Dresden - Bausymposium der GHND (Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden)

  • Hallo,

    Als nicht Dresdener wollte ich mal Fragen, ob Ihr wisst, ob es schon eine Quelle (z.B. Blogs) gibt, oder wird es eine geben wird, die vom Bausymposium berichtet? Interessant ist, was dort Besprochen wurde und wie die Kommentare und Reaktionen waren?

    Gruß, Newa

  • Eine Nachbetrachtung des zweiten Stadtbausymposiums der Gesellschaft historischer [lexicon='<br>Neumarkt Dresden'][/lexicon] e.V.


    Es liegen interessante, aber anstrengende 1,5 Tage hinter mir bzw. uns Teilnehmenden, aber der
    Reihe nach:


    Zunächst gilt der Gesellschaft historischer [lexicon='Neumarkt Dresden'][/lexicon] e.V. ein großes Dankeschön für die
    gelungene Organisation und den gelungenen Ablauf des zweiten Stadtbausymposiums, das diesmal unter dem Motto
    stand: "Deutschland zwischen Tradition und Moderne - Wie bauen wir Stadt?" Zugleich wünscht
    StadtbilDD – Das Korrektiv dem Verein alles Gute zum 15. Geburtstag und für die Zukunft.

    Am Donnerstag, den 15.05. ging es zunächst unter dem Thema "Halbzeit – wie weiter am Dresdner
    Neumarkt- Rückblick und Zukunft" um die noch verbleibenden Quartiere und deren Enwicklung.

    Die anwesenden Investoren der Baywobau, der MMZ Real Estate GmbH und der Kimmerle Unternehmensgruppe
    erläuterten diese dabei mit Visualisierungen. Die Presse berichtete bereits darüber und dieser Teil ist demnach
    nicht weiter Bestandteil dieser Nachbetrachtung.

    Richtig ans Eingemachte ging es dann am Freitag, den 16.05. unter dem Titel "Wie bauen wir Stadt"

    Eröffnet wurde der zweite Tag des Symposiums durch Sachsens Innenminister M. Ulbig und D.
    Guratzsch
    (Journalist und Architekturkritiker), die beide nochmals das jahrelange Engagement der GHND
    lobten. Während Ulbig die Renaissance der Städte beschwor und die 3 Bedingungen für eine erfolgreiche
    Stadt zusammenfasste, nämlich Anreizbedingungen für Investoren, nachhaltige Stadtentwicklungskonzepte
    und eine engagierte Bürgerschaft als Korrektivfunktion, führte Guratzsch in das Thema ein, in dem er auf
    die Entfremdung zwischen Bürgern auf der einen und Stadtplanern und Architekten auf der anderen Seite
    einging, die sich durch eine immer rücksichtslosere Moderne im Verlauf des 20. Jhd gebildet hatte und bis
    heute durch das Festhalten am status quo weiter anwächst.

    Im Beisein Dresdner Stadtplaner, aber auch Vertretern aus anderen Städten (z.B aus Berlin) ging nach einer
    kurzen Einführung von Herrn Szuggat am Beispiel des Dresdner Planungsstandes, der Architekt und
    Gründer des Instituts für Stadtbaukunst an der TU Dortmund Dr. Christoph Mäckler auf Lösungsvorschläge
    ein, um aus dieser Entfremdung zwischen Bürgerschaft und Architekten/Stadtplaner herauszufinden.

    Sehr erfreulich ist, dass er genau die Ziele nannte, die sich auch StadtbilDD – Das Korrektiv auf die
    Fahnen geschrieben hat.

    Neben einer Ordnung des Stadtraumes, das Schaffen von Räumen und Ensemblen, betonte er die Wichtigkeit,
    dass sich die entstehende Architektur in Materialität und Farbigkeit den tradierten Eigenheiten der jeweiligen
    Stadt und der Umgebung verpflichtet sehen sollte. Dazu gehört für ihn auch der Mut zum Dach.

    Er forderte von den Stadtplanern eine Zersiedelung des Stadtraumes zu verhindern und eine Kompaktheit im
    Stadtzentrum zu schaffen. Im Fokus stand dabei die Rückkehr zur Kleinteligkeit (zur Parzelle).

    Durch parzellierte Grundstücke soll es so auch Kleinstinvestoren, Familien und Mittelständlern ermöglicht
    werden wieder in der Stadt zu bauen.

    Mit bildhaften Beispielen zeigte er zudem, wie sich der Eindruck durch Öffnung der Häuser zur Straße
    hin und durch die Betonung der Ecken im Straßenraum verbessert.

    Mittels geschickter und behutsamer Ergänzungen können dabei auch ohne große Eingriffe in bestehende
    Substanz aufgerissene Räume verdichtet und Urbanität erzeugt werden.

    Mäckler betonte, dass es vielen jungen Architekturstudenten mittlerweile am Grundwissen (z.B. bei der
    Dachausformung) fehlt und unterstützt deren Schulung mithilfe von Literatur und Konferenzen.

    Daraus aufbauend setzten die Vorträge von Prof. J. Sulzer (Stadtplaner und Architekt an der TU
    Dresden, Dr. M. Lerm (Statplaner Jena), Prof. H. Stimmann (Stadtplaner und Senatsbauleiter a.D. aus Berlin),
    R. Nagel (Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur) und Prof. L. Daltrup die Diskussion fort.

    So verdeutlichte beispielsweise Sulzer die Wichtigkeit, die Profile und Identitäten der Städte im globalen
    Wettstreit herauszuarbeiten, zu schärfen und behutsam weiterzuentwickeln, bei der, wie er meinte, sich eine
    "Poesie der Stadt" wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen Architekturen zieht. Diese wiederum
    ist dann in der Lage bei den Bürgern Wohlbefinden, Identifikation, Vetrautheit und Atmosphäre zu wecken.

    Auch das Wettbewerbswesen stand im Diskurs, da viele Wettbewerbsergebnisse antiurbane Strukturen
    bestätigen und den Lokalcolorit der jeweiligen Stadt vermissen lassen. Zu oft besteht zudem keine Dialog
    zwischen angrenzenden Quartieren.

    Uneinig war man sich hingegen wie stark durch Vorgaben aus der Stadtplanung in die Gestaltung eingegriffen
    werden soll. Verfechter von strikten Gestaltungssatzungen (die Geschosshöhen/-zahl, Dachform/deckung,
    Materialität, Fassadengliederung/-farben usw. festlegen) gab es ebenso, wie Vetreter von liberaleren
    Gestaltungskonzeptionen.

    Stimmann sah allgemein die langfristige Rückkehr zum Vorkriegsstadtgrundriss in den Innenstädten als Ziel,
    auch wenn dies noch mehrere Jahrzehnte bis zur Vollendung dauern sollte.

    Auch die Nutzungsmischung wurde genannt (also die Abkehr von der Trennung von Arbeiten, Wohnen
    und Einkaufen) um unnötiges Pendeln und demnach größere periodische Verkehrsströme in und aus der
    Stadt zu vermeiden. Die Stadt der kurzen Wege mit ausgebautem Nahverkehr und hohem Lebenswert (dazu
    zählt auch Stadtgrün) gilt als Konsens.

    Lerm formulierte die Einbindung der Bürger in die Entscheidungsfindung treffend:
    "Der Bürger steht am Ende der Entscheidungskette, also muss er auch am Anfang
    stehen".

    Das Thema Nachhaltigkeit bezog man nicht nur auf ökologische Bauweise, sondern auch auf eine zeitlose
    Architektur (deren zeitlose Schönheit allgemeiner Konsens ist), die rascher Abnutzung aufgrund des
    Hinterherhetzens hinter modischen Trends entgegen steht. So kann moderne Stadtplanung auch Zeiten
    knapper und teurer werdender Ressourcen begegnen.

    In der anschließenden Diskussion um "Das schöne Stadthaus" zwischen den Architekten H.
    Kollhoff
    und P. Kulka, gab es, wie nicht anders zu erwarten war, durchaus deutliche gegensätzliche
    Meinungsstandpunkte. Kulka setzte dabei bisweilen auch lautstark Kontrapunkte und betonte,
    dass Schönheit nicht alles ist und die individuelle Bauweise das demokratische Individualitätsprizip
    der Gesellschaft abbildete. Nicht ganz unwahr, aber für meine Begriffe zu kurz gegriffen.

    Am Abend gab es mit Vetretern des Stadtrates noch eine abschließende Diskussion. Dabei wurde die CDU
    durch Dr. G.-Boehme-Korn, die SPD durch Dr. P. Lames, die Grünen durch T. Löser, die Linke
    durch Dr K.K. Kaufmann, die FDP durch Holger Zastrow und die Bürgerfraktion durch C. Hille vetreten.
    Neben konstruktiven Ansätzen in Form einer Gestaltungssatzung Innenstadt und einem einzurichtendem
    Gestaltungsbeirat Innenstadt, dessen ausgewogene (!) Besetzung betont wurde, war vor allem der anstehende
    Wahlkampf deutlich zu spüren. So hielt man sich gegenseitige Fehlentscheidungen, wie z. B. die der
    GLOBUS-Ansiedlung am Leipziger Bahnhof vor und lobte eigene Vorschläge. Für den Zuschauer war das
    allerdings wenig fruchtbringend.

    Fazit: Wenn die vorgetragenen Prinzipien nicht nur diskutiert, sondern auch von allen oder
    zumindest fast allen Beteiligten beherzigt und zur Ausführung gebracht werden, dann haben
    unsere Innenstädte, auch die von Dresden, eine Chance. :thumbup:

    Meine schönste Forderung des Tages zum Schluss: "eine Ökumene der Architektur".

    In diesem Sinne: Ich habe fertig :smile:


    DV

    P.S. Schön Weingeist, dass man sich mal außerhalb des WWW kennenlernen durfte. Ich freue mich auf ein Wiedersehen. Ich hoffe, du bist wieder gut in Mainz gelandet. :smile:

    "We live in the dreamtime-Nothing seems to last. Can you really plan a future, when you no longer have a past." Dead Can Dance - Amnesia

    Einmal editiert, zuletzt von DarkVision (19. Mai 2014 um 00:55)

  • DarkVision,
    vielen Dank für diese informative Zusammenfassung für alle "Daheimgebliebenen" :blumen: !
    Klingt ja wirklich so, als würde unser zaghaftes Pflänzchen Rekonstruktion/Stadtreparatur weiter wachsen.....

    "Willst du eine Stadt vernichten, baue Kisten, Kisten, Kisten!"

  • Vielen herzlichen Dank, Dark Vision, für die detaillierte Berichterstattung! Die zusammengefassten Standpunkte machen Hoffnung, dass ein Stadtverständnis in unserem Sinne, das von der Mehrzahl der Bürger geteilt wird, so langsam auch die Hirne und Herzen der Bauschaffenden erobern dürfte.

  • Herzlichen Dank für die exzellente Berichterstattung, lieber DarkVision!
    Die Standpunkte erinnern mich frappierend an das letzte Symposium, dessen Auswirkung leider wenig bis gar nicht spürbar gewesen sein dürften. Dennoch wäre es schön und u.U. auch fruchtbar, wenn die gehaltenen Referate im Netz veröffentlicht werden könnten.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Vielen Dank auch von mir, Darkvision. Mir scheint auch,dass es allmählich aber viel zu langsam in die richtige Richtung geht. Meine Befürchtung ist allerdings, dass es bei allen positiven Gedanken und Vorschlägen zur Stadtplanung weiterhin grundsätzlich andere Vorstellungen zur Gestaltung von Fassaden gibt als wir es uns hier wünschen würden. Solange es nicht zu einer Rehabilitation des Ornaments (und nicht nur einer Karikatur davon) kommt,habe ich auch weiterhin erhebliche Bedenken, dass tatsächlich wieder schöner und damit menschlicher gebaut wird.

  • Prima, hast du die Liste erstellt? Aber leider sind es ja weiterhin nur recht wenige im Vergleich zur Gesamtzahl der Architekten in Deutschland. Hoffentlich wird die Liste bald länger.