Saarbrücken - Rekonstruktion der Ludwigskirche

  • Liebe Freunde,

    also ich wage es einmal, und eröffene einen neuen Thread, nämlich einen über den Wiederaufbau der wunderbaren spätbarocken protestantischen Ludwigskirche zu Saarbrücken.

    Sie war im Oktober 1944 bis auf die Außenmauern total zerstört worden.

    Nicht weniger als 20 (!) Jahre stritt man sich von 1944-1964 um das "Wie" des Wiederaufbaus (mit den üblichen Argumenten)

    Seit 45 Jahren baut man sie (d. h. v. a. den Innenraum) Stück für Stück wieder auf - als Reko!

    Seit ein paar Wochen sieht nun der Innenraum wieder so aus:

    Rekonstruiert wurde erst jetzt der sog. "Fürstenstuhl", d. h. der große Kasten auf der rechten Seite, in dem immer der herrschende Fürst saß. Er fehlte bis jetzt - man hat ihn aus Gründen der Raumsymmetrie rekonstruiert.
    Besonders gefreut hat es mich, daß diese anspruchsvollen Holzschnitzarbeiten von der Fa. Pürschner aus Sachsen gemacht wurden, die auch die Holzarbeiten in der Frauenkirche und im Grünen Gewölbe in Dresden, meiner jetzigen Heimat, gemacht haben.
    Eine wunderbare deutsch-deutsche Zusammenarbeit im 20. Jahr der Revolution in der ehem. DDR!

    Immer noch aber fehlen zahlreiche Figuren auf der Dachbalustrade.

    Ich werde Euch versuchen, mal die Geschichte der Rekonstruktion der Ludwigskirche hier zu zeigen. Sie war unglaublich abenteuerlich.
    Sämtliche Argumente, die noch heute gegen Rekonstruktionen angewandt werden, tauschte man damals bereits aus...

  • Genial. Das hat ja Frauenkirchen-Qualität!

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Besser mein Lieber, besser!! ;)

    Leider schaltet hier niemand die Seite aktuell, so daß sie von niemandem gefunden und beantwortet wird.
    Unter den Umständen würde ich mir natürlich nicht die Mühe machen, die Bilder hier reinzustellen.... :(

  • Zitat von "Oktavian"

    Leider schaltet hier niemand die Seite aktuell, so daß sie von niemandem gefunden und beantwortet wird.
    Unter den Umständen würde ich mir natürlich nicht die Mühe machen, die Bilder hier reinzustellen.... :(

    Das geht oft so. Aber man muss Geduld haben.
    Also ich zumindest, ich harre der Fortsetzung, wenngleich ich mit einem substanziellen Kommentar bis dahin noch zuwarten möchte.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "Oktavian"

    [...] Leider schaltet hier niemand die Seite aktuell, so daß sie von niemandem gefunden und beantwortet wird. [...]


    Was meinst Du damit? Dass dieser Themenstrang in der Liste der Stränge nicht als aktuell (= neue, noch ungelesene Beiträge vorhanden) dargestellt wird? Sobald man den Strang geöffnet hat (insbesondere, wenn man den letzten Beitrag verfasst hat), gilt das Thema nicht mehr als aktuell, denn das ist ja eine persönliche, benutzerspezifische Anzeige.

  • @Oktavian: das sind ja gute Nachrichten! Anfang des Jahres war ich dort ( http://www.architekturforum.net/viewtopic.php?f=31&t=2703">viewtopic.php?f=31&t=2703 ), damals hatte ich bereits davon gelesen, dass die Wiederrichtung geplant war. Schön, dass es nun endlich soweit und der Fürstenstuhl wieder errichtet wurde.

    Dass in einer wohl eher wenig rekofreudigen Stadt wie Saarbrücken ein solches Gotteshaus über viele Jahrzehnte weitgehend ohne modernistisches Beiwerk rekonstruiert wird, ist schon etwas ganz besonderes, finde ich. Nun wäre wohl "nur" noch der Skulpturenschmuck Aussen zu vervollständigen und gegebenenfalls der ursprüngliche weiße Anstrich der Kirche wiederherzustellen, und fertig ist das Rekowerk....

    Ich freue mich schon auf deine weiteren Ausführungen zur Kirche.

  • *lach*... ja genau

    na ja "und fertig ist das Rekowerk" - so leicht war es auch in SB nicht... und es hing extremst von Einzelpersonen ab....

    Na ich muß mal sehn, was ich ausgraben kann....

  • @Oktavian

    Du hast mir vor etwa 2 Jahren einmal davon erzählt, aber jetzt, wo Du die Bilder hier eingestellt hast, ist mir erst klar geworden, um welches Prachtstück es sich hierbei handelt und welche Dimension diese Kirche hat!

    Für unsereins – ostösischer Wahlossi – kommt man in diese Weltgegend eher selten.

    Die Hintergrundgeschichten und der schlussendlich gewonnene Kampf für eine Rekonstruktion wäre jedoch wirklich spannend zu erfahren. Vor allem wegen der ständig und überall geführten grundsätzlichen Grabenkämpfe. Es ist zwar wunderschön, dass in sehr vielen Fällen die strategischen Rekoschlachten gewonnen werden, aber den „Krieg“ gilt es schlussendlich für uns zu entscheiden!

    Danke für die sehr bewegenden Eindrücke!!!

  • Ich würde mich auch sehr über deine wie üblich fundierte Berichterstattung zu diesem Projekt freuen. Allerdings kann ich auch nicht ganz nachvollziehen, was du mit "aktuell schalten" meinst?

  • Ok - also los:

    Die 1762-1775 erbaute Ludwigskirche und der Ludwigsplatz zu Saabrücken sind das Schluß- und Meisterwerk (eine Art Schwanengesang) des genialen Saarbrücker Stadtbaudirektors des Barock, Friedrich Joachim Stengel (1694-1787). Stengel war damals bereits ein alter Mann und zog mit diesen Ensemble die Summe seines Lebens und seines Glaubens. Er rechnete nicht mehr damit, dies alles noch vollendet sehen zu dürfen. Tatsächlich wurde er aber 93 (!) Jahre alt - im Zeitalter des Barock scheir unglaublich....

    Die Ludwigskirch ist als neue Hofkirche zuerst für den Fürsten Wilhelm-Heinrich von Nassau-Saarbrücken erbaut worden, vollendet wurde sie durch seinen Sohn, Fürst Ludwig, von dem das Ensemble auch seinen Namen hat.
    Die Ludwigskirche ist zusammen mit der Dresdner Frauenkirche und der Hamburger St. Michaeliskirche die dritte bedeutende barocke prostestantische Zentralbaukirche.
    Das Großartige an diesem Bau ist - neben vielem anderen - die Tatsache, daß sie zusammen mit der umgebenden Platzanlage nach einheitlichem Plan Stengels errichtet worden ist:

    Aber auch der Bau selbst ist einzigartig:
    Im Äußeren ein klassischer protestantischer Quersaal, d. h. der eigentliche Hauptbau ist der quergelagerte Riegel, der jedoch durch Annexe vorn und hinten zum Zentralbau erweitert wurde.
    Der Turm mit seinem (so gewollten!) flachen Abschluss ist eine geniale Paraphrase Stengels auf die flachen (dort unvollendeten) Turmabschlüsse der Gotik in Frankreich.
    Die Figurenbalustrade mit überlebensgroßen Figuren aus Altem und Neuem Testament, ist ebenfalls ein ganz außergewöhnliches Motiv, das eigentlich nur für den katholischen Kirchenbau bekannt ist.
    Großartig ist der auch reiche Figurenschmuck an den Fassaden: die vier Evangelisten in den Nischen der Annexe. Feiner Rokokodekor in Form von Rosen (Symbole der Liebe Gottes) um die Fenster.
    Unnötig (für neumarktgewohnte aphler) zu erwähnen ist sicher, daß der Bau niemals so steinsichtig gewesen ist wie heute, sondern ursprünglich weiß-grau gestrichen war... Tatsächlich ist vor ein paar Jahren eine größere Spendensammlung, die einen neuen Anstrich finanzieren wollte, am Widerstand der Saarbrücker Bürger gescheitert, nach dem Motto: "Unsa Ludwischskirsch gebbt nitt gestrisch"....

    Urteilt selbst: Ist dieser Bau nicht von vollendeter Schönheit - allein schon in Proportion und Plastizität?

    Soweit einmal für heute....

  • Zitat von "Oktavian"

    ...ist dieser Bau nicht von vollendeter Schönheit - allein schon in Proportion und Plastizität?...

    Ja, ich war auch ganz begeistert als ich dort war. Wo gibt es sonst noch ein derartiges aus einer Hand geplantes barockes Platzensemble mit einem so überaus prächtigen Kirchenbau in der Mitte des Platzes, wohl fast nirgends in Europa, oder? Allerdings hatte übrigens auch ich zuerst vermutet, dass wohl die Turmkuppel noch fehlt und noch rekonstruiert werden muss. Aber Stengel war wohl so sehr an Frankreich orientiert, dass er sich auch diese mir nicht ganz zusagende Anleihe von dort geholt hatte. Eine hübsche Zwiebelhaube wäre mir als Bayer natürlich lieber ;)

  • Der Turmabschluß sagt mir auch nicht zu, zudem fände ich es essentiell, den alten Farbanstrich wiederherzustellen. Leider liegt diese Platzanlage - wie in Deutschland üblich - außerhalb des Geschäftszentrums, wo sich der schnelle Tourist aus Frankreich aufhält, um anschließend enttäuscht nach Metz zurück zu fahren.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat

    zudem fände ich es essentiell, den alten Farbanstrich wiederherzustellen.

    Nix do, die gebbt net gestrisch'. :lachentuerkis: (wie schon Oktavian die Meinung der Saarländer richtig wiedergegeben hat).

  • Siech ieh r aa r asoo.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Doch, die muß und wird gestrichen werden!

    So sah die Kirche im Barockzeitalter aus.
    Die kostbaren Details an den Fassaden treten erst durch den Farbanstrich in Erscheinung (wie am Neumarkt):

    Aber weiter im Text. Ich muß euch noch mit ein bißchen Kunstgeschichte quälen.
    Das Einzigartige neben vielem Großartigem an der Ludwigskirche stellt die Tatsache dar, daß sie wie keine anderer protestantischer Bau mit protestantischer Ikonographie aufwartet. Dies schlägt sich besonders am Außenbau nieder, wo ein reiches Figurenprogramm eine sinnbezogene Aussage macht.

    Es beginnt mit dem bereits erwähnten Quersaal, der der eigentliche Haupttrakt der Kirche ist. Deshalb verwendete Stengel dort die architektonisch übergeordneten Säulen statt Pilastern und - man höre und staune - proportionierte diesen Trakt nach den Maßen des Salomonischen Tempels durch:

    Hinzukommt, daß an diesem Trakt zwei Reliefs angebracht sind.
    Auf der einen Seite beginnt es mit einer Darstellung aus dem Buch Daniel "Die drei Männer im Feuerofen": Drei Israeliten lehnen in der Babylonischen Gefangenschaft die götzendienerische Anbetung der Statue des Königs Nebukadnezar ab.
    Pikanterweise ist mit der Darstellung auf diesem Relief ein direkter Bezug zu den berühmten "Places Roayles" in Frankreich gegeben: Statt der dottigen "falschen" Anbetung des Standbildes der französischen Könige errichtete Fürst Wilhelm-Heinrich mit Ludwigskirche und Ludwigsplatz ein Ensemble "AD LAUDEM DEI PUBLICAM", d. h. nur dem wahren König = Gott gehört die Ehre auf und mit einem solchen Platz geehrt zu werden:

    Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine Darstellung aus Hesekiel mit der Darstellung des "Einzugs der Herrlichkeit des Herrn in des Neuen Tempels Herrlichkeit" (Formulierung nach Lutherbibel). Interessanterweise wird die Ludwigskirche in den zeitgenössischen Quellen immer nur die "Neue Kirche" genannt.

    Und ganz ganz faszinierenderweise erscheint eben diese Herrlichkeit dann ganz real im Inneren der Ludwigskirche, und zwar an der Decke der "Kuppel". Wer genau hinsieht, erkennt die Ähnlichkeit der Strahlenglorie mit der des Reliefs außen:

    Und um das Ganze abzurunden:
    Dies ist nur der Anfang eines vieldimensionalen Programms, denn außen auf der Balustrade stehen Figuren, keine Heiligenfiguren wie etwa bei der Katholischen Hofkirche in Dresden, sondern es sind Statuen, die dem protestantischen Glaubensverständnis gewidmet sind: die 12 Apostel, die 4 Hauptpropheten aus dem AT, die 3 (bzw. 4) Kardinaltugenden, sowie weitere alttestamentliche Personen (König David, Abraham etc.):

    Soweit für heute.

  • Zitat von "Oktavian"

    Aber weiter im Text. Ich muß euch noch mit ein bißchen Kunstgeschichte quälen.


    Aber nicht im Geringsten. Bitte mehr davon.
    Die Ludwigskirche in Saarbrücken ist doch auch auf einem "neuen" 2€ Stück zu sehen, oder täusche ich mich da.

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Zitat von "Aedificium"


    Aber nicht im Geringsten. Bitte mehr davon.
    Die Ludwigskirche in Saarbrücken ist doch auch auf einem "neuen" 2€ Stück zu sehen, oder täusche ich mich da.

    Ja genau. Ist sie nicht wunderschön geworden?


    Nun aber weiter im Text.

    Heute möchte ich mit Euch über die städtebauliche Bedeutung der Ludwigskirche sprechen.
    Stengel schaffte es nämlich, die Kirche, obwohl diese nachträglich die mittelalterlich gewachsene Stadt eingefügt worden ist, auf geniale Weise, städtebaulich ästhetisch und typisch "barock" mit dieser zu verbinden:

    Es gibt eine Sichtachse, die sog. "Wilhelm-Heinrich-Straße", die bereits 20 Jahre vor der Errichtung der Kirche (und wohl noch bevor an diese zu denken war), in die Stadt hinein gesetzt worden war, und die directemment (wie der Franzose sagt) zur Kirche hinführt. Heute besteht diese Straße übrigens zum größten Teil nicht mehr aus originalen Barockhäusern, sondern aus 50er-Jahre Häusern, die recht sensibel den historischen Charakter in Höhe und Proportionen wieder aufnahmen.

    In die andere Richtung geht die Blickachse über die Saar hinweg in die Schwesterstadt St. Johann (wie Dresden und Dresden-Neustadt; Saarbrücken und St. Johann wurden erst 1909 zur Großstadt Saarbrücken, seitdem heißt das alte Saarbrücken sinnigerweise "Alt-Saarbrücken") und "trifft" dort auf die dortige evangelische Kirche!

    Ein weiterer Bezugspunkt besteht darin, daß der Turm der Ludwigskirche in gerader Linie auf das Belvedere des Residenzschlosses geht. Dieses steht zwar nicht mehr in seiner barocken Originalgestalt, aber auch mit dem mittelbau Gottfried Böhms funktioniert die alte Sichtachse plötzlich wieder.
    Das Bild zeigt den traurigen Zustand des historischen Kerns des alten Saarbrückens, bzw. das, was nach Bombenkrieg, Wiederaufbauwahn und v. a. nach dem perversen Bau der Stadtautobahn (linke oben) noch übrig geblieben ist.
    Immerhin wurde vor 4-5 Jahren die barocke Turmhaube der Schloßkirche (im Bild oben links, jedoch noch ohne den Helm) rekonstruiert (gegen den Widerstand der Denkmalpflege!). Tatsächlich kam dadurch doch ein Hauch mehr an barockem Glanz in die Stadt...aber dies wäre wieder ein eigener Thread wert...

    Für heute gute Nacht!

  • Die 50er-Häuser sind vorbildlich! In der Sichtachse sieht der Turm der Ludwigskirche echt aus wie eine Kriegsruine (erinnert mich an die Lukaskirche in DD). Aber umso schöner, daß das Notdach der Schloßkirche Vergangenheit ist.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • @ Oktavian

    sehr interessant! Ich war vom Ludwigsplatz und Kirche sehr begeistert. Gibt es nicht eine Baulücke nördlich der Kirche? Scheint ein Palais zu fehlen.

    Auch wenn Kirche und Platz nicht mit dem Place Stanislas Bereich in Nancy (fehlt übrigens in der Galerie und ist UNESCO-Welterbe) mithalten können, haben sie durchaus überregionale Bedeutung. Ich wäre auch für weitere Beiträge über Alt-Saarbrücken dankbar - da steht ja einiges rum (Schloss, Rathaus).

    Es scheint eine andere Kirche direkt am Ludwigsplatz zu stehen. Auch ein Stengel-Bau?

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker