Berliner Schloss - architektur- und kunstgeschichtliche Aspekte

  • @ Seinsheim,

    dennoch, die Wiederherstellung des Apothekenflügels könnte der Auftakt sein, sozusagen eine Initialzündung dafür, dass die Rekonstruktion der überaus malerischen Ostfassade des Berliner Stadtschlosses doch noch in Angriff genommen wird. Das würde ich mir sehr wünschen.

    Nun zum Apotekenflügel selbst. Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass der Apothekenflügel dereinst länger war. Ab 1885 wurde durch die Altstadt von Berlin die Kaiser-Wilhelm-Straße gebaut, um dem ständig steigenden Verkehr Herr zu werden. Im Anschluss an den Bau der K.-W.-Str. wurde die Kaiser-Wilhelm-Brücke errichtet, welche die K.-W.-Str. nach Westen über den Lustgarten hinweg mit der Straße unter den Linden verband. Kaiser Wilhelm II. soll seine Zustimmung dazu gegeben haben, dass jener Teil des Apothekenflügels abgebrochen wurde, welcher sonst in die neue Straße hinein geragt hätte und damit durch Verengung der Straße zwangsläufig Staus und ein "Nadelöhr" hervorgerufen hätte. Damit hatte der Kaiser zugunsten eines flüssigen Verkehrs billigend in Kauf genommen, dass der damals schon Jahrhunderte alte Apothekenflügel verkürzt wurde. Wenn man den Apothekenflügel wieder aufbaut, dann bestimmt auch nur in der verkürzten Form, da die Straße als Durchgangsstraße vermutlich nach wie vor genutzt wird.

    Einmal editiert, zuletzt von Villa1895 (29. April 2016 um 23:59)

  • Lieber Villa1895,

    in der Tat wurde der Apothekenflügel zugunsten der Anlage der Kaiser-Wihelm-Straße um ein Drittel verkürzt. Die nördlichste 'Giebelachse' mußte damals weichen, nebst einem kleinen diesem noch nördlich vorgelagerten Anbau. Einer der beiden abgebrochenen Giebel wurde dann als Dachabschluß auf die neue Nordwand gesetzt und somit wiederverwertet. Gänzlich neu war der pittoreske Erker.

  • Herzlichen Dank, lieber Pagentorn,

    viele Jahre lang habe ich mich gefragt, was wohl mit den beiden wegen der Straße abgebrochenen Renaissance-Zwerch-Giebeln denn wohl geschehen ist. Dank Deiner Nachricht, weiß ich nun, dass zumindest einer der besagten Giebel wieder verwendet wurde. Im Grunde hatte ich auch nichts anderes erwartet, denn Kaiser Wilhelm II. hatte Interesse und Freude an historischen Gebäuden (siehe Renovierung der Marienburg in Marienwerder, der Hohkönigsburg im Elsass oder der Rekonstruktion der Saalburg bei Bad Homburg von der Höh (v. d. H.) im Taunus). Deshalb alleine schon, hatte ich vermutet, unser Kaiser habe verfügt, dass die Voluten der Giebel des abgebrochenen Teils des Apothekenflügels irgendwo wieder verwendet werden sollten. Nochmals vielen Dank für Deine Information.

  • Ja das ergäbe dann einem Dominoeffekt denn wenn der Apothekerflügel steht, wird die Stellasche Ostfassade so richtig zum Fremdkörper ! Ich bin zuversichtlich, dass diese “moderne“ Fassade in ein paar Jahrzehnten nicht mehr existiert, denn jetzt schon beschweren sich die Leute im Internet und auf Facebook über diese Scheußlichkeit :D

  • Hier noch einige Bilder zur Veranschaulichung (alle aus der Quelle Foto Marburg):

    Abbidlung 01:
    Zustand vor der Anlage der Kaiser-Wilhelm-Straße.

    Abbildung 02:
    Zustand nach Verkürzung des Gebäudes.

    Abbildung 03:
    Blick über die Lustgarten-Terrasse auf Zwischenbau und verkürzten Apothekenflügel.

    Abbildung 04:
    Der neue Erker an der Nordwand.


    P.S.: Lieber Villa1895,

    Es sieht so aus, als wenn ich mich korrigieren muß, denn auf der Abbildung des Bauszustandes vor dem Umbau hat bereits die alte Nordwand des Apothekenflügels einen Giebel. Demnach muß also leider weiter offen bleiben, ob Spolien der beiden abgebrochen Giebel weiter verwendet worden sind. :/

  • Hallo lieber Pagentorn,

    danke für deinen großen Fleiß und die vielen erläuternden Bilder. Wenn denn die Kaisertocher Luise Victoria noch lebte, dann könnte sie uns vielleicht noch Vieles berichten, denn sie wusste wirklich Vieles. Es will mir nach den Fotos scheinen, als das es zwischen dem Apothekenbau und dem eigentlichen Schloss noch einen Zwischenbau gegeben habe. Dieser dünkt mir recht alt zu sein, zumal dessen Fenster meistenteils recht niedrig sind.

    Einmal editiert, zuletzt von Villa1895 (30. April 2016 um 10:18)

  • Lieber Villa1895,

    IKH Herzogin Viktoria Luise wäre mit Sicherheit eine von uns gewesen, hat sie doch auch seinerzeit - zusammen mit vielen anderen Braunschweigern - gegen die Sprengung des Braunschweiger Schlosses demonstriert.

    Man mag sich gar nicht vorstellen, was in ihr und in ihren Geschwistern einige Jahre früher vorgegangen sein muß, als sie dazu verurteilt waren, tatenlos die Sprengung einer der wichtigsten Stätten ihrer Kindheit und Jugend durch Ulbricht & Co. mit ansehen zu müssen.

    Und wie sehr wäre deshalb der jetzige Wiederaufbau eine große Genugtuung für sie... :rolleyes:

    2 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (30. April 2016 um 08:26)

  • Haltet Euch doch mit Schmähungen der Ostfassade noch etwas zurück. Das Teil ist noch nicht fertig. Warten wir die restlichen Verkleidungen ab und vor allem den Einbau der Fenster. Die starken Fensterkreuze werden die Wuchtigkeit des Baus etwas mindern. Bin allerdings auch kein Freund der Ostfassade, damit das mal klar ist. Stella hat aber wenigstens die Proportionen der Barockfassaden aufgenommen, konterkariert sich aber ein wenig selbst. Denn seine "Uffizien" sind viel feiner gegliedert durch die vorgestellte Rundpfeilerordnung. So etwas an der Ostfassade würde sie nicht so derb wirken lassen.
    Der Apothekerflügel ist in der Tat städtebaulich als raumbildender Abschluß des Lustgartens notwendig. Immerhin sieht man die Pflanzung großer Bäume vor. Doch bevor man an die Wiedererrichtung des Apothekerflügels denkt, sollte die Rekonstruktion wichtiger Prunkräume im Schloß selbst angegangen werden!

  • @ Pagentorn
    Bereits mit dem Teilabbruch Ende des 19. Jh. hatte der Apothekerflügel seine ursprüngliche Kraft verloren und war zum Appendix des Schlosses geworden. Auch wurde er durch Raschdorffs Dom, der damals höher war als heute, erdrückt. Dennoch vermittelte er noch eine leise Ahnung davon, dass der Lustgarten ursprünglich ein nach Osten geschlossener Stadtraum war. Dieser Abschluss nach Osten ist durch den Abriss der Hohenzollern-Grablege an der Nordseite des Domes, die zu DDR-Zeiten erfolgte, weiter aufgebrochen worden.
    Ideal wäre für mich der Zustand von ca. 1828. Aber der ist leider perdu.

  • @ Seinsheim

    So sehr ich grundsätzlich jeden (Teil-)Abbruch historischer Bausubstanz ablehne und so sehr ich auch im konkreten Fall die infolge des Durchbruchs der Kaiser-Wilhelm-Straße eingetretene Charakteränderung des Lustgartens von einer abgeschirmten Parkanlage hin zu einer (auf die städtische Zentralmarkthalle hinführenden !) Durchgangstraße bedaure, so sehr erkenne ich aber hier auch an, daß die Anlage der neuen Straße, mit ihren beiden markanten Kopfbauten am andern Ufer der Spree sowie dem Durchblick zur Marienkirche ein positives Gegengewicht zum eben beschriebenen Verlust darstellt. Und vor allen Dingen: Der Teilabbruch des Apothekenflügels war aufgrund der schrägen Einmündung der ‚Linden’ von diesen aus fast nicht zu sehen. Selbst der Rumpf dieses Renaissance-Flügels wirkte von dort aus betrachtet noch wie ein vollwertiger, durchgehender Abschluß dieses Stadtraumes. Und darum muß dieser Rumpf dereinst auch wieder her.

    @ Schortschibähr

    Im Übrigen kann ich Ihnen bezüglich des historischen Innenausbaus des Humboldtforums nur voll und ganz zustimmen ! Dabei hätte der Rittersaal – nicht zuletzt wegen der noch erhaltnen Ausstattungsteile und des perfekt dokumentierten Deckengemäldes – absolute Priorität.

    Also: Das eine tun, ohne das andere zu lassen.............wenn da nicht immer die leidige Finanzierungsfrage wäre :unsure:

    2 Mal editiert, zuletzt von Pagentorn (30. April 2016 um 11:02)

  • Die beiden Kopfbauten waren äußerst wichtig, eigentlich müsste man sie mittelfristig wieder herstellen. Der Rittersaal hat tatsächlich - nach den Treppenhäusern - absolute Priorität, zusammen mit der Schwarzen und der Roten Adler-Kammer. Ohne diese Innenräume sind auch die Fassaden nur Fragmente, da sie ikonographisch Ausfluss des in den Deckenfresken und Deckenstuckaturen des Inneren behandelten Bildprogramms sind.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Kurze Frage:

    Läßt sich der Beschluß des Bundestages, die Ostfassade in moderner Formensprache zu errichten (und damit auch auf den Apothekenflügel zu verzichten), an einem oder einigen wenigen Abgeordneten-Namen festmachen ? Ich dachte da u.a. an Peter Conradi - Gott hab ihn selig - den großen Verhinderer...
    Oder liege ich da falsch ?

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (30. April 2016 um 13:00)

  • (Liebe) Leute, es gibt einen eigenen Strang zu den Innenräumen des Schlosses. sad:)
    Moderationshinweis (Aedificium): Danke, die Beiträge wurden in den Strang Innenräume des Schlosses verschoben.

    Trotz allem nochmals Bilder des Rücksprungs an der Lustgartenseite.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Am Apotekerfluegel sieht man sehr schoen, wie man im Gruenderstihl Haeuser umbaute.

    Der Neue Giebel wurde wie selbstverstaendlich im selben Stihl erbaut. Wuerde man das nur Heute auch so machen!

  • Treverer, ich kenn mich nicht aus, aber wird das nicht noch verfugt? Und die Übergänge werden auch noch vor Ort nachgearbeitet und angepaßt wie hier einige Seiten vorher schon zu lesen war.

  • Er stand schon einmal frei…


    Anbei noch ein paar weitere Abbildungen vom Apothenkflügel:

    01.
    Zeichnung von Otto Nagel – wohl aus dem Jahre 1934

    02.
    Luftbild

    03.
    Der direkte Vergleich macht die verstümmelnde Wirkung des Bundestagsbeschlusses mehr als deutlich.

    04.
    Das Modell des Renaissance-Schlosses im Dom-Museum beweist, daß der Apothekenflügel ursprünglich frei stehend war. Warum sollte das – übergangsweise – nicht wieder möglich sein ?

  • Treverer, ich kenn mich nicht aus, aber wird das nicht noch verfugt? Und die Übergänge werden auch noch vor Ort nachgearbeitet und angepaßt wie hier einige Seiten vorher schon zu lesen war.

    Dass noch Verfugt wird, ist mir durchaus klar. ;) Aber teils besonders dick geschichteter Mörtel ersetzt nicht wirklich sauber und gleichmäßig aneinandergereihte Steine. Mal sehen, was da noch gemacht wird...

  • Ohne und mit


    Anbei zwei Vergleichsbilder: Der Lustgarten einmal ohne und einmal mit Fassung. Die Linden einmal ohne und einmal mit Fluchtpunkt...


    Ohne:

    Mit:

    Nun, welcher Zustand wirkt urbaner ?

    Welcher wirkt innerstädtisch, welcher wirkt wie ein Blick auf die Peripherie ?

    ^^