Berliner Schloss - architektur- und kunstgeschichtliche Aspekte

  • Es wird, es wird.
    Wie ist das eigentlich mit der Kuppel, kommt die auch, oder muß dafür erst noch gesammelt werden?
    So richtig ist Schloß doch nur mit Kuppel.

    Und traurig bin ich über die Ostseite.
    Die vorbarocke Originalostseite fand ich ja nicht so doll, aber die neue so völlig kahl-modernistische finde ich sehr enttäuschend, weil damit das Schloß wieder nach Osten den Hintern rausstreckt.
    Ich finde, man hätte dort eine neue Fassade im Barockstil entwerfen und ausführen sollen, so daß es auch von der Ostseite nach Schloß aussieht.

    Und was ist mit dem Schlüterhof und anderen Inneneinbauten? Stehen die schon?

  • Und was ist mit dem Schlüterhof und anderen Inneneinbauten? Stehen die schon?

    Der Link am Ende von SchortschiBähr's Beiträgen gibt u.a. Auskunft darüber. :wink:

    Die Kuppel wird von einem anonymen Großspender finanziert, genau wie das Kuppelkreuz und das Eckrondell. Es fehlt nur die Kuppellaterne. Die Ostseite war übrigens ein Rest des Renaissance-Vorgängerbaus und nicht vorbarock.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Obwohl es hier schon ausgiebig hin und her gewälzt wurde, muss ich doch aufgrund des voran gegangenen Beitrages nochmal meine Meinung zum Thema Ostseite anbringen.
    Ich habe ja den Diskussionsverlauf, gerade auch den politischen, verfolgt und kenne die Entstehung der Entscheidung und weiß eben auch, dass viele Kompromisse nötig waren, um Zustimmung zu dem Erreichten zu bekommen.
    Trotzdem finde ich den Verzicht auf die Ostseite sehr traurig, weil gerade diese überhaupt die historische Bedeutung des Schlosses begründet, gerade mit all seinen unterschiedlichen Zeitschichten. Es ist ein Spiegel, eine Dokumentation der Berliner Geschichte und der Kern dieses Schlosses.
    Die Konzentration auf die Barockseiten (mal das Wissen um die Genese außen vor gelassen) wird dem Schloss in seiner Historie nicht gerecht und lässt es leider fast zu einer Kulisse herabfallen, unterstützt durch den Verzicht auf Innenrekonstruktionen und die Nutzungsänderung der Kuppel gegenüber der Originalnutzung.

    Als "deutscher Kaisersitz" taugt es meines Erachtens eh nicht, da die eigentlich Kaiserstellung mit dem eigentlichen, wenn auch nie wirklich erreichten Universalanspruch, die des ersten Reiches war und die des zweiten Reiches nur der etwas klägliche Versuch, an die Bedeutung des ersten anzuknüpfen. In dieser Zeit wurde jedoch dann der Titel inflationär von jedem beansprucht und dann auch einfach installiert, was alle Kaisertitel nach 1806 entwertete (Kaiser von Indien für die englischen Könige, Napoleon, wobei dieser eben sich wirklich auch als Nachfolger von Karl installieren wollte, also mit dem europäischen Universalanspruch). Die Kaiserkrone war zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr als ein noch bunterer Orden für einen König, den man noch königlicher machen wollte.
    Wenn man einen Schritt weiter geht, war, wie schon geschrieben, dieser Anspruch auch nur bedingt schon beim ersten Reich erreicht wurde. Erstens durch die Beschränkung auf das ostfränkische Reich, also nicht mal ganz West-Europa diesen Status respektiert haben, zweites durch den byzantinischen Kaiser, der sich als wahren Erben der römischen Kaiser sah (und alles weitere mit Kirchenspaltung etc, etc.). Und wenn wir dann sogar noch zum Äußersten der Respektlosigkeit aufsteigen, erkennen wir, dass der lateinische Name Caesar (im alten Latein C wie K ausgesprochen) eben nichts weiter als ein Nachname war.
    "...so trugen sie ihm als höchste Würde die Müllerkrone an. Und er sicherte durch seine Weisheit und Umsicht den Frieden im ganzen Müllerreich."

    Meines Erachtens kann somit das Schloss in seiner Bedeutung nur bedingt national begründet werden, viel wichtiger ist die Bedeutung für die Stadt selbst und die funktioniert eigentlich nur richtig mit der Ostseite (dafür ist es dann aber eigentlich zu teuer gewesen... wobei die Berliner ja ganz gern kommunale Interessen mit einer ausgeprägten Selbstüberschätzung durch den Länderfinanzausgleich von allen anderen bezahlen lassen). Ich würde sogar sagen, dass die Ostseite entsprechend die Wichtigste ist.

    Eine künstliche vierte Barockseite über die gesamte Länge würde dann das Ganze dementsprechend lächerlich machen und eine oft vorgeworfene romantische Verklärung auf Kindergartenniveau seitens der Befürworter bestätigen. Wenigstens bis zur Kapelle, inklusive, hätte man es führen müssen (Kollhoff-Entwurf?) um hier zumindest die gotische Grundsteinlegung mit einzubeziehen. Dann hätte man auch den besseren Übergang an eine damals schon vorhandenen "Epochen-Fuge". Und gerade im Osten gibt es hervorragende Handwerker und auch Fortbildungseinrichtungen, die auch das Kapellengewölbe originalgetreu wieder hätten herstellen können. Das wäre große Baukunst gewesen.

    Die Feder ist mächtiger als das Schwert...wenn das Schwert sehr stumpf ist und die Feder sehr spitz!

    -Terry Pratchett

  • Als "deutscher Kaisersitz" taugt es meines Erachtens eh nicht, da die eigentlich Kaiserstellung mit dem eigentlichen, wenn auch nie wirklich erreichten Universalanspruch, die des ersten Reiches war und die des zweiten Reiches nur der etwas klägliche Versuch, an die Bedeutung des ersten anzuknüpfen. In dieser Zeit wurde jedoch dann der Titel inflationär von jedem beansprucht und dann auch einfach installiert, was alle Kaisertitel nach 1806 entwertete (

    Zunächst einmal war zu keinem Zeitpunkt davon die Rede, daß das neu erbeute Stadtschloß zum "Kaisersitz taugen" müsse.
    Davon abgesehen wurde zuächst nicht der Titel des Kaisers nach 1806 inflationär genutzt, sondern der des Königs. Die Herrscher des Heiligen Römischen Reiches waren deutsche Könige mit dem Anspruch auf den Titel des römischen Kaisers, also des weltlichen Oberhauptes der Christenheit.
    Spätestens seit der Gründung des Rheinbundes und der Erhebung von Bayern, Würtemberg und Westphalen zu Königreichen durch Napoleon wurde der Titel des deutschen Königs entwertet. Daher war es nicht verwunderlich, daß man 1871 aufgrund der bestehenden Privilegien Bayerns und Würtembergs dem neuen deutschen Staatsoberhaupt einen Kaisertitel geben musste. Die Alternative, nämlich die Monarchen mit Königstiteln wieder zu Herzögen herabzustufen, war natürlich nicht mehr problemlos durchführbar und hätte die Einheit scheitern lassen.

    Ansonsten stimmt es natürlich, daß die meisten hier die Ostseite auch gerne rekonstruiert gesehen hätten. Der Fehler lag wahrscheinlich schon in der Anfangsdebatte zum Schloß nach der Fassadeninstallation 1992. Es macht nur leider keinen Sinn, kurz vor Fertigstellung des Bauwerks dieses Faß wieder aufzumachen. Jetzt müssen wir erstmal damit klarkommen und angesichts der Einstellung vieler Deutscher sind die erreichten Rekos in Berlin und Potsdam tatsächlich wie ein Wunder.

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

    Einmal editiert, zuletzt von Der Münchner (27. September 2016 um 13:16)

  • Nun die Bedeutung der Ostseite ist ja bekannt. Inwiefern es nicht "Kaisersitz" war, b.z.w. als solches nicht taugt, erschließt sich mir jetzt nicht. Es war Hauptregierungssitz der preußischen Könige, der Hohenzollern, welche von 1871-1918 den deutschen Kaiser stellten. Natürlich ist diese Zeit zu kurz, um es darauf zu zentrieren, was ja auch keiner will und tut. Der Hauptschwerpunkt liegt sehr wohl auch in der heutigen Debatte auf der kurfürstlichen (Renaissancebau) und königlichen (Barockbau) Zeit Preußens.

    PS: Den Titel "Kaiser" hat derjenige, der über den Königen steht, also die feudale Rangordnung. Die Romantisierung und Überhöhung des Titels, zum übermenschlichen und universal Allmächtigen, setzt sich immer noch über die wahre, nüchterne Bedeutung hinweg. Selbstverständlich wollte man an das erste Reich anschließen, aber der Titel "Kaiser" ist kein direktes Ergebnis dieses Gedankens. Ein preußischer König stand auch noch nach der Deutschen Einigung auf Höhe des bayrischen, sächsischen u.s.w. Königs. Nur ein deutscher Kaiser war Herrscher über allen deutschen Königen, so wie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation auch.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

    Einmal editiert, zuletzt von Fusajiro (27. September 2016 um 14:39)

  • Da ich im Architekturforum die "Geschichtsstunde" nicht ausweiten möchte; nur zwei kurze Hinweise:

    Das Schloß wurde vor 1918 immer nur als königliches Schloß bezeichnet, z. B. auf Postkarten, Stadtplänen usw., auch wenn seit 1871 ein Kaiser darin residierte.Es repräsentierte das preußische Königtum, nichts weiter.

    Der Deutsche Kaiser ab 1871 war auch mit diesem Titel nie Herrscher über die anderen deutschen Fürsten sondern primus inter pares. Die Reichsverfassung war eigentlich ein Klub gleichwertiger Fürsten ("Der König von Preußen .... alle weiteren aufgezählt... bilden einen Bund mit Namen Deutsches Reich.") Eine Art lehnsrechtliches Verhältnis wie im alten Reich vor 1806 war nicht der Fall. Der Kaiser war protokollarisch so etwas wie der Vorsitzende eines Fürstenclubs.
    De facto gab ihm die Reichsverfassung allerdings doch weitgehende exekutive Befugnisse über das ganze Reich, besondes die Außenvertretung betreffend.

  • "Ich würde sogar sagen, dass die Ostseite entsprechend die Wichtigste ist." (Kardinal)

    Zunächst richtig: Die Ostseite gab dem Schloss wie die beiden Hauptkirchen und das Kloster der Stadt die historische Tiefe. Insofern hätte auch ich sie für unverzichtbar gehalten - leider dahin!

    Die barocken Seiten samt dem Schlüterhof sind aber außer dem Schlingengewölbe der Erasmuskapelle die künstlerisch wichtigsten des Schlosses, sie heben das Schloss hoch zu seiner Weltbedeutung. Insofern können wir uns dennoch jeden Tag mehr freuen auf das, was sich da langsam vor unseren Augen meisterhaft vollendet.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    Einmal editiert, zuletzt von Bentele (27. September 2016 um 16:15)

  • Nur das man mich jetzt nicht falsch versteht... ich wollte dem Vorgreifen, dass sich der eine oder andere vielleicht z.B. mit einer Forderung nach einer zusätzlichen, niemals existenten Barockfassade (gab ja auch Wettbewerbsbeiträge mit dieser Idee) in romantisierende Nesseln setzt, die dann begleitet und im Unterbewusstsein begründet werden von Vorstellungen oder Interpretationen über eine Bedeutung des Schlosses, die es so nie gab.
    Die meisten der genannten geschichtlichen Details sind mir ja durchaus bekannt und widersprechen auch nicht meiner Argumentation im Hinblick auf das "Einbremsen" des ein oder anderen Enthusiasmus, der über das Ziel hinaus zu schießen droht. Es ist ja eine politisierte Diskussion und da ist die rein ästhetische subjektive Beurteilung der "vorbarocken" Ostfassade nicht das Kriterium. Aber auch das bitte nicht als Einzelkritik an einem Beitrag verstehen, sondern nur als allgemeinen präventiven Hinweis.

    Die Feder ist mächtiger als das Schwert...wenn das Schwert sehr stumpf ist und die Feder sehr spitz!

    -Terry Pratchett

  • Die großartige Stadtschloss-Videoanimation des Fördervereins ist nun in einer leicht bearbeiteten Version online:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Einfach phantastisch !! :harfe:

  • Nur ein deutscher Kaiser war Herrscher über allen deutschen Königen, so wie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation auch.

    Der Deutsche Kaiser ab 1871 war auch mit diesem Titel nie Herrscher über die anderen deutschen Fürsten sondern primus inter pares.


    Beides stimmt. Der Kaisertitel war sinnvoll, um nach außen ein geeintes Deutschland, mit handlungsfähigem Kaiser darzustellen und das "primus inter pares" war die Beruhigungspille für die anderen Herrscher im Reich. Um den Schein der Gleichheit zu wahren, war das kaiserliche Schloss offiziell ein königliches Schloss.

    98% of everything that is built and designed today is pure shit. There's no sense of design, no respect for humanity or for anything else. Frank Gehry

  • Ich weiß nicht, wieso man da soviel hineingeheimnißt, ich sehe das alles sehr viel banaler.

    Eine neobarocke Ostfassade wäre ein völliger Neubau, also vollkommen ahistorisch. Ihre Rechtfertigung hätte sie mMn ausschließlich aus dem Wunsch, auch nach der Hinterseite einen passenden Abschluß zu bilden, denn Neobarock (also den Barock gleich ganz rundrum ziehen, nachdem schon 3 Fassaden historisch Barock sind) paßt einfach besser zu den anderen 3 Fassaden als "modern glatt Kästchen".
    Also rein aus ästhetischen Gründen, damit man auch von der Hinterseite einen netten Anblick hat und das Schloß als solches erkennt und nicht meint, es wäre das Hinterhaus irgendeines Hotel oder Verwaltungsgebäudes.

    Ansonsten hat man es jetzt schon so gebaut, daß die alten Teile aus Gotik und Renaissance (ist "Vorbarock" ein feststehender Begriff für eine bestimmte Stilart, oder warum kann man nicht die Stile, die vor dem Barock üblich waren, als "vorbarock" bezeichnen?) völlig außer Acht gelassen wurden und dort Sanitär und Archiv und andere Nutzräume hinkommen mit völlig neuen Abmessungen und Formen.
    Ich denke, dieser Kompromiß hat seinen Sinn einfach in der Ermöglichung einer heute angemessenen Nutzung; ich erinnere nur daran, daß bereits um 1900 das echte Schloß wohl schon nicht mehr bewohnt und mehr Abstellkammer als Museum war. Es gab dort u.a. kein fließend warmes Wasser, und mit Heizung war es auch nicht weit her. Dadurch ist quasi der einstmals älteste Teil nun der neuste Teil.
    So weit, so gut, oder auch nicht gut, jedenfalls mit Gründen so entschieden.
    Was ich aber nicht einsehe, ist dieses aufdringliche Absetzen der Fassade, und die dadurch erfolgende übermäßige Betonung, daß das ein neuer Teil ist. Ich kann diesen Hang zum künstlichen Bruch nicht leiden, das ist doch das modische Äquivalent zur Pfaueninsel-Pappmachéruine.
    In den Abmessungen ist der neue Teil doch auch quasi eine Ergänzung des Barockentwurfs, meiner Meinung nach hätte man in der damaligen Zeit, wäre z.B. der alte Teil des Schlosses gerade abgebrannt gewesen, ohne mit der Wimper zu zucken auch dort eine Barockfassade hingesetzt. Daß man es nicht getan hat, lag daran, daß der alte Teil noch stand. Aber nun steht er eben nicht mehr, und wenn man sich schon zu einem Neubau mit verändertem Hinterteil entschlossen hat, das in den Proportionen den 3 Barockteilen entspricht, dann sollte man doch bitteschön Nägel mit Köpfen machen und dafür halt eine Barockfassade entwerfen, und nicht "Kästchen weiß", als wolle man eine Seite "auf ewig unfertig" lassen.
    Mich stört diese Disharmonie enorm.

    Ja, ich weiß, da geheimnißt man wieder "die Markierung verlorener Teile" herein.
    Die Teile sind aber sowieso verloren, der ganze Bau ist Reko und nicht original. Da braucht man mE nicht extra mit größtmöglichem Aplomb betonen, daß man teilweise vom alten Plan abgewichen ist, denn sobald man in das Gebäude reinkommt, merkt man das sowieso.
    Ich finde das so wichtigtuerisch und gegenüber dem Geist des Gebäudes (auch das alte original Stadtschloß war mal ein bewußter Neubau, für den bestimmt ein paar ältere Gebäude abgerissen worden sind) ignorant, KEINE ergänzende Barockfassade anzubauen.
    Das meiste ist Barock und wurde bewußt barock weitergeführt, also soll man dabei doch bleiben, wenn man es weiterbaut. Einfach den Faden der Baugeschichte aufnehmen und ergänzen, ist, was man mMn tun sollte, und nicht "den Hinterhof des 21. Jhdts." ausstellen.

    Ich glaube auch nicht, daß man im Anschluß an die hintere Schloßfassade noch gotische oder Renaissancegebäude rekonstruieren wird, insofern sehe ich da jetzt auch nicht, wieso man dort unbedingt so alte Gebäude bräuchte.
    Das alte Rathaus liegt auch unter dem Pflaster des Rathausplatzes, und es wird aller Wahrscheinlichkeit nicht neu erstehen, einfach weil der Platz jetzt anders aufgeteilt ist.
    In der Archäologie hat man immer die verschiedenen Stadtschichten übereinander.
    Nach der Katastrophe wird neu gebaut. Manche als ehrwürdig empfundenen Gebäude kommen wieder an ihren Platz, manche Straßen werden verändert und völlig anders bebaut. Das ist normal.
    Aber normal ist auch, die neuen Gebäude "als Ganzes" wieder hinzustellen und nicht "als Halbes" oder "als Dreiviertel". Letzteres ist doch dekadente Geschmäckleritis mit Entscheidungsschwäche.

    Der Platz hinter dem Schloß ist jetzt auch sehr anders als ehedem, und darauf muß man eben mit Neuentwurf reagieren. Und wenn man ein Gebäude will, um das man herumgehen kann - was der Fall sein wird und viele tun werden - dann bitte auch 1 Gebäude "aus einem Guß", wenn man sich entschieden hat, die vorher vorhandenen verschiedenen Bauphasen zum Zweck besserer Nutzung zu eliminieren.

  • @ Loggia, die Idee die Spreeseite barock zu ergänzen geht ja eigentlich schon auf Schlüter zurück, der das gesamte alte Schloß abreissen wollte und einen barocken Neubau vorgeschlagen hatte. Allein sein Fürst wollte das nicht, wohl aus Gründen der Achtung vor dem Altbau seiner Ahnen und wegen der historischen Kontinuität!? Auf den alten Fotos sehen wir ja die Schlüter'sche Ostfassade, wie sie nach dem Eckrondell schon mehrere Achsen bis zum Turm der Erasmuskapelle steht. So wäre es weiter zu visualisieren, ein um 2-3 Achsen hervortretender Baukörper, der den alten Turm barock verkleidet aufnimmt und sich nach Norden um mehrere Achsen fortsetzt, um vielleicht auf der anderen Seite auch ein Eckrondell auszubilden!?

    Im Prinzip hätte man die Planung Schlüters auf der Ostseite umsetzen können. Das wäre noch im Sinne des Altmeisters konsequent gewesen. ein architektonisches Konzept des Barock wird über 300 Jahre später erst gebaut. Kein Neobarock wäre das. Die Rekonstruktion einer alten Bauidee. Weshalb? Um ein Gebäude aus einem Guß zu bauen (zumindest äußerlich), wie Loggia fordert!
    Gibt es noch Aufrisse der Ostseite außer den alten, hier gezeigten Stichen!?


    So hat man sich das 1942 im Film mit Heinrich George als Andreas Schlüter vorgestellt, jenes Planungsgespräch mit Friedrich III.. Nun als kleine historische Fantasiehilfe! ;)
    Unten ein Vorbild aus Paris!

    2 Mal editiert, zuletzt von SchortschiBähr (27. September 2016 um 21:56)

  • der ganze Bau ist Reko und nicht original. Da braucht man mE nicht extra mit größtmöglichem Aplomb betonen, daß man teilweise vom alten Plan abgewichen ist, denn sobald man in das Gebäude reinkommt, merkt man das sowieso.
    Ich finde das so wichtigtuerisch und gegenüber dem Geist des Gebäudes (auch das alte original Stadtschloß war mal ein bewußter Neubau, für den bestimmt ein paar ältere Gebäude abgerissen worden sind) ignorant, KEINE ergänzende Barockfassade anzubauen.
    Das meiste ist Barock und wurde bewußt barock weitergeführt, also soll man dabei doch bleiben, wenn man es weiterbaut. Einfach den Faden der Baugeschichte aufnehmen und ergänzen, ist, was man mMn tun sollte, und nicht "den Hinterhof des 21. Jhdts." ausstellen.

    Ja, der Bau des Schlosses ist Rekonstruktion und nicht original:Aber er folgt an jeder Stelle, an der rekonstruiert wird, dem Original! Denn das ist das Wesen einer Rekonstruktion: Sie darf niemals etwas Eigenes erfinden, ohne die Bezeichnung Rekonstruktion zu verlieren. Das Neobarock war im Übrigen keineswegs "barock", sondern ein eigener Baustil des 19. Jahrhunderts, der mit großer gestalterischer Kraft barocke Elemente verwendet hat. Würde man für den Ostflügel einen barocken Bauteil erfinden, so stünde der in einem seltsam dissonanten Bezug zum rekonstruierten Teil des Schlosses: Wir müssten tatsächlich von einer Fälschung reden, weil der neue barocke Teil vom Betrachter unaufhaltsam zu dem Teil des Schlosses gerechnet würde, der dem zerstörten Original folgt, also in jeder formalen Einzelheit wirklich barock ist. Der neu erfundene "barocke" Teil des Schlosses, in diesem Fall der Spreeflügel, würde ständig behaupten, ebenfalls barock zu sein. Er wäre aber weder barock, noch eine Rekonstruktion - sondern eine Täuschung. Hier können auch ästhetische Argumente keine Abhilfe schaffen, da man den Betrachter niemals täuschen darf.

    Wir sollten einfach das, was Andreas vor einiger Zeit zum Ostflügel und zur Verlässlichkeit geschrieben hat, akzeptieren, so schwer uns das auch ankommt.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

  • Nur das man mich jetzt nicht falsch versteht... ich wollte dem Vorgreifen, dass sich der eine oder andere vielleicht z.B. mit einer Forderung nach einer zusätzlichen, niemals existenten Barockfassade (gab ja auch Wettbewerbsbeiträge mit dieser Idee) in romantisierende Nesseln setzt, die dann begleitet und im Unterbewusstsein begründet werden von Vorstellungen oder Interpretationen über eine Bedeutung des Schlosses, die es so nie gab.

    Wobei ich nicht ganz nachvollziehen kann, inwiefern eine vierte Barockfassade das Schloß zu einem Kaiserschloß erheben würde. Eine vollkommene Barockisierung damals wäre durchaus im Bereich des realistischen gewesen, ja sogar mit Münzturm und manchem mehr, ganz ohne Kaiserschloß zu sein. Selbst die späteren (nicht vollendeten) Umbauten Wilhem II. dem man ja so manchen "Kaiserkomplex" anlasten kann, bewegen sich absolut im Rahmen der großen europäischen Königsschlösser. DIe Gefahr einer Übersteigerung sehe ich durch eine vierte Barockfassade nicht, eher noch könnten durch die jetzige moderne Stella-Fassade amerikanische Touristen auf die Idee kommen, Hitler hätte in dem Schloß residiert und Speer hätte ihm einen "schönen Anbau" gebaut.

    Das Problem mit einer ernsthaften Rekonstruktion der alten Ostfassade sehe ich hauptsächlich darin, daß die historische Bedeutung die kunsthistorische Bedeutung jenes Teiles doch bei weitem übersteigt. Und wie will man die historische Tiefe eines Gebäudes rekonstruieren? Vollständig geht das nie, das ist immer etwas müßiges, hypothetisches, oft unbefriedigendes und niemals vollständiges. Wenn es ein Haus "aus einem Guß" wäre, was nur wenige und genau nachvollziehbare Änderungen erlebt hat, sieht die Sache ganz anders aus´; da sind dann archäologisch-experimentelle Rekonstruktionen möglich (mit sehr viel Aufwand, mit Originalmaterialien und geschickten Umgang mit Baugesetzen). Aber bei so vielen historischen, oft verborgenen Schichten, gerade beim alten Teil des Schlosses (als sei das beim Schlüter- und Götheteil nicht schon komplex genug) stelle ich es mir doch eher unbefriedigend vor. Mann kann dann einen Zustand herstellen, einen Zustand, an dem es dann nichts zu untersuchen gibt (schlägt man den Putz ab, hat man dann eine Beton- oder bestenfalls eine glatt gemauerte Ziegelwand, aber nie würde man mal eine vermauerte Fenster- oder Türöffnung, nie verborgene Farbschichten, nie irgendetwas von historischer Tiefe als das offensichtliche finden können. Drum ist das beste was man erreichen könnte auch nur ein schönes Idealbild, nett und pitoresk drappiert und man kann sich sogar anmaßen historisch korrekt gebaut zu haben, aber das ganze ist dann nur ein nebeneinander von rekonstruierten Stilen wie man sie wo anders besser und vorallem original gesehen hat. Das soll kein Plädoyer gegen eine rekonstruierte Ostfassade sein, das ganze kann wirklich nett werden und auf weitere historische, historisch bedeutende Schichten des Schlosses hinweisen, aber man darf das dann ebensowenig wie das Schloß zum Kaiserschloß diese Rekonstruktionen zur Essenz historischer Tiefe erhöhen.

    Noch weniger als gegen die Versuche historische Tiefe zu rekonstruieren möchte ich freilich gegen die Rekonstruktion kunstgeschichtlich Bedeutender Fassaden und Räumlichkeiten sein, auf keinen Fall! Ich finde, das gut ausgeführte Rekonstruktionen kunstgeschichtlich fast vollwertige Substituate des verlorengegangenen sein können (wohlgemerkt für die Kunst, nicht für das Denkmal im ganzen mit seiner historischen Dimension). Die Kunstgeschichte hat heute wieder die Frauenkirche, die sie 45 verloren hat. Die Kunstgeschichte wird auch in wenigen Jahren die Barockfassaden des Schlosses wiederhaben, die damals verloren gingen. Da finde ich es dann müßig und unzutreffend das ganze als "bloße Kopie" zu diskreditieren. Es ist viel mehr, es ist das Wiederholen und die Wiederauferstehung großartiger Ideen, ähnlich wie die Aufführung einer großen Symphonie, da sagt ja auch niemand, das sei eine Beethoven- oder Bruckner-Kopie obwohl dort genauso wie bei der Architekturrekonstruktion Hypothese, Interpreation und Fantasie eine Rolle spielen. Aus dieser großen auferstandenen Idee, die dann präsent im Raume steht, da wird dann der Wind einer Metaphysik des Zeitgeistes lang vergangener Epochen wehen, wird auch eine Idee historischer Tiefe transportiert, je besser die Rekonstruktion dieser Idee, desto authentischer wird sie wirken. Der Geist des Schlüter-Göthe-Schlosses erscheint da viel eindeutiger und überzeugender zu rekonstruieren als der des alten Spreeflügels, dessen optische Wirkung sich vorallem auf eine pitoreske, verträumte Stimmung mit efeuumrankten alten Wänden stützt. Bei einer Rekonstruktion der Spreeseite hätte ich auch ein wenig Sorge, das etwas enstünde, das mit dem alten Schloß soviel zu hat, wie Schloß Neuschwanstein mit dem Mittelalter. Gleichwohl immer noch das kleinere Übel als das Stella-Monstrum. Es wäre wohl "ganz nett", nicht mehr und nicht weniger. Kein Disneyland aber auch kein Urquell historischer Tiefe.

    4 Mal editiert, zuletzt von Kaoru (28. September 2016 um 07:45)

  • Hier können auch ästhetische Argumente keine Abhilfe schaffen, da man den Betrachter niemals täuschen darf.

    Warum eigentlich nicht? Das ist eine recht neue Einstellung, hat im 19. Jahrhundert niemanden gejuckt und davor eigentlich auch nicht. So kann man auch gegenständliche Malerei verurteilen, verleitet sie doch den Betrachter dazu aus Farbklecksen Menschen oder gar Emotionen nicht nur zu erkennen sondern als fast wirklich wahrzunehmen.

    Das Argument, man dürfe den Betrachter niemals täuschen, unterschätzt regelmäßig diejenigen, die sich wirklich mit der Materie auseinandersetzen wollen und überschätzt die, die ohnehin nicht mehr als die Lust am Gucken haben. So wird es ein leichtes sein,für einen kunstgeschichtlich interessierten Menschen in Erfahrung zu bringen, daß die barocke Spreefassade (im besten Fall) nur der hypothetische Versuch ist, das wiederaufgebaute Schloß barock zu vollenden. Ein flüchtiger Tourist hingegen, nimmt (vorallem in 20-30 Jahren) ohne wenn und aber an, daß das das Schloß ist und daß das da schon immer gestanden hat (denkt er weiter) vielleicht ausgebrannt war und es deswegen kein schönes Innneleben mehr hat und man könnte die Täuschung noch so eindringlich aufmerksam machen, es wäre ihm gleich, weil das Schloß auch als Rekonstruktion als Teil des historischen Berlins funktionieren wird.

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (28. September 2016 um 00:35)

  • Bentele: Ich denke da einfach viel banaler.
    Für mich ist auch eine Rekonstruktion eine Täuschung, weil nicht aus der Zeit stammend, von der ihr Stil stammt.
    Und weil sie, wie Kaoru richtig anführt, nie wie das Original nach alten Resten von Vorgängerversionen abgesucht werden kann. Ich halte dieses dichotomische Betonen von "rekonstruiertem Teil" vs. "verändert gebautem Teil" für ein Artifakt, für eine Mode ("Brüche" herbeiführen, wo man keine braucht), und zwar eine überlebte.
    Ich stelle mir einfach vor, da kommt ein Spaziergänger vorbei und weiß nichts von diesem Gebäude. Vielleicht geht er nur außen rum, nimmt es zur Kenntnis, und findet es, nun ja, barock. Sobald er rein geht, wird er feststellen: hm, da ist aber viel modern drin. Und er wird sicher irgendwo eine Tafel, einen Zettel, ein Buch finden, die ihm dann alles erklären, auch daß die Rückseite anders überbaut worden ist, als sie war.
    Ich finde, das reicht völlig aus als "Rechtfertigung".
    SchortschiBär hat es dankenswerterweise schön illustriert, was ich mit "im Geist des barocken Umbaus weiterbauen" meine. Der damalige Entschluß der Bauherren war, die alten Teile stehenzulassen. Ob nun aus Pietät vor dem Alten oder schlicht aus Geldmangel und fehlender Lust, schon wieder eine Zeitlang auf der Baustelle zu hausen, wissen wir doch gar nicht wirklich. Und da die alten Teile nun weg sind, wäre das naheliegendste doch, den ja nun immerhin schon zu 3/4 durchgehaltenen Entwurf fertigzustellen, oder etwa nicht?
    (Warum ich "Neobarock" und nicht "Barock" dazu sage: weil die Fenster ja wohl bereits festliegen, und mit solcher nicht-barocken Fensterteilung halt nur Neobarock erzeugt werden kann.)

  • Als kleine Relativierung von dem was ich gerade zur künstlerischen Vollwertigkeit von Kopien gesagt habe möchte ich mich noch mal selbst zitieren:

    unterschätze mir nicht die Bildhauer, weder die alten Meister noch jene von heute!
    Jede Skulptur ist ein Unikat, und selbst wenn man sie noch so akribisch genau nachbauen möchte, jeder Bildhauer hat seine eigene Handschrift, das ist auch gut so. Es entsteht ein neues Original,das mit dem alten zwar ähnlich aber nicht identisch ist. Nenn es Altersfetischismus, aber ich glaube eine Skulptur die vor 300 Jahren in einer Werkstatt entstanden ist, unter der Einzigartigkeit des Künstlerisch-ideologisch-intelektuellen Horizonten des Auftragsgebers, dem Kurfürsten, vorallem aber dem des Planers Schlüter und letztlich dem ausführenden Bildhauers, ist letztlich eine ganz andere. Auch eine Skulptur die Kriege, Belagerungen, Industrialisierung, Revolutionen Diktaturen miterlebt hat ist eine ganz andere, als eine die heute entsteht.

    Das würde ich nicht als Absolutum nehmen aber auch nicht ganz unter den Tisch fallen lassen. Es gilt wohl auch mehr für die einzelne Skulptur als die Summe der in der Fassade intigrierten Skulpuren und anderen Bildhauergewirke. Also für die Einzelbetrachtung einer Skulptur als Kunstwerk ist ein Ersetzen durch eine Kopie schon ein ziemlicher Verlust, aber auf der Makroebene, der Gesamtbetrachtung der Schloßfassaden, marginalisiert sich der künstlerische Verlust gegenüber der Kopie m.E.

  • @Kaoru: alt ist alt, und Nachbau ist eben Nachbau.
    Ich habe selbst eine Modernisierung/Renovierung einer seit 50 Jahren vom gleichen Mieter bewohnten Wohnung in einem 100 Jahre alten Haus hinter mir, das war vor nunmehr 8 Jahren.
    Was da an Spuren aus dem gesamten 20. Jhdt. abgetragen wurde... Tapeten aus jedem Jahrzehnt, schließlich in der Küche senfgelbe Sockel aus den 1930ern und darunter ein dunkeltürkisener Anstrich der gesamten Küche mutmaßlich aus den 1920ern oder noch früher. In den Zimmern kamen unter all dem gemalte Muster zum Vorschein.
    Die habe ich zusammen mit einem Maler nachgemalt, aber in einigen Teilen viel harmonischer als das Original - daß die Bordüre schräg über die Wand lief und dann abknickte, weil die 2 damals mit Ausmalen Befaßten schnell fertigwerden wollten bzw. der eine kaum mit dem Pinsel umgehen konnte (all das war aus der Machart deutlich zu ersehen), war mir unerträglich. Also habe ich das geändert. In gewisser Weise ist die Neubemalung nun "perfektionierter" als die alte.
    Aber die Freiheit habe ich mir genommen, denn ich muß es ja auch jeden Tag anschauen!