Alsfeld - Allgemeines

  • Zitat von "Johan"

    Ist nicht Alsfeld eine der Modellstaedte fur europaische Denkmalschutz?

    Für das "Europäische Denkmalschutzjahr 1975", seinerzeit ausgerufen vom Europarat, wurde Alsfeld als eine von 49 "europäischen Modellstädten" zur behutsamen Altstadtsanierung und -erhaltung ausgewählt. Dieses Denkmalschutzjahr (siehe http://www.nationalkomitee.de/appelle/060874.htm) wird heute oft als eine Art Schlüsselereignis für die öffentliche Anerkennung des bis dahin weitgehend bzw. seit 1945 vernachlässigten und belächelten Denkmalschutzgedankens angesehen.
    Und von diesem mittlerweile schon etwas in die Jahre gekommenen Ereignis zehrt die Stadt Alsfeld bis heute.

  • Zwei Sachen (vom Hörensagen, mehr oder weniger) neben auch von mir nun geäußertem Lob zu diesen schönen Ansichten.

    Ich habe gehört von massiven Problemen in Alsfeld mit der Bausubstanz, da, als eine der ersten Städte, die nach dem Krieg eine umfassende Fachwerksanierung ausführte, hier wohl den 70er/80er entsprechende, aus Erfahrungs- oder auch Kenntnismangel herrührende, eher schädingende Sanierungsmethoden zur Anwendung kamen.

    Zweite Sache: Direkt am Rathaus stand kürzlich eine Haushälfte eines Gebäudes von 1375 zum Verkauf für 90.000 €. Handelt es sich möglicherweise um das Gebäude, welches Du als ältestes Gebäude bezeichnet hast (1375 waren wohl Angaben aus diverser Fachwerkliteratur, daher wohl kein Widerspruch zu dem Daten). Dieses in der Literatur beschriebene Gebäude wurde jedenfalls im Internet angeboten.

    Also, wenn es noch zum Verkauf steht und jemand Interesse hat, Riegel und ich würden bestimmt für eine Sanierungsberatung bereitstehen... :zwinkern:

    Die Feder ist mächtiger als das Schwert...wenn das Schwert sehr stumpf ist und die Feder sehr spitz!

    -Terry Pratchett

  • Ja, Kardinal, du hast ganz Recht. Allerdings wollte ich mir das für den jetzt die Tage kommenden Part aufheben, in dem ich mich ausführlich mit dem Haus beschäftige, doch ich greife dem aufgrund deiner Frage gerade mal vor.

    Bei dem zu Verkauf stehenden Haus handelt sich allerdings nicht um das Gebäude Markt 2, was wohl erst vor einigen Jahren freigelegt und dendrochronologisch als das älteste der Stadt bestimmt wurde, sondern um das schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannte und erstmals von Walbe ausführlich beschriebene Haus Hersfelder Straße 10/12, genauer gesagt die besser erhaltene Haushälfte 10 aus dem Jahre 1375. Der Preis ist wirklich spektakulär günstig, bedenkt man, dass es sich hier mit 7x3 Gebinden um einen der mächtigsten erhaltenen Ständerbauten Deutschlands handelt. Nachfolgenden Aushang sah ich Anfang Juli '08 im Immobilienfenster der Alsfelder Bank:


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    Es ist allerdings anzumerken, dass das Haus 1976/79 ziemlich kaputtsaniert wurde (u. a. Einbau einer massiven Treppe, teils massive Erneuerung der Traufe). Mein erster Schritt wäre, diesen ganzen neumodischen Mist erstmal wieder aus dem Haus rauszuschmeißen, könnte ich es mir leisten. Vielleicht habe ich beim Mittwochslotto mit 28 Mio. € ja Glück. ;)

  • Zitat

    Mein erster Schritt wäre, diesen ganzen neumodischen Mist erstmal wieder aus dem Haus rauszuschmeißen, könnte ich es mir leisten. Vielleicht habe ich beim Mittwochslotto mit 28 Mio. € ja Glück. ;)

    Bei 28 Mio Gewinn erwarte ich von Dir aber, daß Du mindestens ein halbes Dutzend Fachwerkhäuser in der Frankfurter Altstadt rekonstruierst, mein Lieber! :zwinkern:

  • 3.3. Amthof

    Bereits in der Einleitung wurde Alsfelds günstige Lage in der Fernstraße "durch die kurzen Hessen" angesprochen. Sie ging im Westen durch das Mainzer Tor in die Stadt und spaltete sich dann in einen nördlichen und einen südlichen Verlauf. Die repräsentativen Bauten der Stadt sind sichtbar entlang dieser Straßenzüge angeordnet.

    Der südliche Verlauf ging entlang der langen, noch vorzustellenden Geraden Rossmarkt – Am Kreuz – Untergasse und stach hier senkrecht in die Hersfelder Straße ein, wo die Fernstraße die Stadt durch das Hersfelder Tor dann auch wieder verliess. Der nördliche Verlauf ging hinter dem Mainzer Tor durch die Mainzer Gasse über den Markt- und dann den Kirchplatz, und stach in der Südostecke des letzteren in die Gasse Amthof ein, die an einer platzartigen Kreuzungssituation in die Hersfelder Straße übergeht.


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    Die schmale Gasse Amthof nach Westen zum Kirchplatz, im Hintergrund Rathaus und Kirche. Die Häuser auf der rechten bzw. nördlichen Seite stammen, wie die Ständerkonstruktionen im Erdgeschoss mit augesetzten Rähmkonstruktionen in den Obergeschossen verraten, noch sämtlich aus dem frühen 16. Jahrhundert. Zaghafte Rezeption der Renaissance ist in dem originalen Hauseingang mit Rosettenmotiv des Eckhauses Amthof 2 zu sehen. Die Südseite der Gasse besteht aus einem unspektakulären Bau des 18. Jahrhunderts.


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    In unserem Rücken steht der spektakuläre Kopfbau Amthof 13 / Enggasse 1/3 aus dem Jahre 1516, der somit einer der frühesten dendrochronologisch datierten Rähmbauten in der direkten Nachfolge des Rathauses ist. Das völlig schnörkellose Fachwerk mit gewaltigen Balkenquerschnitten ist ansonsten noch ganz der Gotik verpflichtet. Rechts des Hauses der ebenfalls den Namen Amthof tragende Durchgang nach der Untergasse, links des Hauses, kaum zu erkennen, die Enggasse.


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    Die Enggasse in einer Superweitwinkelaufnahme nach Süden. Der Name ist Programm, die Gasse ist weniger als zwei Meter breit. Die hier befindlichen Häuser, bei denen es sich keinesfalls nur um Hinterhäuser handelt, sind aus verständlichen Gründen nicht darstellbar, es sei aber gesagt, dass sich auch hier zahlreiche Ständerbauten und Reste solcher erhalten haben, die wenigstens ins 15. Jahrhundert zurückgehen.


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    Doch zurück zum Amthof. Wir blicken hier auf die besagte Kreuzung aus Amthof (da wo wir stehen), Hersfelder Straße (nach rechts), Hofstatt (links Bildhintergrund) und Kaplaneigasse (links Bildvordergrund). Das aus dem 17. Jahrhundert stammende Fachwerkhaus mit der Gaststätte, Amthof 10, war traufseitig bereits im letzten Bild des Kapitels 3.2 zu sehen. Das rechts zu sehende Klinkergebäude ist der Altbau des immer noch hier tätigen Alsfelder Amtsgerichts und stammt aus den 1860er Jahren.

    Doch nun zum spektakulärsten Bau dieser Häusergruppe, Amthof 8:


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    Grundrisse und Schnittbilder nach Walbe (Quelle: Heinrich Walbe: "Das hessisch-fränkische Fachwerk" (1954))


    Schema der zweiseiten Auskragung nach Walbe (Quelle: Heinrich Walbe: "Das hessisch-fränkische Fachwerk" (1954))

    Das bisher leider nur wenig, zuletzt in den 1940er Jahren unter Fachwerklegende Heinrich Walbe ausführlich erforschte Gebäude, das dendrochronlogisch auf 1430 datiert ist, steht genau zwischen der mittelalterlichen Bautradition, die wir schon am Haus Markt 2 kennengelernt haben, und dem frühneuzeitlichen Rähmbau. Die Hölzer sind bis auf das geringfügig erneuerte Erdgeschoss und die etwas vergrößerten Fenster an der Traufseite im ersten Obergeschoss praktisch vollständig erhalten, ebenso der gesamte Innenausbau und der Dachstuhl, was in der Summe recht selten ist, bedenkt man, dass dieses Haus ein Alter von fast 600 Jahren erreicht hat!

    Zum Aufbau: es handelt sich auch hier im Wesentlichen noch um einen dreigeschossigen Wandständerbau, wenn auch nicht ohne Besonderheiten. Der südliche Rückgiebel und die westliche Traufseite, die beide an umgebende Häuser anstoßen, zeigen – hier natürlich nicht sichtbare – bis unter das Dach reichende Ständerkonstruktionen. Die ersten beiden Geschosse des Vordergiebels sind ebenfalls in einer Ständerkonstruktion erbaut, wobei von den drei die Geschosse sichernden und überspannenden, aufgeblatteten Schwertungen (eine links, zwei rechts) aufgrund des Schaufensters keine mehr in Gänze erhalten ist.

    An der Traufseite kragt bereits das erste Obergeschoss vor, die Schwelle liegt hier auf den überstehenden Balken, die seltsamerweise wie überall mit dem Rähmholz des Erdgeschosses verkämmt sind, ohne dass man daraus zumindest in den oberen Geschossen einen konstruktiven Nutzen gezogen hätte, da alles sichtbar mit Knaggen und Bügen verriegelt ist. Ich bin mir nicht sicher, ob dieses eher frühneuzeitliche Zimmermansdetail nicht eher einem rezenten Umbau denn dem Originalzustand zuzuordnen ist, zumal das Erdgeschoss gerade an der Traufseite sichtbar erneuert wurde.

    Im eigentlichen ersten Obergeschoss der Traufseite zeigen sich verschiedene Techniken. Der Brustriegel ist nicht mehr wie bei den Bauten des 14. Jahrhunderts aufgeblattet, sondern eingezapft, andererseits sind die Pfosten einzeln mit verblatteten Fuß-, in den Ecken auch mit Kopfstreben gesichert.

    Richtig interessant wird es im zweiten Obergeschoss, das ohne Stichgebälk zweiseitig vorkragt. Der dafür betriebene Aufwand ist enorm und gleichzeitig faszinierend, war dem Zimmermann doch ganz offensichtlich das Gratstichgebälk kein Begriff, das nach heutigem Forschungsstand bereits Mitte des 14. Jahrhunderts bekannt war (erstmals am Leibschen Haus in Gießen von 1348/49 (d)). Mangels fortschrittlicher Kenntnisse setzte man hier für die Überkragung an der Traufseite auf die herausstehenden, knaggenverriegelten Unterzüge des zweiten Obergeschosses, und an der Giebelseite eben auf die mit Bügen gesicherten Balken. Der Hängepfosten wird von den auf unterschiedlichen Höhen liegenden Schwellen und den eingezapften Brustriegeln gefasst. Diese Art der Auskragung bedingt auch, dass im zweiten Obergeschoss einseitig eine Verdoppelung des Eckpfostens in dem Abstand voneinander erfolgen muss, um den die Auskragung groß ist.

    Der Dachstuhl zeigt eine Firstsäulenkonstruktion, die mit gewaltigen Andreaskreuzen ausgesteift ist und somit technologisch auch eher ins 14. denn ins 15. Jahrhundert gehört.

    All dies wirkt äußerst altertümlich, bedenkt man, dass bereits die 1400 erbaute Südosthälfte von Markt 2 keine Hängepfosten mehr hat, sondern diese dort bereits auf Riegeln der Wandständerkonstruktion stehen. Nicht minder bemerkenswert ist, dass man zugunsten der Konstruktion von der Querbalkenlage zwischen Erdgeschoss und ersten Obergeschoss wieder zu einer Längsbalkenlage zwischen ersten und zweiten Obergeschoss wechselte. Man könnte spekulieren, dass hier ein älterer Zimmermannsmeister der Schule des 14. Jahrhunderts tätig war, dem seine Gesellen nur sehr punktuell einige Neuerungen der Schule des 15. Jahrhunderts aufschwätzen konnten. ;)

    Bevor wir uns auf den Weg Richtung Hersfelder Straße machen, noch ein letzter Blick auf das Gebäude inmitten seiner Nachbarschaft:


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    Es wirkt nicht nur so, ja, Amthof 8 ist sehr schief. Vermutlich wurden bei den Umbauten im Erdgeschoss die Hölzer in späteren Zeiten zu schwach dimensioniert, oder die Entfernung der versteifenden Schwertungen an der Giebelseite für die Schaufenster hat die Statik durcheinandergebracht. Links im Bild das eingangs angesprochene Barockgebäude auf der Südseite der Gasse Amthof von 1766.

    Und noch als kleiner Appetithappen auf das die nächsten Tage kommende, den Blick um 180° geschwenkt in die Hersfelder Straße:


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  • Ganz großes Kino RMA! Nochmals vielen Dank, die Beiträge werden von mal zu mal interessanter. Verspüre gerade eine unbändige Lust, diese wundervolle Fachwerkstadt mal selbst per pedes zu erkunden :)


    Meine Frage hier hast du wohl irgendwie übersehen, oder? ;)

    Zitat von "erbsenzaehler"

    Hast du dergleichen auch für Limburg, Marburg, Herborn, Wetzlar und Konsorten vorgesehen?
    Oder gar für das schöne [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon]? ;)

  • Herborn und Wetzlar sind nicht in der Tiefe erforscht, die Alsfeld, Marburg, Limburg und evtl. noch Fritzlar bieten. Darüber hinaus ist der Wert zumindest von Herborn für die Hausforschung gering, da das Gros der Bauten aus dem 17. Jahrhundert stammt, wo lokale oder regionale Einflüsse zumindest in den konstruktiven Gefügen einem nationalen mitteldeutschen bzw. hessisch-fränkischen Stil gewichen sind. Eine ähnlich umfassende Darstellung habe ich in der Tat für Marburg und Limburg geplant, wobei letztere – aus Sicht der Hausforschung und der Bedeutung für das Verständis der Entwicklung des Fachwerks – wohl die wertvollste und am besten erforschte Fachwerkstadt Hessens ist.

    Da das ganze aber Hobby, und nicht mein Hauptberuf ist, dauert sowohl die Vor- als auch die Nachbereitung solcher Darstellungen aber Monate (alleine die Aufbereitung der vielen tausend Fotos aus Alsfeld und Fritzlar von letztem Sommer habe ich erst gegen Weihnachten gerade mal für Alsfeld abgeschlossen). Insofern kannst du erst im Verlauf der nächsten Jahre mit derartigen Strängen rechnen.

    Zu Frankfurt a.M. ist zu sagen, dass Riegel sich hier bereits mit "Fachwerkbauten in Frankfurt" im Frankfurt-Forum auf hohem Niveau mit den Frankfurter Fachwerk auseinandergesetzt hat. Man muss ebenso eingestehen, dass vieles für immer unerforscht bleiben muss, weil es der Krieg auf so gnadenlose Weise zerstört hat. Die ältesten Fachwerkbauten Frankfurts, die anhand bildlicher Darstellungen und Aufzeichnungen der aus heutiger Sicht völlig überholten Forschung der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt seriös nachweisbar sind, stammen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Markt 42, Borngasse 27 / Schnurgasse 15 evtl. 2. Hälfte 14. Jahrhundert, über die Datierung von Markt 17 in die 1. Hälfte 14. Jahrhundert mag ich mit Kardinal trefflich streiten) und sind schon in einem überregionalen Übergangsstil gestaltet. Das einzige mittelalterliche Fachwerkhaus Frankfurts, Schellgasse 8 aus dem Jahr 1291/92, vermag, da es sich ohnehin nur um den Rest eines einst wohl viel größeren Gebäudes handelt, nur wenig Aufschlüsse über das mittelalterliche Frankfurter Fachwerk und seiner Spezifika zu geben. Vor allem die Queraussteifung ist doch auch in Nordhessen zu findenden zeitgleichen Beispielen sehr ähnlich.

    Anbetrachts der Geschichte (fast keine großen Stadtbrände) und der Betrachtung zahlloser Fotos gehe ich persönlich, wohlgemerkt ohne irgendwelche Beweise dafür zu haben, davon aus, dass die Situation in Frankfurt a.M. heute ähnlich *wäre* wie in Limburg, wo man auch erst durch die Dendrochronologie hinter neueren Fassaden (gemeint 15. & 16. Jahrhundert) weitaus ältere Kernbauten (Ende 12. und 13. Jahrhundert) entdeckte. Im Dom-Römer-Areal, wo es zahlreiche romanische Keller gab, vermute ich zahllose solcher hochmittelalterlichen Hallenhäuser, die durch Umbauten nicht mehr als solche zu erkennen waren. Im Bereich Tuchgaden gab es – wieder ähnlich wie in Limburg – wohl noch Reste älterer Steinhäuser aus dem 12. Jahrhundert, von denen mit Tuchgaden 9 (hatte nachweislich um 1800 noch gekuppelte Rundbogenfenster mit Mittelsäule) sogar eines bis 1944 noch relativ vollständig erhalten war. Nur wie gesagt ist das alles nicht mehr zu beweisen und somit eine wissenschaftlich fundierte Debatte darüber auch eher überflüssig.