Berliner Schloss - architektur- und kunstgeschichtliche Aspekte

  • Lieber Seinsheim,

    ich kann dir in allem nur zustimmen. Heute hätten nicht einmal mehr die prachtvollen Barockfassaden eine Chance. Klar ist auch, dass man nicht auf Ausstellungsfläche verzichten wollte und damit die mit der Dachlandlanschaft einhergehende Ensemblewirkung konterkariert hat. Es ist eben nicht nur Stellas hässliche Ostfassade (auch der ursprüngliche Entwurf einer Art Loggia mit offenen Treppenhäusern hätte keine Einheitlichkeit mit dem Rest des Baus geschaffen), sondern auch die vielen Kleinigkeiten (falsche Farbgebung an den Risaliten, die Verglasung des Esoanderportals, die Dachaufbauten für die Aufzüge, die Dachlandschaft an sich, die Verkürzung der Nordfassade durch Stellas zu wenig tief geratene Ostfassade, das gelante Schlossumfeld an sich,das Dachcafé, etc.), die sich gegen die barocken Fassaden stellen. Mein ästhetisches Empfinden kann das nicht ausblenden und deren Schönheit daher auch nicht wirklich genießen. Zu viele Kröten mussten geschluckt werden. Umso trauriger da ich mich bereits seit 1998 (da war ich 17 Jahre alt) für den Wiederaufbau engagiere und auch mehrere Schlossbausteine gestiftet habe. Meiner Meinung nach gibt es hier nichts zu beschönigen, auch wenn das Humboldtforum noch besser als alles andere ist, was hätte kommen können. Ich glaube auch nicht, dass zukünftige Generationen, das nochmal wiederherstellen, was jetzt verbockt wurde. Es ist einfach zu viel und zu teuer.

    Mich würde wie gesagt brennend interessieren, was Hannoveraner da von der Wippe gehört hat. Gibt es da noch Möglichkeiten? Denn wenn nicht, könnte ich mir das Schloss, inbesondere an der Westseite gar nicht mehr ansehen, weil es meinem Auge wehtun und mich noch trauriger machen würde ob unserer architektonisch hässlichen und unfähigen Zeit.

  • Lieber @Asgardion,
    ich kann, was Du sagst, sehr gut nachempfinden. Dass Du Dich schon mit 17 fürs Schloss begeistert hast, finde ich beeindruckend. Vielleicht darf ich Deine persönliche Mitteilung mit einer ebensolchen beantworten. Ich fand in der Bibliothek meines Vaters ein Buch "Deutscher Barock" aus der Reihe der "Blauen Bücher". Da gab es ein Bild des Schlüterhofs und eines des Eosanderportals. Beide Bilder haben mich auf Anhieb in ihren Bann gezogen, ich war damals acht Jahre alt. Ein anders Bild, das mich faszinierte, war die Silhoutte Dresdens mit der Frauenkirche. Später erfuhr ich dann, dass beide Bauten nicht mehr existieren und wohl nie mehr aufgebaut würden. Als es dann doch so weit war, konnte ich mich vor Freude kaum fassen. Und natürlich wird meine Freude durch die vielen Kompromisse und Einschränkungen, die beim Humboldt-Forum gemacht wurden, getrübt. Aber ich habe über die Jahrzehnte gelernt, Dinge zu kompensieren. Wenn ich in einem Museum einen antiken Torso sehe, genieße ich, das was übrig geblieben ist. Wenn eine Statue einen Arm verloren hat, versuche ich, sie vor dem geistigen Auge zu vervollständigen. Bei der kurtrierer Residenz ergänze ich im Geist den linken Flügel, der im 19. Jh. abgetragen wurde, bei der Würzburger Residenz imaginiere ich das Oegg'sche Ehrenhofgitter. In manchen romanischen Kirchen denke ich mir die klassizistische Kanzel fort usf. Und so gehe ich auch an das Schloss heran. Ich konzentriere mich auf das, was gelungen ist, freue mich daran, dass es das überhaupt gibt, und sehe über das andere hinweg. Ich denke, nur so kann man als Kunst- und Architekturliebhaber überhaupt überleben.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • In der wahren Kunst gibt es keine Kompromisse

    Keine Kompromisse - wahre Kunst! Das klingt sehr gut, und ist auch auf den ersten Blick überaus überzeugend.

    Bei genauerem Hinsehen aber sieht man, dass es halt nicht stimmt. Noch nie gestimmt hat. Selbst die großen Komponisten mussten Kompromisse eingehen mit dem Auftraggeber: Bach z.B. bei der Besetzung der Brandenburgischen Konzerte, Mozart mit den Missa brevis für Colloredo. Unzählige weitere Beispiele in allen Gattungen der Kunst ließen sich aufzählen, selbst in der Malerei, zumindest soweit sie - sehr lange Zeit - von Auftraggebern abhängig war.

    Der Aachener Dom z.B. ist eine Summe historischer Kompromisse.

    Selbst das Berliner Schloss besteht aus einer großen Summe von Kompromissen: durch Schlüters Scheitern beim Münzturm ist sein Gesamtkonzept nicht zu verwirklichen. Eosanders Westfassade führt zu einem gigantischen Kompromiss zum Schlüterschen Plan, auch die Nordfassade ist in sich ein genialer Kompromiss zwischen den beiden großen Baumeistern. Die Sparsamkeit des Soldatenkönigs führt zu dem Kompromiss Renaissance und Barock, die fehlende Parallelität zwischen Spree und Kupfergraben führte zu weiteren Kompromissen. Wünsche und Marotten einzelner Könige führten zu beträchtlichen Fassadenänderungen.

    Der Unterschied zu heute besteht in der Architektur ganz deutlich in der Qualität der Kompromisse.

    In der Tat fehlen heute meist die genialen Würfe, wenn es gilt, Schönheit und Notwendigkeit in Übereinstimmung zu bringen. Stella war auf ganz gutem Weg. Die Notwendigkeiten der Nutzung wie der Politik waren aber stärker. Dennoch ist sein Gesamtkonzept mit riesigen Abstrichen an der Ostfassade und im Schlüterhof akzeptabel. Die Tatsache, dass ich an dieser Stelle auch sagen könnte: noch besser als andere, zeigt in welcher Zeit wir leben. Aber auch da müssen wir zumindest für uns selbst Kompromisse eingehen.

    Ich bange seit meinem zehnten Lebensjahr um das Berliner Schloss und hoffe und warte - das sind jetzt achtundsechzig Jahre! Da wird man geduldig, da hat man gelernt, sich auch mit Wenigerem abzufinden, wenn auch oft mit geballten Fäusten und knirschenden Zähnen!

    Ich freue mich dennoch auf das Schloss, auch auf das mit Dach-Knick und Restaurant und Aufzugschächten und fleckigen Säulen, wie ich mich nur auf sehr wenig in meinem Leben gefreut habe!

    Ich lese gerade, was Seinsheim Dir, während ich geschrieben habe, geantwortet hat. Besser kann man es nicht sagen! Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass Du irgendwann, vielleicht sogar bald, doch noch Freude an dem endlich Wiedergewonnenen finden kannst.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

  • Lieber Seinsheim, lieber Bentele,

    ich verstehe, was ihr mir sagen wollt. Und natürlich war das Berliner Schloss auch für dem Krieg ein Kompromis, wenn auch ein sehr viel besserer als das jetzige Humboldtforum.
    Im Übrigen gibt es natürlich auch genügend Bespiele für kompromisslose Kunst. Man denke an Bachs Kunst der Fuge oder Beethovens Musik.

    Ich versuche mir auch, das Humboldtforum, so wie es sich jetzt zeigt, schönzurden und nur das Schöne daran zu sehen. Jedoch ist es dennoch zu viel, was mich stört. Das sieht aber jeder anders. Glücklich die, die das vermögen.

  • Das Humboldtforum in Zeiten des Rückbaus der Humboldtbox, was durchaus noch den ganzen Monat andauern dürfte.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Weshalb ist das Balkongitter am Portal IV eigentlich nur an so wenigen Ornamenten vergoldet? Auf alten Photographien scheint diese Brüstung vollständig vergoldet zu sein - und offenbar hat sich nicht einmal die DDR lumpen lassen, indem sie weit mehr Blattgold zum Einsatz brachte, als sie das weitgehend kopierte "Liebknecht-Portal" in die Fassade ihres ehemaligen Staatsratsgebäudes einbaute. Ist die jetzige Variante möglicherweise ein Rückgriff auf einen Zustand vor Willi zwo?

  • Zumindest das obere Gitter am Staatsratsgebäude ist,reine Phantasie. In der Tat hätte man sich aber fragen können, ob z. B. nicht auch die Rosetten in der Bogenlaibung oder die Helme hätte verzieren können. Ursprünglich hatte der Fördervein ja auch an vergoldete Kapitelle gedacht. Aber wo anfangen, wo aufhören? Etwas mehr Gold hätte mir auch gefallen.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • In der Tat ist weicht die Gestaltung des oberen Gitters beim Staatsratsgebäude sowohl von dem in der ersten Etage darunter als auch vom Gitter am Schloss-Portal IV völlig ab - ich muss zugeben, dass mir das bisher noch nie aufgefallen war. Aber das untere Gitter am Liebknecht-Portal des Staatsratsgebäudes scheint mir dasselbe Muster zu zeigen wie beim Schloss.
    Wie man aber zum Beispiel auf dem um 1900 entstandenen Messbild unter

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/2…C3%A4ndiger.jpg

    sehr gut erkennen kann, war zumindest zu dieser Zeit das gesamte Gitter vergoldet. Ob und inwieweit die Sandsteinkapitelle der Fassade jemals Vergoldungen aufwiesen, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich habe davon jedenfalls auf keinem historischen Bild irgendetwas erkennen können.
    Nun muss ja die rekonstruierte Preußenresidenz auch nicht vom Golde glänzen, als ob sie ein Zarenpalast wäre, aber die Frage, ob die jetzige Form der Vergoldung einem historisch belegten Zustand entspricht oder ob sie ein Zugeständnis an die im öffentlichen Raum heute sonst kaum gepflegte neue Bescheidenheit ist, würde mich schon interessieren.

  • Am Montag sind vier kolossale Schlüterskulpturen vom Bode-Museum zum Schloss zurückgekehrt. Sie werden im zukünftigen Skulpturensaal des Humboldt-Forums präsentiert. An ihren ursprünglichen Orten am Portal VI werden originalgetreue Kopien aufgestellt.

    Artikel der Berliner Zeitung: https://www.berliner-zeitung.de/berlin/goetter…andort-32024500

    Pressemitteilung der Stiftung Humboldt-Forum: https://humboldtforum.com/de/storys/apol…nd-co-ziehen-um

    Es wäre sehr schön, wenn das Landesdenkmalamt auch bei den Rossebändigern, dem Neptunbrunnen und dem Kurfürstendenkmal über seinen Schatten springen würde!

  • Dieser Skulpturensaal wird wohl der einzige Grund für mich sein, das Schloss von innen zu besichtigen. Wenn man so etwas (begrüßenswertes) in den Schlossräumen einbaut, wäre ein nächster Schritt, die Skulpturen aus der abgelegenen Spandauer Zitadelle (u.a. jene der Siegesallee) künftig ins Schloss zu bringen und dort zu zeigen. In diesem Riesenklotz wird es doch sicher noch genug freie Räume haben, um dies präsentieren zu können.

    Den Herkules skizzierte ich 2017 spontan im Bode-Museum. Aus dieser Perspektive wohl bald nicht mehr zu sehen, aber dennoch gehört er ins Schloss.

    (Mein eigentlicher Wunsch wäre ja, die gesamte Gemäldegalerie ins Schloss zu überführen, aber da das nicht geht, kann man auch kleinere Projekte lancieren)

    4 Mal editiert, zuletzt von East_Clintwood (12. Februar 2019 um 23:14)

  • Kleine Anekdote: Als ich gestern mit dem Taxi am Schloss vorbei fuhr fragte ich den Fahrer, was er vom neuen Schloss hält. Er war sehr beeindruckt, auch als er zur Ostfassade blickte. Nach einem kurzen Wortwechsel stellte sich heraus, dass er die Spreeseite immer nur beiläuflich wahr nahm und für eine Art Verhüllung hielt, worunter noch die alte Fassade erbaut wird.

    Sichtlich enttäuscht fuhren wir weiter. Er mehr als ich, weil ihm das vorher nicht bewusst war.

  • Ich vermute, dass ein wirklicher Rückbau eher unwahrscheinlich ist, weil wie @tachMarkus bereits andeutete, das Betonskelett des Ostbaus ja direkt mit dem Schlüterhof verbunden ist. Es ist eben nicht ein Backsteinbau, an dem man -relativ einfach- noch modellieren, anbauen und erweitern kann (etwas, wovon ja die Geschichte des Schlosses auch lebte und sie auszeichnet). „Feinkosmetisch“ kann man sicherlich noch was machen, aber einen kompletten Abriss und in der Folge den Aufbau der alten Strukturen, halte ich nicht für realistisch: da hängt einfach -wortwörtlich- zu viel dran.

  • Vielen Dank für die Bilder, @Mantikor. Ja, es ist wirklich erstaunlich, was einige Zierelemente wie die Gitter ausmachen. Das wird sich dann wohl auch an der Südseite zeigen. Und der Abbau der Humboldt-Box motiviert auch wieder, täglich auf die Webcam zu sehen.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Die nur partiell vergoldeten Gitter gefallen mir sehr gut. Ist auch irgendwie logisch, Lanzenspitzen und Pfeilflügel sind vergoldet weil in Natura auch aus anderen Material.