Einkaufscenter vs. Altstadt

  • In Wetter an der Ruhr wird auch fleissig an einem neuen EKZ gebastelt, zwar besitzt diese Stadt faktisch keine Einkaufsattraktivität, also auch sehr wenig Kundenpotential, aber trotzdem wird ein riesiges Einkaufszentrum geplant und jetzt auch gebaut. Eigentlich sollte schon früher damit begonnen werden, aber die Erweiterung der Verkaufsfläche ( für wen auch immer ) und die damit verbundenen Grundstücksveränderungen haben diesen Plan verzögert. Die Eigentümer dreier Altbauhäuser mussten wohl noch umgestimmt werden. Dies ist wohl geschehen und in wenigen Tagen wird mit dem Abriss dieser drei Häuser begonnen.
    Zwei dieser Häuser stelle ich kurz vor:
    ehemals denkmalgeschützte Stadtvilla,
    Vor einem Jahr, als der Abriss schon geplant war

    heute, das Haus ist innerhalb weniger Tage völlig heruntergekommen

    die Inneneinrichtung, Türen, Geländer und ähnliches sind abgebaut worden

    wegen weniger neuerer Einbauten nicht denkmalgeschützte Stadtvilla eines Fabrikanten

    bis gestern bewohnt und gut in Schuss

    Gestern hatte ich das Glück beim Auszug der Mieter einen Blick in die Räumlickeiten zu erhaschen (leider verschwommen):

    Sicherlich geht es hier nur um zwei Häuser, aber die Prinzipien sind die gleichen.
    Abriss denkmalgeschützter, alter ortsbildprägender, gut erhaltener Bausubstanz
    für ein belangloses beliebiges Shopping Center an unbedeutendem Standort und die Stadtvorderen fühlen sich dadurch noch geehrt. :klaresnein:

    Mehr dazu unter:
    http://www.stadt-wetter.de/819.html

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Ja, das ist skandalös und insgesamt sehr traurig. Und dies für den faktisch sinnlosen Bauwahn einiger Geschäftemacher. Die anrollende Finanzkrise incl. Rezession wird bald zu einem breiten Firmensterben, zu höherer Arbeitslosigkeit und auch zu Kaufkraftverlusten in der Bevölkerung führen. Diese Einkaufscenter sind zum jetzigen Zeitpunkt somit völlig überflüssig. Offensichtlicher kann von Spekulation gar nicht mehr gesprochen werden.

  • Och nee, ausgerechnet im schönen Wetter, das ich wegen seiner Altstadt und den vielen schönen Gründerzeitvillen immer bewundert habe. Wer sitzt denn dahinter? Diese ECE-Krake, die ganz Deutschland mit gesichtslosen Shopping-Centern zumüllt? Oder diesmal wer anders?

    Die Frage ist ja, ob unbedingt jede Kleinstadt "Einkaufsattraktivität" haben muss oder ob es in so Städten nicht reicht, den täglichen Bedarf zu decken. Irgendwie befürchte ich ja, dass das EKZ in ein paar Jahren verwaist weil H&M und Co merken, dass dort doch nicht das große Geld zu machen ist. Dann ziehen irgendwann die 1€-Läden ein und dann wird das Ding in 20 Jahren wieder abgerissen. Die Villen werden dann aber nicht wiederkommen.

    Edit: Hab grad nochmal geguckt, wo das ist. Maps Live
    Damit ist der schöne Gründerzeitstraßenzug hinüber, der einen empfängt, wenn man aus Dortmund nach Wetter reinkommt. Hätte man nicht auf der anderen Straßenseite das Sparkassengebäude abreißen können und mehr in die Höhe bauen können? Ich versteh's echt nicht.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Hinter diesem EKZ steht eine Immobilien-Treuhand-Gesellschaft ITG aus Düsseldorf. Ob die irgendwie mit der

    Zitat von "Booni"

    ECE-Krake

    zusammenhängt hab ich nicht rausbekommen.

    Der Abrissbagger war heute schon da und hat von der denkmalgeschützten Villa die Rückseite vernichtet. Die Betreiber machen jetzt wirklich Dampf. Die Wohnungen sind noch nicht kalt und werden schon abgebrochen. Ich versuch mal das bildlich festzuhalten.

    Das Irrsinnige an der Sache ist, das man die beiden wichtigsten Häuser hätte integrieren können und den Eingang trotzdem an der Hauptstraße gehabt hätte. Da hätte man ein EKZ mit Flair gehabt und in die Häuser hätten Restaurants oder Cafes einziehen können. Aber Ortsbezug wird ja nicht eingeplant, dazu müsste man sich ja mit den lokalen Gegebenheiten auseinandersetzen und das verdirbt möglicherweise die RENDITE! :boese:

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Die ITG aus Düsseldorf frisst sich mit ihren Einkaufszentren in allen Klein-Städten rein: Bocholt, Worms. Hier ein weiteres Projekt in Bad Vilbel - die "Neue Mitte" - da werden demnächst die nächsten Häuser fallen: http://www.bad-vilbeler-anzeiger.de/allgemeine-sei…Hash=2c42260393" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.bad-vilbeler-anzeiger.de/all ... 2c42260393

    Der Fall "Wetter" macht einen fassungslos. Lt. Pressebereichten sahen die Anfangsplanungen ja nicht das heranziehen des EKZ an die Strasse vor. Die unbebauten Wiesen (siehe oben Maps) hinter den Häusern hätten ja eigentlich gelangt. Aber nach Verhandlungen mit den Hauseigentümern und mangels Widerstand von der Stadt wurden jetzt ohne Not die Häuser geopfert um noch mehr Profit mit dem EKZ zu erlangen. Dass der Abriß solcher substanziell wertvoller Bauten Anno 2009 noch möglich ist - unglaublich.

    ...

  • Zitat von "Aedificium"

    Hängt schon den ganzen Tag am Bauzaun.



    ...wahrscheinlich gerade dabei sein Servus unter die Papiere zu setzen oder mit modernistischen Architekten gegen die Rekowelle der Republik Stimmung zu machen! :boese:

  • Ja, wie gesagt, die Einkaufscenter-Welle ist eine der kapitalistischen Absurditäten. Kopflose Stadtpolitiker versprechen sich vermutlich irgendwelche Steuereinnahmen, die windigen Bauherren haben sich ihre Profite bereits errechnet, und das enttäuschende Ergebnis dieser Scheinblüte ist im Angesicht der Rezession voraussehbar. Es ist ein letztes Aufzucken des Spekulationswahns. Nur leider hinterlässt dieser noch seine Duftmarken im Stadtbild.

  • Zitat

    "...Darüber hinaus könne auch nicht gerügt werden, dass die Erteilung der Abbruchsgenehmigung gegen das Denkmalschutzgesetz verstoße. Die Regelungen des Denkmalschutzgesetzes seien ausschließlich wegen des an der Erhaltung und sinnvollen Nutzung von Baudenkmälern bestehenden öffentlichen Interesses erlassen und begründeten keine Rechtsansprüche eines Einzelnen oder einer Gesamtheit von Personen auf den Schutz von Baudenkmälern."

    Öffentliches Interesse ist ein Rechtsbegriff, der sich auf die Belange des Gemeinwohls bezieht und sie von den Individualinteressen abgrenzt. Der Begriff gilt als unbestimmter Rechtsbegriff, dessen genaue Konturen in jedem Einzelfall von Juristen bestimmt werden. Naturgemäß spielt er im öffentlichen Recht und als „besonderes öffentliches Interesse“ auch im Strafprozessrecht eine Rolle.

    Wer oder was "das Gemeinwohl" ist, entscheiden also einzelne Juristen, auffällig oft im Interesse einzelner Investoren oder Bauherren! ^^ Interessant und irgendwie seltsam unsere Gesetzgebung... ^^

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    EDIT:

    Zwar kein Einkaufszentrum, doch ähnlich scheint es auch bei öffentlichen Gebäuden zu funktionieren. Und, wie ich finde, da erscheint es mir noch gravierender: Das einstige Domherren-Domizil in Konstanz am Münsterplatz wird jahrenlang offenbar vernachlässigt, ob nun von Seiten der privaten oder öffentlichen Hand, bis ein Gutachten zum Schluss kommt, dass das Gebäude baufällig ist, denkmalpflege erteilt wunschgemäß die Abrissgenehmigung!
    So auch geschehen beim Konstanzer Kulturzentrum! :boese:

    http://www.euxus.eu/konstanz/a800/…um-muenster.jpg

    Mir geht es jetzt nicht darum, ob das Gebäude noch ins Altstadtgefüge passt oder nicht,
    sondern um die Selbstherrlichkeit und -gerechtigkeit, die Bauamtsleiter Kumm an den Tag legt. Das ist unerträglich.

    Interessante Aussagen/Inhalte des Artikels:

    "Man hätte den Kritikern vielleicht mit einem historisierenden Wiederaufbau den Wind aus den Segeln nehmen können, doch das stand nie zur Debatte", erinnert sich Bauamtsleiter Johannes Kumm.

    Für kontroverse Diskussion sorgte auch die ausgefallene Fassadenfarbe des Kulturzentrums.
    "Ich wollte einen Akzent setzen", erzählt Kumm. So wurde das Haus brombeer-rot gestrichen."

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    Repräsentative Demokratie, stets im öffentlichen Interesse und zum allgemeinen Wohl!? :augenrollen::boese:

  • Zitat von "Schloßgespenst"

    In Heidelberg wurde vor schon vor geraumer Zeit ein Kaufhof-Warenhaus mitten in die (bekanntlich im Krieg praktisch unversehrt gebliebene) Altstadt gebaut.


    An der Stelle des Kaufhofs stand bis 1950 die Zuckerwarenfabrik Emil Roesler, vormals Gutheil (unter dem Namen Roesler seit mindestens 1879). Zur Hauptstraße hin mit Cafe und Konditorei. Die hintere Hälfte bestand aus der abbruchreifen 1938 verwüsteten Orthodoxen Synagoge Heidelbergs, die 1959 zur Erweiterung Bau des Parkhauses abgerissen wurde.
    Die heutige, überaus häßliche Fassade des Kaufhofs zur Hauptstraße hin entstand erst Ende 90er.

  • Diesmal in der Aachener Innenstadt:

    http://www.kaiserplatz-galerie.eu/

    Wieder geht kleinteiligkeit verloren - die ganze rechte Strassenseite wird abgerissen:

    Weitere, kritische Infos:

    http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12978

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • ^ Ich hab mal eben eine Nachricht an die werten Herren Investoren in Aachen geschickt...


    Blöderweise habe ich erst danach registriert, dass ja die Bauarbeiten bereits in vollem Gange sind. :augenrollen:

  • Das is ja wirklich ein ganz übles Projekt! Guter Brief, den Du da geschrieben hast, nur leider wirst Du damit bei dem Investor auf taube Ohren stossen. Wie wurde es in Nürnberg von einem Investor so schön formuliert? "Das Stadtbild spielt für uns keine Rolle, uns interessiert nur der Profit".

  • Passt nicht so 100 %ig hierher, da nüscht mit Innenstadtlage, aber interessant allemal. Das Konzept ist übrigens ganz und gar US-amerikanisch.


    Quelle: http://www.openpr.de\r
    http://www.openpr.de

    Zitat

    Zum Shoppen ins Dorf
    90 Häuser voller Läden, 16 500 Quadratmeter Platz – hinter Spandau öffnet im Juni ein riesiges Designer-Outlet-Center.

    Wustermark – Man nehme ein paar Villen à la Toskana, füge Brandenburger Fachwerkfassaden hinzu, ein repräsentatives Rathaus und mindestens 150 Jahre alte Residenzen von Kaufleuten, ziehe eine mittelalterliche Mauer darum und baue große Tore ein – fertig ist das Dorf. Eben das entsteht derzeit mit erst einmal 40 von später 90 Gebäuden an der verlängerten Heerstraße B 5 hinter Spandau, kurz vor der Autobahnauffahrt Wustermark. Das Besondere: Hier wird nicht gewohnt, sondern eingekauft. Die Mieter sind Filialen mit Markenwaren von Tommy Hilfiger, Stefanel, Adidas, Mexx oder Hallhuber. Am 18. Juni eröffnet dieses erste ostdeutsche „Designer Outlet Village“. [...]

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/Branden…;art128,2791164

    Weitere Bilder, wie's im Sommer aussehen soll


    Quellen: http://www.lifepr.de\r
    http://www.lifepr.de bzw http://www.openpr.de\r
    http://www.openpr.de

    DAS ist im Gegensatz zu manch anderen Sachen regelrecht abgeschmackt, aber immerhin wird eine erstaunliche Detailliebe an den Tag gelegt. Warum dagegen bei Bauten im (alt-)städtischen Umfeld und Bestand so selten?

    http://www.b5center.de/

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Zitat

    Eine noch größere Ansiedlung scheiterte am Widerstand Berlins, das seit Jahren gegen einen Abfluss von Kaufkraft ins Umland kämpft. „Die großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese sind eine Sünde aus der Vergangenheit“, sagt Petra Rohland, Pressereferentin aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Heute würde man in der gemeinsamen Landesplanung von Berlin und Brandenburg mit Sicherheit anders entscheiden.“ Für Wustermark hätten sich die Behörden beider Länder auf einen Kompromiss geeinigt. Beschränken sich die Investoren auf 16 500 Quadratmeter Verkaufsfläche, verzichtet Berlin auf eine gerichtliche Klage gegen das Center

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Wow, erinnert mich doch stark an, äh, wie heisst es noch? Ach ja: DISNEYLAND!! Da gibt es auch schön detailreiche Verkaufs-und Erlebnispappmacheefassaden.

    Zitat

    Das neue Center mit Village-Charakter integriert die Vielfalt verschiedener regional typischer Baustile, bietet offene Plätze sowie eine großzügigen Landschaftsgestaltung und lädt so zum Erkunden und Verweilen ein.

    aus:http://www.b5center.de/about/newoutlet.php

    Juchuu, toskanischer Baustil in Brandenburg, total regional. Landschaftsgestaltung? Das interessiert doch keinen aus der Zielgruppe.

    Zitat

    Das im Jahr 2000 an gleicher Stelle eröffnete Outlet-Center wird im Zuge des Neubaus schrittweise abgerissen. Die Umsätze waren in den vergangenen Jahren eher mau. Viele Kunden fühlten sich in den lieblos gestalteten Verkaufshäusern nicht wohl und kamen kein zweites Mal.


    aus:http://www.tagesspiegel.de/berlin/Branden…;art128,2791164

    Wo waren die Kunden in der Zwischenzeit? Wohl wieder in der Realität des Ku´damm einkaufen?

    Ich finde gerade diese Projekte furchtbarer als alle anderen Einkaufcenter, die ja an sich furchtbar sind, weil sie den Kunden die Imitation einer Stadt geben, obwohl es in nächster Nähe genügend echte Innenstädte mit noch mehr Flair gibt. Aber diese Stadtkerne passen nun mal nicht in die klinisch saubere, hippe, berechenbare und knüppelkapitalistische Konsumwelt der Investoren. Schade nur, dass sich anscheinend so viele Leute blenden lassen.

    Wie war das noch bei den Cree-Indianern? Erst wenn die letzte Stadt enstellt, der letzte historische Bestand abgerissen und das letzte Dorf globalisiert ist, werdet ihr feststellen, dass man Kultur und Geschichte nicht kaufen kann. Oder so?

    Labor omnia vincit
    (Vergil)