• Ich bin neu hier und möchte hiermit gleich meinen Einstand geben.

    Ich habe diesen Faden mit Interesse gelesen und möchte nun als gebürtiger Augsburger und Architekturinteressierter meine Meinung dazu abgeben.

    Ich finde man tut den Augsburgern sehr großes Unrecht wenn man sie in einen Topf mit brutal-autogerechtem Wiederaufbau andernorts, oder gar Geschichtsvergessenheit, wirft. Das Gegenteil ist der Fall, die Augsburger liebten ihre alte Stadt. Und darum haben sie selbst in der unmittelbaren Not nach der Zerstörung, die sehr wohl sehr großflächig war und lediglich durch die einheitliche Steinbauweise ohne Fachwerk etc. kein "Feuersturm" erzeugte, bereits damit angefangen in den alten historischen Parzellen die verlorenen Gebäude neu zu errichten. Obwohl dies bereits in der Nachkriegszeit längst nicht mehr moderneren Anfordernissen entsprach, die alte Parzellierung und Straßenführung. Dennoch wurde davon seltenst abgewichen. Ebenso wurden die alten Traufhöhen fast gänzlich mit wenigen Ausnahmen beibehalten.

    Freilich, für Ornamentik war schlicht bis in die späte Wirtschaftswunderzeit kein Geld da. Und dann hatte man das Problem dass man es sich trotz allen Wirtschaftswunders schlicht nicht leisten kann Bestandsbauten abzureißen oder komplett umzubauen, was einem Abriß und Neubau gleichkommt, um diese historisch gerecht zu rekonstruieren. Fantasierekonstruktionen indes hätte ich auch nicht befürwortet, in der Art des Zuckerbäckerstil. Dafür war das bauliche Erbe Augsburgs viel zu reich und alt, die allermeisten Städte haben ja fast eine "Altbauten" die über das 19. Jahrhundert zurückreichen. Und das was andernorts klassizistisch ist, ist in Augsburg originale Renaissance. Das muss man immer bei der Betrachtung bedenken, wenn man manchmal auf den ersten Blick meinen mag "das gibt es doch in jeder Stadt so oder so ähnlich".

    In der Nachkriegszeit gab es dann bis in die 90er manches traurige Beispiel wie mit baulichem Erbe, was den Krieg überstand, umgegangen wurde. Aber mindestens soviele, nein mehr, positive Beispiele.

    In den 80ern wurde der Goldene Saal detailgetreu und im Erbauungszustand rekonstruiert, das Lechviertel mit den kleinen Handwerkerhäusern und zahlreichen Kanälen wurde detailverliebt saniert, die zuvor für den Autoverkehr abgedeckten Kanäle - um einen größeren Straßenraum zu gewinnen - wurden abgedeckt. So erstrahlt dieses alte Handwerkerviertel wieder in seinem historischen Charme. Es wurden bereits verloren geglaubte Kleinode wie das Parktheater Göggingen aus kaum noch vorhandener Originalsubstanz wieder originalgetreu rekonstruiert.

    Und aktuell gibt es ein großangelegtes 250 Mio. Euro Verkehrsprojekt, "Augsburg City", wo eine Modernisierung des Hauptbahnhof und Königsplatz bis 2019 Kernbestandteil ist. Und im Zuge dieses Projektes wird der Königsplatz wieder re-urbanisiert, weg von einem durch Autoverkehr zerschnittenen Platz wieder hin zu einem autofreien städtischen weiten Raum, wie er in der Gründerzeit erstellt wurde. Die daran anschließende gründerzeitliche Boulevardstraße, die Fuggerstraße, wird ebenfalls stark verkehrsberuhigt, vierreihig mit Bäumen gepflanzt und hochwertig zu einem Boulevard, wie er einst gedacht war, hergerichtet. Die Maximilianstraße erhält statt der bisherigen schmalen Asphaltgehwege voller Flicken stark verbreiterte Gehwege mit hochwertigem Natursteinpflaster, der Straßenraum wird abgeflacht, bisher sehr uneben, um das historische Straßenpanorama zu stärken. Die kirche St. Anna, mit Sicherheit eine der schönsten evangelischen Kirchen überhaupt, wurde und wird, letzte Arbeiten sind zu erledigen, originalgetreu saniert und erstrahlt in neuem Glanze. St. Ulrich und Afra sowie die kleinere evangelisch St. Ulrich direkt davor wurden die letzten Jahre bis dato ebenfalls liebevoll restauriert und erstrahlen in ganz anderem Glanze neu. Es gibt Neunutzungen für Baudenkmäler die vollkommen aus dem Bewusststein der Augsbuger verschwunden waren, wie beispielsweise ein alter Bauhof von Elias Holl, über deren Neunutzung diskutiert wird.

    Augsburg ist und bleibt eine der historischsten Städte Mitteleuropas, bitte seit dessen versichert.

  • Danke für die Zustimmung!

    Habe es auch heute, auf dem Weg zur Familienfeier, wieder gemerkt. Weihnachten ist ja ein Anlass mal innezuhalten und die Augen etwas zu weiten, für die Dinge die man im Alltag nicht (mehr) zu schätzen weiss, bemerkt. Es ist nicht nur auf den ersten Blick, bezüglich der üblichen Postkartenmotive, sondern besonders auf den zweiten Blick ein Kleinod, meine Vaterstadt. Ich möchte jetzt mal ganz schmalzig in Lokapatriotismus ausbrechen, am heutigen Tage sei es entschuldigt. Die ganz eigene augsburger Bau- und Lebensweise, ob in den an den Graben angedrückten kleinen mittelalterlichen Reihenhäuschen oder im zwar schnörkellosen aber von Giebeln, Satteldach und Gauben geprägten Wiederaufbau in weiten Teilen. Achwas, ich will es gar nicht mit architektonischen Begriffen beschreiben. Ich fühl mich einfach sauwohl, geborgen, heimisch in dieser Stadt. Dieses Gefühl, was glaube ich nicht nur mit so stark vermittelt wird, das ist doch letztlich der Zweck einer Stadt und von Städtebau, Architektur.

    Mein Lieblingsprojekt dieser Tage ist übrigens die Instandsetzung der ehemaligen Synagoge Kriegshaber. Von der ich zuvor nicht mal wusste, bis das Projekt begann. Das zeigt mir, es ist noch mancher schlummernder Schatz verborgen. Und meine schönste Neuentdeckung des Jahres 2011 war der Protestantische Friedhof, da in Richtung Haunstetten. Ich nehme ja gerne mal einen Spaziergang über einen alten Friedhof voller alter Grabmäler wenn ich große alte Städte wie Paris bereise, den Begrabenen dürfte es eh nichts ausmachen bzw. Fremde die dort respektvoll durchspazieren und die Grabanschriften lesen halten ja auch das Andenken an die Verblichenen hoch. Nun will ich keine touristische Empfehlung aussprechen, das wäre dem Ort sicher nicht angemessen.

    Aber immer noch ist meine Vaterstadt, von vielen so unterschätzt (wie man hier lesen muss), für Überraschungen und Offenbarungen gut.

    Augusta Pro Homine!

  • Willkommen im Forum, Datschi!

    Die Kritik an Augsburg in diesem Forum darf man nicht falsch verstehen. Jeder, der sich mit der deutschen Altstadtlandschaft näher beschäftigt hat, weiß, dass auch das heutige Augsburg noch eine der bedeutendsten Altstädte unter den deutschen Großstädten besitzt. Was Leute wie mich jedoch geradezu zur Verzweiflung treibt, ist die Selbstgefälligkeit mit der man insbesondere in Bayern den miesen Großstadt-Wiederaufbaubrei hinnimmt, ihn teilweise sogar noch lobt, wo man doch nicht einmal bis nach Warschau und Danzig blicken müsste, um zu wissen, dass es deutlich besser gegangen wäre - ein Blick nach Rothenburg oder (mit Abstrichen) Donauwörth würde genügen.

    Süddeutschland verharrt in Untätigkeit, während andernorts größere Rekonstruktionsprojekte angegangen werden (Dresden, Frankfurt, Potsdam, Berlin etc.). Die Überzeugung, dass man nach dem Krieg in Bayern alles genau richtig gemacht hätte und sich nun verdientermaßen gemütlich zurücklehnen könnte, während die anderen (aus bayerischer Sicht weniger schlauen) Deutschen heutzutage eben noch etwas nachzuholen hätten, ist verfehlt, die Vorstellung, dass im vermeintlich traditionsbewussten Laptop- und Lederhosenland die Belange des Denkmalschutzes eine höhere Beachtung fänden naiv, wie etliche hier im Forum diskutierte schlimme Abrissskandale belegen.

    Man müsste in Augsburg einige wertvolle Bürgerhäuser unbedingt rekonstruieren. Ihr Fehlen ist in der neben Nürnberg und Regensburg historisch bedeutendsten freien Reichsstadt Süddeutschlands einfach unerträglich. Doch es tut sich im selbstgerechten Süddeutschland einfach nichts. Dass man sich an anderen deutschen Städten vielleicht einmal ein Beispiel nehmen könnte... Fehlanzeige... :weinenstroemen:

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Doch es tut sich im selbstgerechten Süddeutschland einfach nichts.


    Auch in Norddeutschland tut sich nicht überall etwas, möchte ich ergänzen. ;)

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Ich kann deine Entgegnung schon nachvollziehen.

    Ich denke durch den Wiederaufbau der eben zwar seine Fehler gemacht hat, aber nicht mit ideologischem Städtebau versucht hat eine [lexicon='Zäsur'][/lexicon] gegen alles "Deutsche"/Bisherige zu setzen, ist kein dermaßen großer "Leidensdruck" vorhanden. Und die Sehnsucht nach baulichem Erbe ist durchaus gestillt. In Städten die, nun einmal vornehmlich nördlich der Mainlinie, mit Vorsatz flächendeckend verstümmelt wurden in den Jahrzehnten nach dem Krieg - nicht nur beim direkten Wiederaufbau - ist das verständlicherweise anders.

    Das Problem an Rekonstruktionen ist in Augsburg ein relativ seltenes, dadurch dass die Stadt so ungewöhnlich alt ist und ungewöhnlich weit zurückreichende städtische Bautradition besitzt. Wie gesagt, das was anderswo Klassizismus des 19. Jh. ist ist in Augsburg "echte" Renaissance, etc.

    Das ergibt das Problem welche "Zeitschicht" man denn überhaupt rekonstruieren will? Schon ob der beengten Verhältnisse, selbst nach Schleifung der Stadtmauern, wurde unentwegt herumgebaut am Stadtbild. Und "sortenreine" Gebäude gab es wenige, am besten illustriert das der augsburger Dom, der im Kern 1.000 Jahre alt ist und alle Stilrichtungen seit der Erbauung in sich vereint, weil er immer wieder erweitert und umgebaut wurde. Pauschal die Zeitschicht bis zur Bombennacht im zweiten Weltkrieg? Bitte nicht!! Beispielsweise wurde das Weberhaus, wie auch manche andere Fassadenmalerei die in Augsburg früher sehr verbreitet waren, in der Nazizeit grotesk mit völkischem Gedankengut entstellt. Oder am Prinzregentenplatz wurden große Gebäude in der plumpen typischen Naziarchitektur errichtet, die dort noch heute stehen. Standen freilich auch vor der großen Bombennacht schon.

    Und was ist mit der Nutzung? Keiner weiss heute noch dass Augsburg mal eine sehr bedeutende Börse hatte - sogar die erste Wertpapierbörse im deutschsprachigen Raum. Ein riesiges prunkvolles Gebäude was sich auf dem heutigen Rathausplatz befand (den es bis zum Krieg schlicht nicht gab!). Aber wenn man die Börse rekonstruiert, sie wäre zwar sicherlich ein beeindruckendes Baujuwel. Aber Augsburg hat heute schlicht keinen Börsenhandel mehr, der Bedarf nach Parketthandel ist heutzutage auch nicht mehr gegeben - und die Augsburger lieben inzwischen ihren Rathausplatz, keiner würde wollen dass dieser offene weite Raum wieder zugebaut wird. Egal womit!

    Ich finde den Grundgedanken des augsburger Wiederaufbaues bis heute richtig. Alte und aus gutem Grund über viele Jahrhunderte gewachsene Straßenfluchten, Stadträume, Parzellierungen und Maßstäbe behalten (nicht einfach nur museal "erhalten"). Und in diesem Rahmen gerne auch jeweils populäre zeitgenössische Architektur umsetzen. Im Übrigen gibt es meiner Meinung nach gerade aus den 50ern und 60ern noch eine ganz spezifische augsburger Architektur, die es heute natürlich nicht mehr gibt ("internationale Architektur" ist gesichtslos). Und darunter sind wirklich viele tolle Gebäude, die auf vielen Ebenen überzeugen. Sei es statische Meisterleistung, neue Raumkonzepte oder Materialwahl. Diese Gebäude haben das Problem hinter den doch noch zahlreichen historischen Gebäuden die zweite Geige zu spielen, keiner interessiert sich für sie. Daher ist ihr Erhaltungszustand oft mangelhaft, viele Schönheiten sind da in einem abgetragenen schäbigen Gewand versteckt. Und viele Pinselsanierungen und Umbauten, alles möglichst billig und schnell, haben die Ästhetik und Konzepte der damaligen Architektur noch zusätzlich verwässert. Die Antwort kann aber für mich nicht sein "Abriß" und dann Rekonstruktion auf breiter Linie sondern diese Entstellungen rückgängig machen, wo wirklich erhaltenswerte Architektur der Nachkriegsjahrzehnte zu finden ist. Und das fügt sich dann ebenso wie das Ältere in das städtische architektonische Erbe ein - und Neues braucht auch Platz.

    Ich möchte kein geschlossenes Stadtbild a lá Rothenburg. Das reizt mich nicht. Und noch wichtiger: das wäre nicht mehr meine Heimatstadt. Ich bin kein Kriegskind, dem seine Heimat "genommen wurde" durch Kriegszerstörungen. Ich bin im Nachkriegsaugsburg aufgewachsen.

    3 Mal editiert, zuletzt von Datschi (30. Dezember 2011 um 22:17)

  • Ich finde den Grundgedanken des augsburger Wiederaufbaues bis heute richtig.


    Ich nicht. Denn der Grundgedanke (bzw. die Grundideologie) führte auch in Augsburg an zu vielen Stellen zur Negierung des Ortes und ließ die Anlehnung an ortstypische Bautraditionen vermissen. In durch Kriegszerstörung identitätsgeschwächten Städten m.E. ein gravierender Fehler. Das Ensemble ist in den Wiederaufbauarealen Augsburgs gestört, die ureigene Aura geschwächt. Die originelle Weiterentwicklung bislang vorherrschender Baustile unter Beibehaltung ortstypischer Merkmale wäre durchaus in meinem Sinn, nicht aber die bewusste Abkehr von und Abstrahierung der verlorenengegangenen Stadt. Als Einheimischer mag es Dir vielleicht nicht (mehr) auffallen, als Besucher aber kann ich Dir ohne jede lokalpatriotische Verzerrung versichern: Auch Augsburg ist durch Krieg und Wiederaufbau "verstümmelt" worden.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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  • zu "Datschi"
    Was soll man dazu sagen? Typisch süddt. Selbstgefälligkeit. Der Wiederaufbau Augsburgs war um keinen Deut besser als anderswo, ja vielleicht sogar besonders inferior. Augsburg verdankt sein schönes Stadtbild einfach nur dem Glück, über manche Strecken noch halbwegs im Bombenkrieg davon gekommen zu sein. In den Altstadtteilen, wo das nicht der Fall war, gibt es auch heute ein völlig letztklassiges Stadtbild zu bewundern. Leider sind auch in relativ gut erhaltenen Bereichen die Abrisssünden drastisch, siehe Drei Mohren.


    Nein, was in Augsburg nach dem Krieg geschaffen wurde (vom Goldenen Saal abgesehen, der aber das einzige Interieur blieb: Augsburg hatte das unfassbare Glück, dass seine beiden Großkirchen relativ unbeschadet davon kamen, Moritzkirche und einige kleinere Beispiele lassen erahnen, was sonst geschehen wäre!), ist schlicht und einfach zu vergessen oder besser abzureißen.

    Zitat

    Ich möchte kein geschlossenes Stadtbild a lá Rothenburg. Das reizt mich nicht. Und noch wichtiger: das wäre nicht mehr meine Heimatstadt. Ich bin kein Kriegskind, dem seine Heimat "genommen wurde" durch Kriegszerstörungen. Ich bin im Nachkriegsaugsburg aufgewachsen.

    Das erinnert an so manche Potsdamer Zeitgenossen, die sich drüber empören, dass sie in ihre herrlichen Freiräume "ein Schloss vor die Nase geknallt" bekommen oä.
    Nun, wie es aussieht, fühlen sich die heutigen Deutschen in dem Sauhaufen, an dessen Stelle einst einige der herrlichsten Städte weltweit standen, recht wohl. Ihre europaweit einzigartige Hässlichkeit scheint sie nicht zu stören, im Gegenteil. Auch eine Folge des Bombenkriegs und damit verbundenen Niedergangs.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    Einmal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (31. Dezember 2011 um 01:56)

  • Sehe ich ähnlich.
    Ich weiß auch nicht, was die Klage über ein "geschlossenes Stadtbild a la Rothenburg" im Vergleich zu Augsburg genau bedeuten soll. Schließlich spielen bei Rothenburg ja auch noch andere Faktoren herein (Größe, touristische Ausrichtung, Region). Natürlich kann und soll es in einem Stadtbild auch Kontraste geben. Nichts ist auch gegen einzelne qualitätvolle moderne Bauwerke zu sagen, aber "ursus carpaticus" drückt es schon richtig aus. Augsburg ist einfach halbwegs glimpflich davongekommen. Würde man sich sämtliche historischen Bauwerke wegdenken und dann die Stadt betrachten, hätte man die Essenz des Wiederaufbaus. Ob die dann noch so beeindruckend ausfällt? Ich denke nicht.

  • Das stimmt meiner Meinung nach einfach nicht. Vielleicht muss man in einer Stadt auch leben um das auf den zweiten Blick zu sehen. Beispielsweise wurde das alte Theater beim Alten Einlass nicht rekonstruiert sondern zeitgenössisch wiederaufgebaut. Dabei hat man die Fassade, dem geschlossenen Stadtbild an dieser Ecke zuliebe, in vereinfachtem Historismus gestaltet. Aber das Innere gänzlich neu geplant. Dabei gab es nicht nur funktionelle Zugewinne wie eine der größten Bühnenräume eines europäischen Theaters, was die Arbeit der Theatermacher revolutionierte. Sondern die Neugestaltung ist ungeheuer stilvoll und steht zurecht unter Denkmalschutz. Weitere Beispiele sind das Kongresszentrum, der Hotelturm oder die Hochbauten am Königsplatz Haltestellendreieck. All diese Bauten vereinen Funktionalität mit Baukunst. In der Kernstadt ist der Wiederaufbau gelungen. In dem Stadtteilen ist das Bild durchwachsen.

    2 Mal editiert, zuletzt von Datschi (1. Januar 2012 um 20:56)

  • Ohne einen Absolutheitsanspruch erheben zu wollen, aber bezgl. des Theaters klingt das bei Wikipedia weniger euphorisch.

    Zitat

    Nach der Zerstörung durch einen britischen Bombenangriff im Februar 1944 wurde das Theater in den Jahren 1952 bis 1956 äußerlich vereinfacht wiederaufgebaut. Die reichhaltige Ornamentik der erhalten gebliebenen Fassadenfront wurde dabei weitestgehend entfernt. Das Innere des Theaters wurde im Stil der Fünfzigerjahre neu gestaltet. Mit Mozarts „Hochzeit des Figaro“ wurde das Theater wiedereröffnet. Es bietet heute Platz für 950 Zuschauer, da zwei Logenreihen über dem Parkett nicht mehr eingefügt wurden

  • Tipp: nach Fotos des Innern googlen oder noch besser zu einer Vorstellung vorbeischauen. Ein Juwel.

  • Ja, und für die Sparkassen-Hauptstelle musste auch ein opulenteres Vorgängergebäude weichen. Das Problem war wie bei den Villen weniger irgend ein architektonisches sondern dass diese inzwischen in der Mitte der Stadt waren, als die Stadtmauer bzw. das Gögginger Tor geschliffen wurde und der Königsplatz geschaffen wurde war es ja noch ein randständiges Entwicklungsgebiet. Und deren Bebauung war relativ dünn, mit Gärten und allem. Da war es fast unvermeidbar dass diese weichen, für eine größere Nutzungsdichte.

  • Vielleicht muss man in einer Stadt auch leben um das auf den zweiten Blick zu sehen.


    Vielleicht muss man den nötigen emotionalen Abstand zu einer Stadt haben, um die Dinge neutral und objektiv bewerten zu können.

    In der Kernstadt ist der Wiederaufbau gelungen.


    Objektiv lässt sich das so nicht feststellen. Deiner persönlichen Sichtweise mag es entsprechen - also bitte auch so formulieren.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat

    In der Kernstadt ist der Wiederaufbau gelungen.

    Das Problem dieses Satzes ist nicht sein Subjektivismus, sondern seine Absurdität. Schließlich kann jeder noch so große Unsinn für den einen oder anderern "subjektiv wahr" sein, weshalb mit diesem Verweis nicht allzuviel gewonnen ist.
    Im Rahmen des Möglichen, des Erzielbaren,des realistisch zu Erwartenden, ist gerade der Wiederaufbau Augsburgs als völlig letztklassig zu beurteilen. Sicher sieht das Stadtbild heute über weite Strecken gefälliger aus als jenes von Nürnberg oder Braunschweig, aber die Aufgabenstellung war auch eine weit einfachere: weit geringerer Zerstörungsgrad und weit unaufwändiger wiederherzustellende bzw leicht imitierbare Fassaden. Was in Danzig mit seinen reichstuckierten Fassaden geglückt ist, hätte im vorbarocken Augsburg ein Kinderspiel sein sollen. Umso schwerer wiegt das Versagen, weshalb man über obige Aussage nur den Kopf schütteln kann. Aber in Bayern scheint es ja ein Dogma zu sein, dass alles richtig gemacht wurde und dass die zerstörten Städte vielleicht sogar schöner als denn je sind.
    In Wahrheit stellt der Verlust der fränkischen Stadtbilder eines der schweren Vakua dar, die dieser unselige Krieg in Mitteleuropa geschlagen hat. Man stelle sich vor, Florenz oder Verona würde es nicht mehr geben, diese Altstadtflächen wären mit billigen Genossenschaftswohnungen übersäät... Bei Nürnberg und Würzburg ist dies der Fall, und keinem stört es in Franken.
    Dass es mit Augsburg deutlich besser steht, ist nicht diesem billigen und geschmacklosen Wiederaufbau zu verdanken.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    Einmal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (2. Januar 2012 um 14:50)

  • Das Problem dieses Satzes ist nicht sein Subjektivismus, sondern seine Absurdidät. Schließlich kann jeder noch so große Unsinn für den einen oder anderern "subjektiv wahr" sein, weshalb mit diesem Verweis nicht allzuviel gewonnen ist.


    Jeder kann und darf seine Sichtweise äußern (so abstrus sie auch sein mag), diese sollte dann aber bitte auch als solche kenntlich gemacht und nicht als allgemeingültige Tatsache formuliert werden (außer, man kann deren Objektivität belegen). Dass ich mit der Äußerung auch inhaltlich nicht einverstanden bin, habe ich deutlich gemacht.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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    3 Mal editiert, zuletzt von youngwoerth (2. Januar 2012 um 11:47)

  • Pardon, aber wenn ich solche unqualifizierte Polemik lesen muss habe ich dafür kein Verständnis.

    In Augsburg gab es dereinst nicht nur viel "Barock" sondern den sog. "Augsburger Geschmack", wie von Zeitgenossen diese Sonderform des Spätbarock und Rokoko bezeichnet wurde. Übrig geblieben ist davon als namhaftes Gebäude leider nur das Schaezler-Palais. Die Beseitigung dieser Epoche begann aber bereits im 19. Jahrhundert, wie auch soviel anderes im 19. Jahrhundert abgerißen wurde um Raum für Gründerzeit-Planungen zu gewinnen. So gab es noch einen mir namentlich entfallenen Patrizier-Wohnturm und manche andere Kuriosität. Das hat aber alles nichts mit dem 2. Weltkrieg oder Wiederaufbau zu tun. Mein Eindruck ist einfach dass dieser Zeitrahmen, Bombenkriegsschäden und Wiederaufbauzeit, zum Sündenbock für all das gemacht wird was einem subjektiv - auf diesem Begriff wird hier ja sehr stark herumgeritten - nicht gefällt. Fakt ist dass die Zeiten sich einfach geändert haben und in europäischen Staaten deren Städte keinen Bombenkrieg zu erleiden hatten die selben Zerstörungen historischen Stadtbildes stattgefunden haben. Je wohlhabender ein Staat ist umso stärker (nur in den ärmsten Staaten haben sich historische Stadtbilder, mangels Ressourcen, kaum verändert). Bestes, vielleicht abschreckenstes, Beispiel sind wunderschöne französische Städte, selbst Paris, wie durch Beton-Brutalismus und Ideologien a lá Charta von Athen. Das war halt der Zeitenlauf, der Zeitgeist und ein hochkomplexes Thema mit Aspekten wie ökonomisierung der Architektur, verändertes Selbstverständnis von Architekten als Berufsstand etc.

    Das alles wenigen Bombennächten und dem Wiederaufbau anzulasten halte ich für, nun ja, sehr subjektiv.

    Ich bereue es fast mich hier angemeldet zu haben, was ist denn das für eine Diskussionskultur sich aufgrund von max. Besuchen in einer Stadt und Fotographien ein apodiktisches Urteil a lá "ist gerade der Wiederaufbau Augsburgs als völlig letztklassig zu beurteilen". Und was Franken jetzt damit zu tun hat ist mir ein noch viel größeres Rätsel. Einen schärferen Schnitt in Kulturgeschichte und Architektur als zwischen dem heutigen Nord- und Südbayern kann es kaum geben. So musste man auch vor dem Krieg Fachwerkhäuser südlich der Donau mit der Lupe suchen, waren eben so eine Seltenheit wie der norddeutsche Backsteinstil. Ein ganz eigenes Kapitel von Städtebau und Architektur, das hier so in einem Nebensatz vermischt zu sehen bestärkt mich darin dass es hier nicht sachlich sondern, nunja, subjektiv, zugeht.

  • Die gründerzeitliche Überformung war in Augsburg relativ gering, kein Vergleich zu München oder wirtschaftlich dynamischen Städten wie [lexicon='Leipzig'][/lexicon] oder Köln. Dass einige Bauten im Laufe der Zeit verlustig gehen, ist freilich unausweichlich. Man darf jedoch niemals übersehen, dass der Bombenkrieg Augsburg ins Herz der Altstadt getroffen hat und dort Veränderungen bewirkte, die ohne ihn niemals stattgefunden hätten. Den Abriss eines unzerstörten Bäckerzunfthauses, des Schaurhauses, des Höchstetterhauses oder der Drei Mohren in der Nachkriegszeit kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Genau solche unersetzlichen Bauten (die übrigens als profane Glanzstücke höchsten Anspruchs ganz andere Kaliber waren als das Augsburger Massenbürgerhaus, welches sich durch eine traditionelle, zumeist giebelständige Neubebauung gut hätte imitieren lassen) müssen rekonstruiert werden - sie durch neue Architekturen ersetzen zu wollen, musste von Anfang an scheitern. Dass sich diesbezüglich in Augsburg nichts bewegt, ist höflich ausgedrückt sehr schade.

    Augsburg steht städtebaulich heute zwar ohne Zweifel viel besser da als etwa Nürnberg oder Würzburg, aber eben weil es schlichtweg weniger hart im Krieg getroffen wurde und nicht etwa weil ein besonders gelungener Wiederaufbau betrieben worden wäre.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer