Hagen

  • Unfassbar! Man spricht ja heute immer wieder von "Nachhaltigkeit". Alte Häuser abzureißen widerspricht meines Erachtens dem Nachhaltigkeitsgedanken völlig. Im Übrigen sehen die Häuser nun wirklich nicht so aus, als ließen sie sich überhaupt nicht mehr sanieren.

    Der Abriss der Häuserzeile wird durch das Förderprogramm „Modellvorhaben Problemimmobilien“ finanziert, an dem die Stadt Hagen seit 2017 teilnimmt. Über die Zuwendungen aus Landes- und Bundesmitteln werden der Erwerb, die Kosten für Beauftragungen externer Ingenieurbüros, der Abriss sowie die einfache Herrichtung des betroffenen Grundstücks gefördert.

    Dass ein solcher Abriss auch noch mit öffentlichen Geldern finanziert wird, ist ein absoluter Skandal. Warum geht man nicht den umgekehrten Weg und fördert den Erhalt und die Sanierung solcher Häuser?
    Wohnraum wird in einer Stadt wie Hagen ja offenbar nicht gebraucht...

  • Das trifft selbst einen alten Zyniker wie mich ins Herz. Das ist ja eine hervorragende, abwechslungsreiche und zumindest von den Fassaden her sehr gut erhaltene Reihe gründerzeitlicher Mietshäuser. Kann mir kaum vorstellen, dass es sowas in der Geschlossenheit in Hagen noch so viele Male gibt.

  • Jetzt kommt doch mal ein bisschen runter vom Panikmodus auf die Ebene des normalen, alltäglichen Lebens.

    Ja, ich finde das Ensemble der drei westlichen Häuser beeindruckend und als stadtbildprägend erhaltenswert. Vor allem das letzte Haus mit seiner abgeschrägten Ecke, Wehringhauser Straße 99, war städtebaulich reizvoll.

    Aber:

    Ein weiterer, ganzer Straßenzug mit Gründerzeitlern verschwindet

    Nein, da ist kein "ganzer Straßenzug" verschwunden. 3 von diesen 6 Häusern wurden abgebrochen:

    https://img.wp.de/img/archiv-dat…2058-MASTER.jpg

    Die Häuser, so attraktiv sie vor 100 Jahren ausgesehen haben mögen, waren offenbar total verwahrlost. Nr. 99 war herrenlos, das will was heißen.

    Mal im Ernst: Wer von Euch möchte dort wohnen? Unmittelbar im Süden verläuft eine Bahnstrecke und an der Nordseite die verkehrsreiche B 7! Wir sind hier in Wehringhausen (wisst Ihr, wo das ist und was das bedeutet?), in einer Wohn-und-Gewerbe-Gemengelage. Wollt Ihr hier wohnen, eingezwängt zwischen Bahn und Bundesstraße?

    Vor diesem Hintergrund kann ich den Abbruch nicht als "unfassbar" oder als "Skandal" einstufen. Gewöhnt Euch daran, dass Häuser unter diesen Rahmenbedingungen keine Chance haben. Wenn man sie hätte erhalten wollen, dann hätte man das früher machen müssen.

  • Das ist doch Ansichtssache. An Bahnstrecken (v.a. an eingleisigen Nebenbahnen!) und Stadtstraßen (keine Bundesstraße!) wird überall problemlos gewohnt und in sanierten Gründerzeithäusern sogar besonders gerne, auch wenige 100 Meter weiter, wenngleich das natürlich keine Bestlage ist.

    Richtig scheint aber zu sein, dass der Skandal ist, wie es so weit kommen konnte, dass diese Insel der Vergangenheit inmitten riesiger Industrie- und Verkehrsanlagen landen konnte. Mit zielgerichteter und auf solche Bestände ausgerichteter Stadtplanung hätten diese Gebäude ganz sicher erhalten werden können. Und was den Erhaltungszustand als Begründung für Abriss oder Sanierung angeht gibt es genügend schlimmere Ruinen, die wieder fit gemacht wurden.

    So wie ich das verstanden habe, waren die drei Häuser nur der Anfang. Aus dem von Ostwestfale gezeigten letzten Artikel:

    Quote

    Ende 2020 war die erste Abriss-Etappe an der Wehringhauser Straße weitgehend abgeschlossen. In diesem Jahr sollen auch die übrigen Häuser planiert werden.

    Man hätte stattdessen z.B. auch mit dem angrenzenden Supermarkt (augenscheinlich älterer Bau) zusammen das kleine Quartier neu als Mischgebiet entwickeln können, mit Supermarkt im EG, Tiefgarage und grünem Innenhof und anderer Aufteilung der Straße in Abstimmung mit dem gegenüberliegenden Gewerbe und damit Wiederanbindung an die restliche östliche Wohnbebauung.

    Das (zugegeben schwierige) Beispiel zeigt mal wieder, wie mangelhafte Stadtplanung im Zweifel den Verlust von wertvoller Architektur bedeutet, weil keine Wertschätzung dafür vorhanden ist. Wenn man sich schon mit solchen Problemfällen abfinden muss, sollte man das ganz sicher nicht für die überall gleichen ursächlichen Prozesse gelten lassen.

  • Wenn ich schon diesen blöden Begriff Schrottimmobilien lese. Nur weil die Gründerzeitler lange Jahre vernachlässigt wurden, sind sie doch kein Schrott.

    Im Gegenteil. Das sind die letzten Häuser mit Qualität. Die Stadt Hagen ist voll mit Schrottimmobilien aus der Nachkriegszeit.

  • Völlig irrsinnig in einer Stadt mit so wenig historischer Substanz wie Hagen. Aber offenbar ist dort jeder Bezug zur Geschichte einfach ausradiert worden.

  • Aber offenbar ist dort jeder Bezug zur Geschichte einfach ausradiert worden.

    Na ja, Hagen ist ja auch in gewisser Weise eine "Stadt ohne Geschichte". Bis zur Industrialisierung war Hagen ein Marktflecken, ein etwas größeres Dorf, ohne große Bedeutung, der zudem noch im Jahr 1724 mal komplett abgebrannt ist. Die Geschichte Hagens beginnt insofern in gewisser Weise erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Da hat die Stadt dann einen enormen Aufschwung genommen und das Hagen der Gründerzeit muss schon recht prachtvoll gewesen sein. Aber sehr weit reicht die Geschichte der Stadt eben nicht zurück. Von daher ist es nicht ganz unverständlich, dass in Hagen Innenstadt auch kein großes historisches Bewußtsein zu finden ist.

    Ich habe übrigens bewusst "Hagen Innenstadt" geschrieben, weil es in einzelnen Stadtteilen, die vor der Industrialisierung eigene Kleinstädte oder Dörfer waren, durchaus ältere Bausubstanz und ein gewisses historisches Bewusstsein gibt, so z.B. in Eilpe mit der "Langen Riege" (https://de.wikipedia.org/wiki/Lange_Riege), in Hohenlimburg mit seinem pittoresken Schloss (https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Hohenlimburg) oder in Vorhalle mit dem Wasserschloss Werdringen (https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserschloss_Werdringen).

  • Die Geschichte Hagens beginnt insofern in gewisser Weise erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.

    Aber gerade deshalb sollten doch Zeugnisse dieser Zeit besonders wichtig für die Geschichte der Stadt sein, meint man. Wenn man sonst nichts hat, auf das man zurück blicken kann - diese Artefakte somit also die eigentliche Geschichte dieses Ortes abbilden - ist die fehlende Wertschätzung dafür besonders fatal.

    Das Geschichtsbewusstsein hängt meiner Meinung nach nicht zwangsläufig vom Alter der Substanz ab. Ich wette, die Häuser der Langen Riege wären ebenfalls als "Schrottimmobilien" vom Abriss bedroht, wenn sie nicht in diesem guten Zustand wären (und nicht unter Denkmalschutz stünden - aber selbst das schützt wertvolle Substanz ja nicht immer erfolgreich vor Verfall und Abriss).

  • Bis zur Industrialisierung war Hagen ein Marktflecken, ein etwas größeres Dorf, ohne große Bedeutun

    Das habe ich mit einer gewissen Verwunderung wahrgenommen. Bis gestern habe ich Hagen immer für eine alte und einst natürlich auch befestigte Stadt gehalten. Und so bin ich immer noch dabei, mich an den Gedanken zu gewöhnen, mich hier so völlig getäuscht zu haben.

    Aber es ist ganz klar und unbestreitbar: https://maps.arcanum.com/de/map/europe-…85027.575375291

  • Um das nochmal klarzustellen, hier ein kleiner Einblick in die Geschichte Hagens.

    Tatsächlich war Hagen nie eine richtig befestigte Stadt, aber so ganz unwichtig war sie auch schon vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht. Um 1724, als der bereits weiter oben erwähnte Großbrand stattfand, hatte Hagen ca. 150 Häuser, von denen 75 beim Brand zerstört wurden, und drei Kirchen (lutherisch, katholisch und reformiert). Damals lebten dort 675 Menschen (1722).

    Durch die Handlungen des Preußischen Staats, der durch Steuererleichterungen und Bauförderung den Wiederaufbau ankurbeln wollte, wuchs die Bevölkerungszahl stark an und Hagen wurde 1746 zur Stadt mit 1765 Einwohnern. Das benachbarte befestigte Bochum war zu dieser Zeit kleiner. Aus dieser Zeit (1724-1750) stammten dementsprechend auch die meisten Gebäude der Hagener Altstadt, die bis etwa in die 1870er Bestand hatte und dann nach und nach größeren Geschäftshäusern und breiteren Straßen weichen mussten, bis die Reste (darunter auch stadtbildprägende Gebäude wie das Huthsche Haus oder die Tonhalle) dann im zweiten Weltkrieg zerstört wurden. zwischen 1750 und 1800 blieb die Stadt dann mit leichten Schwankungen etwa gleich groß, bis dann die Bevölkerung zwischen 1800 (ca. 2000 Einwohner) und dem ersten Weltkrieg (ca. 100.000 Einwohner) explodierte. Danach gab es wieder eine etwa 50-jährige Phase, in der die Bevölkerung nur durch Eingemeindungen stieg, bis zwischen 1950 und 1965 es nochmal einen Anstieg um rund 50.000 Einwohner gab, der sich dann langsam bis heute wieder abgebaut hat. Erste administratorische Funktionen gab es seit 1753, als die Stadt einen von sechs Landgerichtsbezirken in der Grafschaftbeherbergte und schließlich 1808 als Sitz des Arrondissements Hagen als eines von drei (Dortmund, Hamm, Hagen) Arrondissements im Ruhrdepartement bzw. anschließend ab 1817 als Sitz des Kreises Hagen.

    Vor 1682 war Hagen aber tatsächlich nur ein kleines Örtchen mit einer Kirche, allerdings auch da schon der wichtigste Ort auf dem heutigen Stadtgebiet.

  • Eine kleine dreiteilige Dokumentation aus dem Internet über die frisch abgeschlossene Rekonstruktion der Gartenanlage des Hohenhofs:

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    Die Videos scheinen so eine Art Hobbyaktion in Kooperation mit der Stadt zu sein, ist dementsprechend auch jetzt nicht übermäßig professionell, aber verschafft einen ganz guten Überblick.

  • Die sanierte Fassade des Gebäudes Wehringhauser Straße 53 wurde beim Brillux Design Award mit einer von drei Nominierungen in der Kategorie "Historische Gebäude und Stilfassaden" ausgezeichnet.

    Hier die Pressemitteilung der Stadt:

    Wehringhauser Straße: Jugendstilgebäude bei Brillux Design Award erfolgreich
    29. November 2023 – Hochkarätige Nominierung für ein Wohnhaus in Wehringhausen: Zusammen mit dem ausführenden Malerbetrieb Marquardt und Drilling hat sich die…
    www.hagen.de

    Und hier der Eintrag auf der Website von Brillux, wo auch ein Bild des vorherigen Zustands vorhanden ist:

    Verantwortlich für die Sanierung ist die städtische HEG (Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft), die bereits seit mehreren Jahren Gebäude in schlechtem Zustand, primär Altbauten in Wehringhausen, kauft (inzwischen über 30 Stück im Bestand) und saniert. Das blaue Nachbargebäude rechts gehört auch dazu.