Nach Löwen und Brüssel kommen wir jetzt zur Hauptstadt Ostflanderns, Gent, die mit 235.000 Einwohnern nach Brüssel und Antwerpen auch die drittgrößte Stadt des Landes ist. Die nachfolgenden Infos sind entweder von Bildindex, dem Dumont-Kunstreiseführer Flandern oder von Wikipedia.
Kurze geschichtliche Einführung
Gent, englisch Ghent, französisch Gand, geht von seinem Namen auf das keltische Wort ganda zurück, was soviel wie Mündung bedeutet, und den im Stadtgebiet gelegenen Zusammenfluss von Leie und Schelde bezeichnet. Der historische Nukleus, der wohl schon Mitte des 9. Jahrhunderts größere Bedeutung für den Handel hatte und bereits unter dem Einfluss der zwei Abteien Sint-Pieter (Sankt-Peter) und Sint-Baaf (Sankt-Bavo) stand, lag ungefähr an der Stelle zwischen heutiger Kathedrale und dem hochmittelalterlichen Patriziersitz Geraard de Duivelsteen (s.u).
Nach den Normanneneinfällen Ende des 9. Jahrhunderts wurde die Stadt schnell wieder aufgebaut und wuchs Richtung Osten, also zur Schelde hin. Anfang des 10. Jahrhunderts erweiterte Arnulf I., der damalige Graf von Flandern im Westen am Leieufer die Burg seiner Vorfahren, die berühmte Gravensteen, um die herum eine weitere Stadt entstand. Im 11. Jahrhundert wuchsen beide Stadtkerne durch Erweiterungen und Kirchenneugründungen und wurden bereits gegen 1100 als eigenständige Stadt mit existierendem Gemeinwesen und 80 Hektar Fläche begriffen. Die Stadt wuchs bis Ende des 14. Jahrhunderts nun exponentiell weiter, bezog auch die außerhalb gelegenen zwei Abteidörfer in ihre Fläche mit ein und umfasste um 1500 dann ein 644 Hektar großes Areal. Die beiden alten Weichbilde sind in den neuerdings auch hochauflösend verfügbaren Google Earth-Aufnahmen noch sehr schön zu erkennen.
Die bedeutende Stellung der Stadt war im Mittelalter vor allem durch den Tuchhandel und die günstige Lage als Handelszentrum begründet. Gleichzeitig wuchsen im Spätmittelalter im Inneren, wie fast überall, die Spannungen zwischen dem die Stadt führenden Patriziat von gerade einmal 50 Familien und der zahlenmäßig überlegenen, aber praktisch rechtlosen Mittel- und Unterschicht. Im immer wieder hochkochenden englisch-französischen Konflikt stellten sie sich nun meist an die Seite des Gegners der Seite, mit der sich der jeweilige flandrische Landesherr gerade einließ.
Ende des Mittelalters war Gent zunehmend den Machtansprüchen der Burgunderherzöge ausgesetzt. 1453 unterlag die Stadt den Truppen Philipp III. von Burgund, wenig später denen Kaiser Maximilians, und selbst Kaiser Karl V., der Sohn der Stadt war, wurde befehdet. Der Kaiser entzog der Stadt daraufhin fast alle Privilegien und ließ an der Stelle der vielleicht noch aus dem 7. Jahrhundert stammenden Sint-Bavo-Abtei eine riesige Zwingburg errichten. Die große Blüte der Stadt war damit endgültig vorbei, die folgenden Jahrzehnte waren vom Befreiungskampf der Niederländer von der Herrschaft der Spanier im Achtzigjährigen Krieg geprägt, bei der Gent relativ glimpflich davonkam. Allerdings gab es im Zuge der Reformation auch hier einen Bildersturm, bei dem die prächtigen Kirchenausstattungen des Mittelalters größtenteils zerstört wurden.
Gent ist jedoch nie völlig niedergegangen wie Löwen oder Brüssel, vor allem die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts hat die Stadt revitalisiert, und das sieht man auch dem Stadtbild an. Bereits die klassizistische Überformung ist wesentlich stärker als in anderen Städten, die Gründerzeitviertel sind ähnlich riesig wie in Brüssel und in der Innenstadt ist sowohl im Zeitalter der rauchenden Schornsteine als auch im 20. Jahrhundert wohl einiges an alter Bausubstanz der Spitzhacke zum Opfer gefallen. Größtes Glück war da wohl noch die Weltausstellung von 1913, für die viele hochwertige wie prächtige Neubauten hochgezogen und auch einiges rekonstruiert wurde, doch dazu später mehr.
Für den einen Tag, den ich Gent genießen durfte, war die Zeit natürlich viel zu kurz, alles zu sehen. Bereits der historische Stadtkern ist dafür viel zu weitläufig, alleine die beiden alten Abteien bzw. die Reste davon liegen sehr weit draußen. Außerdem war die ganze Stadt eine Baustelle: vielerorts hatte man den Eindruck, man wolle man das Stadtbild unter Rücknahme älterer Verfehlungen – z.B. Freilegung von alten Kopfsteinpflastern – touristisch aufwerten, was jüngere ebenso wie gerade im Bau befindliche Bausünden dann wiederum negieren. Aber dies ist wohl das typisch belgische Paradoxon.
Ingesamt vermittelt die Stadt so vielleicht einen guten Eindruck, wie eine deutsche Großstadt, die den Zweiten Weltkrieg überstanden hätte, wohl heute aussehen würde – massig altes Zeug, aber dazwischen eben auch der ein oder andere Schatten, den man neuerdings aufzuhellen versucht. Jeden, der nur kriegsgeschundene Innenstädte kennt, und der Fan von historischer Bausubstanz ist, wird sie aber wohl ebenso wie mich letztlich begeistern und hinreißen, dort auf jeden Fall ein zweites Mal vorbeizuschauen.
Zu den Bildern
Die Bilder entstanden am 13. Juli 2009. Das Wetter war wie schon am Sonntag in Brügge für belgische Verhältnisse hervorragend, d.h. die Sonne hat sich ein paar Mal gezeigt und es hat nicht ein einziges Mal geregnet. Die Fotos sind wie immer in einen topgraphischen, und nicht in einen chronologischen Zusammenhang gestellt, wobei letzterer sich hier sehr eng an ersteren anlehnt.
Ausrüstung war wie immer die Canon EOS 1Ds Mark II mit dem Canon EF 24-70mm 2.8 L USM.
Los geht's am Bahnhof. Die meisten belgischen Bahnhöfe sind, wenn überhaupt, schlicht-eklektisch, eher noch hässliche Neubauten aus dem 20. Jahrhundert. Der in Gent konnte mich jedoch begeistern: er ist in neoromanischen Formen erbaut und wunderschön mit Ansichten großer belgischer Städte ausgemalt. Da die aufwändige Ausmalung gerade saniert wurde, ließ sich leider nicht mehr als ein vernünftiges Bild machen.
Nach dem Bahnhof fährt man fast 20 Minuten mit der Straßenbahn durch großzügige Gründerzeitviertel, um den Rand der Altstadt, in unserem Falle den westlichen, zu erreichen. Ab dort weisen Grachten den Weg – hier der Augustijnenkaai – in Richtung des Stadtzentrums. Die Häuser im Hintergrund gehörten zum Sint-Antoniuskaai an dem mit der Donkere Port, einem Portal, der letzte erhaltene Rest des Prinsenhofs liegt, in dem Karl V. 1500 das Licht der Welt erblickte.
Der Augustijnenkaai in die andere Richtung, der wir jetzt folgen, lässt im Hintergrund bereits die Spitze des Belfrieds und den Gravensteen erkennen.
Typische Genter Hausabfolge auf der anderen Kaiseite – von steinalt über klassizistisch bis hypermodern ist hier alles dabei, wobei letzteres noch vergleichsweise erträglich ist.
Ein paar Schritte weiter haben wir in der engen Sint-Widostraat einen hervorragenden Gesamtblick auf den Gravensteen. Im Kern handelt es sich um eine Schutzburg des 9. Jahrhunderts gegen Normanneneinfälle, die jedoch erst Anfang des 10. Jahrhunderts zu bedeutender Größe heranwuchs (vgl. Einleitung). Um 1180 erhielt sie dann im Wesentlichen ihre heutigen Dimensionen, wobei sich der damalige Bauherr, Flanderns Graf Philipp von Elasss optisch an syrischen Kreuzritterburgen orientierte. Erst Ende des 14. Jahrhunderts, während dem die Anlage nochmals mehrere Umbauten erfuhr, zog das Adelsgeschlecht in den bereits genannten Prinsenhof um, von dem, obwohl neueren Datums, ja fast nicht mehr erhalten ist.
Man darf allerdings nicht der Illusion verfallen, die Burg wäre nach ihrer Aufgabe nicht ebenso wie praktisch alle frühmittelalterlichen Wehranlagen in Städten als Steinbruch benutzt worden, sie bot im 19. Jahrhundert also einen entsprechend traurigen Anblick. 1887 kaufte die Stadt das Gebäude und ließ es bis zur Weltausstellung 1913 restaurieren und vielerorts auch völlig rekonstruieren. Dabei wurden auch die ganzen umgebenden Häuser abgerissen, die im Laufe des Spätmittelalters an die Burg herangewachsen waren. Nur so erklärt sich der merkwürdige Befund, dass ein frühmittelalterliches Gebäude inmitten der Altstadt praktisch frei steht. Seit 1980 bis heute laufen denkmalgerechte Sanierungen.
Von oben hat man natürlich einen fantastischen Blick auf die Stadt, doch leider war der Gravensteen just an diesem Tag geschlossen. Gut zu sehen ist dennoch einer der ältesten Gebäudeteile, das sogenannte Haus des Grafen, das aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammt.
Der Weg führt uns weiter an die zum Haupteingang des Gravensteen führende Burgstraat, die bereits einen hohen Anteil an Altbausubstanz aufweisen kann. Obgleich sie wohl nicht zum alten Weichbild, sondern eher einer ersten oder zweiten Erweiterung desselben gehört, mögen die ältesten Häuser hier sicher noch aus dem 16. Jahrhundert stammen.
Die Burgstraat geht im Osten nun in die Rekelingestraat über und führt uns auf eine Brücke über die Leie. Der Blick nach Süden zeigt nicht nur den markanten Vierungsturm der Sint-Niklaaskerk, eines der Hauptwerke der Scheldegotik, und links die schöne Fin de siècle-Fischverkaufshalle, sondern rechts auch das letzte in der Stadt erhaltene Holzhaus aus dem Mittelalter. Die Verkleidung mit Bohlen ist typisch.
Ein paar Schritte weiter, und am Sint-Veerleplein bietet sich uns dieser Anblick seiner Ostfront. Man beachte das Haus rechts an der senkrecht zum Platz verlaufenden Straße, dessen Fassade vor lauter Fenstern nach innen eingedrückt worden ist.
Detail der zwei Häuser, die im vorigen Bild links zu sehen sind. Beeindruckend die Geschosshöhen und das schöne Portal am Traufgang, das sicher noch auf die 1. Hälfte des 17. Jahrhundert zurückgeht.
In der Südfront des Platzes befindet sich neben weiteren alten Patrizierhäusern auch der Haupteingang zum Vismijn, dem Alten Fischmarkt.
Nach einem vernichtenden Brand von 1872 ist die barocke Hauptpforte von 1689–90 der letzte historische Rest des Fischmarkts. Dargestellt ist Neptun, der über die Schelde in Form der männlichen Figur und die Leie in Form der weiblichen Figur wacht. Der dahinterliegende Part, der gerade zu einem riesigen Tourismuscenter umgebaut wird, entstand bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in eklektischem Stil, meines Erachtens schon unter Jugendstileinflüssen, neu.
Die nicht minder prächtige Westfront des Platzes...
...und schließlich die früher ebenfalls mit Häusern bedeckte Nordfront, wo sich nun der davon befreite Haupteingang des Gravensteen zeigt.
Weitere Bürgerhäuser an der Ecke des südlichen vom Platz wegführenden Kleine Vismarkt. Typisch sind die in die Erdgeschosse eingeschobenen Zwischengeschosse, die meist als Warenlager dienten und es den darin befindlichen Läden teils noch heute tun. Sie sind meist über eine eigene Treppe erschlossen, die nicht mit den eigentlichen Obergeschossen des Hauses verbunden ist, so dass die hier tätigen Kaufleute früher wie heute eine klare Trennung zwischen Privat- und Geschäftsräumen durchführen konnten.
Häuser an der Nordseite des westlichen Beginns der Kraanlei, das Suffix impliziert bereits, dass es nun wieder ans Wasser geht..
Blick nach Nordosten auf Häuserrückseiten der Langemunt (Lange Münze) an der Kraanlei, erstere ist eine der Haupteinkaufsstraßen der Stadt, wo wir später noch hinkommen werden.
Detail einer bis zum Kai reichenden Stichstraße der Langemunt mit einem schönen Rokoko-Haus.
Blick nach Südwesten in Richtung der anschließenden Korenlei bzw. Graslei, dem berühmten alten Hafen von Gent, davor das gotische Vleeshuis (Fleischhaus) und die Brücke, die vom Kleinen Vismarkt auf die andere Seite mit dem Groentenmarkt (Gemüsemarkt) führt.
Detail des Fleischhauses an der Leie, das 1406–10 von Stadtbaumeister Gilles de Suttere erbaut wurde. Es ist völlig in seinem bauzeitlichen Zustand erhalten, ebenso der prächtige, 600 Jahre alte Dachstuhl, von dem ich euch leider keine Bilder anbieten kann.
Die Stadtseite des Fleischhauses am Groentenmarkt, ganz oben am nördlichen Ende befindet sich noch das angebaute mittelalterliche Galgenhaus mit Pranger...
...sowie die 1542 angebauten Penshuiskens (Kuttelhäuschen), wo die Innereien der Schlachttiere an Arme ausgegeben wurden.
Vom Groentenmarkt sind es dann nur noch wenige zur Kortemunt (Kurze Münze), die auf den Korenmarkt (Kornmarkt) führt. Letzterer ist eine riesige Baustelle, da hier offensichtlich das alte Pflaster von einer Asphaltschicht befreit wird.
Der Kornmarkt ist einer der schönsten Plätze der Stadt, dessen Großzügigkeit bereits die einstige Bedeutung der Stadt erahnen lässt – und zugleich der einzige Freiraum, der meines Erachtens nicht erst im 19. Jahrhundert durch massive Hausabbrüche entstanden ist. Hier der Blick auf die Südseite.
Die Häuser an der Westseite des Platzes sind gleichzeitig die Rückgebäude der dahinterliegenden Graslei. Dieses historistische Postamt im neugotischen Stil mag anlässlich der Weltausstellung 1913 entstanden sein. Ob und was dafür fallen musste, man fragt es lieber nicht.
An das Postamt schließen im weiteren westlichen Verlauf historische Bürgerhäuser aller Epochen an – die vielen klassizistisch überformten sind im Kern vermutlich wesentlich älter.
Die Nordostecke des Platzes bietet dann den ersten wirklich gruseligen Anblick. Leider steht dieses Haus bündig mit der Straßenflucht der hier auf den Platz stoßenden Donkersteeg (Dunkle Gasse), so dass hierfür vermutlich in den 1950ern wohl tatsächlich alte Substanz abgerissen worden ist. Einem Einkaufszentrum gleich frisst es sich in der Tiefe wie Breite tief in die Blockrandbebauung.
Direkt in der sich nun eröffnenden Ostfront des Platzes fällt dieses spätromanische Haus ins Auge – in nur zehn Metern Abstand von der vorgenannten Bausünde. Architektonische Geschmacklosigkeit ist also nicht nur auf Deutschland begrenzt.
Hier die Ostseite in der Totale – manches erscheint gründerzeitlich aufgemotzt.
Die den Südosten des Platzes begrenzende Sint-Niklaaskerk (Sankt-Nikolauskirche) ist, wie schon erwähnt, eines der Hauptwerke der Scheldegotik. Leider befand sich die offenbar schon über Jahrzehnte hinziehende Sanierung in einer Phase, die ein jedes Betreten der Kirche nicht erlaubte, Teile des Langhauses schienen gar komplett neu aufgemauert zu sein? Langhaus, Querschiff und Chor entstanden noch im Verlauf des 13. Jahrhunderts, der Chorschluss erfolgte dann im frühen 14. Jahrhundert, die letzten baulichen Veränderungen nahm das 15. Jahrhundert mit den Kapellenanbauten an die Seitenschiffe vor. Stilistisch sehr typisch sind die flankierenden Treppentürmchen an den Lang- und Querhausabschlüssen, ziemlich einzigartig der hohe Vierungsturm, der dem frühgotischen Korpus mit seinen noch relativ geringen Fensterflächen als Laterne dient.
Nördlich der Kirche zieht sich ein Quartier entlang, das im Kern sicher so alt ist wie diese selbst...
...dieses noch klar als romanisch zu identifizierende Haus am östlichen Ende ist sogar schon deutlich im Zuge der Aufschüttung von Kulturschichten im Boden versunken, beachtet man mal die Fenster des Erdgeschosses!
Auf der Rückseite der Kirche stehen noch ein paar der Häuser, die sie, wie auf Fotografien um 1900 noch erkennbar, früher fast komplett umgaben – leider wurde auch in Belgien viel nach einer purifizierenden Vorstellung des Mittelalters abgebrochen.
Auf der anderen Seite, also südlich der Kirche findet sich dann dieses Ungetüm, wo man sich eigentlich nur fragen muss, was dieses gotische Patrizierhaus wohl verbrochen hat, dass man ihm sowas antun musste?
Dem prächtigen Louis Seize-Gründerzeitler im östlich anschließenden Baublock rückt ebenfalls Architektur auf die Pelle, die nichtmal ansatzweise um Anpassung bemüht ist – man beachte links die Hausecke, einfach in das noch durch Einsinken erkennbar alte Dach geflanscht, und vor allem rechts in der Vergrößerung das Baustellenschild!
Den Blick von hier nach Nordosten gerichtet, wachsen vor dem Auge zum Glück nur alte Türme in den Himmel. Der im Vordergrund ist, wie es sich für eine jede bürgerstolze Stadt dieser Region gehört, der Belfried. Der Turm wurde ab 1313 errichtet, die Arbeiten kamen jedoch um 1338 ins Stocken, so dass ihm 1380 eine provisorische Spitze aufgesetzt werden musste, die auch auf den meisten alten Abbildungen der Stadt zu sehen ist. Die Baunaht dieses Provisoriums ist in der steinernen Substanz sehr gut zu erkennen. Erst anlässlich der Weltausstellung 1913 wurde dann die heutige Spitze jenseits des Gesimses aufgesetzt, angeblich nach den alten Bauplänen des Jan van Haelst, und erreicht heute eine Höhe von knapp 120 Metern.
Im Inneren kann man u.a. Teile der Originalausstattung aus dem 14. Jahrhundert bewundern, so etwa die letzte der vier steinernen Wächterfiguren aus dem Jahre 1339, die auf meinem Foto in Kopien auf den Turmspitzen zu sehen sind, sowie der "Drache von Gent" aus dem Jahre 1377, der als Turmspitze diente – und es in Kopie ebenfalls bis heute tut. Auch erhalten ist das sogenannte Secreet, in dem wichtige Privilegien aufbewahrt wurden. Es hatte zwei Türen mit je drei Schlössern, deren Schlüssel im Besitz verschiedener Handwerkszünfte waren. Der Schrank mit den Urkunden hatte noch einmal 18 Riegel, die wiederum mit 3 Schlüsseln geschlossen wurden. Diese wurden vom Vogt und den Hauptschöffen aufbewahrt.
Hinter dem Belfried steht die dagegen mickrig wirkende Tuchhalle, im wesentlichen aus den Jahren 1425–1445, aus Geldmangels jedoch auch erst im 19. Jahrhundert nach den Originalplänen fertiggestellt. Der hier zu sehende Barockanbau aus dem Jahre 1741 diente, man glaubt es kaum, nicht als Stiegenhaus, sondern noch bis 1902 als Gefängnis. Im Hintergrund die Sint-Baafskathedraal (Sankt-Bavo-Kathedrale) mit ihrem 90 Meter hoch aufragenden Turm.
Durch eine der engsten Treppen, die ich in alten Gebäuden je erlebt habe, geht es über mehrere hundert Stufen auf die Höhe des Zinnenkranzes des Belfrieds, also etwas unterhalb der Uhr. Hier hat man sich im 19. Jahrhundert wirklich akkurat an die alten Baupläne gehalten, denn der Zinenkranz ist tatsächlich so schmal, dass dort immer nur ein Mensch gehen kann – die Touristen aus aller Herren Länder da oben müssen sich also in der einzigen Wendemöglichkeit, nämlich den vier Erkertürmchen, mit Händen und Füßen darüber verständigen, wer als nächstes auf die Brüstung darf. Dafür sind die nachfolgenden Fotos noch ganz gut geworden.
Blick nach Südwesten in der Totalen...
...erst der Zoom offenbart einige Platten, die bedrohlich nahe, jedoch zum Glück noch außerhalb der eigentlichen Altstadt errichtet worden sind. Die Kirche ohne Turm ist die nie fertig gewordene Sint-Michielskerk (Sankt-Michaelskirche) auf der anderen Seite der Leie, zu der ich jetzt noch nichts sage, weil wir später noch dahinkommen.
Ein schöner Blick auf die Ostseite der Nikolauskirche mit dem Strebewerk aus dem späten 13. Jahrhundert.
Die Totale offenbart weitere Platten im Nordwesten.
Im Detail das alte Quartier nördlich der Kirche, von dem wir eben schon die Fassaden gesehen haben. Hier kann man auf einmalige Weise sehen, wie alt Häuser doch im Kern sein können – das romanische Haus an der Ecke hat zum Emile Braunplein hin eine klassizistische Fassade, die ohne die Freilegungen nie vermuten ließe, dass dort ein 700 oder 800 Jahre altes Haus druntersteckt!
Der Blick nach Norden zeigt den (neueren) Renaissanceflügel des Genter Rathauses aus der Zeit zwischen 1595 und 1618. Der auf das Jahr 1482 zurückgehende Kernbau, auf den der zu sehende Flügel hinten senkrecht stößt, wird später mit der übrigen Geschichte des Rathauses nochmal genauer besprochen.
Gegenüber dem Rathaus ein meines Erachtens erst durch massive Abbrüche im 19. Jahrhundert entstandenes, gründerzeitliches Quartier, das das rechts zu sehende Theater aus der selben Zeit flankiert. Immerhin ist die Nordfront des Quartiers am Nederpolder (Niederdeich), die ebenfalls bis tief in die Romanik reicht, noch erhalten geblieben.
Blick nach Osten auf den Sint-Baafsplein mit dem bereits benannten Theater und der Sankt-Bavo-Kathedrale. Unverständlich auch hier, wie in derartiger Nähe eines der bedeutendsten sakralen Bauwerke des Landes so eine hässliche Bürokiste, die links angeschnitten ist, aus dem Boden gestampft werden konnte.
Das Theater für alle Freunde des Historismus nochmal im Detail.
Der Blick nach Südwesten lässt stärker klassizistisch und gründerzeitlich überformte, jedoch von gröberen Bausünden noch zumindest scheinbar verschonte Quartiere erkennen. Hier liegen verstärkt Geschäfts- und Einkaufsstraßen denn touristische Sehenswürdigkeiten.
Den Kreis wieder zum Anfang mag dann fast dieses kleine Panorama aus mehreren Bildern schließen...
...doch ganz zum Ende noch ein Blick nach der Mageleinstraat im Süden. Viel Klassizismus und Barock, dahinter wahrscheinlich vielfach noch weit ältere Substanz und Hinterhofidylle.
In einem ziemlich hässlichen Raum steht zum einen die Steuerung für das Glockenspiel des Belfrieds, dessen 37 Glocken aus dem 1660 erfolgten Umgießen einer 6 Tonnen schweren Einzelglocke entstanden...
...zum anderen das Werk der Uhr des Turms aus dem Jahre 1913 mit leichten Jugendstilanklängen.
Soviel für heute, demnächst gehts mit der Sankt-Bavo-Kathedrale weiter, einer der schönstausgestatteten Kirchen, die ich auf meiner Belgienreise erleben durfte.