• Zitat

    und nicht als als mehr oder weniger gefällige Staffage für den gepflegten Einkaufsbummel oder Remineszens an glanzvolle Tage, als wir noch den guten alten Kaiser hatten.

    Ich würde doch bitten, sich zuerst einmal mit unseren Argumenten und unseren eigentlichen Anliegen - die von "Staffage für Einkaufsbummel" oder Kaiser-Wilhelm-Nostalgie nun wirklich Lichtjahre entfernt sind - auseinanderzusetzen (siehe z.B. hier: http://www.stadtbild-deutschland.de/rekonstruktion/1/index.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.stadtbild-deutschland.de/rek ... index.html ), bevor du weiter mit solchen platten Unterstellungen um dich wirfst.

    Danach können wir dann gerne diskutieren, aber auf der Ebene nicht.

  • Hier noch mal die Südostecke des Marktes von der Südseite aus. Stürzende Linien und reinhängende Werbeschilder bitte ich zu entschuldigen, ich wollte das Ding einfach nur mal knippsen, für ein richtiges Foto oder langes Nachbearbeiten war es mir nicht wichtig genug:


    Offenbar haben die Architekten einfach die zum Markt zugewandte Fassade an der Ecke auch in Straße Unterm Mark gespiegelt, was ich so interpetieren würde, dass sie sich weder viel Mühe gegeben noch mit der speziellen städtebaulichen Situation auseinandergesetzt haben. Dann doch lieber die Hologramm-Fassade ;-).

  • Zitat


    Ich würde doch bitten, sich zuerst einmal mit unseren Argumenten und unseren eigentlichen Anliegen - die von "Staffage für Einkaufsbummel" oder Kaiser-Wilhelm-Nostalgie nun wirklich Lichtjahre entfernt sind - auseinanderzusetzen (siehe z.B. hier: http://www.stadtbild-deutschland.de/rek" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.stadtbild-deutschland.de/rek ... index.html ), bevor du weiter mit solchen platten Unterstellungen um dich wirfst.
    Danach können wir dann gerne diskutieren, aber auf der Ebene nicht.

    Ich wollte niemanden was unterstellen und habe das auch nicht auf Forenbeiträge hier bezogen, denn dafür bin ich viel zu kurz hier dabei und kenne zu wenige der Diskussionen. Das war und ist viel mehr eine sicher überspitzte Zusammenfassung verschiedener Diskussionen über Rekonstruktionen und den Sinn von Denkmalpflege, die ich in den letzten Jahren an ganz unterschiedlichen Stellen geführt habe. Es ging mir darum, die Extreme deutlich zu machen. Und ja, genau solche Äußerungen sind mir begegnet. Sowohl: "Was soll der alte Mist in den alen Hornzschen? Alles raushauen, drinne schön machen mit viel Laminat und dann die Fassade nett anstreichen." als auch "Nach 1918 ist gar nichts mehr ordentliches gebaut worden und die schlimmsten waren diese Bauhausspinner, die haben das nämlich geistig vorbereitet. Alles abreißen!!! Aber statt dessen stellen die Studierten das noch unter Denkmalschutz."

  • Nur nebenbei: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Rekonstruktionen. Zwar habe ich den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden anfangs auch eher skeptisch gesehen, aber mich inzwischen davon überzeugen lassen, dass es der richtige Weg war. Beim Berliner Stadtschloss wird es entweder noch eine ganze Weile brauchen oder - so denke ich zumindest im Moment, ohne mich aber hier damit in die Debatte einzubringen -gar nicht gelingen.

    Es kommt immer auf den Einzelfall an. Wieviel Substanz ist noch vorhanden und wie gut sind die Quellen (Bildquellen, Fotos, Bauaufmaße ... ) für eine Rekonstruktion? Welchen Wert hatte das Gebäude, auch über sich selbst hinaus für das Stadtbild? Müssen für eine Rekonstruktion eines verlorenen Zustandes Denkmäler aus jüngerer Zeit abgerissen werden, die an der selben Stelle stehen? Wie fügt sich eine Rekonstruktion in die Umgebung ein? Und so weiter und so fort. Aber das führt nun endgültig vom Thema weg.

  • Zitat von "Zeno"


    Wer den "Anpassungsbau" nicht gut findet, darf sich mal eine Stunde lang vor den Rechner setzen und sich dieses Bild eines Altstadthauses ansehen: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Mus…schweinfurt.jpg" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    de.wikipedia.org/wiki/Datei:Muse ... infurt.jpg

    Das ist ziemlich ähnlich dem, wofür ich mir den Rüffel von Philon eingefangen habe, ein Argumentieren mit Extremen. Nicht jeder, der den "Anpassungsbau" in an der Südostecke des Jenaer Marktes nicht gut oder architektonisch eher mau findet, wünscht sich ein Museum Georg Schaefer an genau dessen Stelle. Ich auf jeden Fall nicht, zumal es allein von den Dimensionen nicht dorthin gepaßt hätte.

    Nun liegt das Museum tatsächlich am Rand der Innenstadt von Schweinfurt, jedoch an exponierter Stelle an der Straße zum Main. Woanders könnte ich mir das eher vorstellen, denn grundsätzlich habe ich nichts gegen den Bau. Es ist halt ein moderner Museumsbau mit Oberlicht, langen Fluchten, klaren Linien. An der Stelle, wo er steht, ist er durchaus schwierig. Als ich das erste und letzte Mal in Schweinfurt war, stand der Bau schon. Was war da vorher? Aber das sollten wir besser in einem Thread zu Schweinfurt diskutieren.

  • Zitat

    "Nach 1918 ist gar nichts mehr ordentliches gebaut worden und die schlimmsten waren diese Bauhausspinner, die haben das nämlich geistig vorbereitet. Alles abreißen!!! Aber statt dessen stellen die Studierten das noch unter Denkmalschutz."


    Ein wenig pauschal diese obige Meinung, die ich daher für mich folgendermaßen abwandeln würde:

    "Nach 1918 ist in Bezug auf die Außengestaltung öffentlicher und gewerblicher Gebäude kaum noch Ordentliches gebaut worden und die schlimmsten sind die heutigen Bauhausjünger, die so manches nämlich geistig noch nicht verinnerlicht und weiterentwickelt haben. Bei sich bietender Gelegenheit und darüber hinaus punktuell zur optischen Heilung betroffener Gebiete sollte vieles davon abgerissen werden! Aber statt dessen stellen die Blender, Profiteure und Claqueure sowie sonstigen, einen vermeintlichen Zeitgeist definierenden, bornierten und häufig entscheidungsrelevanten Schwadroneure des selbst definierten Modernen und Richtigen vieles davon noch unter Denkmalschutz."

    :lockerrot:

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Ich könnte jetzt wiederum viel dazu sagen, aber das wäre eine andere Diskussion, die ich weder hier noch heute oder in nächster Zeit woanders führen möchte. Laßt uns doch mal in Jena bleiben. Wir haben ein hochrangiges Baudenkmal mit einer modernen Fassade und daneben einen Neubau, die beide etwa zur gleichen Zeit entstanden, nämlich in den letzten Jahren, so 2007 und 2008. Wer gewinnt den Vergleich und lassen sie sich überhaupt vergleichen? Was wäre eurer Meinung eine die bessere Lösung für das Haus Markt 16 gewesen? Die konkreten Fragen bezüglich einer Fassadenrekonstruktion hatte ich ja schon mal kurz angesprochen. Was rekonstruiert man in so einem Falle und mit welcher Begründung? Und warum wäre das besser als die hier getroffene Lösung? Oder ist die doch gar nicht so schlecht?

  • "(Selbst)-Zitat:
    Dagegen spricht, dass das Ensemble, wie die ganze Jenaer Altstadt einfach nicht die Bedeutung anderer thüringischer Städte hatte

    Erwiderung LE mon hist
    Nach welchen Maßstäben? Schnuckligkeit? Um (bau- oder kunst)historische Bedeutung kann es Dir ja nicht gehen, denn dann würde es eindeutig nicht stimmen."

    Schnuckeligkeit lassen wir lieber. Wie philon sagte, auf dieses Niveau begeben wir uns nicht und lassen es uns auch nicht unterstellen.
    Aber bau- und kunsthistorische Bedeutung, genau darauf kommt es an, und genau das meinte ich. Was denn sonst auch. Von allen von mir besuchten thüringischen Städten, und das war eine hübsche Reihe, war Jena unter den schwächsten, wenn nicht die schwächste. Ich würd sogar Gera drüber stellen, ducke mich aber jetzt schon unter den präsumtiven Protesten.

    Historische Authentizität ... das ist auch so ein Begriff. Sicher recht hübsch, wenn sie da ist, aber was wiegt ihr Fehlen gegen das ästhetische Erscheinungsbild... Nürnberger Hauptmarkt gg DDner Neumarkt ... da ist mir die ästhetische Komponente weit lieber.
    Imgrunde ist die Forderung nach hist. Authentizität ein äußerst unhistorischer Zugang, der erst in unserer versnobten Zeit postuliert wurde und dies mE allzuoft aus schlechtem Gewissen oder saurer Traubenreaktion ob der verlorenen Ästhetik.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Was wäre also die beste Lösung für den Jenaer Markt gewesen?

    In Anbetracht der nicht allzu hohen kunsthistorischen Bedeutung des Ensembles kann ich mit der heutigen Lösung zurecht kommen, wenngleich mir dieser Anpassungsbau mit seiner Belanglosigkeit sowie postmodernistischen Glatt-und Abgeschlecktheit widerwärtig ist. Bei diesem Haus wäre eine Rekonstruktion des Vorkriegszustandes unbedingt besser gewesen.
    Würde es sich jedoch um ein bedeutenderes Ensemble handeln, wie etwa den baulich geschlosseneren Geraer Markt, wäre eine Totalreko unverzichtbar.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "ursus carpaticus"

    " Schnuckeligkeit lassen wir lieber. … Aber bau- und kunsthistorische Bedeutung, genau darauf kommt es an, und genau das meinte ich. Was denn sonst auch. Von allen von mir besuchten thüringischen Städten, und das war eine hübsche Reihe, war Jena unter den schwächsten, wenn nicht die schwächste. Ich würd sogar Gera drüber stellen, ducke mich aber jetzt schon unter den präsumtiven Protesten.

    Und da muss ich ganz klar widersprechen. Hier zeigt sich deutlich, dass wir einen ganz unterschiedlichen Zugang haben. Die Ergebnisse der archäologischen und der Bauforschungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die erhaltene Bausubstanz in Jena von großer Bedeutung ist und in Thüringen ziemlich bald hinter Erfurt kommt. Wir haben mehrere gut erhaltene Bauten aus dem 14. Jh. (Markt 16, Zur Sonne, Vorgängerbauten des Rathauses), spätgotische Häuser des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, weit über ein Dutzend Bohlenstuben und wir haben einen gewaltigen Bauaufschwung nach der Gründung der Hohen Schule/Universität 1548/1558, der sich an nahezu allen erhaltenen Bauten in der Jenaer Innenstadt ablesen lässt. Es gab in der Neuzeit keine Stadtbrände, die große Teile der Altstadt niedergelegt hätten. Nach einem größeren Brand wurde der (alte) Eichplatz geschaffen. Bei einem Luftangriff 1945 wurde eine Schneise durch die Innenstadt geschlagen und in den späten 60ern weite Teile der westlichen Innenstadt abgerissen. Die östliche Innenstadt erlebte in den 80ern Verluste, ist aber noch verhältnismäßig gut erhalten.
    Gera wurde in den 80er Jahren des 17. und des 18. Jh. zweimal durch Brände zerstört und was danach noch stand oder neu aufgebaut wurde, erledigten der Luftangriff am 6. April 1945 und der Städtebau zu DDR-Zeiten.

    Was macht die bau- und kunsthistorische Bedeutung einer Stadt aus, wenn nicht solche Kriterien?

    Zitat


    Historische Authentizität ... das ist auch so ein Begriff. Sicher recht hübsch, wenn sie da ist, aber was wiegt ihr Fehlen gegen das ästhetische Erscheinungsbild... .


    Noch mal die Frage am Jenaer Beispiel. Was ist wertvoller und wichtiger für eine Stadt? Ein Haus mit zwei gotischen Ständergeschossbauten, einer Bohlenstube etc. und einer modernen Fassade? Oder ein Neubau mit modernen Raumzuschnitten und Materialien wie Betondecken etc. mit einer Fassade, die nach einem 60 Jahre alten schwarz-weiß-Foto rekonstruiert wurde?

    Zitat


    Imgrunde ist die Forderung nach hist. Authentizität ein äußerst unhistorischer Zugang, der erst in unserer versnobten Zeit postuliert wurde und dies mE allzuoft aus schlechtem Gewissen oder saurer Traubenreaktion ob der verlorenen Ästhetik.


    Was ist dann das ausschlaggebende Kriterium? Was wäre demnach der historische Zugang?

    Wenn es die Ästhetik sein sollte, wer definiert dann den Zeitgeist? Wie konnte sich z.B. die Einschätzung des rein ästhetischen Wertes historistischer Bauten innerhalb relativ kurzer Zeit so entscheidend ändern? Und sind dann nicht genauso in Zukunft entscheidende Änderungen des „Geschmacks“ möglich? Wenn ja, wie gehen wir damit um? Ist es uns egal, Hauptsache jetzt ist es schön? So dachten und denken auch die, die Gründerzeitviertel abreißen ließen und lassen.

  • Erstmal danke für diese interessanten Bilder und Informationen aus Jena, noch dazu aus so fachkundiger Hand. War mir alles bis jetzt unbekannt!

    Die Fassade von Markt 16 halte ich - das ist allerdings meine persönliche Meinung - für totalen Schrott, der bezeichnend für die Auswüchse moderner Architektur ist. Die Ensemblefähigkeit tendiert in Richtung des absoluten Nullpunkts, die Gestaltung, auch wenn das Wort hier eigentlich fehl am Platze ist, ist qualitativ irgendwo zwischen Provokation und Pubertät. Du schreibst:

    Zitat

    Um das erhalten zu können, mußten jedoch der barocke Aufbau eines weiteren Geschosses (1737 d) und die Fassade aus dem 19. Jh. abgenommen werden. Die Fassade hatte um 1900 ein historistisches Dekor erhalten, welches in den 1960er Jahren jedoch wieder abgenommen wurde. Was hätte man hier rekonstruieren sollen? Die Fassade der 1960 Jahre? Die historistische um 1900? Die des 19. Jh.? Da hätte jeweils das obere Geschoß gefehlt. Eine pseudo-mittelalterliche Fassade?

    Wieso musste denn der barocke Aufbau entfernt werden? Rekonstruiert wird üblicherweise der letzte Zustand, der anhand des Quellenmaterials zweifelsfrei (ggf. durch Analogschlüsse) belegbar ist, wobei zumindest gegenwärtig eine Tendenz seitens des Denkmalschutzes besteht, historistische Veränderungen zu entfernen (was meines Erachtens richtig ist). Dieses Vorgehen hat sich bei der Sanierung von Fachwerkbauten seit den großen Altstadtsanierungen der 1970er und 1980er Jahre in ganz Deutschland eigentlich mit geringen Ausnahmen zum Standard herausgebildet. Literarisch gut aufbereitet ist das für die Beispiele Marburg und Limburg an der Lahn. Für Markt 16 hätte das bedeutet, dass man es am ehesten auf den Zustand nach dem barocken Umbau zurückgeführt hätte.

    Was wir hier dagegen sehen, ist ahistorischer Blödsinn (s. o.), der ohne aufwändige Klimatisierung (die ich zumindest in den gezeigten Bildern nicht erkennen kann), innerhalb weniger Jahrzehnte in diesem Gewächshaus verfaulen wird. Die Problematik, dass sich entkernte Holzbauten in Verbindung mit modernen Materialien wie Stahl oder Glas nicht vertragen, ist ebenfalls keine gerade neue Erkenntnis. Insofern kann ich den Jenaern nur mein Mitleid aussprechen, was da mit einem der ältesten Häuser dieser Stadt angestellt wurde.

    Bezüglich Oberlauengasse 14 ist ebenfalls von Versagen der Stadtplanung zu sprechen, dass der durchaus ansprechende Anpassungsbau es dann doch noch schafft, durch diese unsäglichen Fenster das Bild zu trüben. Selbst im meinem hessischen Heimatkuhdorf ist sowas via Gestaltungssatzung ausgeschlossen. Wieso nicht hier? In der Tendenz muss man daher vermuten, dass hier auf Teufel komm raus wieder "Kontraste" geschaffen werden sollen, die alle so keinesfalls sein müssten.

  • Zitat von "RMA"


    Wieso musste denn der barocke Aufbau entfernt werden? Rekonstruiert wird üblicherweise der letzte Zustand, der anhand des Quellenmaterials zweifelsfrei (ggf. durch Analogschlüsse) belegbar ist, wobei zumindest gegenwärtig eine Tendenz seitens des Denkmalschutzes besteht, historistische Veränderungen zu entfernen (was meines Erachtens richtig ist).

    Der Aufbau war einfach zu schwer für das gotische Haus, das ja nicht für solche Lasten ausgelegt war. Er drückte so stark auf die Ständer, dass Holzkonstruktionen schon auseinanderklafften und sich die Ständer verformten bzw. insgesamt "auswichen". Im Detail kann ich das nicht erklären, da müßte ich erst den Bauhistoriker Lutz Scherf fragen, der auch diesen Bau betreut hat.

  • >>In Anbetracht der nicht allzu hohen kunsthistorischen Bedeutung des Ensembles kann ich mit der heutigen Lösung zurecht kommen, wenngleich mir dieser Anpassungsbau mit seiner Belanglosigkeit sowie postmodernistischen Glatt-und Abgeschlecktheit widerwärtig ist. Bei diesem Haus wäre eine Rekonstruktion des Vorkriegszustandes unbedingt besser gewesen.<<

    Ich sehe es genau anders rum: Im Sinne der Ensemblewirkung stellt der Eckbau eine zwar historisch nicht ganz astreine, aber dennoch passable Lösung dar. Selbst der Glasbau ist jetzt kein Unglück (eher schon die kranke Geschichte gegenüber, deren Anblick bereits nach der undosierten Einnahme von Schei**egalpillen verlangt - man sollte ernsthaft prüfen, ob der zuständige Architekt vorher ned aus Stadtroda getürmt ist). Jena hat bereits seine Dominanten und die ihre Berechtigung (das Ensemble Uniturm-Zeisswerke steht mehr als alles andere für die "Stadt der Wissenschaften" und alt-neue wirtschaftliche Stärke und ist einzigartig in dieser Form) - aber als eine Gründungsstadt der deutschen Nationalbewegung sollte es ebenso über einen dementsprechenden Altstadtkern bzw. angemessene Architektur verfügen. Das braucht keine Wiederholung z.B. des Volkshauses sein; dieses steht in seinem romantischen Prunk für sich und seine Zeit (eines der besten Historismusgebäude, die ich kenne).
    Selbst das Hauptgebäude der FSU fügt sich ganz selbstverständlich und maßvoll in diese Ordnung. Im stadttypologischen Sinne besitzt Jena viel Ähnlichkeit mit Frankfurt/Main; nach dessen Maßgaben sollte auch hier verfahren werden. Übrigens tragen selbst die DDR-Bauten der Innenstadt einen ungewöhnlich "bundesdeutschen" Colorit.

    >>Würde es sich jedoch um ein bedeutenderes Ensemble handeln, wie etwa den baulich geschlosseneren Geraer Markt, wäre eine Totalreko unverzichtbar.<<

    Der Geraer Markt zelebriert bis auf Teile des Rathauses und der Apotheke die reinste Belanglosigkeit(wie fast der ganze Rest der Nicht-Mehr-Groß-Stadt); verglichen mit Jenas Altstadtzeilen ziemlich entbehrlich. Jena und Gera machen jedenfalls nicht den Eindruck von Schwesterstädten, die 40 km trennen - eher 400 km und eine Kulturgrenze.

    Nein, die werden gedünstet

  • Noch ein anderer interessanter Fall aus Jena:


    links Platte, rechts von früher


    Fassade schön, Efeu schön


    Nur bißchen kurz das Haus. Und es paßt auffällig gut an den nächsten Plattenbau.


    Des Rätsels Lösung.

    Das Problem ist nun folgendes: Sollte man tatsächlich einen Wiederaufbau des in den späten 60ern für den Uniturm und den zentralen Platz, später Platz der Kosmonauten und nun Eichplatz, abgerissenen Viertels zwischen Markt und Leutragraben verfolgen, müßte die Fassade dann wieder an ihren ursprünglichen Standort? Und was sollte dann an der Stelle geschehen? Die so entstandene kleine Platzsituation vor dem Haus ist eigentlich auch unhistorisch.

  • @ LE Mon. hist.

    Ich würde keine nochmalige Translozierung des Gebäudes vornehmen, auch wenn die Amessungen wohl absichtlich falsch sein mögen. Überdies ist der Eichplatz in seiner gegenwärtigen Form zwar überdimensioniert (wie alle sozialistischen Geoßstadtplätze), aber gänzlich verschwinden sollte er nicht. Man könnte die Ostseite zwecks Wiederherstellung der alten Straßenführung wiederherstellen; unbedingt rekonstruktiv muß es nicht sein - jedoch auch keine billige Investorenarchitektur. Nun, da ist der Grat freilich schmal; jedoch scheinen derartige Lösungen in kleineren Stadten eher zu gelingen als z.B. in Dresden oder [lexicon='Leipzig'][/lexicon].

    Die IBS85 "Gera" könnten sogar erhalten saniert werden; immerhin sind sie im Vgl. strukturiert und sehen im sanierten Zustand nicht gar zu sehr nach Platte aus. Natürlich spielt es eine Rolle, was für ihre Errichtung geopfert wurde. Sollten Bestände vor 1650 dabei sein, gebe ich natürlich der Rekonstruktion den Vorzug.

    Nein, die werden gedünstet

  • Zitat

    Was ist wertvoller und wichtiger für eine Stadt? Ein Haus mit zwei gotischen Ständergeschossbauten, einer Bohlenstube etc. und einer modernen Fassade? Oder ein Neubau mit modernen Raumzuschnitten und Materialien wie Betondecken etc. mit einer Fassade, die nach einem 60 Jahre alten schwarz-weiß-Foto rekonstruiert wurde?

    Die Frage ist ziemlich polemisch gestellt. Wertvoller - hinsichtlich seines Erinnerungswertes, hinsichtlich seiner geschichtlichen Tiefe - als beides wäre natürlich das Haus mit den beiden gotischen Ständerbauten, einer Bohlenstube und der rekonstruierten gotischen Fassade.

    Danach käme dann das von der geschilderte Haus mit der modernen Fassade, dann die originalgetreue Rekonstruktion mit alten Raumzuschnitten und originalen Materialien (siehe das Hildesheimer Knochenhaueramtshaus oder die Alte Waage in Braunschweig oder die aktuellen Planungen für Frankfurt) und dann die bloße Fassadenreko hinter Betonkern.

    Zitat


    Was ist dann das ausschlaggebende Kriterium? Was wäre demnach der historische Zugang?

    Wenn es die Ästhetik sein sollte, wer definiert dann den Zeitgeist? Wie konnte sich z.B. die Einschätzung des rein ästhetischen Wertes historistischer Bauten innerhalb relativ kurzer Zeit so entscheidend ändern?

    Nein, die Ästhetik ist nicht das entscheidende Kriterium (wenn auch kein zu vernachlässigendes), sondern die geschichtlich-kunstgeschichtliche Bedeutung des Bauwerks bzw. Ensembles (wobei der Begriff "Ensemble" hier durchaus auf eine ganze Stadt bezogen sein kann - siehe Nürnberg und Dresden).
    Im Prinzip läuft das auf die Kriterien des Denkmalschutzes hinaus, nur daß ich sie auch auf Rekonstruktionen anwenden würde und nicht nur auf Erhalt und Ergänzung wie es der dogmatische Denkmalschutz aufgrund seines ereignisgeschichtlich verengten Geschichtsbegriffs und seines einseitig an der materiellen Substanz ausgerichteten Authentizitätsbegriffs tut.

    Vor diesem Hintergrund würde ich auch deine Auffassung nicht teilen, daß nur da rekonstruiert werden sollte, wo dafür kein späteres "Denkmal" abgerissen werden muss. Es kommt eben einfach darauf an, welches Denkmal geschichtlich und kunstgeschichtlich das bedeutendere und wichtigere war. So würde ich z.B. ohne Bedenken die unter Denkmalschutz stehenden '50'iger und '60'iger Jahre-Bauten hinter dem Frankfurter Dom abreissen lassen, wenn dafür die gotische Altstadt Frankfurts auch dort wiedererstehen würde.
    Und zwar ganz einfach mit der Begründung, daß diese Altstadt von 800 Jahren bedeutendster reichsstädtischer Geschichte erzählt, von den Fürstentagen des 14. Jahrhunderts, den Kaiserkrönungen, dem frühneuzeitlichen Handel und Bankenwesen, von Goethe, von Brentano, von Hölderlin usw. - mithin von dem, was unsere kulturelle Identität im Innersten ausmacht. Von der einmaligen kunsthistorischen Bedeutung des größten mittelalterlich-frühneuzeitlichen Fachwerkensembles Europas ganz zu schweigen.
    Die 50'iger Jahre-Bauten dagegen sind weitgehend austauschbar und erzählen gerade mal 50 Jahre (relativ farbloser) Nachkriegsgeschichte.
    Soviel nebenbei zu meiner (unserer?) Motivation.

  • Zum Glück stehen die Wohnhöfe um den Dom in Frankfurt a.M. noch nicht unter Denkmalschutz. Problematisch ist da schon eher die Riegelbebauung der Berliner Straße und der unsägliche Ex-Bundesrechnungshof, die beide auch schon im aktuellen (2008) Dehio Hessen II eine Würdigung erfahren haben. Zum Glück liegen die bereits im ersten Stadterweiterungsgebiet der Stauferzeit, während die karolingisch-ottonisch-salische Keimzelle (das winzige Gebiet zwischen [lexicon='Römerberg'][/lexicon] und Fahrgasse, oben begrenzt durch die ohnehin gut erhaltene Braubachstraße, unten durch den Main) bisher von solchen fragwürdigen Denkmalen verschont worden ist, wo ich ebenso wie Philon eine totale Rekonstruktion anstreben würde.

  • Zitat

    Zum Glück stehen die Wohnhöfe um den Dom in Frankfurt a.M. noch nicht unter Denkmalschutz.


    Ups, dann hatte ich das immer falsch verstanden. Na ja, das Argument funktioniert trotzdem. Nehmen wir einfach kurz an, sie stünden unter Denkmalschutz wie das in vergleichbaren Städten bereits oft der Fall ist (siehe eine ganze Reihe 50'iger und 60'iger-Jahre-Bauten im Kerngebiet der ehem. Nürnberger Altstadt, für die Analoges gilt wie für Frankfurt)
    Danka für die Korrektur, RMA!

  • Ich stell Gera schon über Jena. Es ist ein Fehler, Schlichtheit mit Belanglosigkeit zu verwechseln. Diese Schlichtheit hat in Gera durchaus vornehme Züge, welche durch die geschlossene Wirkung der Ensembles verstärkt werden.
    In Jena hingegen wirken die (nicht eben häufigen) erhaltenen Bauten beliebig und austauschbar, mögen sie auch älter und geschichtsträchtiger sein. In jedem Fall werden sie der geschichtlichen Bedeutung dieser Stadt nicht gerecht (was auch für [lexicon='Leipzig'][/lexicon] gilt - gemessen an der enormen geistes- und kunstgeschichtlichen Bedeutung dieser Stadt erscheint sie architektonisch äußerst dürftig).
    Grundsätzlich ist die heute vorherrschende Geringschätzung der ästhetischen Komponente ein historisch einzigartiges Phänomen, denn ältere Zeiten beurteilten nur ästhetisch oder funktionell. Der Vorgang bei diesem Stadtarchivs ist dafür signifikant. Zerstörung der gewachsenen Marktfront als Preis dafür, dass irgendwelche hinteren Teile penibel an Ort und Stelle erhalten bleiben (wenn sie geschichtlich ach so wertvoll sind, hätte sie ausbauen und musealer Pflege zuführen können, bei gleichzeitiger Bewahrung des äußeren Erscheinungsbildes).
    Dem haftet beinahe etwas Kultisches an.
    Wie gesagt, über das Ergebnis könnte man an sich streiten, aber in Anbetracht des Umstandes, dass es sich hier um einen Altbau handelte, ist das Ganze ein Witz.
    Eine derartige "Denkmalpflege", die nach außen, noch dazu zur Marktfront, nichts von der alten Substanz übriglässt, ja, die ihren (bescheidenen) ästhetischen Wert aus der Störung, ja der Zerstörung des historischen Zusammenhanges bezieht, ist schlechthin ridikülös.
    Man stelle sich das mal mit 500 multipliziert vor: eine Altstadt aus Glasfassaden, die aber zeitgemäß-authentisch renoviert ist und dahinter die wertvolle Originalsubstanz penibel erhalten hat.
    Ein Hoch auf den DDer Neumarkt!

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.