Ulm - Neue Straße 58 - 66, Weinhofberg 5

  • Nach längerer Abwesenheit melde ich mich auch mal wieder im Forum.

    Leider habe ich nur schlechte Nachrichten: Die Sparkasse Ulm möchte noch einen weiteren Neubau an der Neuen Straße bauen. Dafür sollen drei etwas heruntergekommene Häuser mit traditionellem Giebel - alle angeblich aus den Fünfzigerjahren - abgerissen und durch eine häßliche Kiste ersetzt werden. Schon im Januar wurde der Wettbewerb zugunsten des Büros Lederer + Ragnasdóttir + Oei entschieden. Sind glaube ich die gleichen, die auch das Straßenbahndep...äh, das Historische Museum in Frankfurt bauen sollen.

    Informationen zum Bauvorhaben aus der Presse:
    Südwest-Presse: Der erste Preis überzeugt auf allen Ebenen
    Augsburger Allgemeine: Sparkasse Ulm baut Neue Mitte weiter

    Hier Bilder von mir zur gegenwärtigen Situation:



    1 Blick vom Weinhofberg. Rechts angeschnitten der schon in die Jahre gekommene riegelartige Sparkassenbau, links daneben die drei abzureißenden Häuser



    2 Hier die beiden unteren Häuser vom Fischerviertel aus fotografiert



    3 Die die Altstadt durchschneidende Neue Straße mit den drei abzureißenden Häusern, ganz links Sparkassenriegel



    4 Neue Straße mit Neuem Bau (16. Jh.), Blick zu den Neubauten der Neuen Mitte, dann wieder alter Sparkassenriegel und die abzureißenden Häuser



    5 Eines der Häuser vom Flüßchen Blau aus gesehen. Man beachte die seltsame Einteilung der Fenster



    6 Die schwäbische Trias aus Baumarkthaustüre, gefliestem Sockelbereich und Mülltrennung - unglaublich, wie geschmacklos man ein Haus verunstalten kann


    Die folgenden Bilder zeigen die unmittelbare Umgebung, die geprägt ist von der Barbarei der Neuen Straße einerseits und andererseits vom direkt an der Straße beginnenden Fischerviertel:


    7



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    Ich sehe nun zwei Probleme bei dem ganzen Projekt:

    Erstens wird mit dem Neubau erneut eine unmaßstäbliche, häßliche, einfallslose, die lokale Tradition negierende Kiste mitten ins Stadtzentrum gesetzt, und zwar direkt an den Rand des historischen Fischerviertels.

    Zweitens bin ich mir nicht ganz sicher, ob es sich bei zweien von den drei Häusern wirklich um Nachkriegsbauten handelt. Hier nochmal Bild Nr. 2 und im Vergleich dazu eine Aufnahme von ca. 1930:


    2



    Quelle: Bildindex Marburg

    Die linke Hälfte ausfüllend ein noch heute existierendes Fachwerkhaus, rechts daneben weiter im Hintergrund eines der beiden Häuser, das andere noch ein wenig angeschnitten. Bei der Fenstereinteilung fällt auf, daß sie - soweit ich das beurteilen kann - in den unteren Geschossen weitgehend übereinstimmt mit dem jetzigen Haus. Man beachte z. B., daß der Abstand zwischen den linken beiden Fenstern kleiner, der zum rechten Fenster größer ist.

    Könnte es sich also doch um einen Altbau handeln, der nach außen hin verunstaltet wurde? Möglicherweise waren die Häuser auch teilbeschädigt, und der Dachstuhl ist beispielsweise modern. Es wäre doch eigenartig, 1955 (wie z. T. als Baujahr angegeben) oder in den Sechzigerjahren (wie aus anderen Quellen zu erfahren) einen Neubau mit solch einer merkwürdigen Fenstereinteilung zu bauen, die dazuhin noch dem Altbau an einer Seite zumindest sehr ähnlich ist. Ich kann mich aber auch irren.

    Vielleicht wollen sich einige Leute mit größerer Expertise als ich dazu äußern? Die Häuser sind auf jeden Fall nicht unter Denkmalschutz und befinden sich im Besitz der Sparkasse, so daß der Abriß wohl ganz schnell über die Bühne gehen wird. Die Häuser in gegenwärtigem Zustand sind nicht sehr ansprechend, weswegen sich wohl auch wenige Stimmen gegen ihren Abbruch erheben dürften. Vor der Sanierung des Fischerviertels sahen aber viele Häuser dort ähnlich schmuddelig und verunstaltet aus.

    Von offizieller Seite ist leider in Ulm nichts zu erwarten, die Stadt leidet, ähnlich wie Nürnberg und Augsburg, unter dem Süddeutsche-Reichsstadt-Will-Nicht-Mehr-Provinziell-Sein-Komplex.

  • Zitat

    Von offizieller Seite ist leider in Ulm nichts zu erwarten, die Stadt leidet, ähnlich wie Nürnberg und Augsburg, unter dem Süddeutsche-Reichsstadt-Will-Nicht-Mehr-Provinziell-Sein-Komplex.

    Die gehören alle drei auf die Couch ...

  • Candidus:
    Die "abzureißenden" Häuser könnten eventuell noch Teile der Altbauten enthalten, sie könnten aber auch Neubauten der 50er sein, die sich auch bei der Fenstereinteilung stark an die Altbauten orientierten-solche Neubauten der 50er gibt es z.B. am Albrecht-Dürer-Platz in Nürnberg (die Nordzeile)
    Die Ulmer Häuser wären renoviert und mit besseren Fenstern, Fensterläden, Türen und ohne Kacheln am Erdgeschoss schmücke Häuschchen, die ganz zum Fischerviertel passen würden.
    Der in die Jahre gekommene Sparkassenklotz müsste durch den Klotz ersetzt werden, den man jetzt für das Grundstück der Häuser entworfen hat. Das heutige graue Sparkassengebäude hat überhaupt keine gestalterische Qualität. Der neu entworfene Klotz hat schon etwas mehr davon, aber sollte nicht anstelle von Altstadthäusern kommen.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Eines verstehe ich auch nicht. Warum ersetzt die Sparkasse ihr prachtvolles Verwaltungsgebäude nicht durch einen größeren Neubau? NEIN, - die müssen da noch ´nen zweiten Trümmer daneben pflanzen. Echt zum :übelkeit: . Aber die Sparkasse ist deutschlandweit ja schon bekannt für sensible & angepasste Bauweise.

    Was die zwei Häuser angeht. Das sieht wirklich so aus, als seien es die Originale aus dem Vorkriegsfoto. Die umgedrehte Hakenkreuz-Verzierung an der Baumarkttür sieht übrigens interessant aus :zwinkern:

  • Und bei diesem 60er-Jahre-Retro-Mist stört vor allem das servile Geschreibe bestimmter unkritischer Journalisten: "Der erste Preis überzeugt auf allen Ebenen". Man lacht sich tot...

  • Nach dem alten Sparkassenriegel (wohl aus den 60/70ern) und dem Neubau auf der Neuen Straße von Braunfels ist dies nun der dritte maßstabszerstörende Bau der Sparkasse. Erstaunlich, weil man doch bei einem lokalen Unternehmen mehr Bezug zum Ortscharakter erwartet. Es scheint aber wirklich so zu sein, daß der Modernismus als Kompensation für eine empfundene Provinzialität herhalten muß.

    Wie auch schon von anderen angemerkt, gibt es in Ulm viele Häuser aus den 50ern, die kleinteilig und mit Giebeln versehen sind. In der Regel handelt es sich dabei nicht um Meisterwerke der Baukunst, aber immerhin fügen sie sich ein und erzeugen in einigen Straßen ein geschlossenes Bild. Wenn diese Häuser jetzt alle ersetzt werden durch Kisten, wird sich das Stadtbild massiv verschlechtern.

    Es ist aber nicht so, daß Ulm nur schmuddelig und verunstaltet ist. Bei Vergleichen zwischen Städten solllte man außerdem auch immer den Zerstörungsgrad berücksichtigen, und der war z. B. in Freiburg längst nicht so hoch wie in Ulm. Leider wurden der repräsentative Eingangsbereich der Stadt um den Bahnhof und die beiden wichtigsten Straßen (Hirschstraße, Frauenstraße) zu einem großen Teil zerstört.

    Ich werde trotz meines Pessimismus mal versuchen, mit einigen Leuten in Kontakt zu treten.

  • Zitat von "Zeno"

    Müssen es unbedingt diese Häuser sein?

    Ja, es müssen. In Deutschland werden nicht die unerträglichen Bauten abgerissen, es sind die wenigen erträglichen, die daran glauben müssen.
    Diese Logik muss man nicht verstehen.

    Ansonsten zeigen Deine Fotos auch ein wenig die von mir erwähnte Schmuddeligkeit Ulms - wobei es noch wesentlich schlimmere Bereiche gibt.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat von "Candidus"

    Bei Vergleichen zwischen Städten solllte man außerdem auch immer den Zerstörungsgrad berücksichtigen, und der war z. B. in Freiburg längst nicht so hoch wie in Ulm.

    Deswegen habe ich in Freiburg ja auch immer wieder die zerstörten Bereiche fokussiert - und gerade die sind wesentlich niveauvoller als das in Ulm der Fall ist. Vergleiche doch mal bitte die Hauptfußgängerzonen dieser beiden Städte (beide relativ vollständig zerstört). Man kann etwas aus seiner zerstörten Stadt machen, wenn man versucht, ihr Identität zurück zu geben. Das ist in Freiburg gelungen. In Ulm eher nicht.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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  • @ Candidus
    Meiner Meinung nach sind das effektiv Bauten, welche den Krieg überlebt haben. Beim kleineren Gebäuden dürften sogar noch die Giebeldreiecke original sein, was beim grösseren Gebäude sicher nicht mehr der Fall ist (siehe durchschimmernde, grosse Mauersteine). Der Hauseingang samt der Ladenpartie stimmen in der grösse noch genau mit dem historischen Bild überein, und auch die Fenstersimse der Obergeschosse sind nicht genau auf der gleichen Höhe - wenn auch fast unmerklich, aber trotzdem ein klares Indiz gegen einen Neubau der Fünfziger Jahre!

    Wenn du denkst, dass von der Stadt keine Auskunft auf eine Anfrage zu erwarten ist (jetzt vielleicht schon, denn die Bewilligung dürfte vorhanden sein; die beiden verlinkten Artikel datieren vom Januar 2008), dann versuch's doch mal beim Bayrischen Landesamt für Denkmalpflege. Ich habe zwar keine Erfahrungen mit euren Landesämtern, inwieweit sich diese in kommunale Angelegenheiten einmischen, oder inwieweit sie informiert werden müssten, insbesondere dann, wenn es sich um keine Schutzobjekte, wohl aber um unerkannte historische Bauten handelt.

  • Zitat

    Meiner Meinung nach sind das effektiv Bauten, welche den Krieg überlebt haben.

    Wenn das stimmt, dann muss der Abriß auf jeden Fall verhindert werden!

    Sollte sich herausstellen, daß es sich um einige der wenigen mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Bauten handelt, die den Krieg überstanden haben, dann kann die Sparkasse eigentlich kaum mehr anders als die Sache zu überdenken. Außerdem ließen sich damit doch bestimmt die Bürger und die Politik mobilisieren

  • Zitat von "Philon"

    Sollte sich herausstellen, daß es sich um einige der wenigen mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Bauten handelt, die den Krieg überstanden haben, ...


    Der fehlenden Vorkragungen wegen würde ich sie als frühneuzeitlich einschätzen, so 17./18. Jahrhundert.


    Zitat von "Zeno"


    (Hervorhebung durch mich)

    Wir sind uns aber hoffentlich darin einig, dass Ulm in Baden-Württemberg liegt; Bayern beginnt erst 100 m von der Stadtmauer entfernt in der Mitte der Donau.

    Dir, Riegel, würde ich aber deswegen keinen Vorwurf machen wollen, weil Du Schweizer bist. :)

    grins... und ich habe extra deshalb vor dem Absenden meines Beitrags noch rumgegoogelt, und unter http://www.ulm.de erscheint unter der Hauptseite rechts "Neu-Ulm - Die junge bayerische Stadt an der Donau" und links "Ulm - Die Wissenschaftsstadt in der Innovationsregion". Offenbar läuft die Grenze dazwischen, und ich habe doch nicht mehr weiter gesucht :zwinkern:
    (so nebenbei: sehr innovative Floskeln, welche sich die beiden Ülmer da geben... :gg: :gg: :gg: )


    Candidus: bin gespannt, was Du herauskriegst!

  • Zitat von "Brandmauer"


    Der in die Jahre gekommene Sparkassenklotz müsste durch den Klotz ersetzt werden, den man jetzt für das Grundstück der Häuser entworfen hat. Das heutige graue Sparkassengebäude hat überhaupt keine gestalterische Qualität. Der neu entworfene Klotz hat schon etwas mehr davon, aber sollte nicht anstelle von Altstadthäusern kommen.

    Die drei Giebelhäuser sollten unbedingt erhalten bleiben in unmittelbarer Nachbarschaft zum Fischerviertel!
    Neben den bereits bestehenden grauen Sparkassenklotz noch eins zu stellen, wäre ein grosser Fehler. Vor allem in der Grösse!
    Ich dachte bislang die Welt wäre in Ulm in Ordnung. Die Neue Mitte ist ja die Katastrophe! :schockiert:

  • http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bund…6-0012,_Ulm.jpg

    Auf diesem Bild ist zu sehen, daß von den drei zum Abbruch vorgesehenen Häuser an der Neuen Straße gegenüber dem Neuen Bau die von hier aus gesehen zwei linke reine Nachkriegsbauten sind (sie werden auf diesem Bild gerade aufgebaut) Das rechte aber steht schon (hier teils vom Neuen Bau verdeckt) und könnte- mindestens zum Teil- ein Altbau sein.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat

    1. Bauphase:
    (1250 - 1400) Evtl. spätmittelalterliche Baureste an der östlichen Außenwand vom Erdgeschoß bis zur Traufe im 2. DG, stehen auf der Flucht der hochmittelalterlichen Stadtmauer.


    Quelle: http://www.bauforschung-bw.de

    Das ist großartig, wiederum wurde hier im Forum alte Bausubstanz an unerwarteter Stelle entdeckt, wie früher schon auf der Lorenzer Straße in Nürnberg.
    Ich befürworte sehr einen eigenen Strang zu diesem Thema, damit wir die Entwicklungen bei diesen Häusern mitverfolgen können!

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Es steht aber folgenes:

    Zitat

    Zweiteiliger Komplex, der sich aus zwei Giebelhäusern zusammensetzt. Vordergiebel gegen den Weinhofberg, Rückgiebel gegen die Neue Straße
    Nach Kriegszerstörung bis auf die Gewölbekeller weitgehend neu errichtet

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Ein Keller aus der Zeit um 1250 ist, so spektakulär es zunächst auch klingen mag, alles andere als ungewöhnlich. Erst ab dem 11. Jahrhundert wird es bei bürgerlichen Bauten richtig spannend.