Institutionen des Denkmalschutzes in der Kritik

  • kernpunkt des gesamten themas ist:

    design

    traditionelle architekturspreche ist dem normalen menschlichen empfinden angepasst

    modernistische architektursprache ist dies ABSICHTLICH nicht, um aufzufallen, idiotisches marketingprinzip...
    (so wie gaultier mit den löchrigen jeanshosen in den 90ern)

    das ist der schlüssel zur problematik und alles andere +- sophisterei!

  • Philon; baukunst nbg

    Vielen Dank für Eure Stellungnahmen zu dem Beitrag von Juan Martillo. Vieles davon sehe ich genauso.

    Besonders der Passus "Entscheidungen (...) dürfen niemals dem Bürger überlassen werden" stieß mir auf! Im Gegensatz zu den zweckfreien Künsten ist zumindest Mitsprache in architektonischen und städtebaulichen Fragen geradezu ein Grundrecht!

    Außerdem kann man den "Rekonstruktionstrend" wohl kaum mit der Entwicklung von Stilen vergleichen. Das sind zwei Paar Schuhe, und ich denke, Original-Rekonstruktionen hat es auch schon immer gegeben. Mir fällt als Beispiel jetzt nur der Glockenturm von St. Markus in Venedig ein. Ein "Retrostil", der sich in die Linie Renaissance - Historismus einfügen ließe war die vielgeschmähte Postmoderne, die mMn vielerorts zu überzeugenden Lösungen geführt hat... leider wurde sie viel zu schnell vom Dekonstruktivismus abgelöst...

    ... und wenn jetzt nicht ganz allgemeine und durchgreifende Maßnahmen angewandt werden, so werden wir in kurzer Zeit unheimlich nackt und kahl wie eine Kolonie in einem früher nicht bewohnten Lande dastehen... (Schinkel 1815)

  • Zitat

    Außerdem kann man den "Rekonstruktionstrend" wohl kaum mit der Entwicklung von Stilen vergleichen. Das sind zwei Paar Schuhe, und ich denke, Original-Rekonstruktionen hat es auch schon immer gegeben.

    Ganz genau! Bei Rekonstruktionen geht es um etwas ganz anderes; sie reagieren auf die spezifische Situation eines Landes, dessen architektonisches Erbe zu einem großen Teil ausradiert wurde. Mit "Alt gegen Neu" oder den aus der Kunstgeschichte bekannten - und in der Regel extrem kreativen und innovativen ! - Rückgriffen auf frühere Traditionen hat das nichts zu tun.

  • ...wobei ich zugegebenermaßen schon manchmal darüber nachdenke, wie z. B. Fürth nach dem 30jährigen Krieg wiederaufgebaut wurde. Da standen noch genau 3 (!) von Hunderten Häusern, der Rest war platt. Rekonstruiert nach altem Vorbild wurde da, meine ich, auch nichts. Andererseits wissen wir alle, daß es nach dem 30jährigen Krieg auch keine Leute gab, die Beton- und Glaskuben bauen wollten :)

  • Zitat von "baukunst-nbg"

    ...wobei ich zugegebenermaßen schon manchmal darüber nachdenke, wie z. B. Fürth nach dem 30jährigen Krieg wiederaufgebaut wurde. Da standen noch genau 3 (!) von Hunderten Häusern, der Rest war platt. Rekonstruiert nach altem Vorbild wurde da, meine ich, auch nichts. Andererseits wissen wir alle, daß es nach dem 30jährigen Krieg auch keine Leute gab, die Beton- und Glaskuben bauen wollten :)

    Genau so ist es. Die damalige architektonische Entwicklung war ein Kontinuum. Alles floss nahtlos ineinander über. Mit dem Aufkommen des Bauhauses und des Funktionalismus Anfang des 20. Jahrhunderts änderte sich dies. Man wollte einen radikalen Bruch mit allen achitektonischen Traditionen. Was über Jahrhunderte galt wurde über Nacht verteufelt. Dies funktioniert nur, solange noch ausreichend Altbausubstanz vorhanden ist. Aber das ist seit dem Bombenterror des 2. Weltkrieges nicht mehr der Fall. Es fehlt die Konstante im sensiblen Stadtgefüge. Stattdessen dominieren Brüche und das rein funktionale Bauen, was zu einer Entwurzelung der Menschen geführt hat. Es ist verständlich das Renkonstruktionen daher einen großen Reiz ausüben. So wie die prunksüchtige Architektur ihren Höhe- und Endpunkt mit dem Historismus in der Kaiserzeit erreichte, so scheint der Dekonstrivismus zum Endpunkt des modernen Bauens zu werden. Aus jeder Bewegung resultiert früher oder später eine Gegenbewegung. Dieser Herrausforerung sollten sich heutige Architekten endlich stellen und passende Lösungen entwickeln.

  • ist ja alles gut und schön...

    aber es geht in wahrheit eben weniger um geschichte und entwicklung des bauens etc pp, als um das menschlich nutzbare design des letzten. hätten wir heute in D eben diese städte neu geschaffen, aber mit ästhetischem sachverstand, wäre die thematik eine ganz andere!

    modernismus ist hässlich, im programm gestalterische inkompetenz, daran liegts.

    und in dieser diskusion finden wir das gleiche thematische ungleichgewicht wie in der modernistenbranche BDA. diskutieren wir DESIGN liebe Leute. Architekten sollten designer sein und keine germanisten.

    wenn mir der designer meiner kaffeemschine nen hässlichen müll abliefert, mit der begründung: toller kontrast etc. kauf ich das teil nicht. punkt.

  • saibo

    Was du sagst, ist naiv. Die Architektur soll bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein "Kontinuum" gewesen sein, dann soll der rote Faden plötzlich abgerissen und nur noch Mist produziert worden sein?
    Das ist einfach dummer Unfug!
    Bei allen Architekturen der vergangenen Jahrhunderte handelte es sich um Reaktionen auf bereits Bestehendes. Und meistens hieß die Losung der Baumeister: Das, was man kurz vor uns gebaut hat, ist überholt, wir besinnen uns lieber auf etwas noch älteres. So hat man z.B. im Klassizismus Barock und Rokoko verteufelt und sich auf die Architektur der Antike bezogen. Die Baumeister dieser Zeit arbeiteten in dem Glauben, zu den Traditionen der angeblich höherwertigen Antike zurückzukeheren und sich vom Spätbarock zu lösen. In Wahrheit war aber die gerade die überholte Barockarchitektur das, woran man sich fortan abarbeitete: Indem man den Barock um jeden Preis vermeiden wollte, bezog man sich natürlich zwangsläufig auf ihn. Genauso lief es immer und läuft es auch heute noch: Eine neue Architekturströmung ist - bewusst oder unbewusst! - eine Antwort auf oder ein Bruch mit der vorhergehenden Bautradition.
    Das "Kontinuum" Barock-Klassizismus ist in Wahrheit genau so ein These-Antithese-Verhältnis wie die Beziehung zwischen Historismus und Moderne. Allerdings braucht es seine Zeit, bis wir Menschen das verstehen und erkennen können. Das Nachempfinden solcher Zusammenhänge müssen wir den Kunsthistorikern späterer Generationen überlassen. Wir können nur eins tun: Den Architekten ihr Handwerk überlassen und uns nicht zu ihren Zensoren aufschwingen. Klar, es gibt gute und schlechte Architektur, wie es eben gute und schlechte Architekten gibt. Man darf sich auch gerne einmischen, wenn man denkt, ein Architekt begeht einen Fehler. Man muss aber auch damit leben können, wenn man Neues nicht verhindern konnte (zumindest, solange dabei älteres nicht zerstört wird). Prinzipielle Verdammungen heutiger Architkturtendenzen, wie saibo sie geäußert hat, sind völlig deplatziert.


    Hier wurde schon mehrfach erwähnt, dass der 2. Weltkrieg ein Einschnitt von Außmaßen gewesen sei, die die Rekonstruktionen z.B. vieler Kirchen nach dem Krieg gerechtfertigt haben. Ok, das sehe ich erst einmal genauso.
    Aber auch hier gibt es Grenzen: Dass die Bürger Kölns, die bald nach dem Mai 1945 in ihre völlig zerstörte Stadt zurückkehrten, ein Bedürfnis nach der Wiedererrichtung wenigstens einiger wichitger Gebäude hatten, kann man ihnen nicht verübeln. Dass man aber in Dresden über 50 Jahre nach ihrer Zerstörung die Frauenkirche wieder hingepflanzt hat, kann ich nicht gutheißen. Denn der Wiederaufbau wurde von Menschen forciert, von denen die meisten die Frauenkirche niemals selbst gesehen haben. Diese Menschen können nicht behaupten, der Verlust der Frauenkirche sei ein Identitätsverlust, denn sie haben sie nie gekannt.
    Sie wohl eher eine Art Symbol für die vergangene Vorkriegszeit, in der Dresden angeblich wichtiger, schöner und reicher gewesen sein soll, als es heute ist. Alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft für dieses etwas verschlafene Dresden, an der östlichen Peripherie Deutschlands gelegen, werden in diesen einen Bau hinprojiziert. Viele von denen, die eine Rekonstruktion dieser Kirche geordert haben, meinten damit eigentlich eine Rehabilitation dieser Stadt, deren relative Bedeutungslosigkeit im heutigen Deutschland sie schmerzt und die sich in die ihrer Meinung nach glanzvolle Vergangenheit der Stadt hineinträumen.
    Dass das Projekt der "Wiederauferstehung" Dresdens aber nicht mit dem Neubau der Frauenkirche bewältigt sein würde, ist bald klar geworden. Und geschacksunsicher, wie man dort offenbar ist, kam man auf die Idee, zusätzlich zur Frauenkirche noch den kompletten Neumarkt historistisch neu zu bauen. Dass aber Dresden schlichtweg nicht mehr das Dresden vor `45 ist und auch nie wieder werden kann, das will dort kaum einer einsehen. Die Stadt hat an Einwohnern, an Wirtschaftskraft, an kultureller Bedeutung, an Wohlstand der Bevölerung und sicher auch an Selbstbewusstsein verloren. Diese Rekonstruktionen rund um die Frauenkirche sind wie das Pfeifen im Wald: "Wenn Dresden erst mal wieder so aussieht wie vor dem Krieg, dann kommt alles weitere ganz von allein."
    Dieses Neumarkt-Disneyland ist aber in Wahrheit eine Investorenarchitektur, nicht besser als die im Frankfurter Bankenviertel. Nur warten die Invetsoren hier nicht auf Banker, sondern auf Touristen (Wessis) und deren Geld. Denn irgendjemand von den Rekobefürwortern hat denen eingeredet, dass die davon angelockt werden (was ja teilweise auch stimmt). Mehr braucht man zur Qualität dieser Architektur nicht zu sagen.

  • Sorry, aber ich muss noch was zum Pellerhaus loswerden:

    Hier wird von einigen so argumentiert, als würde die Wiederherstellung der Renaissancefassade den damit eintretenden Verlust des 50er-Jahre-Denkmals aufwiegen. Wen wollt ihr denn mit so einer Argumentation überzeugen???
    Vielleicht ein paar Bürger, ja, da werden wohl einige gleicher Meinung sein. Aber nicht die staatliche Denkmalpflege. Die würde zum Glück alles daransetzen, den Verlust des Denkmals - auch wenn es ein 50er-Jahre-Bau ist - zu verhindern, ganz egal, was und wie dann neu gebaut wird. Denn Denkmalpfleger können und wollen keine Architektenzensoren sein!
    Man hat hier ein Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, und ich unterstelle einmal, dass es dafür auch Gründe gab. Die Aufgabe der Denkmalpflege ist nun, sich für die Erhaltung des unter Schutz gestellten Bauwerks einzutreten. Dass einigen hier dieses Gebäude nicht gefällt, ist deren Privatmeinung. Nicht mehr und nicht weniger, zum Glück!

    Die Denkmalpflege hat sich um die Jahrhundertwende einen wissenschaftlichen Standard erkämpft, mit dem sie größtenteils noch heute arbeitet. Erst dadurch hat sie sich freigestrampelt vom Einfluss derer, die in der Wiederherstellung eines idealisierten Vorzustandes ihr Heil suchten (Schinkel & Co).
    Dass ihre Arbeit bei aller Wissenschaftlichkeit auch heute noch nicht unfehlbar ist, dass nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen werden, ist selbstverständlich und es ist unangebracht, daraus ein solches Aufregerthema zu machen, wie es manche hier tun. Wo Menschen arbeiten, machen sie nun mal Fehler!
    Und dass die Dnekmalpflege sich auch um die Baukunst der Nachkriegszeit kümmert, ist sehr wichtig. Spätere Generationen werden es der Denkmalpflege danken, dass sie dem bedenkenlosen Abriss von Nachkriegsbauten - so oft sie konnte - Einhalt geboten hat.
    Wenn manche hier die Nachkriegsarchitektur per se für nicht erhaltungswürdig, ja sogar für dringend abbruchwürdig halten, dann verhalten sie sich nicht besser als die Stadtplaner der 60er Jahre, die den Flächenabriss der Gründerzeitviertel für unbedingt notwendig gehalten haben. Aus diesen Fehlern hat hier offenbar manch einer nicht gelernt!

  • Die stadtplanerischen Entscheidungen der Nachkriegszeit, deren negativen Auswirkungen uns heute begegnen, sollen also nicht rückgängig gemacht und eine funktionierende, harmonische Stadt wiederhergestellt werden, weil man genauso rücksichtslos handeln würde wie in den 60ern beim Abriss der Gründerzeitviertel :?:

  • Zitat

    Die Denkmalpflege hat sich um die Jahrhundertwende einen wissenschaftlichen Standard erkämpft, mit dem sie größtenteils noch heute arbeitet. Erst dadurch hat sie sich freigestrampelt vom Einfluss derer, die in der Wiederherstellung eines idealisierten Vorzustandes ihr Heil suchten (Schinkel & Co).

    Ja und um die Jahrhundertwende 1900 gab es nur die uns bekannte Architektur bis zum Historismus und Jugendstil Um die Jahrhundertmitte 1945 verschwand in den dt. Grossstaedten dann fast alle historische Architektur bis auf etwas Historismus und noch neueren Bauten (die waren halt staerker konstruiert). Die Satzung des Denkmalschutzes aenderte sich durch diesen Weltuntergang aber nichts.
    Nach '45 konnte aus Kostengruenden und politischen Gruenden nur ein kleinster Bruchteil des Gewesenen restauriert oder rekonstruiert werden. Das ist unsere Situation heute. Noch immer hat sich die Satzung des Denkmalschutzes nichts geaendert, als ob Deutschland immer noch strotzte vor historischen Grossstaedten und wir dazu noch unbedingt das Heidelberger schloss in kitschig-historistischer Bauweise wiederaufbauen moechten.
    Also wenn man in Deutschland mit ein paar Rekonstruktionen ein Bruchteil von einem Bruchteil von einem Bruchteil des verlorenen wieder erfahrbar machen moechte, stellt sich der Denkmalschutz im Wege, um dieses Streben mit allen moeglichen Mitteln zu verhindern und zu diffamieren. Am wirkungsvollsten ist es dann, die 50er-Jahre-Provisorien, die vielerorts am Originalstandort der kunstgeschichtlich wichtigsten historischen Bauten in Deutschland stehen, zu schuetzen. Oder selbst Teilen von 50er-Bauten, um Teilrekonstruktionen wie der Pellerhof, oder eine historische Orgel oder ein Kirchenfenster usw. anderswo, zu verhindern.

    Und muss ich noch den Unterschied zwischen einer getreuen Rekonstruktion des Pellerhauses und Schinkelscher Geschichtsverklaerung erlaeutern ? Ich verzichte vorerst darauf. :boese:

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "Juan Martillo"

    Bei allen Architekturen der vergangenen Jahrhunderte handelte es sich um Reaktionen auf bereits Bestehendes.


    Zweifellos. Kommt nur darauf an, wie die jeweilige "Reaktion" ausfällt. Und wie stark sie den Bruch vollzieht.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Das "Kontinuum" Barock-Klassizismus ist in Wahrheit genau so ein These-Antithese-Verhältnis wie die Beziehung zwischen Historismus und Moderne.


    Beim einen ging es nur um das Spiel mit unterschiedlichen Anordnungen von Pilastern, Giebeln und Vestibülen. Die Grundelemente blieben gleich. Beim anderen ging es um die komplette Abschaffung des Ornaments, des steilen Daches, der Mauerfassade usw. Da ist dann doch ein kleiner qualitativer Unterschied.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Allerdings braucht es seine Zeit, bis wir Menschen das verstehen und erkennen können. Das Nachempfinden solcher Zusammenhänge müssen wir den Kunsthistorikern späterer Generationen überlassen.


    Klar, heute sind wir noch zu dumm, aber die Kunsthistoriker späterer Jahrzehnte werden uns irgendwann aufklären, was richtig ist. Bloß, was folgt daraus für unser heutiges Leben?

    Zitat von "Juan Martillo"

    Wir können nur eins tun: Den Architekten ihr Handwerk überlassen und uns nicht zu ihren Zensoren aufschwingen.


    Das heißt also: Bürgermeinung und -einmischung ist unerwünscht. Die Doofies sollen nur in und mit den schicken Häusern leben, die ihnen die Architekten vor die Nasen setzen, ansonsten aber brav den Mund halten.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Prinzipielle Verdammungen heutiger Architkturtendenzen, wie saibo sie geäußert hat, sind völlig deplatziert.


    Warum? Seit wann ist Gesellschafts- und Kulturkritik in diesem Land unerwünscht?

    Zitat von "Juan Martillo"

    Dass man aber in Dresden über 50 Jahre nach ihrer Zerstörung die Frauenkirche wieder hingepflanzt hat, kann ich nicht gutheißen. Denn der Wiederaufbau wurde von Menschen forciert, von denen die meisten die Frauenkirche niemals selbst gesehen haben. Diese Menschen können nicht behaupten, der Verlust der Frauenkirche sei ein Identitätsverlust, denn sie haben sie nie gekannt.


    Ach so, es gibt also keine Foto- und Filmaufnahmen? Abgesehen davon: Warum sollten nur diejenigen etwas wieder aufbauen dürfen, die ein Gebäude auch schon einmal "live" gesehen haben? Und gibt es nicht so etwas wie ein kollektives Gedächtnis? Man könnte nämlich beispielsweise fragen, warum es so viele Juden nach Israel gezogen hat, obwohl sie und ihre Vorfahren dieses Land seit fast 2000 Jahren nicht gesehen haben. Nein, Identität bezieht sich auf viel längere Zeiträume, als ein halbes Menschenleben.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Sie ist wohl eher eine Art Symbol für die vergangene Vorkriegszeit, in der Dresden angeblich wichtiger, schöner und reicher gewesen sein soll, als es heute ist. Alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft für dieses etwas verschlafene Dresden, an der östlichen Peripherie Deutschlands gelegen, werden in diesen einen Bau hinprojiziert.


    Richtig erkannt. Der Bau ist ein Kraftquelle, als die er übrigens auch schon vorher konzipiert war. Und was ist schlecht daran?

    Zitat von "Juan Martillo"

    Und geschacksunsicher, wie man dort offenbar ist, kam man auf die Idee, zusätzlich zur Frauenkirche noch den kompletten Neumarkt historistisch neu zu bauen. (...) Dieses Neumarkt-Disneyland ist aber in Wahrheit eine Investorenarchitektur, nicht besser als die im Frankfurter Bankenviertel.


    "Geschmacksunsicher" - aha, der uralte Vorwurf an den Historismus. "Disneyland" - gähn. Überlassen wir die Bewertung doch einfach Kunsthistorikern kommender Jahrzehnte.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Man hat hier ein Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, und ich unterstelle einmal, dass es dafür auch Gründe gab.


    Was noch nichts über die Qualität dieser Gründe aussagt.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Die Denkmalpflege hat sich um die Jahrhundertwende einen wissenschaftlichen Standard erkämpft, mit dem sie größtenteils noch heute arbeitet. Erst dadurch hat sie sich freigestrampelt vom Einfluss derer, die in der Wiederherstellung eines idealisierten Vorzustandes ihr Heil suchten (Schinkel & Co).


    Ein Hohelied auf die Wissenschaft, die ja bekanntlich nie wertfrei ist.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Wenn manche hier die Nachkriegsarchitektur per se für nicht erhaltungswürdig, ja sogar für dringend abbruchwürdig halten, dann verhalten sie sich nicht besser als die Stadtplaner der 60er Jahre, die den Flächenabriss der Gründerzeitviertel für unbedingt notwendig gehalten haben. Aus diesen Fehlern hat hier offenbar manch einer nicht gelernt!


    Von "per se" ist ja keine Rede. Aber nun diejenigen, die eine Stadtreparatur nach den Sünden der 60er und 70er Jahren versuchen, mit den damaligen Stadtverplanern auf eine Stufe zu stellen, ist schon recht infam.

    Zitat von "Juan Martillo"

    Spätere Generationen werden es der Denkmalpflege danken, dass sie dem bedenkenlosen Abriss von Nachkriegsbauten - so oft sie konnte - Einhalt geboten hat.


    Nun herrscht ja derzeit noch kein Mangel an Nachkriegsbauten. Und wer weiß: Vielleicht werden es spätere Generationen auch danken, wenn statt manchen Nachkriegsbaus ein historisches Kleinod der Baugeschichte wieder entstanden ist, wieder entstünde...

    Das Denken späterer Generationen steht nämlich stets in den Sternen und die Entscheidungen von heute treffen wir deshalb auch nur für uns allein und heute. Und für die Welt, die wir den nächsten Generationen hinterlassen wollen. Ob die es uns dann danken oder nicht, wissen wir nicht. Wenn aber die Denkmalpflege sich massiv in Widerspruch zu dem heutigen Wollen vieler Menschen der Gegenwart stellen will, muß sie eben damit rechnen, Widerstand zu erfahren. Dann bildet sich eben wieder ein Konflikt zwischen etabliertem, "altem" und "neuem" Denken. Die Denkmalpflege muß sich dabei aber auch bewußt sein, daß das Ruder ebenso zu ihren Ungunsten ausfallen kann und zu ihrem Ende in der bisherigen Form.

  • Zitat von "Juan Martillo"

    Sorry, aber ich muss noch was zum Pellerhaus loswerden:

    Hier wird von einigen so argumentiert, als würde die Wiederherstellung der Renaissancefassade den damit eintretenden Verlust des 50er-Jahre-Denkmals aufwiegen. Wen wollt ihr denn mit so einer Argumentation überzeugen???
    Vielleicht ein paar Bürger, ja, da werden wohl einige gleicher Meinung sein. Aber nicht die staatliche Denkmalpflege. Die würde zum Glück alles daransetzen, den Verlust des Denkmals - auch wenn es ein 50er-Jahre-Bau ist - zu verhindern, ganz egal, was und wie dann neu gebaut wird. Denn Denkmalpfleger können und wollen keine Architektenzensoren sein!
    Man hat hier ein Gebäude unter Denkmalschutz gestellt, und ich unterstelle einmal, dass es dafür auch Gründe gab. Die Aufgabe der Denkmalpflege ist nun, sich für die Erhaltung des unter Schutz gestellten Bauwerks einzutreten. Dass einigen hier dieses Gebäude nicht gefällt, ist deren Privatmeinung. Nicht mehr und nicht weniger, zum Glück!

    Die Denkmalpflege hat sich um die Jahrhundertwende einen wissenschaftlichen Standard erkämpft, mit dem sie größtenteils noch heute arbeitet. Erst dadurch hat sie sich freigestrampelt vom Einfluss derer, die in der Wiederherstellung eines idealisierten Vorzustandes ihr Heil suchten (Schinkel & Co).
    Dass ihre Arbeit bei aller Wissenschaftlichkeit auch heute noch nicht unfehlbar ist, dass nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen werden, ist selbstverständlich und es ist unangebracht, daraus ein solches Aufregerthema zu machen, wie es manche hier tun. Wo Menschen arbeiten, machen sie nun mal Fehler!
    Und dass die Dnekmalpflege sich auch um die Baukunst der Nachkriegszeit kümmert, ist sehr wichtig. Spätere Generationen werden es der Denkmalpflege danken, dass sie dem bedenkenlosen Abriss von Nachkriegsbauten - so oft sie konnte - Einhalt geboten hat.
    Wenn manche hier die Nachkriegsarchitektur per se für nicht erhaltungswürdig, ja sogar für dringend abbruchwürdig halten, dann verhalten sie sich nicht besser als die Stadtplaner der 60er Jahre, die den Flächenabriss der Gründerzeitviertel für unbedingt notwendig gehalten haben. Aus diesen Fehlern hat hier offenbar manch einer nicht gelernt!

    In manchen Punkten kann ich Dir beipflichten, jedoch ziehst Du die falschen, weil negativen Schlüsse.

    Ja, Dresden hat in allen von Dir aufgezählten Punkten verloren und es grenzt an ein Wunder, dass diese Stadt sich langsam, sehr langsam wieder vom Schrecken der Bombennacht erholt. Ganz werden diese Wunden niemals heilen können, da die Zerstörung Dresdens eine absolute [lexicon='Zäsur'][/lexicon] darstellt. Aber nach den Schrecken des Krieges und nach der SED-Kulturbarbarei grenzt es doch an ein Wunder, dass nicht nur die Frauenkirche, sondern auch das Schloß wiederauferstanden sind.

    Nicht alle historischen Wiederaufbauten in Dresden sind reine Investorenarchitektur. Du meinst wahrscheinlich aber eher Abschreibungsinvestoren, für die das Investitionsobjekt Immobilie nur ein Mittel zum Zweck ist. Und wenn Du da an das QI und QIII denkst, da gebe ich Dir sogar Recht. Diese Liegenschaften sind im Grunde genommen genau das.

    Das wiederaufgebaute Schloss, Taschenbergpalais, Kanzleihaus sind dies definitiv nicht, da diese Gebäude für die „Ewigkeit“ wiedererrichtet wurden und der wirtschaftliche und technische Lebenszyklus hier eine andere Rolle zugemessen wird – dort stimmt einfach die Qualität. Dies wird auch bei der Rampischen Straße 29, bei An der Frauenkirche 16 und 17 sowie Schütz und Köhlerschem Haus so sein.

    Das Problem der Abschreibungsinvestoren hast Du doch erkannt. Demnach macht es nur Sinn, handwerklich einwandfreie Gebäude an dieser prädestinierten Stelle zu schaffen, die von „Investoren“ geschaffen werden, deren Behaltedauer länger dauert als die Abschreibungshalbwertszeit. Die Gebäude eines Herrn Prisco/Döring befinden sich, ob der mangelhaften Konstruktionen und billigen Ausführungen, bereits im Verfallsstadium. Gerade in Hinblick auf die Bebauung der Grundstücke hinter der Gewandhausfläche ist es sehr bedenklich und seitens der Stadt gedankenlos, diesen Investoren weiter Versuchsstellen zuzuschieben. Jedoch befinden sich in deren Keim bereits die Rekonstruktionsmöglichkeiten von Morgen. Das QI hat beispielsweise einen wirtschaftlichen Lebenszyklus von etwa 35 Jahren. Das vorhandene Hotel gar nur ein Drittel der Zeit. Ich bin kein Seher, aber die Frage der zukünftigen technischen Sanierung wird dadurch gelöst werden, dass die gemauerten Fassaden zum Neumarkt hin erhalten werden und der Rest, ersetzt werden wird. Vielleicht einmal durch beständigere Architektur – Rekonstruktionen, wer weiß?

    Doch man darf noch hoffen. Fortuna hat Dresden ihr Glückshorn zugewandt. Vor kurzem wurde der Stadt der Vorschlag einer Kulturstiftung für den Neumarkt vorgeschlagen. Jetzt liegt es an der Stadt und deren Protagonisten zu beweisen, dass sie Ihrer Vorfahren gerecht werden.

  • Zitat

    Dass man aber in Dresden über 50 Jahre nach ihrer Zerstörung die Frauenkirche wieder hingepflanzt hat, kann ich nicht gutheißen. Denn der Wiederaufbau wurde von Menschen forciert, von denen die meisten die Frauenkirche niemals selbst gesehen haben. Diese Menschen können nicht behaupten, der Verlust der Frauenkirche sei ein Identitätsverlust, denn sie haben sie nie gekannt.


    Die Kirche war nie ganz weg, als Ruine stand sie auf diesem leeren Platz und machte allen immer bewusst, was man verloren hatte. Sie war immer präsent, auf Bildern, Fotos, auf dem Neumarkt und in den Herzen der geschichtsbewussten Bevölkerung. Es war auch für die jüngeren Dresdner ein identitätsstiftendes Bauwerk - auch für mich als Dresdner der zweiten Nachkriegsgeneration und Nicht-Christen.

    Zitat

    Sie wohl eher eine Art Symbol für die vergangene Vorkriegszeit, in der Dresden angeblich wichtiger, schöner und reicher gewesen sein soll, als es heute ist.


    Natürlich ist sie ein Symbol - inzwischen nicht nur für die Vorkriegszeit in der Dresden tatsächlich wichtiger, schöner und reicher war - sondern nun auch ein Symbol der Versöhnung und des positiven nach vorne schauens ohne das Vergangene zu vergessen bzw. zu ignorieren und schlecht zu reden. Es ist auch ein Symbol dafür, das man alles erreichen kann, wenn man will und wenn alle mit anpacken!
    Und was ist eigentlich so schlecht daran, wenn ein Bauwerk ein Symbol ist? Sollen wir besser alle symbolträchtigen Bauwerke abreißen?

    Zitat

    Alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft für dieses etwas verschlafene Dresden, an der östlichen Peripherie Deutschlands gelegen, werden in diesen einen Bau hinprojiziert.


    Naja, das muß jemand mit den Wohnorten Haan und Halle ja ganz genau wissen. Dresden und verschlafen; tsts - wohl noch nicht in der Neustadt gewesen.

    Zitat

    Viele von denen, die eine Rekonstruktion dieser Kirche geordert haben, meinten damit eigentlich eine Rehabilitation dieser Stadt, deren relative Bedeutungslosigkeit im heutigen Deutschland sie schmerzt und die sich in die ihrer Meinung nach glanzvolle Vergangenheit der Stadt hineinträumen.


    Schmerzen tut einzig und allein der Verlust der ganzen geschichtlichen und kulturellen Substanz, die die Stadt zu dem machten, was sie einmal war. Und so bedeutungslos ist Dresden auch nicht mehr, immerhin sind wir der größte High-Tech Standort Deutschlands, das Zentrum von Silicon-Saxony.

    Zitat

    Und geschacksunsicher, wie man dort offenbar ist, kam man auf die Idee, zusätzlich zur Frauenkirche noch den kompletten Neumarkt historistisch neu zu bauen.


    Das ist für mich eher ein Zeichen von gutem Geschmack!

    Zitat

    Dass aber Dresden schlichtweg nicht mehr das Dresden vor `45 ist und auch nie wieder werden kann, das will dort kaum einer einsehen. Die Stadt hat an Einwohnern, an Wirtschaftskraft, an kultureller Bedeutung, an Wohlstand der Bevölerung und sicher auch an Selbstbewusstsein verloren.


    Wenn man gar nichts tut, dann kann auch nichts werden. Also arbeiten wir hier hart dafür, das es wenigsten ein bisschen so wie vor dem Krieg wird. Immer nach dem Motto: Setze Dir das scheinbar Unmögliche zum Ziel, damit Du das maximal Mögliche erreichst!
    Und an Selbstbewusstsein mangelt es den Dresdnern ganz gewiss nicht - oder warum musste man so schnell wie möglich den Stadtrat und -verwaltung mit Wessis vollstopfen. Doch nur um das Selbstwusstsein etwas zu bremsen und den "Ossis" klar machen, das sie zu blöd sind um ihre Stadt aufzubauen und zu regieren.

    Zitat

    Diese Rekonstruktionen rund um die Frauenkirche sind wie das Pfeifen im Wald: "Wenn Dresden erst mal wieder so aussieht wie vor dem Krieg, dann kommt alles weitere ganz von allein."


    Und? Schau Dich hier mal um - es klappt. Seit dem die Kirche steht ist die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht - die Wirtschaft boomt, es wird überall gebaut (nicht nur am Neumarkt, aber dort besonders), die Bevölkerungszahl steigt durch Zuzug und Babyboom.

    Zitat

    Dieses Neumarkt-Disneyland ist aber in Wahrheit eine Investorenarchitektur, nicht besser als die im Frankfurter Bankenviertel. Nur warten die Invetsoren hier nicht auf Banker, sondern auf Touristen (Wessis) und deren Geld. Denn irgendjemand von den Rekobefürwortern hat denen eingeredet, dass die davon angelockt werden (was ja teilweise auch stimmt). Mehr braucht man zur Qualität dieser Architektur nicht zu sagen.


    Natürlich ist nicht alles perfekt, aber es ist ja auch das erste mal hier in Deutschland, das so ein Projekt durchgezogen wird. Fehler sind da normal und ich hoffe, das man aus den gemachten Fehlern lernt und die restlichen Quartiere besser werden.

    Alles in allem klingt Dein Beitrag nach der Mischung aus einem frustrierten Architekten und neidischem Provinzler.

    Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.

    Oscar Wilde (1854-1900)

  • Vor allem würde mich mal interessieren, was denn anstelle des sogenannten "Disneylands" sonst gebaut werden sollte?

    Vermutlich dieselben toten Glaskisten wie am Wiener Platz, die ja so irre transparent und zeitgemäß sind. Am besten noch schön im Rastermuster um die ach so mahnende Frauenkirchen-Ruine herum angeordnet.

    Hach, wäre das originell, politisch korrekt und ehrlich. Nicht, daß Dresden noch mal irgendwie anders oder sogar besser aussieht als Duisburg-Ruhrort.

  • Juan Martillo: Auch wenn hier viele anderer Meinung sind, treibt es die Diskussion an, wenn Du hier die amtliche Meinung der Denkmalpflege vertrittst. Diese Meinung ist ja grundsätzlich auch nicht unbegründet, und darüber hinaus dürften die meisten Forumsteilnehmer hier die Ziele der Denkmalpflege generell auch unterstützen. So unterstelle ich wohl zu Recht den meisten Forumsmitgliedern, daß sie beim Kampf um die Erhaltung von alten Gebäuden auf Seite der Denkmalpflege stehen - u. U. selbst bei interessanten Gebäuden aus der Nachkriegszeit.

    Streitig sind hingegen gewisse Reibungspunkte: wenn die Denkmalpflege (vermeintlich oder tatsächlich) über ihre Kompetenzen hinausgeht oder wenn ihre Aktivitäten mißverstanden oder falsch gewertet werden.

    So ist es beispielsweise irritierend, wenn die Denkmalpfleger ohne sachlichen Grund Rekonstruktionen prinzipiell ablehnen. Weshalb eine Rekonstruktion den Wert der echten Denkmäler vermindern soll, konnte mir bisher kein Denkmalpfleger wirklich erklären. Vielleicht kannst Du das mal versuchen, Juan Martillo? Und warum ist die Denkmalpflege immer so stolz auf die Erkenntnisse von vor 100 Jahren? Wir fahren doch auch nicht mehr auf Vollgummireifen? Auch ist irritierend, welche architektonischen Lösungen Denkmalpfleger zulassen - z. B. brachial Modernes mit dem Argument, man könne dann sehen, was alt und neu ist; m. E. werden die diesem Gesichtspunkt zugrundeliegenden denkmalpflegerischen Erwägungen in der Praxis mißverstanden; in anderen Fällen wird hingegen darauf geachtet, daß sich nichts Neues neben dem Denkmal zu wichtig nimmt oder das Denkmal stört. Außerdem sind die Belange des Denkmalschutzes natürlich nicht die einzigen Belange, die zu berücksichtigen sind - das bekommt man immer wieder zu spüren, wenn die Denkmalpflege dem Abriß eines Baudenkmals zustimmt oder zustimmen muß, sei es zu Gunsten privater Besitzer oder eines Investorenhais wie eben in Nürnberg, wo die kostbare Milchhof-Maschinenhalle von 1930 demnächst als jüngstes Opfer von "Bayerns oberstem Denkmalvernichter" (O-Ton Landesamt für Denkmalpflege) Alfons Doblinger Geschichte werden wird.

    Prinzipiell sind Rekonstruktionen im heutigen Pluralismus mindestens eine der Avantgarde gleichberechtigt nebenan gestellte Strömung. Darüber hinaus gibt es noch besondere Funktionen von Rekonstruktionen, die andere architektonische Lösungen nicht erbringen können. Die Leistung einer Rekonstruktion wird vielfach - meist im Vorfeld - unterschätzt. Insofern steht es der Denkmalpflege nicht zu, eine kunsthistorische Bewertung von gegenwärtigem Bauen vorzunehmen.

    Natürlich wäre es auch für mich ein Graus, wenn in Nürnberg plötzlich ein Dutzend Pellerhaus-Kopien gebaut werden würden. Aber eine einmalige Rekonstruktion ist für mich grundsätzlich richtig. Ich halte es für die allernatürlichste Form der Reaktion auf die Zerstörung eines geschätzten Bauwerks, es schlicht und einfach wiederherzustellen. Ich halte es aber falsch, wenn aus der Luft gegriffen wird, daß das nur kurz nach der Zerstörung erlaubt sein soll. Das Bedürfnis ist mit der Zerstörung entstanden und besteht auch weiterhin fort. Es ist nicht weggefallen. Wer will sich anmaßen, hier ein Limit zu setzen? Diejenigen, die die wertvollen Bauplätze gerne mit ihren eigenen Schöpfungen bepflanzen wollen, weil sie das gelernt haben und damit ihr Geld verdienen? Dann würde man das Allgemeininteresse doch etwas abschnüren. Die Architekten, so sehr ich den Beruf schätze (ja!), agieren hier schlichtweg als Interessengruppe, und das sollte nicht vergessen werden. Mit philosophischem Anstrich kann man sich natürlich etwas mehr Verbindlichkeit verleihen.

    Zum Pellerhaus möchte ich gerne etwas beitragen, nachdem ich wohl einer der wenigen der Diskussionsrunde bin, der es in natura kennt.

    Tatsächlich steht das Vorderhaus überhaupt nicht zur Debatte. Meine Meinung hierzu ist allerdings, daß es seinerzeit ein Fehler war, das Vorderhaus nicht vollständig zu rekonstruieren, sondern den Neubau oben aufzusetzen. Schließlich war es nicht wirklich nötig, es damals so umzubauen. Platz für ein Stadtarchiv war ohne Ende vorhanden - zB nur 50 m westlich im ausgebrannten Peststadel, der allerdings einer "autogerechten" (und heute nicht mehr nötigen), öden Verbreiterung der Tetzelgasse weichen mußte. Hätte man doch den ein bißchen moderner wiederaufgebaut! So vereitelte man in den 60ern den späteren Generationen den Wiederaufbau. Bürgerbauten hatten eben keine Lobby, egal wie bedeutend sie waren; nur Verwaltungsbauten und Kirchen wurden unmittelbar nach dem Krieg wiederhergestellt.

    Andererseits würde es mir, und jetzt bin ich wirklich ehrlich, auch tatsächlich etwas wehtun, wenn die Abrißbirne das 50er-Jahre-Gebäude träfe, selbst wenn dafür das "alte" Pellerhaus wieder gebaut werden würde. Ich mag es halt nicht, wenn etwas zerstört wird. Fakt ist, daß der Neubau ab 2009 leer steht und sich momentan kein Nutzer finden läßt. Grund: die drei Zwischengeschosse 2.-4. Stock sind mit einer Deckenhöhe von jeweils 2,20 m nicht nutzbar; es handelt sich um das Büchermagazin. Beim Pellerhaus ist das Dilemma um so schlimmer, als der Neubau - unabhängig von dem Odium der Verdrängung des Altbaus - losgelöst von der Situation nicht der schlechteste 50er-Jahre-Bau in Nürnbergs Altstadt ist.

    Doch momentan ist noch genug damit zu tun, den Hof wiederaufzubauen. Damit tut man niemand weh und stoppt den weiteren Verfall. Und wie ich meine, sollte auch das Haus links neben dem Pellerhaus rekonstruiert werden, damit aus dem Platz wieder ein Platz wird.


    Bild:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Nuer…fassade-v-s.jpg

    Ich will aber nicht zu sehr vom Thema ablenken, und möchte nochmal mein Anliegen unterstreichen, daß die Denkmalpflege ihre Grenzen umsichtig ausloten möge. Im Hinblick auf Rekonstruktionen fordere ich, daß diesen gegenüber zumindest eine neutrale Position eingenommen wird, aber eine Unterstützung dahingehend erfolgt, daß qualitativ möglichst hochwertige Rekonstruktionen entstehen. Denn wenn wir es uns hier aussuchen könnten, würde keiner einen Flachdachbunker mit Barockfassade wollen, auch wenn es stadtbildnerisch besser ist als ein Flachdachbunker mit Allerweltsfassade.

  • Zitat von "baukunst-nbg"


    Natürlich wäre es auch für mich ein Graus, wenn in Nürnberg plötzlich ein Dutzend Pellerhaus-Kopien gebaut werden würden. Aber eine einmalige Rekonstruktion ist für mich grundsätzlich richtig.

    Ich wäre dir dankbar, wenn du das noch etwas genauer erläutern könntest.
    Heisst das jetzt, dass du nur für die Rekonstruktion einzelner bedeutender Baudenkmäler bist, aber die Wiederherstellung ganzer Altstadtquatiere ablehnst? Und wie stehst du dann zur geplanten Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt? :piksen:

    Zitat

    Denn wenn wir es uns hier aussuchen könnten, würde keiner einen Flachdachbunker mit Barockfassade wollen, auch wenn es stadtbildnerisch besser ist als ein Flachdachbunker mit Allerweltsfassade.

    Dem kann ich nicht zustimmen. Das sollte man differentiert betrachten und vom Einzelfall abhängig machen. Wenn die heutige Nutzung eine Rekonstruktion auf Basis des historischen Grundrisses nicht zuläßt und die Innenräume samt Raumstruktur unbedeutend waren, dann kann man sich durchaus auf die Rekonstruktion der Fassade beschränken. Es hängt dann von der Qualität des Architekten ab, wie gut die Symbiose zwischen alter Fassade und neuer Raumstruktur gelingt. Die Wiederherstellung bedeutender Stadträume sollte immer Priorität haben. Ich finde die Einteilung in Leitbauten und Leitfassaden, auf die man sich bei der Rekonstruktion des Dresdner Neumarkts geeinigt hat, sehr gelungen.

    Als viel schlimmer erachte ich die Maßnahmen, die man bei der Rekonstruktion der Anna-Amalia Bibliothek ergriffen hat. Die Fassade überstand den Brand völlig unbeschadet, aber man entschloss sich sie in den Zustand des 18. Jahrhunderts zurückzuversetzen. Dafür wurden im Erdgeschoss zwei Fenster beseitigt, die vermutlich eine Zutat des 19. Jahrhunderts waren. Aber gleichzeitig trägt die Balustrade im Dachgeschoss des Rokokosaales immer noch die Spuren der Brandnacht. Anscheinend stuft das Denkmalamt den Erhalt von Brandschäden höher ein, als gut erhaltene architektonische Zutaten des 19. jahrhunderts. Solche Entscheidungen empfindet der normale Bürger als pure Willkür. Sollte der Erhalt von originaler Bausubstanz nicht immer Pirorität haben?

    Bilder der Fassade der Anna-Amalia-Bibliothek:

    überlieferter Zustand:
    http://www.wissenschaftliches-bildarchiv.de/Archiv/040/007…uren/040-17.jpg

    Interpretation des Denkmalamtes:

  • Die oben von Juan Martillo ausführlich dargestellten Argumente der Denkmalpflege sind ja bekannt und soweit in der Argumentationsweise auch nachvollziehbar. Teilen muss man diese Auffassung deshalb noch lange nicht.
    Warum schließt sich Denkmalpflege (im Sinne der Konservierung des Originals) und Rekonstruktion (Nachbau des verlorenen Original) denn aus? Beides ergänzt sich m.E. hervorragend. Es geht den meisten hier doch so, dass sie diese ganzen von den Architekten und offenbar auch vielen Denkmalpflegern geliebten "Brüche" und "Kontraste" nicht mehr sehen können, weil die Städte überfrachtet davon sind.

    Für mich war die "Wiederauferstehung" der Frauenkirche jedenfalls so was wie ein Traum. Ich kannte die Frauenkirche aus der Literatur, und neben dem Bild dieses mir faszinierend-ungeheuerlich erscheinenden dreckigen Kuppelbaus stand in der Vergangenheitsform soetwas wie "Die im zweiten Weltkrieg zerstörte Dresdener Frauenkirche war...." - so als wäre die Zerstörung eine für immer und ewig festgeschriebene Tatsache. Dass es nach der Wende zum getreuen (!) Wiederaufbau kam, hätte ich nie zu träumen gewagt. Ich habe Anfangs gedacht, "die spinnen, das wird doch nie was" - und habe mich eines besseren belehren lassen, dass es eben doch geht. Ich bin begeistert, und meine ganz frech, dass dies keiner weiteren Begründung bedarf.

  • Zitat

    Warum schließt sich Denkmalpflege (im Sinne der Konservierung des Originals) und Rekonstruktion (Nachbau des verlorenen Original) denn aus? Beides ergänzt sich m.E. hervorragend. Es geht den meisten hier doch so, dass sie diese ganzen von den Architekten und offenbar auch vielen Denkmalpflegern geliebten "Brüche" und "Kontraste" nicht mehr sehen können, weil die Städte überfrachtet davon sind.

    Für mich war die "Wiederauferstehung" der Frauenkirche jedenfalls so was wie ein Traum. Ich kannte die Frauenkirche aus der Literatur, und neben dem Bild dieses mir faszinierend-ungeheuerlich erscheinenden dreckigen Kuppelbaus stand in der Vergangenheitsform soetwas wie "Die im zweiten Weltkrieg zerstörte Dresdener Frauenkirche war...." - so als wäre die Zerstörung eine für immer und ewig festgeschriebene Tatsache. Dass es nach der Wende zum getreuen (!) Wiederaufbau kam, hätte ich nie zu träumen gewagt. Ich habe Anfangs gedacht, "die spinnen, das wird doch nie was" - und habe mich eines besseren belehren lassen, dass es eben doch geht. Ich bin begeistert, und meine ganz frech, dass dies keiner weiteren Begründung bedarf.

    Volle Zustimmung. Mit der Frauenkirche ging es mir auch so. Und das Denkmalpflege und Rekonstruktion sich natürlicherweise ergänzen habe ich hier im Forum schon viele Male gesagt.

    VBI DOLOR IBI VIGILES