• Um das richtig verstehen zu können: Was ist an dem Vorgängerbau besser?
    Der derzeitige Zustand des Doms ist ja eine Chimäre aus alt und DDR-neu.
    Insofern ist es schwierig, sich den Originalzustand vorzustellen und mit dem Vorgänger zu vergleichen.
    Aber es gibt bestimmt klare Argumente.

  • Ich glaube kaum, dass @UrPotsdamer etwas gegen das Bode-Museum (damals Kaiser-Friedrich-Museum) hat, das zeitgleich mit dem Dom erbaut wurde und ebenfalls ein Repräsentationsbau der preußischen Monarchie ist. Auch die Königliche Bibliothek Unter den Linden - wie das Museum von Ernst Eberhard von Ihne erbaut - wird doch allgemein geschätzt. Gewisse architektonische Schwächen sahen damals und später viele beim Dom. Ich finde die Fassaden nicht "quietschbunt" - und zwar nicht nur in Anbetracht ihrer Steinsichtigkeit, sondern auch weil sie ziemlich reiner Neobarock sind. Die unterschiedliche Größe der Ecktürme, die ursprüngliche Gestaltung der Kuppeln und die Denkmalkirche als etwas merkwürdiges Anhängsel an einem scheinbaren Zentralbau kann man aber durchaus als nicht völlig überzeugend ansehen. Es gab von Raschdorff ursprünglich (1885) den Plan, die drei Funktionsbereiche Tauf- und Traukirche, Predigtkirche und Denkmalkirche durch annähernd gleich große Kuppeln voneinander abzusetzen und nach außen hin kenntlich zu machen. Dann wäre nicht der Eindruck eines verkorksten Zentralbaus entstanden. Dieser Plan hätte jedoch eine "Inflation" der Kuppeln und zu hohe Baukosten mit sich gebracht und wurde daher zusammengestrichen. Bei der Gestaltung der Kuppeln redete dann in der Bauphase der Kaiser mit, und als "begnadeter Architekt" ist Wilhelm ja nun nicht bekannt.

    Stüler hatte 30 Jahre vor Raschdorff einen klassischen Zentralbau entworfen. Der hätte mir gefallen.

    Berliner Dom, das Modell für einen Domneubau nach dem Zentralbauschema von Friedrich August Stüler (1855) im Dommuseum

    (Foto: Miguel Hermoso Cuesta, August 2011, CC-BY-SA-3.0)

    Zuvor hatte Stüler mit einem basilikalen Entwurf experimentiert. König Friedrich Wilhelm IV. liebte bekanntlich Basiliken.

    Berliner Dom, das Modell für einen Domneubau als Basilika von Friedrich August Stüler (1843) im Dommuseum
    (Foto: Miguel Hermoso Cuesta, August 2011, CC-BY-SA-3.0)

    Das Problem war die mangelnde Grundstückstiefe. Nach Westen durfte die Fassade des Alten Museums nicht verstellt werden. Nach Osten begrenzte die Spree den Bauplatz. Die Ostteile der Stülerschen Basilika hätten weit in die Spree hineingebaut werden müssen. Interessanterweise plante Stüler zwei Türme im Westen, die zudem mit der Basilika baulich verbunden sein sollten. Beides widerspricht dem italienischen Vorbild, dem der basilikale Entwurf sonst eigentlich folgt. Wir sehen: Schon Friedrich Wilhelm IV. hatte große Pläne. Wilhelm II. hatte das Dombauprojekt letztlich von seinen Vorfahren geerbt. Wilhelm I. war, als er Kaiser wurde, bereits ein alter Mann gewesen und hatte sich nicht darum gekümmert.

    Stülers Zentralbauentwurf erscheint als eine Weiterentwicklung der klassizistischen Potsdamer Nikolaikirche von Schinkel und Persius. Beim Wiederaufbau des Domes ab 1975 stellte sich erneut die "Zentralbaufrage". Die Beseitigung der Denkmalkirche hatte natürlich ideologische Gründe, aber sie machte den Dom nun erst recht zum faktischen Zentralbau. Die neuen Kuppelgestaltungen reduzierten einerseits die Baukosten und näherten andererseits den Dom an klassische Vorbilder an.

    Übrigens finde ich den Berliner Dom vor allem auch wegen seiner historischen Innenausstattung höchst bedeutsam.

  • Stüler hatte 30 Jahre vor Raschdorff einen klassischen Zentralbau entworfen. Der hätte mir gefallen.

    Der Stüler-Dom gefällt mir insgesamt auch besser, als der Raschdorffsche (mit dem ich mich mitlerweile angefreundet habe), doch auch hier sehe ich Schwächen:

    Die Feingliederung der Fassade, exemplarisch die Drei Akkardenstockwerke der vier Eckttürme oder aber auch die Zwerggalerie wirken zu filigran und zu kleingliedrig für den sonst so großen, monumentalen und klaren Baukörper des Doms.
    Die Vermittlung klappt nicht wirklich, es wirkt so, als habe man Versatzstücke aus einem Modell kleineren Maßstabs verwendet.
    Man schaue sich die Dreiergruppen von Bogenfenster unterhalb der drei Fensterrosen (genial!) an der Seite an, hier stimmt das Verhältnis zwischen Kubatur und Gliederung. Auch der grandiose Säulenaltan passt in die großzügigen Verhältnisse.
    Die Zwergengallerie der Kuppel stört weniger, denn hier haben wir zusätzliche eine Ebene, die zwischen dem Maßstab der großen Bogenfenstern der Kuppel und den kleinen Akarden vermittelt, nämlich die etwas größeren Fensterdreiergruppen des Kuppeltambours.

  • Es wäre der Mühe wert, überhaupt einmal wirklich den architektonischen Einfluß Wilhelm II. näher zu bestimmen. Es wird immer einfach so dahingesagt, daß "bekanntlich" Wilhelm stets persönlich als eine Art Architekturtrump irgendwelche, und selbstverständlich immer blöde, Eingriffe vorgenommen habe. Das hat Tradition: Noch bei der Teilzerstörung des Reichstages nach dem Krieg wurden frei erfundene Stories dieser Art als Legitimation für die Zerstörungen herangezogen.

    Ich möchte hier nur (ich glaube, das hatte ich schon einmal vor einigen Jahren getan) darauf hinweisen, daß es nicht Wilhelm war, der sich für Raschdorff entschied, sondern, daß er lediglich an diesem festhielt, da er der Lieblingsarchitekt seines Vaters Friedrich III. war (deshalb ließ er seinen Eltern auch durch Raschdorff das Mausoleum in Potsdam errichten).

    Ein paar Beispiele für Entscheidungen bzw. Einflußnahmen Wilhelms II. möchte ich hier einmal nennen:

    - Hofarchitekt Eberhard von Ihne, der schon seit Friedrich III. im Amt war, baute unter Wilhelm II. Marstall, Kaiser-Friedrich-Museum und Staatsbibliothek, allesamt hoch qualitätvolle Beispiele einer zunehmend gemäßigt historisierenden Architektur.

    - Wilhelm berief ganz persönlich Ludwig Hoffmann nach Berlin, eine der segensreichsten Personalentscheidungen in Sachen Architektur in Deutschland in dieser Zeit. Dieser blieb sogar in der Weimarer Republik im Amt. Seine fantastischen Bauten in Berlin sind Legion. Noch Ludwig Mies van der Rohe äußerte: "Ja, dem Ludwig Hoffmann [und damit auch dem Kaiser, Anm. Siedel?] haben wir alle Unrecht getan."

    - durch diesen faßte auch Alfred Messel in Berlin Fuß (Wertheim, Pergamonmuseum)

    - Neben eher traditionellen Bildhauern förderte er auch Louis Tuaillon (Reitende Amazone)

    - unter Wilhelm II. entwickelte sich Berlin zu einem Labor der Frühmoderne (Peter Behrens Turbinenhalle 1909, Bruno Taut Tuschkastensiedlung Falkensee 1914 u.v.m.)

    - nicht alles (ich nehme an, das gelte z. B. für Taut) muß dem Kaiser persönlich gefallen haben, na und? Er mochte auch den Impressionismus nicht; dennoch konnte in Sichtweite von seinem Schloss Tschudi bis zu seinem Abgang infolge des Konfliktes mit Wilhelm 1909 die erste Impressionistensammlung in einem Museum in Europa präsentieren.

    - Wilhelm war sogar kritikfähig. Hoffmann schreibt in seinen Erinnerungen, daß, als er die Pläne für ein neues Opernhaus ohne die vom Kaiser gewünschte Kolossalsäulenfront vorstellte und dies damit begründete, daß eine solche jedem Bühnenbild die Chance nehmen würde, Eindruck auf das Publikum zu machen, eisige Stimmung im Raum mit den kaiserlichen Räten geherrscht habe.
    In die Stille hinein habe Wilhelm gesagt: "Ludwig Hoffmann hat wie immer Recht."

    - Der Märchenbrunnen am Friedrichshain ist nun nachweislich ein Werk, das unter starker persönlicher Einflußnahme Wilhelms entstand (so Hoffmann). Ergebnis: Ein wunderschönes Werk und eine Freude für die KInder und ihre Eltern seit über 100 Jahren.

    Ich bin ehrlich genervt von den allgegenwärtigen Ressentiments gegenüber Wilhelm II.

  • Ich teile die Einschätzung in keiner Weise, dass der Dom dem Alten Museum oder dem Stadtschloss die Show stehlen will.
    Der Dom will gar nichts, dazu fehlt im das Bewusstsein.
    Und welche Show denn?

    Volle Zustimmung. Solche Formulierungen sind nichts als die negative Variante der üblichen Architektenprosa à la "Der Bau drängt sich nicht auf".

  • Die Entwürfe für den Dom sind alle sehr schön. Auch die Ergebnisse des Wettbewerbs für den Reichstag sind alle toll. Da wurde der Begriff "Baukunst" noch wörtlich genommen. Wahre Kunst. Damals war es eigentlich egal, wer den Architekturwettbewerb gewinnt. Die Architekten hatten richtig was drauf. Heute beschränkt sich die "Kunst am Bau" leider nur noch auf möglichst abgefahrene und provozierende Gebilde, die niemand identifizieren kann. Selbst Kirchenbauten ähneln heute nur noch einem Schuhkarton. Wie hat sich die Baukultur nur verändert.

  • der alte Dom von Schinkel

    Für sich genommen sehr schön, aber für eine Weltstadt? Vielleicht hätte man den neuen Dom wo anders hinbauen sollen und den alten stehen lassen können. Aber Berlin hat nach etwas gesehnt, das zumindest so tut, als könnte es sich mit Petersdom, Isaakkathedrale oder St. Paul's Cathedral messen.

  • Für sich genommen sehr schön, aber für eine Weltstadt? Vielleicht hätte man den neuen Dom wo anders hinbauen sollen und den alten stehen lassen können. Aber Berlin hat nach etwas gesehnt, das zumindest so tut, als könnte es sich mit Petersdom, Isaakkathedrale oder St. Paul's Cathedral messen.

    Der Berliner Dom wurde auf Geheiß Wilhelm II errichtet, die Berliner Bevölkerung fand ihn damals scheußlich. Wilhelm II war sehr fromm - für einen Protestanten vielleicht sogar eine Spur zu fromm :koenig:
    Der Berliner Dom steht einem alten katholischem Sakralbau in nichts nach. Viele mit denen ich den Berliner Dom besichtigt habe, hatten ein katholisches Bauwerk vermutet.
    Ich mutmaße mal, daß Kaiser Wilhelm II mit dem Bau des Berliner Domes die evangelische Kirche wieder in Richtung Katholizismus zu reformieren versuchte :D

  • Der NO-Turm.

    Der sanierte NW-Turm (Glockenturm).

    Blick über das Kreuz über dem Westportal zum Lustgarten.

    SW-Turm, der nächste Sanierungsfall.

    Und noch eine der Engelgruppen am Kuppelsaum, welche ebenfalls instandgesetzt werden müssen.

    Berliner Dom - Deutsche Stiftung Denkmalschutz

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

    Einmal editiert, zuletzt von Mantikor (28. Oktober 2019 um 23:34)

  • Ein umfangreicher Bericht der Stiftung Denkmalschutz aus dem Dezember 2019.

    Zitat

    Seit diesem Jahr steht die Deutsche Stiftung Denkmalschutz der Berliner Domgemeinde bei der Fassadenrestaurierung ihrer eindrucksvollen Kirche zur Seite. Ein Besuch auf der Baustelle zeigt, wie dringend das Wahrzeichen Hilfe braucht.

    Aug in Aug mit Petrus - Monumente online

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Werte Gemeinde,


    ich war so frei und habe mich an das Dombaubüro in Berlin gewandt, um zu erfahren, ob im Zuge der Sanierung der Grablege eine Rekonstruktion der Denkmalskirche vorgesehen ist.

    Anbei die prompt erhaltene überaus freundliche Antwort.


    Diese Ausstellung werde ich mir ansehen und ich hoffe sehr, dass es zu einer originalgetreuen Rekonstruktion kommen wird und der Dom nicht durch einen modernen Anbau verhunzt wird.

    Gruß aus Berlin.