Frankfurt a. M. - Altstadt - Dom-Römer-Areal

  • Heute Nachmittag durch die Frankfurter Altstadt geschlendert. Brechend voll (und das obwohl fast noch keine asiatischen Touristen da waren). Man kann der neuen Altstadt ja einiges vorwerfen, aber eines ist gewiss, es ist ein absoluter Besuchermagnet mit sehr hoher Anziehungskraft. Die Menschen lieben einfach die Altstadtbebauungen.

    Da würde ich gerne noch einen draufsetzen:

    Ich war vorletzten Samstag zum ersten Mal abends in der Altstadt, im Wirtshaus am Hühnermarkt, und als wir später aus dem Lokal rauskamen, staunte ich: Am anderen Ende des Hühnermarkts, bei Balthasar Ress Weinbar & Vinothek, war die Hölle los - drinnen und draußen drängten sich gut 60 Leute im geschätzten Alter zwischen 20 und 30 Jahren und feierten im Stehen. Wenn sich in der vermeintlichen Touri-Falle eine bei jungen Leuten angesagte Location befindet - was besseres kann der "Neuen Altstadt* doch eigentlich kaum passieren.

  • Leben, Anziehungskraft und Urbanität, die es zuvor nicht gab, und die in eindeutigem Zusammenhang mit der umgebenden Bebauung steht. Lerneffekt bei Stadtplanern? Vielleicht - schön wär's.

    In dubio pro reko

  • Leben, Anziehungskraft und Urbanität, die es zuvor nicht gab, und die in eindeutigem Zusammenhang mit der umgebenden Bebauung steht. Lerneffekt bei Stadtplanern? Vielleicht - schön wär's.

    Ist einfach eine bittere Erkenntnis, durch die die moderne Stadtplanung und Architektur da gehen muss. Sie muss ja anerkennen, dass ihre bisher angewendeten Techniken immer noch deutlichst schlechter sind, als ein empirisch entwickeltes Stadtbild. Und das sogar, wenn man dieses Stadtbild völlig aus seinem gesellschaftlichen Kontext reißt und nagelneu ohne Patina in eine moderne Stadt setzt, die höchstens noch rudimentär in ihrer Struktur mit dem alten Stadtgefüge etwas zu tun hat. Das ist so eigentlich sehr überraschend. Normal müsste man ja davon ausgehen, dass ein mittelalterlicher Städtebau, plus Architektur bis aus dem 19. Jahrhundert auf Anforderungen von damals eben zugeschnitten ist, und heutige andere Anforderungen und Lebensumstände nicht mehr gerecht würde, nicht mehr verstanden würde. Und dann beobachtet man einfach, dass das Gegenteil eintritt, der Städtebau, die Architektur funktioniert sofort mit den Menschen. Ein hingeklotztes Neubauviertel wird angenommen und funktioniert wie eine richtige Altstadt, wie eine lebendige, menschenfreundliche Stadt.

    Ich kann nur immer wieder betonen, dass dies in meinen Augen die Erklärung ist, warum sich viele Akteure so bedroht sehen von Rekonstruktionsprojekten. Die demonstrieren, dass es theoretisch eine derart gute Planung geben kann für jedes Neubauprojekt. Man hat nur nicht die umfassende Verständigkeit und Ressourcen dazu. Das stellt das wichtigste Axiom der Moderne auf den Kopf: Fortschritt durch Abwendung vom Althergebrachten, Planung vom leeren Papier aus.

    Um diese Leute ins Boot zu holen, müssen Wir eine positive Perspektive entwickeln. Wir müssten propagieren, dass mit der Computersimulation in Zukunft erstmals möglich sein sollte, solch eine funktionale und ästhetische Urbanität tatsächlich ohne Rückgriff auf einen Vorkriegszustand irgendwann zu erreichen. Dazu müssen die heutigen Planer nur erstmal möglichst tiefgreifend sich dem ersprobten Alten öffnen, was den weiteren Weg ermöglicht.

  • Die wesentliche Ursache für diese Menschenfreundlichkeit sind die Größenverhaltnisse. Der Mensch kennt eigentlich nur vier Zustände von Größen bei Häusern: Klein, passend, groß und zu groß. Der Maßstab ist immer der Mensch selbst. Ob eine monotone Fassade 100 oder 200 Meter lang ist, ist einerlei - es ist zu groß.

    Die moderne Architektur will rational sein und effizient bauen. Sieben bis 14 breite Häuser sind nicht effizient, die Erschließungskerne der Frankfurter Altstadt führen zu für Wohnungsbau relativ unwirtschaftlichen Grundrissen (an der BGF-Wohnflächenbilanz abzulesen). Trotzdem ist die Altstadt beliebter, weil sie menschengerechter ist.

  • Lerneffekt bei Stadtplanern? Vielleicht - schön wär's.

    Das traurige, aber - aufgrund der sich in diese Richtung (traditioneller Städtebau) nicht weiterentwickelnden Ausbildung - nicht überraschende ist doch, dass sich das immer wieder wiederholt: Stadt mit Stadtplanern will was tolles neues entwickeln („Aushängeschild“), Architekten wittern große Chance auf Renommierprojekt, beide haben wenig bis keine Lust auf Historie, Bürger schalten sich ein und wollen mehr Geschichte, mehr Urbanität, die Verantwortlichen lenken nur sehr langsam und äußerst widerwillig um (und auch nur mit Verwässerungsversuchen), nach Fertigstellung sind restaurative Projekte i.d.R. ein (großer) Erfolg, alle sonnen sich darin, dann stehen die nächsten städtebaulichen Entscheidungen an und der Zirkus beginnt von neuem, und von der versammelten „Elite“ - Architekten, Städteplaner, Feuilletonisten gibts auf restaurative Vorschläge sprunghaft wahlweise Kritik, Ausreden warum in diesem Fall nichts Historisches sein darf, Volksbeschimpfung oder überhebliches, paternalistisches „jetzt ist aber mal gut, ihr habt ja jetzt doch schon was ihr wollt“ nono:). In Frankfurt sind diese Mechanismen aktuell bei Paulskirche und Schauspielhaus zu sehen. Das wird sich erst ändern, wenn die Historie als Alternative auf Altstadtflächen (und darüber hinaus) immer als gleichberechtigter Mitbewerber mit in den Wettbewerb geht und die Menschen vor Ort auch wirklich mit eingebunden werden und nicht nur zum Schein. Ansatzweise konnte man das in Lübeck (und Potsdam?) beobachten.

  • Der Maßstab ist immer der Mensch selbst.

    Diese Referenzbeschreibung ist mindestens unzureichend. Wäre stets der Mensch selbst die Referenz, dann gäbe es ein relativ universelles Größenverständnis. Dies ist aber unzutreffend. Es gibt sehr große Gebäudekomplexe, die trotz der übermenschlichen Dimensionen als angenehm empfunden werden, weil die Referenzierung relativ erfolgt. Entsprechend schlecht ist übrigens die menschliche Wahrnehmung von Dimensionierung. Es ist sehr schwer für einen Beobachter festzustellen, wie groß absolut ein Gebäude ist. Als Referenz dient dann die Umgebung des Baus. Diese Wahrnehmungsverzerrung kennt jeder: Der Mond wirkt beim Auf- und Untergang deutlich größer, weil die Referenz am Horizont mit Bäumen z.B. gezogen wird.

    Das bietet übrigens dann auch Chancen. Denn die Folge davon ist, dass man nicht zwangsläufig für ein angenehmes Stadtbild in den Größendimensionen des Mittelalters bauen muss. Man muss sich nur an die relativen Verhältnisse der einzelnen Elemente zueinander halten. Sprich, z.B. Straßenbreite zu Häuserhöhe und -breite, Architekturdetails. Oder um es anschaulicher zu machen: Ich behaupte, man könnte ein mittelalterliches Fachwerkhaus um 20% optisch hochskalieren, und es würde niemandem auffallen, wenn die Referenz (Nachbargebäude, Straßenlaternen etc.) analog vergrößert würde.

  • thommystyle™ Was du schreibst ist völlig richtig. Das Problem ist, dass die "Elite" alles daran setzt zu verhindern, dass das eigene ideologische Gerüst zum Einsturz gebracht wird. Denn das käme für diese Leute einer existenziellen Sinnkrise gleich. Angesichts dieser Widerstände halte ich nur einen allmählichen Wandel, der durch jeden weiteren Erfolg traditionellen Städtebaus begünstigt wird, für realistisch.

    In dubio pro reko

  • Ein hingeklotztes Neubauviertel wird angenommen und funktioniert wie eine richtige Altstadt

    Den Begriff "hingeklotzt" für das Frankfurter DomRömer-Areal finde ich etwas unpassend gewählt. :zwinkern:

    Ansonsten war ich ja diesen Monat in Athen und sah, wie sich die Touristen durch das dortige Altstadt-Areal Plaka drängten. Es war noch nicht unangenehm, da wohl noch nicht Hauptsaison. Aber es soll auch nicht um das Thema Massentourismus gehen. Ich dachte nur dabei, welche Chancen sie (mal wieder) in Frankfurt haben verstreichen lassen, als sie sich entschieden, nun den Verwaltungsbau (Personal- und Organisationsamt) südlich des Römers an der Limpurgergasse zu sanieren, statt dort das Altstadt 2.0-Projekt zu verwirklichen. Es bleibt also ein vollkommen totes, ausgestorbenes Areal erhalten, statt das Erfolgsmodell der Altstadt in diesem Bereich zu erweitern.

  • Den Begriff "hingeklotzt" für das Frankfurter DomRömer-Areal finde ich etwas unpassend gewählt.

    Soll nicht despektierlich klingen, sondern die Brücke schlagen zu einem sonstigen Neubauviertel, das ja wortwörtlich geklotzt wird. Dieser Vergleich ist entscheidend. Es gibt nur ganz selten Quartiere, die sich vom Start weg gut entwickeln. Selbst das, wenn ich den Aussagen glauben schenken mag, heute erfolgreiche moderne Hafencity Quartier in Hamburg hatte schwere Anfangsschwierigkeiten. Ich erinnere mich noch an entsprechende Presseberichte. Und dieses Quartier ist ja sogar eher eine Positivausnahme, bei dem die moderne Stadterweiterung funktioniert hat scheinbar.

  • Heute Nachmittag durch die Frankfurter Altstadt geschlendert. Brechend voll (und das obwohl fast noch keine asiatischen Touristen da waren). Man kann der neuen Altstadt ja einiges vorwerfen, aber eines ist gewiss, es ist ein absoluter Besuchermagnet mit sehr hoher Anziehungskraft. Die Menschen lieben einfach die Altstadtbebauungen.

    Wenn das die verantwortlichen Entscheidungsträger in der Politik endlich mal begreifen würden. Auch Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor, der die Steuereinnahmen erhöht. Direkt: über Steuereinnahmen bei den Hotels, den Kaufhäusern, Cafés usw. Indirekt: die erhöhte Attraktivität der neuen Altstädte bringt längerfristig neue Bewohner, neue Firmen, die das neue Image lieben, neues Selbstbewusstsein für die Bewohner, die nun selbst zum Werbeträger ihrer Stadt werden.

    Bezogen auf Bremen, und das lässt sich ja wohl auf andere Städte übertragen, gibt es keine politische Partei, die ein Konzept darüber hat, wie die Stadt aussehen soll. Könnte bestenfalls heißen: Befragen wir doch die Bürger, welche Stadt sie haben wollen, wie die Stadt aussehen soll. Ist doch Ihre Stadt, oder.......................................

  • Wenn das die verantwortlichen Entscheidungsträger in der Politik endlich mal begreifen würden. Auch Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor, der die Steuereinnahmen erhöht. Direkt: über Steuereinnahmen bei den Hotels, den Kaufhäusern, Cafés usw. Indirekt: die erhöhte Attraktivität der neuen Altstädte bringt längerfristig neue Bewohner, neue Firmen, die das neue Image lieben, neues Selbstbewusstsein für die Bewohner, die nun selbst zum Werbeträger ihrer Stadt werden...."

    So ist es. Das kleingeistige Denken, bei dem die imagestärkende Wirkung von Rekonstruktionen komplett ausgeblendet wird, sehen wir ja auch bei der verstörenden Langen Franz-Debatte. "Besorgte Medien " mahnen zur Bescheidenheit und Schwurbeln etwas von der pragmatischen Notdachlösung. Zum Glück wissen es die Bürger und Touristen besser und freuen sich über die Stadtreparatur.

    ...

  • „Die immer Neue Altstadt“

    Ein kritischer Blick auf den Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt

    Das Ortskuratorium Neuss der Deutschen Stiftung Denkmalschutz lädt am Donnerstag, den 20. April 2023 um 19.00 Uhr ins RomaNEum, Brückstraße 1 in 41460 Neuss ein zu dem Vortrag „Die immer Neue Altstadt – Ein kritischer Blick auf den Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt“. Referent ist der Kurator am Deutschen Architekturmuseum (DAM) Frankfurt am Main, Philipp Sturm. Der Eintritt ist frei. Um Spenden für die Arbeit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz wird gebeten.

    Spannungsvoll wie die Baugeschichte der Frankfurter Altstadt selbst ist die Neubebauung der Fläche zwischen Dom und Römer. Kein anderes Areal in der Mainmetropole hat eine ähnlich reiche Historie und Architektur. Ebenso wichtig ist der Altstadtkern für Identität und Tradition. Um 1900 hielt die Moderne in die Stadt Einzug und forderte neben einem neuen Rathaus gleich auch den Straßenbahndurchbruch in der Braubachstraße. Pläne des von 1925 bis 1930 amtierenden Stadtbaurates Ernst May, die der desolaten Situation in dem hochverdichteten Gebiet entgegenzuwirken suchten, setzten später die Nationalsozialisten unter dem neuen Begriff „Altstadtgesundung“ um. Nach Frankfurts Zerstörung 1944 entbrannte mit Blick auf die Altstadt ein heftiger Rekonstruktionsstreit. Die 1950er Jahren sahen die Entstehung moderner Wohnbauten, 1974 wurde das Technische Rathaus gebaut. Eine erste Fachwerkrekonstruktion erfolgte 1983 am Römerberg, doch zeitgleich hielt mit der Schirn und der Saalgasse die Postmoderne Einzug.

    Dem Abrissurteil für das Technische Rathaus 2005 folgte eine hoch politisierte Kontroverse um die Neubebauung dieses Areals. Die neu entstandene Altstadt ist der Kern des Vortrages. Frankfurt steht exemplarisch für Wiederaufbau und Rekonstruktion. Parallelen zu Köln und Nürnberg oder zum Berliner Nikolai-Viertel und Dresdens Altstadt belegen dies.

    Köln, Nürnberg? Kannitverstan. :wie:

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Da sieht man einmal mehr: Die Rekonstruktion ist letztendlich immer ein großer Erfolg.
    Ein noch größerer Erfolg (wie man im Video hört) wäre es gewesen, hätte man noch mehr rekontruiert oder wäre bei den modernen Häusern traditioneller vorgegangen.

  • Günter Murr hat sich in einem kurzen Kommentar mit der Altstadt beschäftigt. Er erklärt den Erfolg jedoch nicht mit den Rekonstruktion und sieht sie auch nicht als Vorbild für andere Gebiete Frankfurts.

    Frankfurter Altstadt ist kein Vorbild für weitere Rekonstruktionen
    Die neue Frankfurter Altstadt ist gelungen. Fünf Jahre nach ihrer Eröffnung lassen sich Lehren ziehen, die aber nichts mit Fachwerk zu tun haben. Die richtigen…
    m.faz.net

    Ich denke, wir sind uns alle einig darüber, dass gerade die Rekonstruktionen das Gebiet so attraktiv machen und auch zukünftige Quartiere durch Rekonstruktion erheblich profitieren würden.

    Ansonsten erwähnt er natürlich einige gute Punkte, die öfter bei Projekten Beachtung finden sollten. Natürlich ist es möglich, auch ohne Rekonstruktionen einen attraktiven Ort zu schaffen, wenn man sich wirklich bemühen würde, aber man sieht, dass es mit ihnen einfach besser funktioniert.