Frankfurt a. M. - Altstadt - Dom-Römer-Areal

  • Die Legende von der Stadt der kleinen Leute

    Niklas Maak in der FAZ: Die neue Frankfurter Altstadt sei „eine turbulente und dreckige Vergangenheit“ gewesen . In der Rekonstruktion biete es nun ein „mit dem Luxusbesen gereinigtes, sozial desinfiziertes Bild“. Man könne „in der neuen Altstadt das alte Raumgefühl wieder erleben, die Enge der Gassen. Aber dieses Idyll ist ein mit dem Luxusbesen gereinigtes, sozial desinfiziertes Bild, das auf eine turbulente, dreckige Vergangenheit verweist und sie gleichzeitig ausblendet: Die Atmosphäre der Altstadt, ihr Lärm, die Gerüche, die normale soziale Grundhitze der dicht gedrängt wohnenden, eher einfachen Bürger werden hier nicht auferstehen. (…) „ Vielleicht wäre es konsequenter gewesen, die Häuser der neuen Altstadt gleich als Museumsdorf auszugestalten, mit Pferdefuhrwerken und lärmenden Schmieden und Geflügelhändlerdarstellern (…), was jetzt im polierten Stadtbild fehlt.“
    Niklas Maak: Dom offene Stadt, FAZ 12.5.18

    Der erste Irrtum: Wäre die Altstadt von Frankfurt nicht zerstört worden, so wäre es heute keinesfalls die fast proletarische Stadt geblieben, die von so vielen Architekturkritikern so gerne beschworen wird.

    Im Zentrum einer Weltmetropole(!) gäbe es bestimmt längst keine gut bezahlbaren Wohnungen mehr, da hämmerte nirgendwo mehr ein Schmied, da gäbe es keine kleinen Kaschemmen und Geflügelhändler, und Pferde würden höchstens als eine Art Fiaker gut bezahlende Touristen durch die Gassen fahren. Das „dreckige“ Milieu wäre (Gottseidank) längst der Stadtsanierung gewichen, mit Entkernung und Modernisierung aller Wohnräume. Freilich, viele Häuser wären abgebrochen worden, manche als Flächensanierung, weil sie Platz für Supermarktquartiere hätten machen müssen, vieles wären modernisiert und erweitert worden. Vieles hätte der Denkmalschutz sicher retten können, auch als angepasste modernisierte Form im Ensemble. Kurz, eine unzerstört gebliebene Frankfurter Altstadt wäre der rekonstruierten sehr ähnlich! Wenn sie auch wohl an kostbaren Bauten reicher geblieben wäre. Die Sozialstruktur jedoch mit einer markanten Rücksichtnahme auf den Tourismus und mit Höchstmieten wäre zwischen Rathaus und Dom exakt dieselbe.

    Der zweite Irrtum: Es geht bei der Rekonstruktion einer alten Stadt natürlich auch um Nostalgie, sie ist berechtigt. Viel größer aber ist das Anliegen der Rückgewinnung historischer Dimensionen der Stadt. Sie war im Falle Frankfurts durch die Vernichtung aller Spuren durch Bomben, Abbruch der Ruinen und durch den Bau des technischen Rathauses nicht mehr ablesbar – vom Verfasser insgesamt unberücksichtigt!

    Maak sieht die historische Dimension sehr einseitig, indem er sie auf die Zeit des neunzehnten Jahrhunderts und der zwanziger Jahre des 20. Jhd. einengt. Als Stadt der überwiegend „Kleinen Leute“. SPD-Wähler mit bezahlbarem Wohnraum, wie er an anderer Stelle feststellt, weshalb sich gerade die SPD für dieses Projekt eingesetzt hätte.

    Das Stadtviertel zwischen Markt und Dom war jahrhundertelang etwas völlig Anderes. Es war das Zentrum einer Weltstadt! Es war mit seinen Messehöfen der Kaufleute – das rekonstruierte Goldene Lämmchen war der letzte davon - und den vielen Patrizierquartieren der Sitz der ganz Reichen und Mächtigen, aber auch gleichzeitig die wichtigste Quelle des Reichtums. Zweifellos war auch dieses Viertel einmal dreckig und laut wie alle Städte im Mittelalter. Aber doch ganz anders als das Viertel, das erst entstand, als im neunzehnten Jhd. die Reichen und Mächtigen als Kaufleute, Fabrikanten oder Teile der Herrschaftsausübung die Altstadt verließen und in ihre Villen am grünen Stadtrand zogen. Erst jetzt wurde die heute neue Altstadt zu dem von Niklas Maak nostalgisch ersehnten Viertel überwiegend der kleinen Leute. Es in diesem Sinne wieder zu rekonstruieren, würde, wie oben dargestellt heute völlig aus der Zeit und aus dem Hauptanliegen fallen.

    Der Vorschlag Maaks freilich, soll nur seine Meinung von der Absurdität der Rekonstruktion unterstreichen. Ich meine, seine beiden Irrtümer widerlegen ihn.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

  • Vor kurzem wurde einen Antrag zur Rekonstruktion der Gärküchenhäuser abgelehnt - und zwar von einer deutlichen Mehrheit. Weiß jemand warum? Der Platz ist unbebaut.


    Den BFF-Antrag findest Du hier.

    Abstimmungsergebnis:
    CDU, SPD, GRÜNE, LINKE., FRAKTION und FRANKFURTER gegen AfD, FDP und BFF (= Annahme)
    Sonstige Voten/Protokollerklärung: ÖkoLinX-ARL (= Ablehnung)

    Warum? Das musst Du die ablehnenden Fraktionen fragen. Antworten können gerne hier gepostet werden.

  • Sollen sie ruhig in die Tasten hauen, unsere Feuilletonisten. Ihre sauertöpfischen Kritikerargumente sind schnell wieder vergessen, die Altstadt (und die Freude darüber) wird bleiben.

    In dubio pro reko

  • Einige Autoren der FAZ haben anscheinend so ihre Probleme mit Teilrekonstruktionen bzw historischen Stadtgrundrissen.So ähnlich wie in der jetzigen Ausgabe der FAZ haben sich zwei Autoren im FAZ Feuilliton vom Nov 2017 unter dem Titel"Make Potsdam schön again"auch über die teilweise Wiederherstellung der Potsdamer Mitte ausgelassen.
    Ich denke die FAZ steht eher links.

  • haben sich zwei Autoren im FAZ Feuilliton vom Nov 2017 unter dem Titel"Make Potsdam schön again"auch über die teilweise Wiederherstellung der Potsdamer Mitte ausgelassen.

    Da Du es nicht verlinkt hast... Hier kann der von Dir angesprochene Artikel gelesen werden. Er ist aber vom April 2017.

  • Grundsätzlich steht die FAZ eher rechts, und war auch vor zwei Jahren fast die einzige große deutsche Zeitung in der überhaupt auch ein kritischer Blick auf die Masseineinwanderung getätigt wurde.
    Nur im Feuilleton gibt es wie fast überall auch Ausschläge nach links, und generell besteht halt seit Herrn Bartezkos Tod zur Zeit die gesamte Architektursparte mit Niklas Maak und Birgit Ochs vA aus regelrechten Fans modernistischer Un-Architektur.
    Die für den Regionalteil zuständigen Journalisten dagegen, waren grundsätzlich immer pro Rekonstruktion (ganz im Gegensatz zur FR beispielsweise).

  • So ist es, im Rhein-Main-Teil wurde eigentlich immer wohlwollend berichtet. Nur berichtet dort jetzt eben, wie bereits erwähnt, ein Redakteur, der (nach meiner Ansicht) einen der schlechtesten Füllbauten für einen der besten hält und diese Ansicht als Tatsache verkauft.

  • Es könnte ja auch eventuell sein, dass jemand kritisch über die Altstadt schreibt, weil das einfach seine Meinung ist und nicht aufgrund irgendeiner modernistischen Architekturagenda-Verschwörung ? ?(

  • Hat hier irgendeiner vor dir von einer "modernistischen Architekturagenda-Verschwörung" geschrieben? Das eine starke Präferenz für modernistische Bauten bei Leuten, die sich professionell mit Architektur beschäftigen, seien es Architekten, Architektur-Kritiker/Feuilleton-Journalisten, Stadtplaner etc vorherrscht ist Fakt und keine Verschwörung. Davon unberührt wird es sich bei bei den Texten der Journalisten tatsächlich um deren eigene - freilich oft stark ideologisch gefärbte - Meinung handeln, was auch sonst?

  • Sollen sie ruhig in die Tasten hauen, unsere Feuilletonisten. Ihre sauertöpfischen Kritikerargumente sind schnell wieder vergessen, die Altstadt (und die Freude darüber) wird bleiben.

    Das stimmt! Genau wie die Marktplätze von Hildesheim, Mainz und--bald--Potsdam! Damit haben diese Städte einen wesentlichen Teil ihrer unverwechselbaren Identität endgültig zurückbekommen. Basta!

  • Warum das eigentlich so ist habe ich mich schon oft gefragt. Aber dieses Thema gehört wohl nicht hierher.

    Das Phänomen nennt sich im angelsächsischen Sprachgebrauch "acquired taste" und erklärt sich u.a. durch Gewöhnungseffekte. Keinem Menschen schmeckt eine Zigarette beim ersten Rauchen, im Gegenteil ekeln wir uns davor - und doch glauben 25% der Bevölkerung, dass Zigaretten "gut schmecken" und entspannend wirken. Oder Whiskey, wenn man ehrlich ist eine ekelhafte Brühe - und doch gibt es Leute, die ihn lieben. Das gleiche könnte man für Kaffee behaupten, der -wenn man ganz ehrlich ist und ihn wie beim ersten Mal trinkt - auch eklig schmeckt.

    Usf. usw. .... so ähnlich ist es auch mit moderner Architektur.... wenn man tief genug im Betrieb steckt oder sich intensiv beschäftigt, dann kann man an fast jedem Gebäude etwas Gutes finden. Auch unser Blick auf etwa 50er-Jahre-Architektur hat sich ja durchaus verändert/verbessert und manches, was vor 20 Jahren in völligem Konsens als Schandfleck bezeichnet wurde, feiert fröhliche Urständ als gelungene Wiederaufbauarchitektur. Als Solitäre können sogar die härtesten Brutalismusbuden funktionieren, es gibt großartige Schulen in diesem Stil - das Problem liegt hierbei im Autismus dieser Architektur, der im Gegensatz zu allen vorangegangenen Architekturepochen vom Bruch lebt, vom Auffallen etc. Die FH etwa steht dort wie eine Insel mitten in einem ursprünglich engen, dichtbebauten Quartier, sie ist abgesehen von ihren ästhetischen Defiziten gar nicht mit so etwas wie Stadtreparatur in Einklang zu bringen, weil sie das gesamte Gebiet zerstört durch ihre blöde Insellage.

    Ich stelle mir das mit der modernen Architektur so vor wie mit moderner Kunst. Es ist vollkommen legitim, sich in die Themen einzuarbeiten und ich bin mir sicher, dass wir alle mit anderen Augen auf manches Gebäude der Nachkriegszeit blicken würden, wenn wir uns mit seiner Architektur eingehender beschäftigen würden, ähnlich wie sich einem moderne Kunst manchmal erst mit Erläuterungen und Hintergrundinfos erschließt. Anders als moderner Kunst aber können wir uns der modernen Architektur eben nicht entziehen, sie ist allgegenwärtig so, als würde man überall neben eine Mona Lisa einen Picasso hängen, den wir uns auch noch anschauen müssten. Und das ist eben das Problem: Architektur sieht sich immer noch zu sehr als "Kunst" denn als "Dienstleister" und hat dieses klar erzieherische Element. Es geht ja den meisten von uns auch gar nicht um die behauptete Auslöschung einer ganzen Epoche (soviel könnte man gar nicht abreißen, wie davon im Land rumsteht und noch gebaut wird), es geht eben nur darum, in unseren geschundenen Städten kleine Bereiche zu schaffen, die weitgehend frei sind vom Diktat des Kontrastes und der Kälte der Moderne. Es gibt noch so viele Orte und Räume, wo die Nachkriegsarchitektur in Ost und West stehenbleiben und ihre von unserer Generation vielleicht unerkannten Qualitäten ausspielen kann, da muss nun wahrlich nicht jedes Gebäude, welches der zarten, brüchigen Bewegung zu Stadtreparatur im Wege steht, zum Menetekel heraufbeschworen werden.

  • Die neue Frankfurter Altstadt ist wirklich ein wundervolles Projekt, aber nun steht es. Ich finde das es solchen Foren langsam etwas überhand nimmt wie darüber berichtet wird. Man hat die goldene Waage und die anderen wirklich tollen Bauten in bald allen erdenklichen Seiten abfotografiert und darüber berichtet. Man sollte mal wieder anderen Projekte widmen, sofern vorhanden...leider gibt es viel zu wenig davon. Aber ich als Laie würde mich freuen, wenn man neue Projekte vorstellt, die einen Vorbildcharakter wie die Frankfurter neue Altstadt haben. Ich hasse diese ganze Würfelarchitektur die überall hochgezogen wird um neuen (total überteuerten) Wohnraum zu schaffen.
    Vielleicht gibt es noch mehr Postives in der Art und nicht nur Abriss und provitorientiertes Bauen ohne Seele und Charakter...ich hoffe ihr versteht...

  • Haja Aziabel , ... aber zur Zeit kann man in Frankfurt nur die Goldene Waage und noch ein Paar Bauten mehr anschauen ... ohne Augenkrebs zu bekommen floet:) . Und ich Glaube jeder Rekofan wird wenn er (nach der Fertigstellung)das Innere der Goldenen Waage sieht ... seinen Goldenen Höhepunkt bekommen Haha :thumbup:

  • Neben den vielen extrem gut gelungenen Rekonstruktionen möchte ich auch noch einmal hervorheben, dass mit dem Projekt auch drei hervorragende moderne Bauten entstanden sind. Drei Bauten, die in ihrem Baustil unverkennbar modern und dennoch regional sind - wenn so in Zukunft gebaut wird, dann ist die Moderne Architektur doch nicht ganz verloren.

    Zum ersten ist dies Braubachstraße 23. Mit der Fassade aus rotem Mainsandstein ist es ein unverkennbar Frankfurter Gebäude und würde so weder in Hannover noch Stuttgart stehen können. Die gesamte Fassadenstruktur wirkt auf Fotos wie ein Rendering, so unwirklich und doch so passend. Obwohl es vom Bauvolumen nach dem Rebstock (und dem Stadthaus) das größte Gebäude des Dom-Römer-Projekts ist, fügt es sich doch sehr harmonisch ein - bis auf den Spitzbogen ohne jegliche historisierende Zutat.

    Zum zweiten und dritten sind dies die Gebäude Markt 14 "Neues Paradies" und Markt 10 "Schönau". Auch hier gehören die Gebäude mit ihrer Schieferverkleidung unverkennbar in die Frankfurter Altstadt und haben eine interessante Fassadengliederung, die beide Gebäude spannend wirken lassen. Genau wie bei Braubachstraße 23 ist auch hier bei beiden Bauten das Ergebnis wesentlich überzeugender als die Visualisierungen.

    Markt 40 "Zu den drei Römern" und Markt 8 "Großer Rebstock" sind ebenfalls sehr überzeugende Bauten, orientieren sich jedoch deutlich stärker an historischen Bauformen, weswegen ich sie nicht als Bauten der Moderne einstufen würde. Markt 40 ist jedoch eine äußerst spannende Neuinterpretation eines typischen Frankfurter Altstadthauses und könnte, von den Dachgauben abgesehen, zu jedem Zeitpunkt der letzten 100 Jahre gebaut worden sein - sowas nenne ich zeitlos.

    Was mich daher umso mehr wundert ist, dass alle Architekten die einfallslose Hundehütte so hervorheben. An diesem Gebäude ist doch wirklich überhaupt nichts dran, einfach nur ein Baukörper mit ein paar Fenstern drin. Das ist m.E. nichtmal Architektur, das ist einfach nur gebaut - aber ich habe auch keine Ahnung, habe schließlich nicht Architektur studiert....

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Zitat von heinzer

    Das Phänomen nennt sich im angelsächsischen Sprachgebrauch "acquired taste" und erklärt sich u.a. durch Gewöhnungseffekte.

    Das ist ein äußerst interessantes Phänomen, über das ich mir sehr oft den Kopf zerbrochen habe und vermehrt den Kopf zerbreche, vor allem im nichtarchitektonischen Bereich:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Ist man geschmacklich weiterentwickelt oder einfach nur meschugge geworden, wenn einem so etwas gefällt?
    Ich finde indes nicht, dass sich derartige Überlegungen auf das moderne Bauen übertragen lassen.
    Das oben verlinkte Stück ist ein komplexes Stück. Keiner kann es nachsingen, oder sich im Geiste genau vorstellen.
    Bier ist ein komplexer Geschmack, jeder der Bier liebt, wird einen Sprite-Radler als "banal" empfinden.
    Das Schlimme an der zeitgen. Architektur ist ihre lähmende Banalität. Hier sind die Fronten verkehrt. Nicht das Alte, vermeintlich Überkommene ist überschaubar-banal, das Gegenteil ist der Fall wie bei den FF FWHern, sondern das Neue.
    Bei der Architektur sollte man eher von Abstumpfung des Geschmacks reden, nicht von (positiver) Fortentwicklung durch Gewöhnung (=Lernen).

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.