• Wurde hier eigentlich schon mal die Stadt Le Havre angesprochen, die nach schwersten Zerstörungen im II. Weltkrieg nicht wirklich „wiederaufgebaut“, sondern eher an alter Stelle neu errichtet wurde. Neu errichtet – denn: es entstand eine Stadt mit geradlinigen Straßenzügen und Betonarchitektur.

    Wie man an solchen alten Bildern sieht, muß Le Havre vor dem Krieg eine sehr malerische Stadt gewesen sein.

    Heute stehen die Schuhkartongebäude der Nachkriegszeit zu allem Übel als Welt“kultur“erbe der Unesco auch noch unter besonderen Schutz :kopfwand: .

    Bilder bei Wikipedia: http://commons.wikimedia.org/wiki/Le_Havre?uselang=de\r
    commons.wikimedia.org/wiki/Le_Havre?uselang=de

    Da fällt mir eigentlich nichts mehr dazu ein…höchstens eine vielleicht: Frankreich, das exakte Gegenteil von Polen...

  • Bevor man meckert sollte man vielleicht mal hinterfragen, wieso Le Havre Weltkulturerbe ist.
    Nach dem Krieg, in dem die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde, wurden die Trümmer nach Farbe sortiert und gemahlen und anschließend aus diesen farbhomogenen Schutt Beton gemischt. So kommt es, dass die Altstadt von Le Havre heute in den verschiedensten Betonfarbtönen "glänzt". Das ist einmalig und deshalb ist Le Havre Weltkulturerbe.
    Ob man es gut findet oder nicht bleibt jedem selbst überlassen. Meiner Meinung nach ist der Verlust des alten Le Havre verschmerzbar, Städte mit ähnlichen Flair gibt es zuhauf in Frankreich... aber ich bin auch kein Kunsthistoriker.
    Wohnen möchte ich in Le Havre auch nicht, aber es gibt genug, die es tun.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Meckern? Ich dachte dabei eher an einen interessanten Vergleich zum Wiederaufbau einiger süddeutscher Städte, der sich im wesentlichen an den Strukturen und am Stil der alten Stadt orientiert hat. Und der hier eigentlich immer wieder in der Kritik stand, da eben nicht alles exakt rekonstruiert und vieles vereinfacht wiederaufgebaut wurde.

    Sicher besitzt der neu aufgebaute Stadtkern Le Havres eine weitaus höhere architektonische Qualität als Betonbauten späterer Jahre. Aber deswegen gleich Weltkulturerbe? Ich weiss ja nicht….

    Gut, die Meinungen gehen da natürlich auseinander. Aber diese Art des Wiederaufbaus war auch in Deutschland in Städten geplant, in denen es die Mitglieder des Forums heute sicher nicht gerne sehen würden – glücklicherweise hat man sich aber für die o.g. Variante entschieden.

    Und auch die höhere Qualität der Architektur ändert m.E. nichts daran, daß die meisten Gebäude von der Formensprache her halt einfach „Schuhkartonhäuser“ sind.

  • Ich hatte deinen Betonkopf-Smiley als meckern aufgefasst, daher mein Kommentar. Tut mir leid falls ich das falsch verstanden habe.

    Der Begriff Weltkulturerbe wird halt nicht für Ästhetik, Touristikeignung oder sonstwas vergeben, sondern für herausragende kulturelle Bauleistungen, die für ihre Epoche wegweisend waren und daher der Menschheit als Erbe erhalten bleiben sollte [Hier im Ruhrgebiet weiß man das vielleicht nicht so ganz zu würdigen, daher ist die Zeche Zollverein jetzt eher Kirmes und In-Standort, wenn man Bergbaugeschichte erleben will muss man woanders hin]. Aber prinzipiell halte ich den Status Weltkulturerbe fürs betonbunte Le Havre schon für richtig. Es können ja auch mal wegweisende Irrwege der Architekturgeschichte ausgezeichnet werden. Dementsprechend kann ich mir auch vorstellen, dass die Wiesbadener mit ihrer "Perlenkette des Historismus" nicht durchkommen werden, da die Einzigartigkeit sich hier lediglich auf den Erhaltungsstand der Stadt auswirkt, vor 70 Jahren gab es noch eine Menge Städte, die ähnlich aussahen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Le Havre ist halt einer von vielen möglichen Wegen, die bei Wieder- bzw. in diesem Fall Neuaufbau kriegszerstörter Städte beschritten wurde.

    Neuaufbau deshalb, weil der Begriff „Wiederaufbau“ ja eigentlich die Wiederherstellung – oder weitgehende Wiederherstellung – des Zustandes vor der Zerstörung suggeriert, wie man dies ja u.a. in Warschau getan hat.

    In Le Havre ist genau dies nicht geschehen – man hat sich gegen eine – auch nur ansatzweise – Wiederherstellung des ursprünglichen Stadtbildes entschieden, wenn man von der Färbung des Betons einmal absieht.

    Das war der Hauptgrund für meinen Beitrag, da ja oft der häufig kompromißbehaftete Wiederaufbau deutscher Städte kritisiert. Ich bin z.B. auch nicht über die wenigen modernistischen Gebäude am Dresdner Neumarkt glücklich, finde aber auf der anderen Seite diese Kompromisse wieder verschmerzbar, weil das alte Stadtbild im Wesentlichen trotzdem wiederentsteht. Wäre Dresden damals von der Zerstörung verschont geblieben, die Spitzhacke hätte man in der Nachkriegszeit an einigen Stellen der Stadt vermutlich trotzdem ausgepackt…

  • Die zerstörten Teile anderer Städte in der Normandie wie Rouen, Caen, Evreux und Lisieux sind viel besser wiederaufgebaut worden. Coutances ist ebenso gut wiederaufgebaut worden als St. Malo. In all diesen Städten hat man mehr oder weniger traditionelle Neubauten mit Schrägdächer gebaut. St. Lo ist häßlich aber hat wenigstens noch Schrägdächer.
    Die Dummheit von einem Welterbe Le Havre ist, daß man dort jetzt nichts mehr nachbessern kann. Natürlich sind einige Großbauten und Ensembles Perrets schützenswürdig. Aber die zahlreichen uninspierierten Schuhschachtelbauten, die nur dem Finanznot der Nachkriegsjahre entspringen, müßte man auf Dauer durch etwas Besseres ersetzen können.
    Die Größte Bausünde Le Havres ist aber ein Wohnkomplex aus den 70ern (schätze ich) am Yachthafen nahe Perrets St. Joseph. Unglaubliche Dimensionen, unglaublich häßlich.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "Brandmauer"

    Die zerstörten Teile anderer Städte in der Normandie wie Rouen, Caen, Evreux und Lisieux sind viel besser wiederaufgebaut worden.


    Und Dünkirchen oder Calais mehr als übel. Auch in Frankreich gilt: Pauschalvergleiche mit Polen werden der komplexen Situation nicht gerecht.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • >>Die Größte Bausünde Le Havres ist aber ein Wohnkomplex aus den 70ern (schätze ich) am Yachthafen nahe Perrets St. Joseph. Unglaubliche Dimensionen, unglaublich häßlich.<<

    Die Franzosen waren die ersten in Kontinentaleuropa, die großmaßstäblich die kollektivistischen Wohnvisionen Corbusiers in Reinkultur angewandt haben - die sozialistischen Länder begannen damit erst eine volle Dekade später. Nirgendwo in Westeuropa war die Vision eines Neustarts im Rahmen des gesellschaftlichen, auch sozialistischen Fortschritts stärker verankert als in Frankreich. Man muß davon ausgehen, daß besagter Komplex in Le Havre eher in die späten Fünfziger bzw. frühen Sechziger gehört.

    "Geboren" wurde die real existierende Wohnmaschine, vorher nur in kranken Architektenhirnen am Start, allerdings in den französischen Kolonien....

    Zu Le Havre: In jedem Fall erhaltenswert und wichtig; allerdings gehört dieses Ensemble im Vergleich wirklich zu den hochwertigen Anlagen - nicht nur bezüglich der Farb- und Materialwahl, sondern auch der klassizistischen Remineszensen, die ein Überbleibsel der Pionierzeit Perrets waren.

    Nein, die werden gedünstet

  • http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:LehavrePlaceHoteldeVille.jpg&filetimestamp=20090825191210\r
    de.wikipedia.org/w/index.php?tit ... 0825191210

    Obwohl Beton, Härte und Grobheit in der Form, ist das ganze doch meilenweit entfernt von unserem stocknüchternen Wiederaufbau. Ein ketzerischer Gedanke: Wie hätten wohl die Franzosen die Situation genutzt, wenn ihrer Hauptstadt dasselbe Schicksal zuteilgeworden wäre wie Berlin oder Warschau; wie würde das Pariser Zentrum wohl heute aussehen ?

    Nein, die werden gedünstet