• Der in den 70ern endgültig abgerissene Meyers Hof in der Ackerstraße, ein eindrucksvoller Mietskasernenkomplex, ist nicht das einzige, was in Wedding interessant war.

    Bin eben hierauf gestoßen:

    Zitat

    Deutsche Höfe
    Wedding (Gesundbrunnen),
    Hussitenstraße 4/5.

    Die Wohnanlage entstand 1903/04 entlang der heute eingezogenen Versöhnungs-Privatstraße im Auftrag des Vaterländischen Bauvereins nach Entwurf des Architekten Ernst Schwartzkopff. Auf 7 180 m² Baugrund befanden sich 208 Ein-, Zwei- und Dreizimmerwohnungen, 43 Einzelzimmer und fünf Läden. Die Anlage gliederte sich in sechs aufeinander folgende Höfe, durch die Versöhnungs-Privatstraße miteinander verbunden. Der Vaterländische Bauverein, 1902 gegründet, verstand sich als christlich-patriotische, kaisertreue Gesinnungsgemeinschaft. Gelder aus Preußischen Wohnungsfürsorgefonds (1895) und dem Reichsfond für den Wohnungsbau von Angestellten und Arbeitern des Reiches (1907) konnten als neue staatliche Finanzierungsmöglichkeiten genutzt werden. Die Wohnanlage gehörte zu den ersten größeren Vorhaben, die so entstanden. Im Verlauf der Versöhnungs-Privatstraße wurde in historisierenden Formen die Architekturentwicklung dargestellt. Einbezogen in diese Inszenierung waren Daten aus der Kirchengeschichte und des Bürgertums. Im letzten Hof, dem Wilhelmsgarten (neuzeitliche Architektur), hatte man Johann Hinrich Wichern, den Begründer der Inneren Mission, und Victor Aimeé Huber (1800–1869), der die erste gemeinnützige Baugenossenschaft in Berlin gründete, dem Standbild Kaiser Friedrichs III. zugeordnet. Der Zeugniswert der mustergültigen Wohnanlage bestand in der Aussage, daß Kaiser und christliche Arbeiterbewegung die Soziale Frage zu lösen imstande wären. Nach 1945 wurden die Ruinen des Vorderhauses und des rechten Seitenflügels in der Hussitenstraße sowie das erste Quergebäude Strelitzer Straße (Hospiz und Bibliothek) und ein geringer Teil der Bebauung am Hof 4 abgetragen. Der Abriß weiterer großer Teile erfolgte in den siebziger Jahren im Rahmen der Sanierung des Brunnenviertels. Erhalten sind Hof I (Romanik) mit einer überlebensgroßen bronzenen Petrusstatue, Hof II ohne östlichen Seitenflügel (märkische Backsteingotik), Hof III (altdeutsche Bauart) und die westliche Fassade von Hof IV (Deutsche Renaissance). Die D. sind denkmalgeschützt. An der Hussitenstraße wurde zum 50jährigen Bestehen des Vaterländischen Bauvereins 1952 eine Gedenktafel angebracht.


    http://www.luise-berlin.de/lexikon/mitte/d/deutsche_hoefe.htm\r
    http://www.luise-berlin.de/lexikon/mitt ... _hoefe.htm


    Wenn man dann mal guckt, was heute noch davon da ist:
    http://www.bing.com/maps/default.a…erlin&encType=1

    Wirklich schade, dass im Nachinein noch so viel von dieser Wohnanlage zerstört wurde, auch das Umfeld, was sicher auch noch nach dem Krieg überwiegend historistisch bebaut war, ist heute eine Betonwüste. Früher waren die Wohnbedingungen sicher nicht besser, aber durch Hinterhausabrisse und Sanierung hätte man hier sicherlich schöneres schaffen können.

    Gibt es noch mehr städtebauliche Kuriositäten bzw. interessante Architektur in dieser Ecke? Als Tourist kommt man dort ja doch eigentlich eher selten hin.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • ein architektonisch bedeutender bau, gerade auch für die leser dieses forums, ist der auf den ersten blick unauffällige wohnblock von josef paul kleihues etwas weiter östlich, bernauer straße/wolliner straße: 1971 entworfen und bis 1977 realisiert, ist diese erste blockrandbebauung nach dem 2. weltkrieg quasi der ausgangspunkt für die rückkehr zum städtischen bauen, wie sie dann unter dem stichwort der kritischen rekonstruktion während der internationalen bauausstellung 84/87 in der südlichen friedrichstadt erprobt und nach dem mauerfall in mitte im großen stil angewandt wurde, mit allen folgen für die entwicklung der berliner architektur, wie immer man diese beurteilen mag. man wird es auf den ersten blick nicht glauben, aber ohne diesen block wäre ein projekt wie das humboldtforum undenkbar.

  • Kleihues und Krier hatten in Berlin die richtigen Weichen gestellt und damit nicht nur in Berlin einen Weg für die Wiederkehr zum traditionellen Stadtraum aufgezeigt. Zuvor wurden im Wedding ganze Straßenzüge abgerissen. Statt eine Anmutung des Prenzlauer Bergs bietet die Weddinger Seite vielfach bis hin zur Bernauer Strasse ein ruinöses Bild mit dem Bauschrott der siebziger Jahre.

    ...

  • Zitat von "Booni"

    Gibt es noch mehr städtebauliche Kuriositäten bzw. interessante Architektur in dieser Ecke? Als Tourist kommt man dort ja doch eigentlich eher selten hin.

    Hallo Booni, ich habe den Betreff Deines Beitrags stark verallgemeinert, da erfahrungsgemäß hier sonst nicht viel bis gar nichts nachkommt.

    Ein recht interessanter Fleck im früher grenznahen Bereich vom Wedding ist das Karree um die St.-Afra-Kirche mit dem angeschlossenen erzkatholischen Institut St. Philipp Neri. Während im gesamten südlichen Wedding bis etwa zum Gesundbrunnen in der Regierungszeit von Willy Brandt tabula rasa gemacht wurde, um die Wohnverhältnisse zu verbessern :augenrollen: , hat sich hier längs der Graunstraße, Gleimstraße und Lortzingstraße ein kleines Stück gründerzeitlicher Bestand erhalten. Es ist geradezu eine Oase, wenn man dort entlang fährt.

    Es folgen einige Ansichten vom hier zumindest optisch "roten Wedding".

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • @ Palantir

    Die Häuser sind ja sehr interessant! Danke für die informativen Bilder! Erinnert mich ein bisserl an den Dogenhof in Wien bzw. an die ehemaligen venezianischen Häuser auf dem Dresdner Terassenufer.

    In einem der drei Bände „Das Berliner Mietshaus“ (ich glaube Band III) kann man sehen, dass der Krieg weniger Schaden in Wedding anrichtete, als die Flächenabrisse danach – Horror. Umso schöner heute noch etwas von damals sehen zu können.

  • Wow, das hätte ich in Wedding nicht erwartet. Eine Schande, dass man dort früher so viel abgerissen hat.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • 50 Jahre Stadterneuerung, heißt es dieser Tage und meint damit das Flächenabrissprogramm im südlichen Wedding zwischen Bernauer Straße und dem Bahnhof Gesundbrunnen (sog. Vinetaviertel/Brunnenviertel) unter der Stadtregierung von Willy Brandt.
    Umgesetzt wurde die radikale Beseitigung der erhaltenen Blockrandbebauung aus Vorkriegezeiten zu Gunsten aufgelockerter Wohnblöcke überwiegend in Zeilenbauweise mit großflächigen, begrünten und gepflasterten Zwischenbereichen.
    Nicht erst seit heute zeigt sich demjenigen, der mit offenen Augen und klarem Blick dort unterwegs ist, dass diese Bereiche verödete, reine Wohnbezirke und zunehmend soziale Brennpunkte darstellen, die - trotz eigentlich bester Innenstadtlage - mit Urbanität nicht das geringste gemein haben. Der Unterschied in Stadtbild und Leben, wenn man die Bernauer Straße nach Süden (Mitte) überquert ist geradezu frappant. Man müsste eigentlich zu der Einsicht gelangen, dass das Stadtentwicklungsprogramm 1963 ein schwerer Fehler war.

    Dem zum Trotze eine Lobhudelei der sozialdemokratisch geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung:
    http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/presse…hricht5055.html


    Weitere Darstellungen:

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/vinetap…te/7940052.html

    http://www.taz.de/!108802/

    http://www.berlinstreet.de/ackerstrasse/acker22

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Architektonisch ist die Zeit seit 1945 bis in die späten 1980er Jahre sicherlich der Tiefstpunkt unserer Baukultur seit, ja vermutlich seit der Völkerwanderung!

    Mögen wir in Zukunft diese schändlichen "Neuewelterfindungsphantasien aus der neuen schönen Welt" wieder wie eine Luftblase zerplatzen lassen.

  • Moderationshinweis (Palantir): Aus "Gründerzeitliche Prachtbauten" hierhin verschoben, da bauzeitlich andere Epoche.



    Den Schriftzug kann man leider so gut wie nicht mehr erkennen...

    Bilder von mir, ©Ludolf

  • Nochmal zu der "Sanierung" (Zerstörung) des Viertels:
    Da stellt die Senatsverwaltung in ihrer Pressemitteilung vom Sept 13 fest:
    "Ohne das 1. Stadterneuerungsprogramm gäbe es auch keine deutliche Besinnung auf den Erhalt vorhandener baulicher Strukturen, wie sie durch Harry Ristock und den Vertretern der Behutsamen Stadterneuerung dann konzeptionell vorbereitet und in den 80er Jahren mit der Internationalen Bauausstellung exemplarisch umgesetzt wurde.!

    Ein schwacher Trost.

    Ich wusste gar nicht, dass Willy Brandt selig auch einen so großen Anteil an der Zerstörung des alten Berlins hatte.
    Hat jemand einen Tipp, wo man mal ein paar Bilder vom Brunnenviertel vor der Zerstörung durch den Senat sehen kann?

    Dem bald wieder aufgebauten Berlin stehen goldene Zeiten bevor .....

  • Beitrag verschoben - Bezugsbeitrag:
    Berliner Abrisse

    Inzwischen hat sich aber dieser Spieß wieder umgedreht, wie hier an der Graunstraße Ecke Gleimstraße, wo ein altes Seniorenheim abgerissen wird, auch wegen der hohen Asbestbelastung. Wobei ich von der Wohnungsbaugenossenschaft keinen sonderlich aufregenden Neubau erwarte...


    Bild von mir, ©Ludolf

  • Der von mir zuletzt hier ausführlich vorgestellt Bau wird im nächsten Abschnitt saniert. Der rechte Flügel, bzw. dessen Eckturm wurde ja bereits saniert und aufgefrischt, nun ist vorallem der Haupteingang eingerüstet. Ich bin gespannt, ob z.b. der Reichsadler hängen bleibt. :wink:

    Ich würde mir auch wünschen, dass man eines Tages den Turm rekonstruiert und dem Bau seine alten Proportionen wieder gibt.

    Die Fassade des linken Flügels ist auch schon deutlich heller...



    Bilder von mir, ©Ludolf

  • Heute bei diesigem Wetter mal vom Spaziergang Bilder. Die Fassade wirkt deutlich angenehmer und der hellere Ton hebt die Details besser hervor. Jetzt fehlt nurnoch eine Rekonstruktion des Turms. :daumenoben:



    Bilder von mir, ©Ludolf

  • Das zu sehende Mosaikpflaster mit dem Wappen sollte man nun aber noch von Unkraut bzw. Einwucherungen befreien. Notfalls mit einem Brenner. Das ist nun wirklich keine riesige Arbeit und beugt späteren Schäden vor.

  • [color=#000000]Mmmh, da gibt es also immer noch keine veröffentlichten Bauzeichnungen/Visualisierungen?
    Ich vermute aber auch, dass die degewo hinsichtlich des Erscheinungsbild nicht allzu viel anstreben wird.

    Schad ist es jetzt nicht um die greissliche 70iger Jahre Kiste, ob die Nachfolgebauten allerdings schöner werden...? Ich weiß nicht so recht. :augenrollengruen:

    Das zu sehende Mosaikpflaster mit dem Wappen sollte man nun aber noch von Unkraut bzw. Einwucherungen befreien. Notfalls mit einem Brenner. Das ist nun wirklich keine riesige Arbeit und beugt späteren Schäden vor.

    Naja, mittels Brenner....es können dadurch die Steine platzen, was dann auch nimmer schön ist. Ginge auch einfacher, die ganze Fläche mal mit einer guten NaCLO³Lösung zu begießen. Könnte dann nur sein daß irgendwelche rot-grünen Styroporversessenen Umweltschützer da was dagegen hätten.

  • Schönes Ergebnis, allerdings sollte man das Unkraut auf dem Vorplatz entfernen und die Wiesen vernünftig begrenzen. Vielleicht passiert das ja noch im Frühjahr...

    Ein offener Weg zum Gebäude hin fände ich optisch reizvoller als die jetzige Situation. Irgendwie wirkt der Platz abgeschnitten und bietet keine freie Sicht zum Gebäude, aber das liegt vielleicht nur an der Einstellung des Fotos. Wieso man den Turm nicht gleich wieder mit anbringt kann ich nicht ganz nachvollziehen. Den komischen Reichsadler in der Mitte hätte ich entfernen lassen und durch eine schönere und neu interpretierte Version eines jungen und talentierten Steinmetz-Azubis ersetzt. Gibts dafür keine Fördergelder ?

    Architektur ist nichts anderes als die Formensprache einer Kultur. Entweder sie lebt, oder sie ist tot.

    2 Mal editiert, zuletzt von Silvester72 (14. Dezember 2014 um 20:03)

  • Schönes Ergebnis, allerdings sollte man das Unkraut auf dem Vorplatz entfernen und die Wiesen vernünftig begrenzen. Vielleicht passiert das ja noch im Frühjahr...

    Ein offener Weg zum Gebäude hin fände ich optisch reizvoller als die jetzige Situation. Irgendwie wirkt der Platz abgeschnitten und bietet keine freie Sicht zum Gebäude, aber das liegt vielleicht nur an der Einstellung des Fotos. Wieso man den Turm nicht gleich wieder mit anbringt kann ich nicht ganz nachvollziehen. Den komischen Reichsadler in der Mitte hätte ich entfernen lassen und durch eine schönere und neu interpretierte Version eines jungen und talentierten Steinmetz-Azubis ersetzt. Gibts dafür keine Fördergelder ?


    Nunja, den Turm hätte man neu errichten müssen, das kostet und dafür gab und gibt es wohl bisher leider kein Geld.

    Zum Reichsadler..., dieser war ja ursprünglich auch gar nicht Teil dieses Baus, sondern wurde nachträglich angebracht. Ob man ihn jetzt abschlagen muss, da bin ich mir auch nicht ganz sicher. Und was für Fördergelder meinst du denn?