Saarbrücken - Rekonstruktion der Ludwigskirche

  • Ja genau, es handelt sich um die sog. "Friedenskirche" und sie ist auch von Stengel (früher als die Ludwigskirche). Sie war ehemals die reformierte Kirche, wurde aber im 19. Jh. (ich glaube die Reformierten kamen wieder zu den Lutheranern) aufgegeben und in eine Schule verwandelt (neue Stockwerke eingebaut, Fassade verändert, nur der Turm blieb original erhalten).
    Seit dem Wiederaufbau nach 1944 dient sie wieder als Kirche (Alt-Katholiken und Griechisch-Orthodoxe teilen sie sich) und habt wieder die originale Fassade (das war damals ganz unspektakulär die erste Reko "schöner denn je")

    Das mit dem fehlenden Palais hast du richtig gesehen. Es ist nie gebaut worden. Der aus dem Boden gestampfte Ludwigsplatz (vorher die "Bruchwiese") war für den Fürsten damals eine große investitionstechnische Herausforderung, da er damals noch quasi vor den Toren der Stadt lag und niemand dorthin ziehen wollte. Nicht alles von den hochfliegenden Plänen ließ sich umsetzen.

    Zitat von "youngwoerth"

    In der Sichtachse sieht der Turm der Ludwigskirche echt aus wie eine Kriegsruine. Aber umso schöner, daß das Notdach der Schloßkirche Vergangenheit ist.

    Hm...na ja...
    Leider verfüge ich gerade nicht über die optimalsten Bilder, um Euch zu zeigen, wie bewußt Stengel mit den verschiedenen Formen der Turmhelme gespielt hat. Erst seit dem Wiederaufbau des Schloßkirchenhelms wird das aber wieder deutlicher:

    Sieht das nicht toll aus? (zumindest bei Nacht)...
    Fast wie die Dresdner Elbfront.... "Saarflorenz" sage ich nur :lachentuerkis:

  • Dein erstes Schloßkirchenbild zeigt die Wirkung des Ensembles von regionaler Typik und verdeutlicht die Notwendigkeit eines weißen Farbanstriches der Ludwigskirche!

    Ich bin mal nachts über die Autobahn durch Saarbrücken gerauscht und die Lichter der Stadt wollten nicht mehr enden - ich kam mir vor wie in einer Metropole der Größe Hamburgs.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • @ Oktavian

    Danke für die Antwort!

    Leider scheint es einige Kriegsbedingte Abrisse nach 1945 gegeben zu haben:

    http://de.wikipedia.org/w/index.php?ti…=20070705231802

    Das alte Gymnasium wurde offenbar nicht wiederaufgebaut:

    Zitat

    Die Reste des Gymnasiums, die beim großen Bombenangriff 1944 schwer beschädigt wurden, wurden 1945 abgerissen, sie standen ungefähr an der Stelle, die heute das obere Plateau der Freitreppe ausmacht. Von den Palais' der Längsseiten wurden die vier kleinsten, für die Ecken des Platzes vorgesehenen Bauten nie ausgeführt - wodurch es möglich war, zwischen Waisenhaus und Kirche eine Straße verlaufen zu lassen, die den Platzeindruck ebenso schmälert wie der zum Teil noch vorhandene Baumbestand. Im Gegensatz dazu ist der Platz, der heute von der Staatskanzlei eingenommen wird, von Stengel bewusst frei gelassen worden, um eine zweite Sichtachse, nämlich hinauf zum fürstlichen Park auf dem Ludwigsberg herzustellen. Der Schnittpunkt der beiden Sichtachsen befindet sich genau am Hauptaltar der Kirche.

    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwigskirche_(Saarbr%C3%BCcken\r
    de.wikipedia.org/wiki/Ludwigskir ... %C3%BCcken)

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Zitat von "Oktavian"

    ...Das Einzigartige neben vielem Großartigem an der Ludwigskirche stellt die Tatsache dar, daß sie wie keine anderer protestantischer Bau mit protestantischer Ikonographie aufwartet...

    Ja, aber das Verständnis dafür ist leider in unserer Zeit stark zurückgegangen, weil die modernistische Architektur vollkommen auf Bauschmuck und damit die Möglichkeit der Visualisierung einer so komplexen Gedankenwelt verzichtet, wie es noch im Zeitalter des Barocks üblich war. Bei meinem Besuch vor Ort hatte ich mir den neuen äußerst empfehlenswerten Kirchenführer ( http://www.ludwigskirche.de/html/buch_neu.html\r
    http://www.ludwigskirche.de/html/buch_neu.html ) gekauft. Dieses 230 Seiten starke Buch stellt gerade auch die Ikonographie besonders heraus. Ich finde es immer wieder fazinierend, dass in den Meisterwerken der damaligen Zeit selbst das kleinste Detail des Baus nicht willkürlich, sondern bewußt geplant und ausgewählt wurde. Du hast ja bereist einige wenige Aspekte dargestellt und möchtest vielleicht noch weitere präsentieren....hoffentlich.

  • Zitat

    Doch, die muß und wird gestrichen werden!

    Ich versteh, was du meinst, und warum, aber irgendwie tut es einem leid um diesen schönen edlen Sandsteinbau...

    Vielleicht findet sich ein Kompromiss, der Stengels Stadtbildkonzeption genial erweitert:
    Wir reißen die Stadtautobahn ab und errichten an deren Stelle, in Sichtachse der Wilhelm-Heinrich-Straße als Pendant zur alten Ludwigskirche eine neue, die wir dann anstreichen.
    Hat doch was?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Nicht ganz, aber immerhin hat sich SB dazu entschlossen, die Stadtautobehn in den nächsten Jahren zu überdeckeln, was der Innenstadt wohl unendlich gut tun wird....

  • ^Ehrlich? Ist das gesichert? Eine fantastische Nachricht - im Westen wird rückgebaut, im Osten... 8)

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  • Ahahaha ich habe hier noch ein Deutschlandbuch aus den 50ern, wo das saarbrücker Stadtzentrum als überaus vorbildlich modern beschrieben wird.

    Schön wie sich die Zeiten ändern !!!

  • Faszinierend, Danke! Dann haben wir ja bald eine weitere innerstädtische Großbaustelle - das macht die Stadt für mich wesentlich interessanter als bisher. :zwinkern:

    Zitat

    „Das ist ein gutes Projekt“, sagte Tiefensee. Es zeichne sich durch eine sehr gute Kombination aus infrastrukurellen und städtebaulichen Aspekten aus. Der Bundesminister: „Dieses Projekt ist so prioritär, dass wir als Bund dafür 64 Millionen Euro zugesagt haben.“ Die sei bei Weitem keine Selbstverständlichkeit, sondern zeige die Bedeutung des Vorhabens. Die Summe hatte der Minister vor einigen Wochen in einem Schreiben an Oberbürgermeisterin Britz zugesagt. Die Mittel würden erlauben, nun in die konkrete Umsetzung einzelner Teilprojekte in dem Gesamtvorhaben zu gehen und zudem gemeinsam mit Saarbrücken Verwaltungschefin Charlotte Britz in Brüssel für zusätzliche EU-Mittel zu werben. Gleichzeitig stellte der Bundesminister weitere Gelder aus Städtebaufördermittel in Aussicht. Tiefensee strebe darüber hinaus an, für hochwertige Städtebauprojekte wie die neue Stadtmitte in der saarländischen Landeshauptstadt, in der nächsten Legislaturperiode weitere Mittel zur Verfügung zu stellen. (...) Tiefensee: "Die Saarbrücker Projekte haben Modellcharakter und sind Vorbild für andere Regionen."

    Quelle: http://www.saarbruecken.de/de/rathaus/stadtentwicklung/aktuelle_stadtentwicklungsprojekte/stadtmitte_am_fluss/bundesmininster_tiefensee_besucht_saarbruecken\r
    http://www.saarbruecken.de/de/rathaus/s ... arbruecken

    Um Tiefensee tut es mir leid, den habe ich sehr gemocht und er hat sich für unsere Sache eingesetzt.

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  • Zitat

    Investitionen in Bildung seien wichtiger als der Tunnelbau


    Na, Dankeschön.

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  • nun, grundsätzlich gibt es sicher argumente dafür, lieber in bildung als in beton zu investieren. frage an die ortskundigen hier: gäbe es nicht eine preiswertere, oberirdische rückbau-möglichkeit der überdimensionierten verkehrstrasse? das leitbild der autogerechten stadt sollte doch inzwischen ad acta gelegt sein.

  • So, ihr Lieben, damit die Diskussion nicht ins Uferlose geht, hier nun mal wieder weiter mit der Ludwigskirche.

    Es soll nun um den Innenraum gehen.

    Hier erst einmal der Grundriss. Wie man sehen kann , ist der Bau nicht einfach ein griechisches Kreuz, sondern ein nach Osten (für die Fürstenloge) und Westen (für Altar und Orgel) zum Zentralbau erweiterter protestantischer Quersaal. Sehr wahrscheinlich war die Vorlage hierfür die berühmte St. Michaeliskirche in Hamburg:

    Im Innenraum (hier vor der Zerstörung 1944) kann man es deutlich sehen, da die Emporen der Erweiterungstrakte gleich vorne an den Säulen ansetzen und höher im Raum sitzen, so daß sie in der Seitenansicht fast als eine Art "Wand" zur Wirkung kommen und damit den Quersaal betonen.

    Noch zum Wiederaufbau: Wie Ihr unschwer nachvollziehen könnt, ist dieses Foto identlisch mit dem allerersten, das ich hier zeigte. Wenn man sich vorstellt, daß das alles hier weg war, dann wird die Wiederaufbauleistung nur um so größer. Dies zeige ich dann aber erst in den nächsten Tagen... Und die künstlerischen und ikonographischen Details erläutere uch euch dann am wiederhergestellten Innenraum... ok?

    Zur Stadtautobahn: Es ist eine Bundesautobahn, die kann man nicht einfach abbauen...

  • Hallo Oktavian,

    habe erst jetzt mal die Gunst der Stunde genutzt um mir diesen Strang zu Gemüte zu führen..vielen Dank für die Arbeit, die du hier herein gesteckt hast.

    Das ist ein sehr sehr lobenswertes Projekt...bei dem mal wieder die Sprichwörter wahr werden....Gut Ding will Weile haben und steter Tropfen höhlt den Stein :)

    :applaus:

    Viele Grüße

    DV

    "We live in the dreamtime-Nothing seems to last. Can you really plan a future, when you no longer have a past." Dead Can Dance - Amnesia

  • Hallo Darky ;)

    Na der Thread ist ja noch lange nicht fertig... Ich hoffe, ich finde am WE mal wieder 1-2 Stunden Zeit ihn fortzusetzen. Das was bisher zu sehen war, sollte ja nur das "Vorspiel auf dem Theater" zu dem eigentlichen "Wiederaufbaudrama" sein, das sich dann seit 40 Jahren daran anschloss....

    Aber Vorfreude ist ja bekanntlich die größte Freude. Und an Weihnachten bin ich ja just auch dort und werde neue, aktuelle Bilder von der Fürstenloge mitbringen...

  • @ Octavian,
    vielen Dank auch von mir. Habe fasziniert Deine Ausführungen verfolgt. Damit ist eine für mich noch unterbelichtete Stadt Deutschlands greifbarer geworden. Bin schon gespannt auf Deine Fortsetzungen. Allerdings fände ich die Überstreichung des Sandsteines auch gewagt und ein Verlust. Jedoch scheint mir dann die Fassade ruhiger zu werden, was die Details wahrscheinlich deutlicher hervortreten läßt.
    Übrigens Octavian kennst Du die evang. Stadtkriche im württembergischen Aalen. Die kleine Schwester der Saarbrücker, oder!?
    http://www.bing.com/maps/?mkt=de-de&cp=48.8379~10.0938&scene=10943328&style=b&lvl=1&dir=0&tilt=-90&alt=-1000\r
    http://www.bing.com/maps/?mkt=de-de&cp= ... &alt=-1000
    http://www.evangelische-kirchengemeinde-aalen.de/\r
    http://www.evangelische-kirchengemeinde-aalen.de/

    Zitat

    Der Einsturz des Turmes bedingte 1765-67 einen völligen Neubau. Dabei entstand eines der seltenen Beispiele eines protestantischen Kirchenraumes, der in den Formen des Barock erbaut wurde. Eine vergleichbare Kirche ist nur noch in Alfdorf im Remstal zu finden. Nach dem Entwurf des württembergischen Landbaumeisters Johann Adam Groß schuf Baumeister Johann Michael Keller eine barocke Quersaalanlage von 36 m x 16 m. Mit einer lichten Höhe von 11 m haben in der Kirche 550 Personen im Schiff und 330 Personen auf den Emporen Platz. In den Jahren 1955/56 und 1980 wurde die Kirche renoviert und die Farbgebung aufgehellt.


    http://www.stadtkirchenorgel-aalen.de/\r
    http://www.stadtkirchenorgel-aalen.de/

    http://t1.gstatic.com/images?q=tbn:zT1ljqI-0gLZjM%3Ahttp://www.attraktionen.info/images/aalen/stadtkirche-aalen.jpg\r
    t1.gstatic.com/images?q=tbn:zT1l ... -aalen.jpg

  • Es gibt noch eine weitere, äußerst erlebenswerte Kirche von Friedrich Stengel in Saarbrücken, auf der anderen Flußseite gelegen:
    St. Johann (katholisch); ein kleines, feines Barockkirchlein, von außen im meisterlichen Kanon, aber schon oft gesehen und wenn man eintritt, wirft einen der Raumeindruck fast um.
    Das sieht wohl auch die Kirchenverwaltung ähnlich, als ich vor ca. zehn Jahren dort war, habe ich drinnen eine Art Empfangsplakat vorgefunden, auf dem stand:
    'So etwas hätten Sie nicht erwartet!?'

  • Zitat von "Obi_der_Bieber"

    Es gibt noch eine weitere, äußerst erlebenswerte Kirche von Friedrich Stengel in Saarbrücken, auf der anderen Flußseite gelegen:
    St. Johann (katholisch); ein kleines, feines Barockkirchlein, von außen im meisterlichen Kanon, aber schon oft gesehen und wenn man eintritt, wirft einen der Raumeindruck fast um.

    Nun ja mit der Katholischen Kirche in St. Johann (im Volksmung gen. die "Basilika") hat es so sein eigenes Bewenden:
    Der Innenraum ist eine "Pseudo-Reko", d.h. nur nach einer sehr, sehr vagen Stichzeichnung in den 1970er Jahren rekonstruiert. Damals war die Ludwigskirche im Stuck gerade fertig und man wollte nicht nachstehen und auch so etwas Schönes haben. In diesem Falle ist die Reko definitiv an ihre Grenzen gekommen, denn wie gesagt der Stuck verschwand schon fast gänzlich im frühen 19. Jh. und man konnte also nicht exakt nach Fotos wie bei der LK rekonstruieren.
    Pikanterweise rekonstruierte man die Orgel der LK schon fast 10 Jahre vorher in St. Johann, bevor sie in der LK wiederhergestellt war. Und damit es nicht zu viele Übereinstimmungen gab, drehte man die Anordnung der Pfeifen in den großen Türmen einfach herum und reduzierte den Dekor etwas...

    Also wie gesagt: Ist ein schöner Raum geworden, kann aber so gut wie keinen Anspruch erheben, auch als Reko authentisch zu sein...