Eigene (utopische) Architekturentwürfe

  • @Niederlnder: Was meinst Du mit "sehr polnisch"? Kaorus Kommentar kann ich verstehen, aber von den im Link gezeigten Häusern ist mein Entwurf dennoch entfernt, nach meiner Einschätzung.

  • Weil die von dir zitierte italienisierende Formensprache damals vor allem in Polen verwendet wurde. In Deutschland kenne ich dagegen nichts vergleichbares (und auch nicht in ehemals deutsche Gebiete wie Schlesien oder Preußen - nur in der damals schon stark polnisch geprägten Stadt Posen gibt es sowas).

  • Wenn du das Posener Rathaus meinst, ja, das ist vergleichsweise "italienisch", wobei der lange Gang in Dresden auch nicht unitalienischer ist. Der Entwurf steht natürlich im Kontext meines Zyklus, und mir geht es nicht darum, irgendeine lokale Bautradition zu "imitieren", sondern sie gewissermaßen neu zu erfinden. Und im Gegensatz zum Posener Rathaus ist die Formensprache des Entwurfes doch auch deutlich palladianistisch geprägt. Kennst Du noch andere Beispiele aus Polen? Ansonsten würde ich auch noch eine gewisse niederländischce Note gelten lassen.

  • @Kaoru: Bei den Einzelheiten des Giebels magst Du recht haben. Aber der Gesamteindruck ist doch - wie ich finde - deutlich anders.
    Ihr merkt schon, es geht mir hier darum - in eitler Selbstbespiegelung - meine Eigenständigkeit herauszuarbeiten (Hüstel. Hüstel.)

  • Um mal die polemische Polonisierung (als wäre das ein Vorwurf, keineswegs!) zu entschärfen, tatsächlich bezog ich mich hauptsächlich auf den Giebel. Die Fassade hingegen ist Polen-untypisch, außer Akkardenfassaden (wie der Hof des Wawels) sind polnische Fassaden meist sehr massig und massiv geprägt, dicke Wände, weniger Fenster, nicht so luftig. Als Beispiel:

    Lemberg (was ich mal kurzerhand wieder zu Polen gerechnet habe, man betrachte vorallem die vordere Häuserfront im Zoom):

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…tuszowej_01.jpg


    Lublin (das Eckhaus)
    http://uwieurlaub.com/tp/attractions…30_P3300313.jpg

    Krakau (auch hier nur das rechte Eckhaus)
    http://img3.garnek.pl/a.garnek.pl/01…-w-krakowie.jpg


    Und was natürlich sofort auffällt: Abgesehen von den gotischen Häusern Thorns ist Giebelständigkeit bei Profanbauten in Alt-Polen absolut untypisch. So konnte sich erst, quasi als Kompensation, die für Polen typische aufwändige Traufsimsgestaltung entstehen. Zwei Beispiele für einen polnischen Renaissancegiebel hab ich dann noch, der (aber historistisch überformte) Mittelrisalit der Tuchhalle zu Krakau: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…9555396045).jpg oder reiner der des Collegium Gostamanioms zu Sandomir http://camping.majsak.pl/galleries/collegium/collegium1.jpg

    Beide natürlich meilenweit entfernt von den zum Himmel strebenden Giebeln West-Mitteleuropas. Aber auch dein klassizistischer Giebel ist für Lebrin recht flach. Drum auch (uA) die Analogie zu Polen.

    4 Mal editiert, zuletzt von Kaoru (22. Juli 2016 um 19:53)

  • de.wikipedia.org/wiki/Stettine…morskich_w_Szczecinie.jpg

    Was auch am sehr idealisierenden Wiederaufbau liegen dürfte , der das Schloß als reines Piastenschloß ohne alle deutschen Elemente präsentieren wollte, Propagandistisch wurde das auch mißbraucht ("Wawel des Nordens")

    vgl. hierzu auch:
    https://books.google.de/books?id=Ivw6V…raufbau&f=false (ab 9.2 "Denkmalschutz in Stettin")

    2 Mal editiert, zuletzt von Kaoru (22. Juli 2016 um 19:26)

  • @Kaoru - sehr interessant.
    Ich konnte mal wieder nicht widerstehen und habe mich an eine Kirchenfassade gemacht:

    Es handelt sich um die Redaktion einer bestehenden Fassade. Frage: Welche? @Kaoru: Bitte nicht gleich auflösen!

  • Auf Anhieb komm ich nich drauf, St. Martin zu Bamberg und die Stadtkirche Bückeburg sind es jedenfalls nicht.

  • Sehr kraftvoll im Aufgehenden. Das Gebälk würde ich gern dreidimensional sehen! Mir kommt allerdings die Hauptgebälkzone etwas zu wuchtig vor, etwas reduzieren, vielleicht die aufgesetzten Segmentgiebel entfernen und durch ausschweifende Volutenübergänge ersetzen.
    Über den Fenstern würde ich einen Wechsel von Dreiecks- und Segmentbogengiebel gestalten. Das Portal verträgt mehr Betonung, größerer Giebel und rahmende Pilaster. Weniger und dafür größere Fenster. Über den Portal würde sich statt Fenster eine Figurennische gut machen.
    Wenn man selbst entwirft im alten Stil muß man, glaube ich, gut schauen die architektonischen Elemente nicht additiv oder dekorativ applizierend anzuwenden, sondern organische in sich stimmige Übergänge und Verbindungen schaffen. Bei den Häuserfronten von Dir kam mir das manchmal in den Sinn!
    Soweit mein Senf dazu!

  • SchortschiBähr: Das meiste, was Du ansprichst, habe ich aus dem Original übernommen. Das war für mich die Herausforderung, nicht alles neu zu machen. Und auch, einer Fassade mit kolosalen dorichen/tuskischen Pilastern einen adäquaten Giebel zu geben. Das ist gar nicht so leicht. Mal sehen, ob jemand das Vorbild errät....

  • Hm , ich dachte ich würde mich mit den Kirchen der Vorarlberger Bauschule auskennen. Leider muß ich passen! Am ehesten könnte es noch die Fassade von Kloster Disentis sein, die Dir als Vorbild gedient haben könnte. Einige Elemente hat es, aber nicht wirklich.
    Aber da sind die kräftigen Segementgiebel über den Pilastern, statt Türme, hm, irgendwie kommt mir das bekannt vor. Keine Ahnung! ?(

  • Super, ja genau, Edelstetten! Hier ist das Bild, von dem ich "abgepaust" habe. Ich habe es entzerrt und ein bißchen gestreckt:
    https://de.wikipedia.org/wiki/St._Johan…angelist_94.JPG
    Der Punkt ist, dass viele süddeutsche Barockfassaden wie ich finde "luft nach oben" haben. Die konsequente Durchdringung der ganzen Fassade findet sich nur selten, wie zum Beispiel bei Diessen am Ammersee oder der Jesuitenkirche Bamberg. Sehr typisch sind ja die kolosalen dorischen/tuskischen Pilaster. Aber der Giebel ist immer das Problem. Ein häufig gemachter Fehler ist es, einfach "kleine Ordnungen" oben drauf zu setzen. Das sieht dann sehr zierlich aus und die Proportionen von Gebälk und Pilaster passen dann meist gar nicht mehr. Man muss sich - denke ich - von der Idee eines regelmäßigen Netzes von Pilastern und Gebälk verabschieden. Und die Fassade von Edelstetten hat gute Ansätze, die ich versucht habe, konsequenter rauszuarbeiten.

    Einmal editiert, zuletzt von xharlekin (16. Oktober 2016 um 01:15)

  • Hier noch ein paar Anschauungsbeispiele:

    Eichstätt Schutzengelkirche
    https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzeng…hst%C3%A4tt.JPG

    Diessen am Ammersee
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…%C3%BCnster.jpg

    Bamberg Jesuitenkirche
    https://de.wikipedia.org/wiki/St._Marti…_in_Bamberg.JPG

    Dillingen Studienkirche
    http://static.panoramio.com/photos/original/63568411.jpg

    Kapuzinerkirche Altötting
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…%C3%B6tting.jpg

    Sagan in Österreich (auch sehr gut!)
    http://www.sagen.at/fotos/data/573…nfassade_01.jpg

    Franziskanerkirche in Paderborn (hat die beschriebenen Probleme)
    Franziskanerkirche in Paderborn

    2 Mal editiert, zuletzt von xharlekin (16. Oktober 2016 um 12:01)

  • Finde diesen Thread ja sehr spaßig, weil man sich hier ums Zeichnen bemüht, was ich sehr lobenswert finde.
    Die Annäherung an verschiedene Stile qua Entwürfen ist ein guter Weg, sich damit auseinanderzusetzen.
    Aber um das Typische an einem Stil herauszufinden, braucht man einige Zeit und viele Anschauungsbeispiele...

    Dein überarbeiteter Entwurf, xharlekin, war mir von Anfang an mit den 2 Pilastern zu massig für Barock. Nachdem Du die Anschauungsbeispiele gebracht hast, kann ich Dir jetzt auch einigermaßen sagen, warum mir dein Entwurf irgendwie fremd vorkam: Barock hat immer einen gewissen Kontrast zwischen "größerer Wand" und "Betonung" (Säule, Pilaster, Gebälk). Du nimmst in deinem Entwurf die Wand weg und hast nur noch Betonungen. Dies erzeugt eine starke Massivität, wie ich sie mir vielleicht an einem Turm unten vorstellen könnte, aber niemals an einem Gebäude.
    Auch die Sprengung des Gebälks durch das mittige Fenster ist in allen Anschauungsbeispielen anders: es geht allenfalls der innere Teil der Fensterumrahmung mit (hier, hier, auch hier), und meist kommt dann noch ein extra Fenstergiebel darüber (hier und hier). In Dießen geht zwar der untere Teil des Gebälks tatsächlich im Bogen mit, es kommt im oberen Teil aber sofort ein Sprenggiebel drauf (Du hast ein Gebälk, das in voller Breite den Bogen mitmacht, das empfinde ich als barockfremd). Die oben im Giebel verschmälerten Pilaster sind eigentlich recht oft so, außer in Bamberg, das eine durch die zurückgesetzten Bogenloggien (weiß nicht, wie das heißt) sehr dreidimensionale Fassade hat. Aber dort ist die Fassade insgesamt recht breit, und die zurückgesetzten Bogen sind etwa so breit wie die beiden Pilaster mit den Nischen dazwischen.
    Ich muß mir immer längere Zeit viele Bilder anschauen, um auf solche "inneren Logiken" zu kommen und ein paar davon verbalisieren zu können. Es gibt sicher noch ein paar andere solche "Regeln für Barockfassaden", auf die man käme, wenn man sich viel damit beschäftigt (gerade auch zeichnerisch, denn das ist sehr hilfreich, um dann vergleichen zu können).

    Bei deinen anderen Entwürfen (vor allem "Ansichten von Lebrin"), wo Du eher auf flandrische Renaissance gehst, ist mir aufgefallen, daß Du alle Stockwerke gleich hoch machst. Das ist aber meines Wissens eine Spezialität des 20. Jhdts, im 19. und wohl auch 18. Jhdt war das nicht so, da war oft das 1.OG höher und das Dachgeschoß niedrig. Bei den Jahrhunderten davor habe ich noch zu wenig Anschauungsbeispiele gesehen, aber genau gleiche Höhe halte ich für ziemlich ausgeschlossen. Das fängt erst so mit ausgehendem Jugendstil an.

    Laß Dich bitte davon nicht abhalten, weiterzuzeichnen und Dich weiterhin mit verschiedenen Stilen auseinanderzusetzen! Ich will Dich auf keinen Fall deprimieren, ich denke nur, manchmal hilft es, wenn einem jemand anders was dazu sagt, was ihm auffällt (mir geht es jedenfalls manchmal so). Mehr als das wollte ich nicht tun.

    2 Mal editiert, zuletzt von Loggia (16. Oktober 2016 um 12:44)