale Verhalten deutscher Politiker gerät umgehend in Evidenznähe, wenn man die Worte "deutsche Politik" durch "Politik der Besiegten" ersetzt.


    Solang dieses Land es nicht wiedererlernt, seine eigene Identität, seine Tradition und seine Kultur zu schätzen und zu lieben (und damit letztlich: sich selbst zu lieben und ein positives Bewußtsein seiner selbst zu entwickeln) und sich gegen die aufzulehnen, die sie ihm genommen haben, haben die ganzen Diskussionen, die wir hier führen, keinen Sinn. Alle Bemühungen um Rekonstruktionen werden dann immer nur Stückwerk bleiben.

    Eine Diskussion wie die in der alten Krönungsstadt Frankfurt, wo inmitten der ehem. Altstadt ein groteskes "Stadthaus" gebaut wird statt schlicht zu rekonstruieren; wie in Dresden, wo es immer zwanghaft "Neues neben Altem" geben muss; wie in Nürnberg, wo nicht mal die Rekonstruktion der Fassade des Pellerhauses diskutiert werden darf, geschweige denn die von Ensembles; wie in Berlin, wo das Schloß unbedingt eine Rasterfassade statt der alten Renaissancefront bekommen muss und zur Sühne für den Wiederaufbau des Schlosses die polynesischen Einbäume statt der Alten Meister reinmüssen, würde es in einem Land, das ein positives Bewußtsein seiner selbst, seiner Kultur und seines Geistes hat, nicht geben. Genausowenig, wie es überhaupt den verkorksten Wiederaufbau der 50'iger bis 80'iger Jahre gegeben hätte.

    Solange wir dieses Bewußtsein nicht wiedergewinnen, wird alles, was wir hier treiben nur ein mühsames, unendlich langwieriges, zermürbendes Rumdoktoren an Symptomen sein. Ich glaube mittlerweile, daß das alles nichts bringt: wir müssen die Krankheit bekämpfen, die den Symptomen zugrundeliegt. Damit erreichen wir mehr als mit tausend Pflästerchen ... leider stehe ich mit dieser Auffassung selbst hier im Forum, bei Stadtbild Deutschland und erst recht bei den Initiativen vor Ort, die immer panische Angst haben, als politisch unkorrekt von der linksprotestantischen (wobei ich mich nach wie vor frage, was an diesen selbsternannten "Linken" eigentlich "links" sein soll) deutschen Schuld-Mafia verketzert zu werden, allein auf weiter Flur. Solange die Herrschaft der letzteren (nach dem Motto: "Was ist der Unterschied zwischen einem Katholiken und einem Protestanten?" - Der Katholik will immer recht haben, der Protestant will immer schuld sein.") nicht gebrochen wird, hat das alles hier keinen Zweck.


    P.S.: man möge das bitte nicht als Angriff auf den Protestantismus verstehen. Ich schätze die Reformation durchaus und halte Luther für einen wirklich großen Geist - aber der säkularisierte linksliberale deutsche Neo-protestantismus der Nachkriegszeit mit seinem permanenten ethno-manichäischen Schuldkult, der die Erbsünde durch die "deutsche Schuld" ersetzt hat, ist mir mittlerweile nur noch unerträglich.

  • Zitat von "ursus carpaticus"

    Was meine Begeisterung für dt Stadtbaukunst nach langen Jahren der Enttäuschung und Frustration wieder weckte, war die Entdeckung der urbanen Schätze der ehem. DDR, vor allem Sachsens - Meissen, Görlitz, Bautzen, Torgau, Quedlinburg, Wittenberg nebst vielem anderen, weniger Perfektem, aber immerhin Charmantem, wozu ich auch Großstädte wie [lexicon='Leipzig'][/lexicon] und Halle rechne, stimmten mich wieder versöhnlich.

    Mich wundert, dass du gerade Quedlinburg anführst. Natürlich ist das eine tolle Fachwerkstadt (genauso wie Bamberg eine tolle Barockstadt ist), aber gerade die DDR-Brachen (Schmale Straße) und Plattenbauten (Breite Straße) in der Quedlinburger Altstadt sind für mich viel störender als die Handvoll Wiederaufbau-Bausünden in Bamberg - obwohl Quedlinburg da noch deutlich mehr Glück gehabt hat als Halberstadt, das eigentlich nur noch als "Trümmergebiss" bezeichnet werden kann (viele Zahnlücken, ein paar gekittete Zähne, ein Haufen Prothesen und der Rest fault immer noch vor sich hin).

  • Da wird viel durcheinandergebracht. Allen voran stehe ich:

    Zitat

    schwieriger ist es, auf zeno zu antworten.

    Das war natürlich eine Verwechslung mit heimdall, dessen Tonfall mich hier offenbar an zeno gemahnt hat - der blaue Himmel des Avatars tat sein Übriges.
    Ich bitte um Entschuldigung, wobei ich versichere, dass diese Verwechslung für mich dahingehend nicht besonders maßgeblich ist, da ich für beide die gleiche (hohe) Wertschätzung aufbringe.

    Sodann braucht man mir nicht zu erklären, dass Bamberg eine wunderschöne Stadt ist, viel schöner als Würzburg und Nürnberg (wenngleich dieser Umstand nur auf Zufälligkeiten bzw spontane Gedankengänge in völlig kaputten Gehirnen zurückzuführen ist - was ist dagegen schon eine 1000-jährige Geschichte!).
    Der Wert Bambergs ist nicht zu diskutieren, nur um den Wiederaufbau geht es hier, und dieser dünkt mir extrem schwächelnd.
    Da mag ich nicht dies ewige "so etwas gibt es auch in anderen Städten" mitanhören. Bamberg jedenfalls gibt es nur einmal, und diese einzigartige Stadt hätte sich mehr Schutz vor diesen hässlichen Bausünden verdient.

    Und wieder diese verfehlten Verweise auf Prag und Florenz- , vielleicht noch gar auf einen modernen Hotelzubau in Venedig -
    das bringt doch nichts und geht ins Leere. Erstens sind dies Großstädte, die mehr Moderne als eine beschauliche Mittelstadt vertragen, und dazu dermaßen aus dem Vollen schöpfen, dass es auf gewisse periphere Stellen nicht ankommt.
    Außerdem gibt es in diesen Städten Bausünden à la Bamberg nicht, auf keinem zentralen Markt, auf keiner Hauptstraße.
    Und überdies Prag - das kenne ich wirklich gut. Mir fällt eigentlich im Altbestandsbereich kein einziges modernes Gebäude nach 45 ein. Alle mir bekannten, in Frage kommenden Objekte stammen schon vor 1940.

    Ein räumlich und stilistisch viel naheliegender Vergleich wurde nicht erwähnt:
    Ich hab Bamberg einmal im Reisezusammenhang mit Eger besucht, also mit einer gleichfalls partiell zerstörten, nach 45 einer wahnwitzigen Stadtbildsanierung (von anderem Wahn ganz zu schweigen!) unterworfenen, substanziell ungleich schwächeren Stadt. Aber dieser direkte Vergleich war äußerst lehrreich: unglaublich wie schlecht, wie sehr unter dem eigenen Wert Bamberg dabei wegkam. Warum? Einfach weil den bundesdt Behörden und zT natürlich auch Bewohnern jegliches Gefühl für Flair, Wesen einer Stadt, Ensemblewirkung etc zu fehlen scheint.
    In der DDR war dies mE nicht so der Fall, die Erwähnung Quedlinburgs trägt hier mE sehr viel zur Veranschaulichung bei. Alle zentralen Ensembles und die Umgebung der zentralen Bauten blieben nahezu perfekt erhalten, Burgberg wie Marktplatz, wie das Zentrum der Neustadt. Natürlich kriselt es mitunter dazwischen, aber auch die modernen Bauten sind grundsätzlich - mit den Mitteln der DDR - stadtbildorientiert, eine Haltung, die in der BRD mE völlig fehlt. Sicher gibt es in Bamberg keine Brachen zu beklagen, aber dafür klaffen die Wunden rücksichtslos an zentralen Stellen.

    Philon

    Zitat

    wobei ich mich nach wie vor frage, was an diesen selbsternannten "Linken" eigentlich "links" sein soll


    nichts natürlich. Im leninistischen Sinne nützliche Idioten des Großkapitals, mehr nicht, daher auch von dieser pentranten medialen Präsenz. Man sollte es ihnen aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit sagen, denn das mögen sie wirklich nicht.

    Zitat

    aber der säkularisierte linksliberale deutsche Neo-protestantismus der Nachkriegszeit mit seinem permanenten ethno-manichäischen Schuldkult, der die Erbsünde durch die "deutsche Schuld" ersetzt hat, ist mir mittlerweile nur noch unerträglich.

    Klar, wenn dies noch über das ohnehin in derlei ideologischen Fragen besonders ausgeprägte dt rechthaberische Strebertum hinausgehend in pfäffischem Gewand daherkommt, wird s besonders mühsam.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "Philon"

    Solange wir dieses Bewußtsein nicht wiedergewinnen, wird alles, was wir hier treiben nur ein mühsames, unendlich langwieriges, zermürbendes Rumdoktoren an Symptomen sein. Ich glaube mittlerweile, daß das alles nichts bringt: wir müssen die Krankheit bekämpfen, die den Symptomen zugrundeliegt. Damit erreichen wir mehr als mit tausend Pflästerchen ... leider stehe ich mit dieser Auffassung selbst hier im Forum, bei Stadtbild Deutschland und erst recht bei den Initiativen vor Ort (...) allein auf weiter Flur.


    Als ich hier im Forum noch aktiver war, gab es eigentlich genau den gleichen Wortlaut von mir. Leider wird diese Denkweise tatsächlich von kaum jemandem geteilt. So habe auch ich mich in Dresden recht einsam für einen Kampf gegen die Gestaltungskommission und Stadtplanung eingesetzt. Beim Flyer gegen das Gewandhaus (hundertstes Symptom) gab es hier im Forum regen Zulauf - Flyer zur Aufklärung über die tatsächliche Rolle und konkrete Aktivität der Kommission am Neumarkt (Ursache) waren dagegen unerwünscht - auch in unserer aktiven Gruppe vor Ort. Und so wird ewig weiter herumgeschustert.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Philon und younig

    ihr habt grundsätzlich recht.
    Bei Phänomenen wie dem DDer Neuen Gewandhaus jedoch geht diese grundsätzliche Sicht zu weit.
    Hiefür lassen sich auch (mE gute) Gründe ins Treffen führen, die mit der beschriebenen dt Befindlichkeit nichts zu tun haben müssen. ZB: man kann gute modernistische Architektur oder harte Kontraste mögen, man kann es für gut befinden, an derartiger Stelle ein dezidiert postmodernes Ensemble zu schaffen...
    Das sind rein ästhetische Gründe (die natürlich jedoch durch ideologische Sichtweise beeinflusst wurden), das hat alles nichts mit der skizzierten Geringschätzung der dt. Kultur zu tun, die sich in dem völlige Lieblosigkeit, ja Verachtung widerspiegelnden Wiederaufbau fränkischer Städte manifestiert.
    Sicher finden sich innerhalb der orthodoxen Architektenschaft genügend Beispiele für dieselbe Lieblosigkeit und Verachtung, ja böser Wille, wie auch zweifellos beim Inside-Hotel in der Rampischen der Fall, man darf aber nicht von vornherein einen bemühten Versuch qualtativen Bauens, und ein solcher liegt beim Gewandhaus vor, in diese Richtung deuten.
    Darüber hinaus erscheint es mir sogar fraglich, ob bei den qualitätsbefreiten und misslungenen Bamberger Beispielen wirklich Ideologen am Werk waren, die vielen schwachen, aber prima vista sich traditionell gerierenden 'Anpassungsfassaden' sprechen massiv dagegen . ME handelt es sich eher um eine Mischung aus Profitsucht und mangelndem ästhetischem Empfinden.
    Philons Ansichten treffen mE mehr für Städte wie Nürnberg (dies leider ganhz besonders) und Frankfurt zu, natürlich auch für Berlin.
    In Potsdam hingegen scheinen mir (abseits vom misslungenen Stadtschlossentwurf natürlich) tatsächlich Ästheten am werk zu sein - man kann und wird mit ihnen in vielem nicht einer Meinung sein, siehe Ungers Post, aber jeglichen guten Willen möchte ich ihnen a priori nicht absprechen.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "ursus carpaticus"

    Das sind genau jene abstoßenden Bauten, die mir die BRD-Städte, und hier im besonderen Bamberg, so gründlich vermiest haben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sehr mich diese unpassenden Neubauten gestört haben, und wie enttäuscht ich letztendlich von Bamberg war.
    In jedem anderen Land hätte man eine solch wertvolle und so gering zerstörte Stadt behutsam, mit diskreter Lückenfüllung bzw gar Rekonstruktionen wiederaufgebaut, im Wirtschaftswunderland klotzte man solche geschmacks- und proportionslosen Dinger hin. Das ist kein hohes Niveau, sondern letztklassig.

    Zitat von "ursus carpaticus"

    Was meine Begeisterung für dt Stadtbaukunst nach langen Jahren der Enttäuschung und Frustration wieder weckte, war die Entdeckung der urbanen Schätze der ehem. DDR, vor allem Sachsens - Meissen, Görlitz, Bautzen, Torgau, Quedlinburg, Wittenberg nebst vielem anderen, weniger Perfektem, aber immerhin Charmantem, wozu ich auch Großstädte wie [lexicon='Leipzig'][/lexicon] und Halle rechne, stimmten mich wieder versöhnlich.

    Zitat von "ursus carpaticus"

    Generell gesprochen: Die Orientierung der BRD nach W bringt mE einen gewissen Einschätzungsverlust für mitteleuropäische Standards mit sich. Dass man in Ländern wie England, Spanien und tw Frankreich, mit dem kulturellen Erbe noch viel stärker urasst als in D, kann keine Entschuldigung für einen 'Wiederaufbau' à la Grüner Markt 1 odr va Obstmarkt sein (lediglich ein pars pro toto für den mir verhassten, protzigen, geschmacklosen, geschichtsvergessenen BRD-Wiederaufbaustil, der etwa in Nürnberg zum Standard der Innenstadt geworden ist). Aber in Polen (dt Ostgebiete natürlich ausgenommen), Tschechien, auch Österreich, va natürlich Italien sieht die Sache anders aus - da ist dergleichen grosso modo undenkbar.


    Ich verstehe ja deine Wut ob des auch in Bamberg mitunter gescheiterten Wiederaufbaus und leide mit dir, aber deine heftigen Anklagen gegen die alte Bundesrepublik (während du gleichzeitig bei der DDR beide Augen und sämtliche Hühneraugen zudrückst) sind eher von Ideologie getrieben als von Objektivität gestützt. Genuin westdeutsch war an der Wiederaufarbeit nach dem Krieg kaum etwas. Der Wiederaufbau der zerstörten Teile etwa von Rouen oder Caen reicht natürlich bei weitem nicht an den Vorkriegszustand heran, der Markt im wenig bis maximal mittelschwer beschädigten Groningen wurde sicherlich weniger behutsam wiederaufgebaut als Bamberg, ein schwer zerstörtes Rotterdam, Coventry oder Calais ist heute eine einzige Katastrophe. Du bestätigst diese Gesamtentwicklung im Nachkriegseuropa ja selbst, wenn du sagst, in England, Spanien und zum Teil in Frankreich sei mit dem kulturellen Erbe bisweilen noch viel stärker urasst worden. Warum also immer die gesamteuropäische Wirklichkeit ausklammernde und ausschließlich Westdeutschland attackierende Sätze wie "In jedem anderen Land hätte man eine solch wertvolle und so gering zerstörte Stadt behutsam, mit diskreter Lückenfüllung bzw gar Rekonstruktionen wiederaufgebaut, im Wirtschaftswunderland klotzte man solche geschmacks- und proportionslosen Dinger hin.", die du im Nachhinein dann sogar selbst negierst?

    Tschechien, Österreich und Italien standen nie vor der Aufgabe, die totalzerstörte Altstadt einer Großstadt wiederherzustellen, irgendwelche Analogien zu Nürnberg sind demnach grundsätzlich wenig aufschlussreich. Was den Wiederaufbau von zerstörten Baudenkmälern angeht, hast du irgendwo einmal geschrieben, er sei in Italien meistens gescheitert, aber aufgrund des massigen Bestands vernachlässigbar. Beim Erhalt alter Substanz haben sich Österreich und Tschechien in der Tat wohl tendenziell vorbildlicher verhalten als Westdeutschland (allerdings hätten wir von Tschechien womöglich ein völlig anderes Bild, wenn wir den Norden und Osten des Landes stärker in den Blick rücken würden, und in Österreich gibt es auch negative Fallbeispiele à la Klosterneuburg), Italien schneidet ganz sicher deutlich besser ab (es dürfte in Europa kein Land gegeben haben, welches insgesamt sorgsamer mit seinen Altstädten umgegangen ist; auch dort gibt es jedoch klare denkmalpflegerische Negativbeispiele wie Udine, Pordenone oder Ravenna und auch Städte wie Treviso, die du mindestens genauso kritisieren müsstest wie Bamberg oder Regensburg.


    Zitat von "Philon"

    Solange wir dieses Bewußtsein nicht wiedergewinnen, wird alles, was wir hier treiben nur ein mühsames, unendlich langwieriges, zermürbendes Rumdoktoren an Symptomen sein. Ich glaube mittlerweile, daß das alles nichts bringt: wir müssen die Krankheit bekämpfen, die den Symptomen zugrundeliegt. Damit erreichen wir mehr als mit tausend Pflästerchen ... leider stehe ich mit dieser Auffassung selbst hier im Forum, bei Stadtbild Deutschland und erst recht bei den Initiativen vor Ort, die immer panische Angst haben, als politisch unkorrekt von der linksprotestantischen (wobei ich mich nach wie vor frage, was an diesen selbsternannten "Linken" eigentlich "links" sein soll) deutschen Schuld-Mafia verketzert zu werden, allein auf weiter Flur. Solange die Herrschaft der letzteren (nach dem Motto: "Was ist der Unterschied zwischen einem Katholiken und einem Protestanten?" - Der Katholik will immer recht haben, der Protestant will immer schuld sein.") nicht gebrochen wird, hat das alles hier keinen Zweck.


    Sicherlich wäre die Wiedergewinnung eines ausgeprägten deutschen Kultur- und Eigenbewusstseins nicht nur in Architekturfragen wünschenswert. Trotzdem bleibt zu bedenken, dass auch in Ländern ohne radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit der Wiederaufbau kriegszerstörter Städte gescheitert ist (Rotterdam, Le Havre, Calais, Caen, Dünkirchen, Coventry, Portsmouth, Plymouth... - die Liste ist lang). Insofern müsste dieser Bewusstseinswandel nicht etwa zu einer europäischen Normalität zurückführen, sondern sehr viel weitgehender sein. Ansonsten wäre nämlich lediglich das "Argument" beseitigt, man hätte den Verlust der Altstädte als gleichsam ewige Strafe hinzunehmen, während die fatale Verbindung von modernistischen Architekten, einem einseitig ausgerichteten Lehrbetrieb an den Universitäten und elitenhörigen Stadtpolitikern bestehen bliebe. Die Wiederauferstehung Alt-Nürnbergs wäre dann ungefähr so greifbar wie die Rückkehr Alt-Rotterdams.

    In der alten Bundesrepublik müsste es deiner Theorie nach notwendigerweise zu einer Durchdringung der katholischen Eliten mit fatalen Teilaspekten (v. a. einem selbstzerknirschenden Schuldkult) der protestantischen Ethik gekommen sein. Das Staatswesen an sich war ja durchaus katholisch dominiert. Problematisch an der Theorie erscheint mir u. a., dass der Wille zum allumfassenden Bruch mit der eigenen Geschichte, das unbedingte nicht-deutsch-sein-Wollen und die Flucht in eine penetrant zur Schau getragene Weltoffenheit, die gänzlich unreflektiert blieb, aber trotzdem gesinnungsethisch verordnet wurde, in Deutschland nirgendwo derart stark zum Ausdruck kam wie ausgerechnet im mehrheitlich katholischen Nordrhein-Westfalen, welches die politische und ideologische Führerschaft im Staat übernahm, und dort v. a. im geschichtlich gutkatholischen Köln. Wie konnte der säkularisierte Linksprotestantismus gerade dort so stark werden?

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Gleichseitig gibt es immer die Risiko dass manche Beiträge in eine Nischeforum wie diese ein bisschen zu radikal wird. Diese extreme Position von Ursus um Bamberg und Regensburg kann ich schwer nachvollziehen. Es relatiert wenig zu mein Leben und meine Erfahrungen. Mann kann sicher manche Punkten von Ursus in eine schwächere version verstehen aber ich kenne sehr wenig Menschen die auf diese Welt so weit gehen. Fur mich ist Deutschland eigentlich eine gute Beispiel fur eine Mittelweg: Schweden, Norwegen, Finland, England, Irland, Griechenland, Ungarn, teilweiss Frankreich, Schweiz, Belgien, Serbien, Russland, Slovakien, Slovenien etc gehen slechter oder genauso gut mit Bausubstanz um wie Deutschland. Ich sehe deine Meinungen deswegen im Tat ubertrieben. Auch Osterreich ist nicht immer Toll. Ihre vorliebe von Avantgarde-architektur ruckt auch in die Altstadte rein. Soll ich ganz ehrlich sein: Bamberg und Regensburg muss sich eigentlich nicht in Europa verstecken. Die sind schon nach meine höchst subjektive und persöhnliche Geschmäcke schönde Städten. Das ist mit oder ohne Baunsünden. Und soll ich ehrlich sein finde ich Grune Markt in Bamberg schön.

    Persöhnlich: Italien ist sicher besser erhalten, aber mich gefällt dass Land nicht so. Florenz ist schön aber nicht mein Cup of Tea sozusagen.

  • Auch von mir vielen Dank für die anschauliche und informative Darstellung, Maxileen.
    Bamberg hat definitiv sehr viel Glück gehabt und das bischen Kriegszerstörung stört ja nun wirklich kaum, auch wenn mir manches Nachkriegsgebäude wie dieses an Nürnberg erinnernde am Obstmarkt nicht gefällt.
    Für mich zählt Bamberg zu den schönsten Städten Europas. Bei jedem Besuch dort gibt es immer wieder so viel Neues zu entdecken und die insgesamt riesige Altstadt mit dem vielen Auf und Ab, einfach unvergleichlich.
    Italien ist im übrigen z.B. auch überhaupt nicht so mein Fall.
    Auch wenn ich Ursus´Position gut nachvollziehen kann, v.a. bei Nürnberg, so empfinde ich z.B. den Wiederaufbau von Würzburg als nicht so schlecht.

  • Zitat von "Georg Friedrich"


    Sicherlich wäre die Wiedergewinnung eines ausgeprägten deutschen Kultur- und Eigenbewusstseins nicht nur in Architekturfragen wünschenswert. Trotzdem bleibt zu bedenken, dass auch in Ländern ohne radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit der Wiederaufbau kriegszerstörter Städte gescheitert ist (Rotterdam, Le Havre, Calais, Caen, Dünkirchen, Coventry, Portsmouth, Plymouth... - die Liste ist lang). Insofern müsste dieser Bewusstseinswandel nicht etwa zu einer europäischen Normalität zurückführen, sondern sehr viel weitgehender sein. Ansonsten wäre nämlich lediglich das "Argument" beseitigt, man hätte den Verlust der Altstädte als gleichsam ewige Strafe hinzunehmen, während die fatale Verbindung von modernistischen Architekten, einem einseitig ausgerichteten Lehrbetrieb an den Universitäten und elitenhörigen Stadtpolitikern bestehen bliebe. Die Wiederauferstehung Alt-Nürnbergs wäre dann ungefähr so greifbar wie die Rückkehr Alt-Rotterdams.

    In der alten Bundesrepublik müsste es deiner Theorie nach notwendigerweise zu einer Durchdringung der katholischen Eliten mit fatalen Teilaspekten (v. a. einem selbstzerknirschenden Schuldkult) der protestantischen Ethik gekommen sein. Das Staatswesen an sich war ja durchaus katholisch dominiert. Problematisch an der Theorie erscheint mir u. a., dass der Wille zum allumfassenden Bruch mit der eigenen Geschichte, das unbedingte nicht-deutsch-sein-Wollen und die Flucht in eine penetrant zur Schau getragene Weltoffenheit, die gänzlich unreflektiert blieb, aber trotzdem gesinnungsethisch verordnet wurde, in Deutschland nirgendwo derart stark zum Ausdruck kam wie ausgerechnet im mehrheitlich katholischen Nordrhein-Westfalen, welches die politische und ideologische Führerschaft im Staat übernahm, und dort v. a. im geschichtlich gutkatholischen Köln. Wie konnte der säkularisierte Linksprotestantismus gerade dort so stark werden?

    Nur eine kurze Antwort:
    Das ist alles schon richtig. Allerdings hatte ich in meinen Überlegungen auch nie behauptet, der neo-protestantische deutsche Schuldkult sei in der ersten Wiederaufbauphase furchtbar relevant gewesen. Es gab ihn sicherlich (vgl. Thomas Mann u.ä.), aber er hatte nicht unbedingt die Durchschlagskraft, die er heute hat - sprich seit den '70'iger Jahren, als dieser eigentlich aus dem bürgerlichen Lager kommende Neo-protestantismus sich mit dem "linken" politischen Spektrum verbunden hat. Wenn ihr meinen Beitrag lest, dann werdet ihr festellen, daß der Verweis auf diesen (halb-)säkularisierten Neo-Protestantismus sich auf die heutige Situation bezogen hat.

    Für die erste Wiederaufbauphase war sicherlich eher ein allgemeines, noch aus dem Avantgarde-Pathos der 20'iger und 30'iger Jahren stammendes Desinteresse an der eigenen Geschichte und Kultur ausschlaggebend, das es in gemäßigterer Form offenbar auch in Westeuropa außerhalb Deutschlands gab. Gerade die Geschichts-, Kultur- und Nationenvergessenheit des Nationalsozialismus (dessen zentraler ideologischer Bezugspunkt ja gerade nicht die Nation war, sondern eine diffus verstandene "Rasse": Deutschland war den Nazis schlicht egal; für sie galt allein eine ahistorisch und akulturell gedachte "arische Rasse").

    Gleichwohl wird man konzedieren müssen, daß auch in der erste Wiederaufbauphase die wirklich gelungenen Wiederaufbauprojekte in Städten realisiert wurden, die tief katholisch waren: Münster, Freiburg, München, Trier - katholischer geht's in Deutschland nicht mehr. Etwas vergleicbares fällt mir bezüglich einer dezidiert protestantischen Stadt in D nicht ein (außer vielleicht Rothenburg, aber da war schlicht der Tourismus als Wirschaftszweig der ausschlaggebende Punkt für die Rekonstruktion). Leider bestätigen Ausnahmen wie Köln oder Würzburg die Regel.

    Was Georg Friedrichs konkrete geistesgeschichtliche Überlegungen im 2. Absatz seiner Ausführungen angeht, bin ich mir ja gar nicht so sicher, daß es die katholischen Eliten NRW's waren, die da eine Vorreiter-Rolle gespielt hätten. Von Adenauer hat man solche Töne jedenfalls nie gehört ... von dem rheinischen Protestanten Heinemann (der in gewisser Weise insofern eine Schlüsselrolle spielt, als er diese Form des ursprünglich bürgerlichen "Schuldprotestantismus" mit seiner GVP fatalerweise in die von solchen Anwandlungen bis dahin unbeleckte SPD hineingetragen hat) allerdings durchaus, ebenso von einem Thomas Mann, einem Günter Grass, einem Richard von Weizsäcker, einem Jürgen Habermas etc. schon. Zudem darf man nicht vergessen, daß gerade die amerikanische reeducation massivst von dem von mir beschriebenen Typus des linksliberalen "Schuldprotestantismus" bestimmt war (vgl. dazu die Arbeiten von Paul Edward Gottfried, in denen das sehr gut herausgearbeitet ist).

    Übrigens ist auch die erste greifbare Quelle, in der sich die ganzen Puzzleteile dieses neudeutschen Schuldprotestantismus zu der heute staatsdoktrinär gewordenen Ideologie zusammenfinden, ein Dokument der EKD, nämlich die unsäglich dämliche "Ostdenkschrift" von 1965.