Architektur in der BRD - Land ohne Fassung und Form

  • © JUNGE FREIHEIT 46/09 06. November 2009

    "Nichts zeichnet eine Regierung mehr aus als die Künste, die unter ihrem Schutze gedeihen."
    Friedrich der Große

  • Interessanter Artikel.

    Nur müßte eine "Abwrackprämie" dann auch auf architektonisch und qualitativ schlecht ausgeführte Gebäude der Nachkriegszeit ausgerichtet werden. Wenn deswegen bspw. Gründerzeithäuser der Spitzhacke zum Opfer fallen würden, wäre der Schuß nach hinten losgegangen.

    Bei Konjunkturprogrammen im Ausland gibt es ja leider solche "Ausreißer" :x

    So ein Programm müßte als Stadtreparaturprogramm ausgelegt sein, das darauf ausgelegt ist verlorengegangene Baudenkmäler wiederzuerrichten und Neubauten im angepaßten Stil zu errichten.

    Wenn ich z.B. an das Projekt zum Wiederaufbau eines Teils der Frankfurter Altstadt denke - oder auch an das vielfach diskutierte Potsdam - in beiden Städten gibt es noch ein breites Betätigungsfeld für die Bulldozer.

    Auch München, Nürnberg und Würzburg wären geeignete Städte - wo ja ein an sich schon guter Ansatz vorhanden ist, aber leider immer noch viel zu viele Bausünden herumstehen oder wie im speziellen Fall von München noch in großer Zahl neu errichtet werden :weinen:

  • Zu diesem Thema herrscht im ganzen politischen Spektrum erfreulicherweise weitgehend Einigkeit:
    http://www.jungewelt.de/2009/10-24/027.php\r
    http://www.jungewelt.de/2009/10-24/027.php
    ...In einigen Details anders formuliert, aber in der Aussage zu Plattenbau&Co. sowie der Wirkung auf Menschen große Übereinstimmung!

    Es herrscht gesamtgesellschaftlicher Konsens: Man soll keine Frauen und Kinder schlagen -> Also tut man es nicht und wenn doch, ist die Aufregung groß.

    Es herrscht gesamtgesellschaftlicher Konsens: Man soll keine Menschen mit unmenschlicher Architektur quälen.
    Und doch werden jede Woche noch immer Plattenbauten gebaut. Seltsam...

  • Die Ausarbeitung menschen- und traditionsgerechter Architektur kann inzwischen nicht mehr mit der Frage nach Ausgestaltung des Wesens unserer Republik verknüpft werden; dafür ist es definitiv zu spät.

    Für das, was aus diesem mal so lebenswerten Land (als die Bundesrepublik tatsächlich noch Alleinvertreter des deutschen Volkswillens war) geworden ist, sind die Betonbunker in Berlin als Repräsentation überaus tauglich.

    Die Rückkehr zur Traditionsbezogenheit, zum Geschichtsbewußtsein auch z.B. im Siedlungsbau bleibt künftig Privat- allenfalls Kommunal- oder höchstens Ländersache (im Falle Bayerns). Hierzu wäre ein überregionales Netzwerk aufgeschlossener Architekten, Fachleute und Bauherren ganz nützlich, tät' ich meinen. Wenn z.B. die Frage der Frankfurter Altstadt den Staatsorganen (hierzu müssen mittlerweile die Medien zugerechnet werden) überlassen worden wäre - so stellte sich jene Frage vermutlich nicht mehr.

    Dafür hätten wir ein ganz schickes Novoquartier (Romanisch ist das neue Schwarz der Sprachwelt, nicht erst seit "Hannibal"), womit sich international (denken wir mal an Paris und London) echt was reißen läßt...oder so

    Nein, die werden gedünstet

  • Was ich insgesamt vermißt habe ist die Frage nach dem Sinn und Nutzen des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin.

    Denn eine ausgeprägte Hauptstadttradition wie mit Paris in Frankreich oder London in Großbritannien, gibt es in Deutschland nicht.

    Berlin war gerade mal von 1871 bis 1945 deutsche Hauptstadt. Davor war es lediglich die Hauptstadt Preußens.

    74 Jahre sind keine wirkliche Tradition bei einem Land mit jahrhundertelang zurückreichender Geschichte. Und in diese 74 Jahre fallen dann ausgerechnet auch noch die 12 dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte (Bonn war hingegen der Ort der ersten wirklich dauerhaft erfolgreichen deutschen Demokratie).

    Ebenso hätte man die Frage stellen können, warum nicht Aachen, Nürnberg oder [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] als Bundeshauptstadt.

    Um den alten und neuen Ländern gerecht zu werden, wäre ein Kompromiß mit dem Regierungssitz in Bonn und Berlin als Bundeshauptstadt (mit Sitz des Bundespräsidenten) durchaus tragbar gewesen.

    Und die Bonner Bescheidenheit der alten BRD wäre Deutschland besser zu Gesicht gestanden als der Größenwahn der Berliner Republik.

    Und selbst wenn man die Frage der Tradition außer acht läßt, stellt sich immer noch die Frage nach dem praktischen Nutzen eines Regierungsumzugs, wenn am alten Regierungssitz alle nötigen Einrichtungen vorhanden sind. Und besser regiert wird Deutschland von Berlin aus auch nicht.

  • Ohne die kleinkarierten Kabale eines alten Knochens hätte sich beim Beitritt der DDR die Hauptstadtfrage nicht gestellt - es wäre natürlich FFM geblieben. Diese frühe Selbstmarkierung als Provisorium, was ja durchaus im Gegensatz zu Hallstein stand, kann die Bundesrepublik immer noch einholen (obwohl die Hauptstadt jetzt zumindest am preußischen Hauptort ist). Ob der Alte seine Meinung ändern würde ?

    Nein, die werden gedünstet

  • Zitat von "Altbaufreund"

    Und die Bonner Bescheidenheit der alten BRD wäre Deutschland besser zu Gesicht gestanden als der Größenwahn der Berliner Republik.

    Komisch, vom "Größenwahn" einer "Berliner Republik" habe ich noch gar nichts mitbekommen. Nicht mal `ne markige Feier zum Nationalfeiertag bekommen sie hin vor lauter Hüpfburgen, Popcorn und Bratfett. Oder ist mit dem Begriff Merkels Brustumfang gemeint?

  • Nein, aber die nahezu groteske Angewohnheit aller deutscher Regierungen seit 1990 (in der alten BRD war Herbert Frahm nur ein Mond), zumeist auf Kosten des Gemeinwohls und nationaler Souveränität "Geschichte" zu schreiben - auf der Suche nach großen Schlagzeilen und Schulterklopfen. An sich bekommen wir die Selbstüberschätzung und -täuschung ebenso satt hin wie Kaiser Willi Zwo.

    Wenn ihr mich fragt, ist aufwendige Repräsentation angesichts des inneren Zustands dieser Republik und seiner "Vertreter" noch weit weniger angesagt als in den Nachkriegsjahren - trotz allem konnte dieser Staat stolz auf sich sein, bei allen Fehlern und Irrwegen.

    Derweil nähert man sich in Berlin dem Würdeniveau der DDR.

    Nein, die werden gedünstet

  • Festzuhalten bleibt, dass Bonn seinen damaligen Hauptstadtstatus vor allem dem Rheinländer Adenauer zu verdanken hat. Selbst heute sitzen übrigens mehr Ministeriums-Beamte in Bonn wie in Berlin. Obendrauf dann noch der ehemalige Staatsbetrieb Post. Von den Konversionszahlungen möchte ich erst gar nicht sprechen. Bonn kann sich wirklich nicht beschweren. Welche Großstadt mit der Einwohnerzahl hat ein solches kulturelles Polster (Museen an der Bundesmeile), eigene U-Bahn und sonstige Annehmlichkeiten?

    ...

  • Zitat von "Heimdall"


    Komisch, vom "Größenwahn" einer "Berliner Republik" habe ich noch gar nichts mitbekommen. Nicht mal `ne markige Feier zum Nationalfeiertag bekommen sie hin vor lauter Hüpfburgen, Popcorn und Bratfett. Oder ist mit dem Begriff Merkels Brustumfang gemeint?

    Mit dem Größenwahn waren ja die architektonischen Auswüchse gemeint (womit wir zurück beim Thema wären) - Gebäude wie das Bundeskanzleramt, für das gelegentlich der Spitzname "Angelas Waschmaschine" zu hören ist. Architektonisch gesehen halt eher darauf ausglegt, durch seine äußere Größe zu beeindrucken.

  • Das stimmt natürlich. Betonierte Größe. Ästhetisch haben die Bundesbauten ja wenig zu bieten. Und in einem anderen Gesprächsstrang war ja auch bereits die Rede von den enormen Sanierungskosten, vor allem an den Glasflächen. Ich erinnere mich, daß mir ein Bekannter berichtet hatte, daß ihm bei einer dortigen Führung schon vor einiger Zeit, also vor der öffentlichen Bekanntgabe der Sanierungspläne, Sprünge in den Fensterscheiben des Bundeskanzleramtes aufgefallen seien. Damals wurde der Gruppe dann erklärt, Vögel seien dafür verantwortlich. Diese würden Steine auf die Oberlichter fallen lassen. Kein Scherz...

  • Wirklich gut pointierter Artikel!

    Der Vergleich macht reich!

    Zitat

    Der Vergleich mit dem Tag des Offenen Denkmals, der inzwischen mehr als fünf Millionen Besucher anzieht, die sich für nichts anderes als das Nicht-Neue, Beständige, Alt-Schöne interessieren, mag aus mancherlei Gründen unfair sein. Aber eine unverfälschte Quittung für die Gesellschaftsferne dessen, was Architekten heute an vorgeblich vorbildhafter Architektur produzieren, ist er doch.

    :!: