• Zwei aktuelle Artikel zum Thema Stadtumbau:


    Attraktiv durch Abriss

    Stadtumbau in Brandenburg: 15 000 Wohnungen wurden bisher abgetragen - 50 000 sollen es werden

    Jens Blankennagel


    SCHWEDT. Der Name der Stadt am nordöstlichen Zipfel Brandenburgs verkörperte noch vor wenigen Jahren den Niedergang in Ostdeutschland. Mehr als anderswo zogen nach der Wende in Schwedt die Bewohner massenhaft weg, leere Plattenbauten wurden niedergerissen. Abrissgegner, die ein Stück DDR-Geschichte vernichtet sahen, schickten sogar Morddrohungen an die so genannten Plattmacher.

    Inzwischen sind wohl selbst die letzten Zweifler überzeugt. "Wir haben das Problem früh erkannt und sind nun optimistisch, die Abwanderung durch kluge Wirtschaftsansiedlungen stoppen zu können", sagt der Schwedter Baudezernent Jürgen Polzehl. "Und der Abriss war und ist notwendig, um das Bild der Stadt attraktiver zu machen." 3 100 Wohnungen sind bereits weg - ein Spitzenwert in Brandenburg. Weitere 2 000 stehen leer und sollen ebenfalls verschwinden.

    430 Millionen Euro

    Das groß angelegete Stadtumbauprogramm begann 2002. Entscheidender Punkt ist der Abriss - etwa 50 000 Wohnungen sollen insgesamt verschwinden. Bund und Land stellen dafür 170 Millionen Euro bereit. Die nachfolgende Aufwertung der Stadtteile durch Sanierungen und Umbau finanzieren Bund, Land und die Kommunen mit 260 Millionen Euro. "Bisher sind 15 000 Wohnungen im Land abgerissen", sagt der Sprecher des Bauministeriums, Lothar Wiegand. Für den Abriss weiterer 8 000 Wohnungen sei das Geld bereits überwiesen.

    Bauminister Frank Szymanski (SPD) sieht zwar den Stadtumbau als eines seiner wichtigsten politischen Ziele, doch bei den derzeitigen internen Haushaltsdebatten werden auch von seinem Haus Kürzungen verlangt. "Dabei muss aber bedacht werden, dass jeder bei uns von der öffentlichen Hand investierte Euro drei bis vier Euro von privaten Investoren nach sich zieht", sagt Ministeriumssprecher Wiegand.

    Insgesamt beteiligen sich 26 Städte wie Schwedt, Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt [...] oder Wittenberge an dem Programm. Besonders für die berlinfernen Orte hat es immense Bedeutung. Zwar wuchs die Einwohnerzahl Brandenburgs bis 2001 auf 2,6 Millionen, doch die Hälfte der Neubürger kam aus Berlin und siedelte sich rund um die Hauptstadt an. Und die Prognosen sehen düster aus: Die Gesamtbevölkerung wird sich bis 2020 vor allem durch die geringen Geburtenzahlen um 180 000 Einwohner verringern - und schon jetzt stehen mehr als zehn Prozent der Wohnungen im Land leer.

    Meist gilt beim Stadtumbau das Konzept: Die Satellitenvororte mit ihren Plattenbauten werden ganz oder teilweise abgetragen. Mit diesem "Rückbau von außen nach innen" sollen die Innenstädte aufgewertet werden. "Attraktive Städte sind für uns so etwas wie Anker im ländlichen Raum", sagt Ministeriumssprecher Wiegand. "Wenn es den Städten gut geht, wirkt das auch positiv auf die Region ringsherum."

    Wittenberge im Nordwesten des Landes leidet ähnlich wie Schwedt und doch anders. Hier rollen die Bagger nicht nur gegen Plattenbauten, sondern vor allem gegen alte Häuser aus der Gründerzeit. "Wir müssen auch in der Innenstadt abreißen", sagt Christine Schomaker, die Sprecherin der Stadtverwaltung Bis 2010 sollen 2 000 Wohnungen verschwinden. "Das ist schmerzlich, aber unser Ziel ist es, die Gegenden mit großem Leerstand langfristig lebenswert zu erhalten." Vor wenigen Jahren dienten die verwahrlosten Häuser etwa im Packhofviertel als Filmkulissen für Nachkriegsfilme, heute sind viele Ruinen weg und durch Parkplätze und Grünflächen ersetzt.

    In Schwedt wurden für die Bewohner der abzureißenden Häuser zuerst anderen Plattenbauten saniert. So wurden aus langen Blocks einzelne Hausaufgänge "herausgeschnitten", die so entstandenen Einzelhäuser auf vier Etagen verkleinert und mit Dachterrassen versehen. Nun ähneln sie fast Stadtvillen. "Der Abriss ist Pflicht", sagt Baudezernent Polzehl. "Doch die Aufwertung der Gebiete ist die Kür. Bei uns sagen fast alle, dass die Stadt schöner geworden ist."

    Quelle:

    http://www.berlinonline.de/berliner-zeitu…urg/411213.html


    180 000 Einwohner weniger

    Brandenburg: Bis 2020 soll die Einwohnerzahl im Berliner Umland um 6,6 Prozent steigen, doch die im "äußeren Entwicklungsraum" gleichzeitig um 14,9 Prozent sinken. Die Gesamtbevölkerung fällt von jetzt 2,59 auf 2,41 Millionen. 165 000 der 1,3 Millionen Wohnungen stehen leer.

    Stadtumbau: Ein Umbauprogramm, das 2002 begann, soll 26 Städte in Brandenburg vor dem Verfall schützen und sie attraktiver machen. Insgesamt wollen Bund, Land und Kommunen 430 Millionen Euro bereitstellen - für den Abriss von 50 000 Wohnungen 170 Millionen, für die Sanierung und den Umbau 260 Millionen.

    Beispiele: In Schwedt lebten 1989 52 000 Einwohner, 38 000 sind es derzeit - 5 000 Wohnungen sollen abgerissen werden. In Wittenberg gab es 1990 noch fast 27 000 Bewohner, heute sind es 20 000 - verschwinden werden 2 000 Wohnungen.

    Dorfumbau: Das Umbaukonzept gilt nur für Städte. [...]

    Quelle:

    http://www.berlinonline.de/berliner-zeitu…html?2005-01-10

  • Quelle Tagesspiegel vom 26.1.05:

    Die Brandenburger Regierung hat beschlossen, daß kein Cent mehr in die Sanierung oder Modernisierung von Plattenbauten außerhalb der Innenstädte gesteckt werden soll. Damit sollen die Zentren der Städte aufgewertet werden.

    Das hat ja auch lange genug gedauert. Dem Zwang der Tatsachen können sich auch die Politiker nicht ewig entziehen!

    Ein Grund zur Freude. Jauchzet! :D

  • Jippie! Leider wurde schon viel zu viel saniert. Weiß jemand, wie lange ein durchschnittlicher Plattenbau allgemein hält? Trotz Sanierung doch sicher nicht so lange, wie ein vernünftiges Gebäude, oder?

    Bei aller Freude: Ich war heute viel in den westlichen Bezirken Berlins unterwegs und war ehrlich froh, als ich wieder zurück im "Osten" war. Nicht aus ideologischen Gründen, aber die ganzen entstellten Altbauten und Zwischenlösungen stehen jeder noch so hässlichen Brandenburger Platte in nichts nach. Leider - Hoffentlich wird auch hier bald vermehrt in Altbausanierung und Rekonstruktion investiert.

  • Zitat

    ...kein Cent mehr in die Sanierung oder Modernisierung von Plattenbauten außerhalb der Innenstädte...

    Hoert sich komisch an. Also in den Innenstaedten wird weiter Geld in Plattenbauten gesteckt? Ich hoffe ich habe da was falsch verstanden.

  • Zitat

    Brandenburg: will historisch wertvolle Häuser abreißen
    Experten warnen vor einem „fatalen Signal“ für die Sanierung der früheren Chur- und Hauptstadt der Mark: In Brandenburg an der Havel will ausgerechnet das kommunale Wohnungsunternehmen Wobra jetzt 18 Altbau-Miethäuser abreißen lassen, die zwar zumeist leer stehen, aber saniert werden könnten. Nach der streng internen Abrissplanung 2005 des Stadt-Unternehmens, die der RUNDSCHAU vorliegt, sollen in diesem Jahr 505 Wobra-Wohnungen abgerissen werden. In der Stadt formiert sich Protest.
    Von den 505 Wohnungen liegen 383 Altbau-Wohnungen im Sanierungsgebiet Innenstadt und den historischen Vorstädten, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts rings um die mittelalterlichen Stadtkerne entstanden waren. In der DDR-Großplattensiedlung Hohenstücken sind es trotz großer Leerstände dagegen nur 122 Wohnungen (fünf Häuser).
    Würden die Pläne umgesetzt, wäre das für Brandenburg/Havel – nach 1990 aufgrund der berühmten historischen Stadtkerne noch eine von fünf Modellstädten der Bundesregierung für behutsame Stadterneuerung in Ostdeutschland – das größte Altbau-Vernichtungs-Programm seit DDR-Zeiten. Und es soll auch noch aus Fördermitteln finanziert werden.
    Zwar enthält die Wobra-Abrissliste keine Denkmale. Trotzdem warnen Städtebau-Experten vor dem negativen Vorbild für private Hauseigentümer, die zum Teil alte Häuser in weit schlimmeren Zuständen in der historischen Innenstadt besitzen. Einige besonders krasse Beispiele: So will die Wobra in der Innenstadt ein kleines Gründerzeithaus, vis a vis des Rathauses, abreißen, obwohl es mitten in einer geschlossenen Häuserzeile steht. In der Neuendorfer Vorstadt soll das Gründerzeitgebäude Vereinsstraße 31 abgerissen werden – in einer bereits nahezu vollständig sanierten Häuserzeile. Oder: In der Wilhelmsdorfer Straße 13 droht einem Stadtbild prägenden Eckhaus von 1910 die Abrissbirne, in der gleichen Straße jenem Gebäude, das durch seine Art-Deco-Fassade auffällt. Überall würden neue Baulücken und Brachen ent stehen, die wohl nie mehr geschlossen würden – für Neubauten fehlt angesichts sinkender Einwohnerzahlen der Bedarf und sind Fördermittel unzulässig.
    „Es handelt sich um ein reines Planungsstadium“, argumentiert dagegen Wobra-Geschäftsführer Klaus Deschner. Das Unternehmen habe angesichts wachsender Leerstände den Auftrag, 1246 Wohnungen vom Markt nehmen. Und, so betont Deschner mehrfach: „Wir reißen kein Gebäude ohne Genehmigung der Stadt ab.“ Das heißt allerdings wenig. So wurde der einflussreichen Stadtfirma vom Rathaus unter Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann jüngst der Abriss des Gründerzeithauses Kurstraße 5, im Sanierungsgebiet und in Sichtweite der Fußgängerzone, prompt genehmigt. Inzwischen stoppten Tiemann und Deschner die Planung, die noch wie ein Einzelfall aussah – aufgrund öffentlicher Proteste.

    Quelle: Stadtumbau.com

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Kein Wunder, dass die Brandenburger einen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen haben...

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Zitat

    Chemnitz müsste ein gesteigertes Interesse an der Erhaltung historischer Bausubstanz haben. Das ehemalige Manchester Sachsens wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bombenhagel verwüstet. Die Plattenbauten vor der Wende und die Kaufhausarchitektur der letzten Jahre haben den Verlust der Gründerzeitgebiete nie auch nur annähernd wettgemacht. Dennoch fallen in Chemnitz überdurchschnittlich viele Bauten mit Denkmalwert. "Monatlich gibt es fünf bis acht Anträge auf Rückbau eines geschützten Hauses", klagt Michael Streetz, Gebietsreferent des Landesamtes für Denkmalpflege (LfD). So wurden in den letzten drei Jahren 250 wertvolle Bauten dem Erdboden gleichgemacht, von 5000 geschützten insgesamt. In [lexicon='Leipzig'][/lexicon] sind 2500 Wohnhäuser aus der Gründerzeit durch Leerstand und Verfall gefährdet. In Dresden wegen der enormen Kriegsschäden dagegen nur 250. Aber auch in Sachsens Kleinstädten hinterlässt der Bevölkerungsrückgang viele unvermietete Wohnungen. Man versucht dem Leerstand mit Rückbau und Begrünung der Brachen beizukommen und nennt das Stadtumbau. Dabei ist es im Moment fast nur ein Abrissprogramm. Mit 70 Euro pro Quadratmeter und einem Altschuldenerlass halten Bund und Land die Abrissbirne in Schwung. Insgesamt 10.000 denkmalgeschützte Gebäude in Sachsen könnten in ihren Pendelbereich fallen. Da viele von ihnen das Gesicht der Kommune prägen, dürften einige Städte an manchen Stellen irgendwann kaum wiederzuerkennen sein. In Meerane fiel eine komplette Marktseite. In Zwickau musste das wertvolle Zollhaus weichen, in Chemnitz das im Heimatstil errichtete Haus der Kränkelstiftung sowie Teile einer von Stadtbaumeister Fred Otto errichteten Gartenhaussiedlung. Die Denkmalpflege ist oft machtlos. Hochrangige Rathausvertreter sitzen in den Aufsichtsräten der Wohnungsgesellschaften. "Über den Denkmalwert wird auf dem kurzen Dienstweg entschieden", sagt Alberto Schwarz vom Landesamt für Denkmalpflege. Zwar geht seine Behörde in Widerspruch. Doch die Experten der Regierungspräsidien schlagen sich oft auf die Seite der Städte. Gegen die Tatsache, dass viele der erhaltenswerten Bauten niemals wieder vermietet werden, weil die Städte im Durchschnitt ein Fünftel der Einwohner verloren, haben auch die Denkmalpfleger keine Lösung. Das betrifft vor allem die langen Einfallstraßen in die Städte. In Chemnitz blicken die Fenster der Bauten an der B 95 wie tote Augen auf den lärmenden und stinkenden Verkehr. In [lexicon='Leipzig'][/lexicon] gilt ähnliches für Teile der Georg-Schumann-, der Lützner und der Merseburger Straße. "Wer will dort wohnen?", fragt Albrecht Buttolo rhetorisch. Mit fester Stimme verkündet der Staatssekretär im sächsischen Innenministerium: "Von bestimmten Bereichen muss man sich verabschieden. Auch als Schallmauer für die dahinter liegenden Quartiere sind diese Gebäude nicht zu erhalten." Experten warnen indes davor, dass nach dem Abriss der ersten Häuserzeilen Lärm und Gestank in die sanierte und gut bewohnte zweite Reihe dringt und dort die Mieter vertreibt

    Quelle: http://www.stadtumbau.com">http://www.stadtumbau.com

    :weinen:

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Meeraner Markt:


    Man sieht die Abrisshäuser oben im Bild:

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • "Sozialistische Fickzellen"

    Zitat

    Müllers Kunst, Trostlosigkeit zu inszenieren, sein spezieller "Blickfang" lassen seine Herkunft erahnen: Halle-Silberhöhe, das Neubaugebiet der mittelalterlichen Salzstadt an der Saale. Ganz sozialistische Großstadt wohnten hier zu DDR-Zeiten die Malocher aus dem Chemiedreieck Leuna-Buna-Bitterfeld, einem der trostlosesten Flecken der DDR. Tagsüber fuhren die hier Arbeitenden in den Gestank hoffnungslos veralteter Industrieanlagen. Abends ging es dann zurück in die Tristesse der Hallenser Neubausiedlungen.

    Der DDR-Staat verstand diese Neubaugebiete als Wohltat für die Werktätigen: Die Wohnungen waren trocken und mit fließend warmem Wasser und Fernheizung ausgestattet - eine Art säkulares Paradies proletarischer Wunschträume aus den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Dramatiker Heiner Müller hingegen nannte diese Wohnungen zynisch "sozialistische Fickzellen", womit er der tristen Wirklichkeit des "besseren Deutschland" wesentlich näher kam.

    Der ganze Artikel
    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,350947,00.html\r
    http://www.spiegel.de/kultur/gesellscha ... 47,00.html

    Auch die dazugehörigen Bilder sind interessant - unbedingt anklicken...

  • Zitat von "Däne"

    Kaum zu fassen- dort passiert genau dasselbe wie 30 Jahre vorher im Westen, es ist zum verzweifeln! Was Krieg und sozialistische Stadtplanung verschont haben, wird jetzt noch abgerissen, ich fasse es nicht!

    Und dann auch noch dieser ekelhafte Euphemismus: "Rückbau"! Ein schlimmes Wort. Warum sagt man nicht das, was es in Wirklichkeit ist? Abriß! Wer hat sich das bloß ausgedacht? Das ist, als wenn man statt Abtreibung "Rückzeugung" sagt. Oder statt Entlassung (eines Arbeitnehmers) "Rückeinstellung".

    Diese sprachliche Verharmlosung senkt doch bei den Verantwortlichen nur noch mehr die Hemmschwelle. Wenn dieser Denkmalpfleger Streetz über die vielen Anträge "klagt", dann soll er doch bitte auch das Kind beim Namen nennen. Im Gesetz ist schließlich auch von einer Abbruchverfügung/-erlaubnis die Rede.

  • Zumindest die dort zu sehenden Bilder finde ich ziemlich unscheinbar. Solche Fotos könnte man in Teilen HHs zu hunderten schießen. Ich kann keine besondere Kunst in diesen Darstellungen erkennen.

  • @Schlossgespenst

    Man sollte aber bedenken, dass in den Osten sehr viele Häuser unter Denkmalschutz stehen. Ich habe irgendwo gelesen, das man gleich nach der Wende (als eine Art "Gegenreaktion") ziemlich alles unter Schutz gestellt hat. Das heisst wahrscheinlich, dass viele "normale" Häuser unter Denkmalschutz stehen, und diese Häuser tauchen dann in der abriss-Statistik wieder auf.

    Das Beispiel aus Meerane finde ich aber sehr krass: im letzten Bild sind grosse Neubauten zu sehen - warum hat man nicht vorher die Altbauten saniert? Und wieso kann man einen Marktplatz so zerstören? Das dürfte hoffentlich einmalig sein (was ich auch denke)!

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Wieder ein schöner Artikel von Dankwart Guratzsch. Die Entwicklung in Frankfurt beispielsweise läuft aber immer noch so ab, dass vorwiegend Mittelstandsfamilien und Menschen mit hohem Einkommen ins grüne Umland oder noch weiter weg ziehen und zur Arbeit nach Frankfurt pendeln. Die innenstadtnahen Wohnquartiere (Z.B. Gallus, Gutleutviertel, Griesheim, Ostend) veröden und werden meist von Einkommensschwachen sowie Ausländern bewohnt. Mietskaseren der 50er und 60er Jahre sowie Altbauten befinden sich oftmals in einem trostlosen Zustand, insbesondere auch die sanitären Gegebenheiten, und das dortige Umfeld lädt auch nicht gerade zum Wohnen ein.

    Anstatt hier Akzente zu setzen, werden am Stadtrand und in der Umgebung immer noch zahlreiche kreativlose Eigenheim- und Reihenhaussiedlungen für Mittelständler hingeklatscht, was zur Zersiedelung des Umlands einerseits und zur Verödung der Innenstadt sowie der innenstadtnahen Stadtteile andererseits weiterhin beiträgt.

  • Was soll denn daran nun so neu und bedenklich sein?
    Der größte Teil der innenstädtischen Bewohner war schon immer eher die Unterschicht. Die Villenviertel der Städte lagen zur Zeit ihres Entstehens ins Vororten. Mietskasernen wurden doch usprünglich die mir hier teils etwas zu romantisch verklärten Altbauzeilen genannt und nicht die Wohnungen der 20er bis 60er, oder?

    Gerade die hier gescholtenen "niederen Einkommensklassen und Ausländer" halten Viertel mit der alten Urbanität überhaupt am Leben, bzw. haben das Jahrzehntelang getan, während die Oberschicht und die zu ihr gehörenden Investoren die 'neue Stadt' nach Art der Hamburger Grindelhochhäuser voranbrachten, mit Präsentation eines Überbauungsgrads um die 10% als Errungenschaft.

    Die typischen Altbau-Mietshäuser sind zum Großteil für die Unterschicht bis untere Mittelschicht gebaut, die nach heutigen Maßstäben in ziemlicher Armut gelebt haben dürfte. Und nun soll es auf einmal ein Problem sein, wenn genau diese Leute dort leben? Das ist wohl eher ein Problem der Duldung gewisser Zustände unabhängig von der Schicht.

    Verödung kommt mit der versnobten Oberschicht, die um 22h die Bürgersteige hochklappen läßt und ggf. in den Privatclub fährt.

  • "Der größte Teil der innenstädtischen Bewohner war schon immer eher die Unterschicht."

    glaubst du wirklich, dass hinter den prächtigen gründerzeitfassaden damals solche asoziale hausten wie heute?

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • @ Haussmann: Das ist nicht unbedingt richtig. Du beziehst dich meiner Ansicht nach zu stark auf Berlin, die als preußische und Reichshauptstadt wirklich vor jedem Wohnsilo eine aufwendige Stuckfassade vorgebaut hat.

    Ich bezieh mich jetzt mal auf die mir wohlbekannte Stadt Dortmund, Industrie- und Bergbaustadt.
    Das größte Gründerzeitviertel liegt im Norden der City, die Nordstadt. Als Arbeitersiedlung gebaut haben die Häuser zwar Jugendstil-Stuckfassaden, aber selten besonders aufwendige. Auch der Stuck in den Innenräumen ist zwar da, aber zurückhaltend. Dieses Gebiet wird auch heute noch von sozial schwächeren Leuten bewohnt, auch wenn die Stadt versucht, die Bevölkerung dort zu mischen.
    Östlich der City ist das ehemals teuerste Wohnviertel der Stadt, dort liegen auch Amts und Landgericht so wie interessanterweise das Gefängnis. Hier standen große und sehr aufwendige Jugendstil- und Historismushäuser mit sehr großen Wohnungen. Leider ist der Großteil der Wohnungen heute Bürofläche (wie auch in FFM). Die paar Leute, die dort noch leben sind aber eher Mittelständler.
    Südlich und Südöstlich der Stadt standen und stehen meist heute noch große Villen und Einfamilienhäuser, was davon noch existiert ist meist an Mittelständler als ETW verkauft oder Bürofläche.
    Westlich der City liegen das Klinik- und Kreuzviertel, ehemals das Wohnviertel der Mittelständler und Beamten, heute durch den großen Altbaubestand Szeneviertel und hauptsächlich von Singles und Studenten bewohnt.
    Ganz im Westen kommt noch Dortmund-West, ist aber mit der Nordstadt zu vergleichen.

    Hier ist im Prinzip vieles geblieben, aber die Büros haben die Wohnungen verdrängt. Hinzu kommt, dass in der City so gut wie gar keine Wohnfläche vorhanden ist.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)