Institutionen des Denkmalschutzes in der Kritik

  • Sakristei-Anbau geht in weitere Runde

    (Hintergrundinformation: Es geht in diesem Artikel um die Dorfkirche in Schörzingen (StadtSchömberg, Zollernalbkreis, Baden-Württemberg). Sie wurde 1740 fertig gestellt und als eine der schönsten barocken Dorfkirchen im Lande bezeichnet. Kunstkenner loben im Innenraum der Kirche die Einheit aller Elemente, angefangen vom Raum bis zu den Gemälden. Sie stellt somit als Kirche an sich ein barockes Kunstwerk dar. Viele Teile der Innenausstattung hat der Schömberger Barockkünstler Urban Faulhaber geschaffen.)

    Die Kirche und das Ensemble: http://v5.cache6.c.bigcache.googleapis.com/static.panoram…irect_counter=1

    Der 145 000 Euro teure modernistische Anbau ist vom Denkmalamt und vom Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg genehmigt.

    Zitat

    Nicht glücklich mit dem geplanten Anbau sind allerdings einige Ortschaftsräte. Ortsvorsteher Josef Rissler sieht durch den Kubus das Ortsbild beeinträchtigt. "Der historische Ortskern, den wird erhalten müssen, schafft Identität und Heimat", sagte er. Der Neubau entspreche nicht der Ortsbildsatzung, was aber unbedingt der Fall sein müsse. Die "Schokoladenseite" der Kirche sei ein wichtiges Marketing-Instrument. Rissler befürchtet, dass diese durch den Neubau zerstört werde. Auch aus der Gemeinde habe er kritische Äußerungen gehört. "Die Bürger fragen sich, warum der drei Jahrhunderte alte Bestand so verändert wird."

    Stadtpfarrer Johannes Holdt ist der Überzeugung, dass trotz des Anbaus die Schokoladenseite der Kirche erhalten bleibe. Auch er sei am Bestand des historischen Gebäudes interessiert. Und auch das Denkmalamt wolle das Erscheinungsbild der barocken Kirche schützen. Deshalb werde ja der separate Kubus geplant, weil keine Historisierung gewollt sei. "Im Denkmalamt sitzen die Experten. Wenn diese zustimmen, kann es so falsch nicht sein", erklärte er. "Der Anbau an die Sakristei hat Stil. Es ist nicht irgendwas Hingeklatschtes."

    Quelle: Schömberg: Sakristei-Anbau geht in weitere Runde - Schömberg - Schwarzwälder Bote

  • Hier offenbart sich mal wieder das ganze verquere Denken dieser Leute. Sie meinen doch wirklich, durch eine historisch angepasste Bebauung würde das Bild der Kirche beeinträchtigt, und deshalb müsse man nun einen offenbar modernistischen Kubus als Kontrast in das Ensemble stellen. In Äußerungen wie "Im Denkmalamt sitzen die Experten. Wenn diese zustimmen, kann es so falsch nicht sein" zeigt sich die ganze hiesige Obrigkeitsgläubigkeit, hier im speziellen des Stadtpfarrers. Auch wenn ich keine konkreten Pläne gesehen habe, mir schwant schon beim Wort "Kubus" worauf alles hinausläuft. Man kann also nur hoffen, dass sich die hinsichtlich des Ortsbildes sensiblen Ortsräte durchsetzen.

  • Danke Heimdall für deine Stellungnahme. Bisweilen erinnert mich dieser diktierte Alleinvertretungsanspruch der Modernistenmachinerie ein wenig an des Kaisers neue Kleider...

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    Einmal editiert, zuletzt von zeitlos (7. August 2011 um 22:40)

  • Seit ich die Nachrichtenblätter des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg beziehe, fällt mir der zunehmende Fokus auf die Architektur der Nachkriegsjahre (Mitte 20.Jahrhundert), deren eilige Unterschutzstellung sowie Inventarisation auf. Dass dadurch Bauwerke der vorindustriellen Zeit oder des Historismus weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeitsarbeit stehen (sollen?) ist augenscheinlich: http://www.denkmalpflege-bw.de/fileadmin/medi…tter/2011-2.pdf

    Hinweis:
    Die Nachrichtenblätter des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg können kostenfrei bezogen werden. Sie erscheinen vierteljährlich. Zudem stehen
    sie seit der Ausgabe 2010-2 auch online zur Verfügung.

  • Zitat

    Dass dadurch Bauwerke der vorindustriellen Zeit oder des Historismus weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeitsarbeit stehen (sollen?) ist augenscheinlich:

    Das leitest du woraus ab? Inventarisation der Nachkriegsarchitektur ist natürlich etwas, was gerade erst geleistet wird, und logischerweise damit auch stärker in aktuellen Publikationen vertreten. Das sollte man aber nicht mit der politisch gewollten und bewusst herbeigeführten Stellung des Denkmalschutzes in BaWü verwechseln, der mittlerweile der schwächste in ganz Deutschland ist. Dafür können die finanziell wie personell ausgebluteten Denkmalämter aber kaum was.

    Übrigens sitzen da entgegen der populären Meinung auch keine Richter über Geschmack und Stil. Sie interessieren sich einzig für den Erhalt der Substanz. Das mag mancher als dümmliche Beamtenmentalität abtun, ist aber nunmal so.

  • Übrigens sitzen da entgegen der populären Meinung auch keine Richter über Geschmack und Stil. Sie interessieren sich einzig für den Erhalt der Substanz.


    Das wird man so pauschal nicht sagen können, Menschen sind unterschiedlich.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

    Einmal editiert, zuletzt von youngwoerth (8. August 2011 um 09:20)

  • youngwoerth: Sehe ich genau so.

    @Hephaistos: Die Augenscheinlichkeit leite ich aus den jüngeren Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege in Baden-Württemberg ab. Dabei stehen Gebäude der Nachkriegsmoderne eindeutig im Vordergrund. Die Motivation oder vermeintliche Notwendigkeit hierfür in der aktuellen Inventarisation jener Gebäude zu sehen, ist einseitig angesichts eines Inventarisationsstaus längst überfälliger Gebäude. Wer setzt hier die Prioritäten? Dass Mitarbeiter des Landesdenkmalamt ihre Tätigkeit prinzipiell gewissenhaft ausüben, stelle ich nicht in Frage. An eine homogene Maschinerie von Denkmalpflegern glaube ich allerdings nicht. Ich hinterfrage die Arbeit einzelner Personen auf Grund ihrer Haltung und Position. Und da gibt es in der Tat große Unterschiede. Letztlich fällt und steht der Denkmalschutz in Baden Württemberg mit diesen. Der politische Aspekt der finanziellen Förderung ist dabei noch unbeachtet.

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    Einmal editiert, zuletzt von zeitlos (9. August 2011 um 10:19)

  • Ein schlechter Witz aus Darmstadt. Während massenhaft historisches abgerissen wird, setzt sich der Denkmalschutz urplötzlich für eine nichssagendes 50-iger Jahre Siedlung ein und vergrault so einen Investor für ein Studentenwohnheim (Foto im Artikel beachten - unglaublich, was da geschützt werden soll) - s. DA Echo, 13.09.11 "Hickhack um Wohnheim Neubau in der Havelstraße":
    Hickhack um Wohnheim-Neubau in der Havelstraße | Echo Online - Nachrichten aus Südhessen

    ...

  • Vlt möchte man den katastrophalen Wiederaufbau, bzw. sagen wir lieber "nachgebesserte Zerstörung", Darmstadts konservieren und in seiner Gesamtheit nicht gefährden :D.

  • Auch die aktuelle Ausgabe von "Monumente online" der Dt. Stiftung Denkmalschutz bricht eine Lanze für die zumeist unerträgliche 60er-Jahre-Architektur. Die dahinter steckenden Köpfe sind halt Kinder ihrer Zeit und Umgebung. Dort aufgewachsen, würden sie sich sicher auch für Pjöngjang in die Bresche werfen.

    Zitat

    [...]Doch wagt man einen zweiten Blick auf die Architektur der 1960er Jahre, dann entdeckt man sie - die individuellen Einzelbauten, deren ästhetischer Anspruch und innovativer Geist bis heute mustergültig sind.


    60er Jahre Architektur - monumente-online

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Jaja so ist das^^.

    Aber irgendwo muss man ja 60ger und 70ger Jahre Bauten ideologisch rechtfertigen. Mit Wiederaufbau hatte das ja besonders in den Innenstädten absolut nichts mehr am Hut.

    Beispiel Essener Rathaus:


    gemeinfrei

    et voilá

    von Doco

    Zitat

    Der erste Spatenstich des heutigen Rathauses, nach Plänen des Darmstädter Architekten Theodor Seifert, fand am 1. Juli 1975 statt


    huh:)

    Zitat

    ein repräsentatives, neugotisches Gebäude nach einem Entwurf des Architekten Peter Zindel, zwischen 1878 und 1888 erbaut und im Zweiten Weltkrieg, insbesondere bei einem Luftangriff am 5. März 1943, schwer beschädigt, wobei besonders der markante Turm getroffen war. In den Jahren 1964/1965 wurde es nach Wiederaufbau abgerissen, nachdem das Grundstück an einen Kaufhaus-Konzern verkauft wurde.

    Totaler Irsinn

    Zitat

    . Nach Abriss des dritten Essener Rathauses 1964/1965 entstand hier das heute ebenfalls nicht mehr existierende Wertheim-Kaufhaus. Heute steht hier ein Neubau mit verschiedenen Einzelhandelsgeschäften.

    Vor der Eröffnung des neuen Rathauses am neuen Standort, dem Porscheplatz, hatte Essen 15 Jahre lang, von 1964 bis 1979 kein Rathaus

  • Das ist der Essener Wahnsinn.

    Und da wären wir auch bei DEM GRUNDÜBEL der Nachkriegsbebauung: Nämlich die nicht vorhandene Qualitätsverbesserung gegenüber den Vorgängerbauten. Der kontinuierliche Wandel der Städte mit Phasen des Abrisses, der Überbauung und der zeitgenössischen Anpassung, ist in jedem Zeitalter zu finden. Doch seit Ende des Weltkrieges haben wir eine Phase, bei der die Neubauten nicht qualitativ gleich oder besser als die Vorgängerbauten sind. Ich glaub man könnte besser mit den Nachkriegsbauten leben, wenn diese eine qualitative Verbesserung darstellen würden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wir erleben ein schnelllebiges Handel bei der qualitativ hochwertige Bauten von Bauten mit überwiegend banaler Qualität ersetzt werden.

    ...

  • GRUNDÜBEL der Nachkriegsbebauung: Nämlich die nicht vorhandene Qualitätsverbesserung gegenüber den Vorgängerbauten.


    Was ist Qualität? Das Grundübel der Nachkriegsarchitektur ist für mich der bewusste Bruch mit der Tradition, mit dem Bewährten, mit der Identität. Was dann noch übrigbleibt, ist Beliebigkeit und Austauschbarkeit. Negierung des Ortes, Bezuglosigkeit zur Region, Kontrastierung des Bestands, Globalisierung statt Differenzierung. Und all dies ausgerechnet in unseren flächenhaft kriegszerstörten Städten, die die Stärkung und Rückgewinnung ureigener Identität so bitter nötig gehabt hätten.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Denkmalschutz in der Kritik – Abrisse in den 1960ern und 1970ern – aber das Denkmalschutzgesetz trat in NRW erst 1980 in Kraft. Die ganze Aufregung ist also zumindest thematisch total für die Füße. Oder typisch deutsch, frei nach dem Motto, irgendwer muss ja verantwortlich gemacht werden.

  • Wobei man - abgesehen vom Denkmalschutz und der Frage des Essener Rathauses - nicht vergessen oder leugnen sollte, daß es bei Entscheidungen stets auch Verantwortliche gibt. Wenn diese Erkenntnis "typisch deutsch" ist, dann spräche sie einfach für einen normalen reflektierenden Verstand. Heute indes werden viele politische Entscheidungen aufgrund der Undurchschaubarkeit der dahinter stehenden Machtstrukturen oft als faktisches Naturgesetz dargestellt, als "alternativlos" oder "unumkehrbar".

  • Bezugnehmend auf den obigen Artikel:
    Schömberg: Sakristei-Anbau geht in weitere Runde - Schömberg - Schwarzwälder Bote

    Trotz der Bedenken des Schörzinger Ortsvorstehers und aus der Bevölkerung hat sich der Ortschaftsrat u.a. auf Empfehlung des Denkmalamtes für die modernistische Andockung einer Schachtelsakristei an das barocke Juwel der Schörzinger Dorfkirche entschieden:

    Zitat


    Die geplante Sakristei mit einem Grundriss von 5,5 mal acht Metern hebe sich deutlich ab vom Kirchenbau und von der Umgebung des bebauten Geländes. Er habe deshalb mit dem Vorhaben ein "Riesenproblem", nachdem die Belange und Vorgaben der geltenden Dorfbildsatzung nicht berücksichtigt seien. "Deshalb habe ich etwas gegen diesen Anbau", stellte Rissler klar. Er befürchte, dass man damit ein Beispiel gebe, das künftig auch von
    anderen Bauherren bei Um- oder Anbauten im Ortskern herangezogen werden
    könne.

    Ortschaftsrat Jens-Uwe Saat hielt dagegen, dass die Kirche mit diesem
    Bau neue Wege gehe und sich der modernen (?) Architektur öffne.

    Quelle: Schömberg: St. Gallus erhält neue Sakristei - Schömberg - Schwarzwälder Bote


    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    Einmal editiert, zuletzt von zeitlos (23. Oktober 2011 um 16:37)

  • Zitat

    Dass zum Beispiel das Berliner Stadtschloss wiederaufgebaut werden soll, ist ein Skandal, das ist Disney-Land.

    Da tut der gute Mann so als hätte er Ahnung und schießt sich mit solchen Sätzen dann doch ins Abseits.

  • Da tut der gute Mann so als hätte er Ahnung und schießt sich mit solchen Sätzen dann doch ins Abseits.

    Was man zu dem Einsturz des Stadtarchivs hier noch ergänzen könnte...

    Disneyland finden die meisten Menschen toll.

  • Mit dem halben Abriss des denkmalgeschützten Stuttgarter Hauptbahnhofes hat die Landesdenkmalpflege in Baden-Württemberg wie man weiß kein Probleme, hingegen soll der Autotunnel unterhalb des Eisenbahngleisfeldes, der mit Stuttgart 21 in absehbarer Zeit ebenfalls abgebrochen wird, aus Gründen des Denkmalschutzes nach einer Kunstaktion wieder grau angestrichen werden. Wie paradox ist solch eine Forderung eigentlich? :gehtsnoch:

    Wolframstraße: Kunst: Ein rosa Tunnel ist zu bunt - Stuttgart & Region - Stuttgarter Nachrichten