Frankfurt a. M. - Altstadt - Dom-Römer-Areal

  • Das schlesische Problem ist nicht so einfach, Eryngium. Breslau hat imgrunde keine Alstadt mehr, sondern ist Stückwerk, wobei man natürlich nicht die Leistung der Ringplatzgestaltung madig reden soll. Dass Hirschberg für Warschau abgetragen worden sein soll, ist Legende, aber nicht richtig, es ist einfach durch die Nachkriegswirren immer mehr verfallen und wurde im Laufe der Zeit vereinfacht "saniert" bzw rekonstruiert. Darüber hinaus ist der massenhafte Verfall bzw Abriss in schlesischen Städten nicht zu leugnen, sieh dir bloß die Wiki-Artikel von Löwenberg und Liegnitz durch. In der heute typischen schlesischen Stadt fehlen 1- 2 Ringplatzseiten und sind durch Beton substituiert, auch in solchen , die den Krieg völlig unbehelligt überstanden haben, Reichenbach, Greiffenberg, Glatz, Wünschelburg etc...

    Den Wiederaufbau von Warschau und Danzig soll man nicht kleinreden, aber dieses Unterfangen war einfach viel einfacher als die FW-Altstadt von FFM. Ich bin übrigens sehr wohl der Meinung, was manche jetzt überraschen wird, da ich dies vielleicht noch nicht so dezidiert geäußert habe, dass das heutige Nürnberg eine Schande ist, und dass man in diesem einen Fall unbedingt eine besondere Kraftanstrengung unternehmen hätte müssen, um diese nicht nur für D. zentrale Stadt wenigstens zT in alter Pracht wiedererstehen zu lassen. Ich meine auch, dass das Danziger Modell der ungenauen, aber stilsicheren "Rekonstruktion" für viele Städte wie auch Köln oder Münster ideal gewesen wäre. Aber gerade in Sachen FFM gebührt dem Wiederaufbau die geringste Schelte, gerade hier ist zu sagen, dass sehr wohl etwas geleistet worden ist, das sich sehen lässt. Hier kann man auf etwas stolz sein und braucht nicht verschämt nach Danzig oder Warschau schielen, auch nicht, Eryngium, nach Schlesien. Es gibt übrigens ein schlesisches Beispiel für guten polnischen Wiederaufbau bzw für Sanierung: Bunzlau. Aber das sagt mehr über das heutige Schlesien aus, als es dessen Fürsprechern lieb ist: der dortige Bürgermeister bekam für sein Altstadtprojekt eine hochoffizielle Rüge wegen unpatriotischen Verhaltens. SO ging es dort zu!

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Also wenn ich mir viele deutsche Großstädte - West wie Ost - ansehe, dann finde ich können wir uns an vielen Stellen "ne dicke Scheibe von Polen abschneiden". ;)

    Wie Petersburg schrieb: in Zeiten der Mangelwirtschaft gelang etwas, dass bei uns kaum möglich war und ist.

    Soweit sind wir doch einig, oder?

    Und die Frankfurter Altstadt ist selbstredend ein Grund zu Freude und Stolz. Wieso auch nicht.
    Ich finde es stets befremdlich, dass es der eine oder andere Forist nicht vermag, sich am Erreichten zu freuen...

  • Ich hatte vor Jahren einmal irgendwo von einem Rekoprojekt von Küstrin,s Altstadt gehört , was daraus geworden ist oder auch nicht weiß ich nicht.

  • Die Befestigung ist saniert und ein Tor in die Stadt. Dort ist heute eine Tankstelle. Weiter wurde eine kleine Straße bei dem Tor bebaut. Der Rest ist etwa 1-3 m hoch und bewachsene Ruine.

  • Also wenn ich mir viele deutsche Großstädte - West wie Ost - ansehe, dann finde ich können wir uns an vielen Stellen "ne dicke Scheibe von Polen abschneiden". ;)

    Wie Petersburg schrieb: in Zeiten der Mangelwirtschaft gelang etwas, dass bei uns kaum möglich war und ist.

    Soweit sind wir doch einig, oder?

    Ich glaub, wir denken zu kompliziert und zu philosophisch. Wenn ich einmal mich selbst und mein Denken betrachte, so muss ich zugeben, dass für mich die Reko-Idee ursprünglich keineswegs selbstverständlich war. Ich kann mich erinnern, dass mich, als ich um 2005 in DD zum ersten Mal die FK gesehen habe, was mich sehr gefreut hat, die dort plakatierten Pläne der NM-Gesellschaft sogar befremdet haben. "Das kann doch nicht funktionieren, was soll das, man kann Geschichte nicht rückgängig machen.. das ist doch Kitsch und außerdem viel zu unreflektiert und zu radikal..." und der ganze weitere Blabla. Die Idee, dass man - völlig- Zerstörtes großflächig (ex nihilo) wiederaufbauen kann, lag mir einfach fern, und wahrscheinlich ist das bei vielen Menschen so. In PL ist man da offenbar viel pragmatischer und weniger irregeleitet. Der mittlerweile verstorbene Komponist Penderecki hat sich ähnlich über die Leipziger Universitätskirche geäußert: In D wird da endlos herumdiskutiert, was man darf oder kann oder soll - in PL wäre man schon längst hingegangen und hätte die Kirche ohne viel Gerede wiederaufgebaut. Davon kann man lernen, und was mich betrifft, habe ich das auch irgendwie gemacht. Die Rekonstruktionsidee ist deshalb in den Augen der Gegner so gefährlich, weil ein jeder Depp wie ich vor vollendete Tatsachen gestellt wird und am Schluss sieht, dass es eben doch irgendwie geht, dass Reko die weitaus beste Lösung ist, und dass der Faktor Authentizität angesichts eines wieder existierenden Gebäudes nicht ganz so wichtig ist, wie man sich vorher gedacht hat.

    Und wir sind keineswegs mit dem in FF Erreichten zufrieden, sondern fordern wie ein richtiger Süchtiger immer mehr! Fünffingerplätzchen, Garküchenplatz... warum soll das eigentlich nicht gehen, nachdem wir gesehen haben, was alles geht...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • In Deutschland ist die Verschandelung der Städte eine Form der Buße. Es geht nicht darum, was besser oder sogar schöner ist, sondern welches politische Signal damit ausgesandt wird. Das Signal ist in den Augen der Gegner „Geschichtsklitterung“. Jedes rekonstruierte Haus erinnert ihrer kranken Lesart nach an vordemokratische Zeiten, die vordemokratische Zustände erzeugen. Und natürlich sollen damit -ihrer Lesart nach- die Verbrechen ungeschehen gemacht und die Strafe, die sich in der Zerstörung der Städte bis heute ausdrückt, rückwirkend gemildert werden. Was echte Demokraten unter keinen Umständen dulden dürfen. Und jedes repräsentative Gebäude zeugt natürlich von Nazi-Geist, wie der Frankfurter Bürgermeister es ganz klar hinsichtlich des Schauspielhauses konstatierte: das ist ein Nazibauwerk (O-Ton). Ähnliche Töne kamen bereits zum geplanten Karstadt-Warenhaus. Darauf beschränkt sich ihre gesamte Kritik. Die Machbarkeit spielt hierbei keinerlei Rolle, wenn es um den Erhalt zerstörter und miserabel neuaufgebauten Städte als großangelegte Mahnmale geht, die einem 24/7 „Gegen das Vergessen!“ zurufen sollen. Jeder von ihnen weiß, was schöner und besser wäre. Genau deswegen sind sie auch so dagegen: die Frankfurter Altstadt oder das Berliner Schloss sprechen für sich selbst und übertönen jegliches ideologisch aufgeladene Gegenargument. Und das bereitet ihnen Sorgen. Das ist in Polen gänzlich anders.

    Hinzu kommt noch, dass das „Ringen“ um jedes Fachwerkhaus in den Augen der Gegner von demokratischer Streitlust und demokratischen Kompromissen zeugen soll (man könnte natürlich direktdemokratisch über Bauprojekte abstimmen lassen, aber dafür sind die deutschen Politiker eben doch zu autoritär veranlagt). Im heutigen Deutschland gilt es als Zeichen politischer Reife, wenn man Jahre um einen Giebel und Sprossenfenster ringt und sich im Klein/Klein administrativer Belanglosigkeiten verliert. Mit pausbäckigem Ernst wird ein „demokratischer Prozess“ simuliert, der von Beginn an keiner war. Um nach unzähligen „abwägenden“ Scheindebatten ein ideologisch motiviertes Ziel, das von Beginn an feststand, „demokratisch“ zu ummanteln. Natürlich nur bei „umstrittenen“ Projekten, wie einem Fachwerkhaus. Bei Industriebauten moderner Architekten von der Größe eines Fußballfelds inmitten von ehemaligen Altstädten geht es dagegen relativ zügig vonstatten. Auch dieses Spielchen ist in Polen so nicht vorhanden.

    Der dritte Punkt wären natürlich moderne Architekten, die schlichtweg handwerklich nicht in der Lage sind, etwas qualitativ Vergleichbares zu erschaffen. Deswegen lehnen sie Rekos so vehement ab. Ihre Büros sind letztlich von politisch motivierten Rekogegnern in den Parlamenten und von der Öffentlichkeit abgeschirmten Wettbewerben abhängig. Eine Volksbefragung wäre ihr Untergang und jede Rekonstruktion nagt an ihnen, sowohl aus ökonomischen Gründen, als auch aus Gründen der Scham. Schinkel braucht keine fünf A4-Seiten, die die Harmonie preisen, die „interessanten“ Materialien erläutern oder von „die schlichten kubischen Formen zitieren die Formensprache der umgebenden Gebäude, während die Glasfassade demokratische Transparenz andeuten soll, an deren Oberfläche die Abendsonne verspielte Brechungen des Lichts erzeugt, die an mittelalterliche Glasmalerei erinnern soll“ faseln. Sein Gebäude spricht für sich selbst und hat solche pöbelhaften Taschenspielertricks nicht nötig.

    Meiner Ansicht nach sind es diese drei Punkte, die es so schwierig machen, in Deutschland ordentliche baupolitische Entscheidungen zu treffen.

  • Wobei diese "Form der Busse" auch - Gott sei dank - dessen Ende sein wird:

    Welche 12 Jaehrigen Kinder oder 17, 18 Jaehrige lassen sich denn auf ewig bestrafen?

    Fuer etwas das diese Menschen gar nicht tun wuerden? Welcher 17 Jaehrige, vieleicht mit Migrationshintergrund

    laesst sich so was bieten? Zumal im Grundgesetz "Sippenhaft" sogar verboten ist.

    Ich freu mich jedenfalls, dass es bald zu veraenderungen in diesen Thema des Bauens kommen wird.

    Die Ewiggestrigen koennen ja medizinische Hilfe in anspruch nehmen, aber das Thema wie Staedte auszusehen haben,

    das entgeitet Ihnen. Auch schon deshalb, weil wir in einer Globalen Welt leben.

    Die Sache kann sogar nach hinten losgehen - Die jungen "Schuldigen" werden mit sicherheit die Schuld Frage nicht

    auf sich sitzen lassen. Ob Richtig so oder nicht ist egal. Man kann Menschen nicht ewig Geistig strangulieren.

    Interesannt wird es dann richtig, wenn wir von Rekonstruktionen zu Neuartigen Bauen uebergehen.

    Also das, was nach Bauhaus beu Neubauten kommt.

    Hier koennte dieses Forum schoene Ideen geben!

  • (...)

    Im heutigen Deutschland gilt es als Zeichen politischer Reife, wenn man Jahre um einen Giebel und Sprossenfenster ringt und sich im Klein/Klein administrativer Belanglosigkeiten verliert. Mit pausbäckigem Ernst wird ein „demokratischer Prozess“ simuliert, der von Beginn an keiner war. Um nach unzähligen „abwägenden“ Scheindebatten ein ideologisch motiviertes Ziel, das von Beginn an feststand, „demokratisch“ zu ummanteln.

    (...)

    Clintwood_Sprachgott! Das ist eine eigene Liga.

  • Die "Verschandelung" der deutschen Städte ist meiner Meinung nach nicht eine Form der Busse. Es ist einfach so, dass sehr vieles zerstört wurde und danach in damaligen Stil (Moderne) wiederaufgebaut wurde. Abgesehen von einigen Altstädten in Polen ist es überall in Europa ähnlich gelaufen (Coventry, Rotterdam, Caen, Amiens, Marseille, Belgrad usw.). Auch wurde in Deutschland nach dem Krieg weniger abgerissen als hier in Skandinavien (wenn auch etwas mehr als in Italien und Frankreich). Man muss auch fairerweise sagen, dass es einfacher ist, eine Stadt wie Danzig zu "rekonstruieren" als z.B. Braunschweig oder Hildesheim, wo die Häuser sehr aufwendig gestaltet waren. Historisierender Neubau wie in Lübeck ist in den alten Fachwerkstädten deutlich schwieriger.

    Aus Dänemark gesehen ist die Entwicklung in Deutschland seit 1989 sehr positiv: Die meisten Altstädte im Osten wurden schön saniert und viele verlorene Bauten rekonstruiert (Schlösser in Berlin, Potsdam, Hannover, Braunchweig, Frauenkirche in Dresden, Pellerhof usw.). Natürlich gibt es immer wieder Rückschläge und Ärgernisse, aber das ist nicht nur in Deutschland der Fall.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Welche 12 Jaehrigen Kinder oder 17, 18 Jaehrige lassen sich denn auf ewig bestrafen?

    Du unterschätzt, dass die Lehranstalten stark in der Hand eines bestimmten ideologischen Milieus sind. Das heißt, den Schülern und Studenten werden bestimmte Denksysteme einfach beigebracht. Sie empfinden das dann nicht direkt als Strafe, sondern als "selbstverständlich".

    Das funktioniert zum Einen, weil sie in einer ideologischen Blase gar keine Alternativmeinungen hören. Oder wenn, dann werden diese Alternativmeinungen nur in einem negativen Kontext präsentiert. So dass die völlig perplex sind, wenn sie die einmal "live" hören. "Meinst Du das jetzt ernst?", ist ein Satz, den ich schön öfter gehört habe.

    Zum Anderen funktioniert es durch das einfache Belohnungs-Bestrafungs-System. Wenn Du diese Auffassungen teilst und mitmachst, wirst Du belohnt, bekommst Aufträge und warme Worte. Wenn Du querschießst, läufst Du Gefahr, Dich zu isolieren, somit soziale und finanzielle Nachteile zu erleiden.

    Da braucht es eben eine mächtige Revolte der heute 12- bis 18-Jährigen, um dieses System aus den Angeln zu heben. Und Revolten glücken eigentlich vor allem, wenn es im Hintergrund Geldgeber gibt, die Türen öffnen und ein Interesse an einem Glücken haben.

  • Ich seh es auch so wie Däne. BS und FF konnte man einfach nicht so wiederhinstellen wie Warschau. Das heißt nicht, dass in Städten wie Münster, Köln, Rostock... genügend gemacht worden wäre. Das Danziger Modell hätte in solchen Städten bestens funktioniert, und es überzeugt auch mehr als die hypermonumentale Rostocker Stalin-Gotik. Man stelle sich vor, wenn man in Köln vom Rhein bis zum Gürzenich vom Heumarkt bis zur Domplatte, vielleicht auch noch in kleinen Traditionsinseln um Kirchen wie St. Maria im Kapitol und St. Serverin etc eine neue, dem Zustand um 1850 angepasste Altstadt aus schmalen Giebelhäusern hätte, mit ein paar erhaltenen Fassaden und ein paar präzisen Rekos und sonst gediegener Nachempfindung à la Danzig. Kein Mensch würde heute mehr drüber diskutieren, dass das (fast) alles nur "Fake" ist oder so einen Humbug.

    Warum es so nicht gekommen ist? Ich denke auch nicht, das "Bußbewusstsein" oder Nationalmasochismus die primäre Ursache war. mE ist die von mir oben beschriebene und auch an mir beobachtete philosophische Grundhaltung dran schuld, irgendeiner obskuren "Wahrhaftigkeit" zu frönen, statt einfach "schön zu bauen". Das kann man überwinden, und das findet auch jetzt vermehrt statt.

    In Fachwerkstädten wie FF bestehen eigene, dh extrem stark erhöhte Qualitätskriterien. Eine "ungenaue", rein äußerliche, nur simulierte Fachwerkaltstadt würde in der Tat leicht peinlich werden. Das FF Rezept der Mischung von punktgenauen Rekos. Spolien, qualitätsvollen Neubauten (über die man im Einzelfall natürlich geteilter Meinung sein kann und muss) und hin und wieder wahrscheinlich auch in Kauf genommene Ungenauigkeit war goldrichtig. Hier ist nur zu fordern: mehr und weiter! Gemeinsam mit der neuen Hochhaussilhouette und den erhaltenen Sehenswürdigkeiten würde sich, mittelfristig, ein extrem faszinierendes und einzigartiges Stadtbild ergeben.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Das mag nach dem Krieg so gewesen sein. Heute ist die Situation eine andere. Schauspielhaus und Karstadt: Nazi. Hotel Stadt Rom: „wir brauchen kein x-tes Hotel“. Das Pellerhaus? Hier wird gar nicht mehr so getan, als ginge es um ästhetische Fragen- der Nachkriegsbau darf einfach nicht verschwinden. Warum? Weil es ein Nachkriegsbau ist. Eine „Debatte“ um den Langen Franz (wir sprechen hier lediglich von einem historisch korrekten Turmaufsatz!) zieht sich über Jahrzehnte hin. Das Salzhaus harrt immer noch einer Rekonstruktion, obwohl zahlreiche Fassadenelemente erhalten sind. Wie endlos lange zogen sich die Diskussionen um den umgestülpten Zuckerhut hin? Hier geht es nicht mehr um den Zerstörungsgrad, sondern um reine Ideologie. Die leidige Debatte um die „rechten Räume“ sind letztlich nur die Spitze des Eisbergs. Aber auch unmittelbar nach dem Krieg, du nanntest ja Köln: der Abriss des Hauptbahnhofs, der ein bedeutender Teil des Ensembles Domplatz war, geschah ebenfalls aus ideologischen Gründen. Von den selbst im Sowjet-Block beispiellosen Abrissen in der DDR ganz zu schweigen (zur Erinnerung: zeitgleich baute Polen Warschau und Danzig auf). Der Vergleich hinkt auch in anderer Hinsicht: Frankreich und die Niederlande hatten noch zahlreiche erhaltene Städte und konnten sich bei Rotterdam und Calais einen Neuaufbau erlauben. London ging den Wiener Weg und ist im Kerngebiet heute weitestgehend intakt. Coventry wollen wir nun architekturhistorisch wohl kaum mit Dresden oder Frankfurt vergleichen… Am Ende des Tages sind es rein politische Gründe, dass Jahre vergehen, das „Für und Wider“ des Pfeilerhauses in Hildesheim zu „debattieren“, während in Polen ein Adelspalais nach dem anderen aus dem Boden sprießt. Das eine Land ist mit seiner Geschichte im Reinen. Das andere Land arbeitet städtebaulich immer noch die historische Schuld ab, auch wenn es sich das nicht eingestehen möchte. Alles, was nicht diesen empfindlichen Punkt zum Ursprung des (gewollten!) städtebaulichen Versagens nimmt, endet meiner Meinung nach in Scheindebatten.

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    Am Ende des Tages sind es rein politische Gründe, dass Jahre vergehen, das „Für und Wider“ des Pfeilerhauses in Hildesheim zu „debattieren“, während in Polen ein Adelspalais nach dem anderen aus dem Boden sprießt. Das eine Land ist mit seiner Geschichte im Reinen. Das andere Land arbeitet städtebaulich immer noch die historische Schuld ab, auch wenn es sich das nicht eingestehen möchte. Alles, was nicht diesen empfindlichen Punkt zum Ursprung des (gewollten!) städtebaulichen Versagens nimmt, endet meiner Meinung nach in Scheindebatten.

    Die Analyse ist in weiten Teilen zutreffend. Die historische Schuld wird unausgesprochen als Grund (vorgeschoben) nicht im historischen Kontext zu bauen. Mit dieser Meinungshoheit schafft es eine kleine, modernistisch eingestellte Funktionselite aus Architekten, Stadtplanern und Verwaltungsköpfen bis in die heutige Zeit das Aussehen unser Städte nach dem Krieg zu bestimmen. Wenn es nach der Mehrzahl der Bürger gehen würde (Zustimmung ca. 80 % pro traditionelle Architektur s. Baukulturbericht, Theyssen-Studien etc.) , dann würden die Städte so aussehen wie wir es hier im Forum propagieren.

    ...

  • Dass die wenig gelungene Nachkriegsarchitektur deutscher Städte einer Büßerhaltung ist, ist ein ebenso ideologischer Unsinn wie die These, Rekonstruktionen würden rechte Räume schaffen. Mir gehen derartige politisch motivierten Grabenkämpfe auf den Zeiger, denn sie untergraben gleich von zwei Seiten die ernsthaften Bemühungen um unsere Stadtbilder.

    Dabei wäre die fragwürdige Entwicklung unserer Innenstädte viel banaler zu erklären. Kein anderes Land hatte in seiner Bausubstanz so sehr unter den Kriegsfolgen zu leiden wie Deutschland. Die Wohnungsnot war riesig, der Druck des Wiederaufbaus auch. Es musste schnell Wohnraum geschaffen werden und die schlimmsten Kriegszerstörungen beseitigt werden, damit Infrastruktur und Verwaltung wieder funktionierten. An filigrane Rekonstruktionen war abgesehen von einigen Leitbauten kaum zu denken. Es folgte ein Wirtschaftswunder, das nur den schnellen Fortschritt kannte. Das ist in der Situation auch nicht verwerflich. Später folgten Pläne und Umsetzungen für die autogerechte Stadt. Dieses Umfeld und diese Voraussetzungen schufen Generationen von Architekten, die sich daran übten, nüchterne Nutzbauten zu errichten.

    Deutschland hatte aufgrund seiner zentralen Stellung im Kriegsgeschehen eine besondere Rolle inne und mit besonderen Herausforderungen nach Kriegsende zu kämpfen. Der Krieg führte dabei zu einem nicht zu leugnenden Bruch mit traditioneller Architektur, aus pragmatischen Gründen. Man tastet sich aber seit einigen Jahrzehneten allmählich wieder heran, wie die zahlreichen Rekonstruktionsprojekte in Frankfurt, Dresden, Berlin oder Potsdam nahelegen. Und wenn es gelingt, auf beiden Seiten die ideologiegetränkten Schuldzuweisungen dort stecken zu lassen, wo sie hingehören - nämlich ins Reich der Mythen - dann werden es auch noch mehr. Wir müssen nur damit aufhören, in jeder Rekonstruktion Geschichtsrevisionismus zu vermuten und in jeder Ablehnung eine Selbstgeißelung. Deutschland tut gut daran, mit seiner Vergangenheit verantwortungsvoll umzugehen. Die Entscheidung pro Rekonstruktion gehören dabei genauso zum demokratischen Spektrum wie die kritische Diskussion über den Sinn und die Wirkung wieder aufgebauter Altstädte.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • ... Die Wohnungsnot war riesig, der Druck des Wiederaufbaus auch. Es musste schnell Wohnraum geschaffen werden und die schlimmsten Kriegszerstörungen beseitigt werden, damit Infrastruktur und Verwaltung wieder funktionierten. An filigrane Rekonstruktionen war abgesehen von einigen Leitbauten kaum zu denken...

    Das Problem hatten die Polen aber auch tegula. Und trotzdem haben die's mit dem Wiederaufbau ihrer Innenstädte hinbekommen.

    Was die Grabenkämpfe angeht gebe ich dir aber recht.

    Meiner Ansicht nach, ist der Kern des Problems auch eher ein anderer.

    Zeitgenössisch zu bauen ist für die allermeisten Architekten schlicht einfacher. Es bedingt weniger Planung, entspricht dem was in der Hochschule gelehrt wurde und meistens ist es auch noch biliger (zumindest in den geschönten Vorfeldberechnungen).
    Weil diese Dinge aber natürlich nicht als Argument taugen, warum jetzt hier der nächste Riegel anstatt einer Rekonstruktion entstehen soll, bedient man sich einer moralischen Begründung und welche wäre da geeigneter und durchschlagender als die Alternative "undemokratisch" zu nennen. Die Entscheider in der Politik trifft das ins Mark und wer will sich schon dem Verdacht aussetzen rückwärtsgewandt zu sein. Den Investoren wiederum ist eigentlich schnuppe was gebaut wird, hauptsache es bringt fette Rendite.

    Somit ist ein Großteil des Gefasels über rechte und linke Räume eine Scheindebatte, die von den Architekturbüros angeschoben wird, um für ihren Mist einen Käufer zu finden.

  • Das Problem hatten die Polen aber auch tegula. Und trotzdem haben die's mit dem Wiederaufbau ihrer Innenstädte hinbekommen.

    Das gilt für eine Reihe von prominenten Städten, ja. Viele, sehr viel andere blieben trostlose Brachflächen oder wurden mit Plattenbauten bebaut, so wie wir es aus vielen ostdeutschen Städten her kennen. Als Beispiel mag ich hier mal Stettin und Elbing nennen. Vor allem in Kleinstädten sind kaum mehr als die Pfarrkirche, das Rathaus und ein Stadttor erhalten. Was uns in Erinnerung bleibt, sind die Paradebeispiele wie Warschau, Posen, Danzig oder Breslau.

    Weil diese Dinge aber natürlich nicht als Argument taugen, warum jetzt hier der nächste Riegel anstatt einer Rekonstruktion entstehen soll, bedient man sich einer moralischen Begründung und welche wäre da geeigneter und durchschlagender als die Alternative "undemokratisch" zu nennen. Die Entscheider in der Politik trifft das ins Mark und wer will sich schon dem Verdacht aussetzen rückwärtsgewandt zu sein. Den Investoren wiederum ist eigentlich schnuppe was gebaut wird, hauptsache es bringt fette Rendite.

    Ich habe noch nirgends von seriöser Seite das Argument gehört, Rekonstruktionen seien pauschal undemokratisch (Ausnahmen mögen so belastete Bauten wie die Garnisonkirche in Potsdam sein). In Potsdam, Berlin, Dresden hat man sich davon ja auch nicht abschrecken lassen. In Berlin nimmt das Schloss ein Museum auf, das der Völkerverständigung dienen soll. In Potsdam residiert sogar ein Landesparlament in einer Rekonstruktion. Würde man sich als das demokratische Medium schlechthin eines solchen Verdachts aussetzen, wenn es erst zu nehmende Bedenken hinsichtlich der demokratischen Legitimität der Rekonstruktion geben würde? Manchmal habe ich das Gefühl, dass man seinen Gegnern pauschal Argumente in den Mund legt, um seine eigene Position zu stärken. Das gilt für beide Seiten.

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  • Ich habe noch nirgends von seriöser Seite das Argument gehört, Rekonstruktionen seien pauschal undemokratisch (Ausnahmen mögen so belastete Bauten wie die Garnisonkirche in Potsdam sein).

    Pauschalisieren möchte ich das tatsächlich nicht, wie die von dir genannten Beispiele ja zeigen. Aber die von mir beschrieben Praxis begegnet einem jedoch auf Schritt und Tritt.
    Gerade in der jüngsten Debatte um die Rekonstruktion des Frankfurter Schauspielhauses wurde diese Argumentation doch wieder deutlich.

    Hier nur auf die Schnelle ein Biespiel aus der FR:

    "Das Glasfoyer mit seiner Transparenz und den schönen „Wolken“ von Zoltán Kemény steht exemplarisch für den Aufbruch in eine demokratische Kultur der Nachkriegsära. Der Dialog von Außen und Innen, den die Glasfassade ermöglicht, die ihrerseits wie ein Gesicht auf die Stadt schaut, war in den 60er Jahren ein Statement der ästhetischen Moderne. Es unterstrich, dass die Stadtgesellschaft offen sein wollte für Neues."

    Der Seeling-Bau schotte sich dagegen in seiner monumentalen Wucht nach außen ab und sei deshalb das genaue Gegenteil usw. usw.

  • Was Ihrer Polemik schon mal widerspricht, ist, dass es auch in Breslau wieder propper ausschaut

    Das ist keine Polemik sondern historische Tatsache, dass in den frühen 1950er Jahren mehrere Hundert Millionen Ziegelsteine aus den ehemaligen deutschen Gebieten - den nach polnischer Lesart sogenannten wiedergewonnenen Gebieten - nach Zentralpolen transportiert wurden, wobei es besonders Breslau betraf.

    Some towns in this new part of Poland were demolished to extract their bricks, which were transported to central Poland to reconstruct cities like Warsaw and build new ones like Nowa Huta. In the early 1950s, the municipal powers in Wroclaw (the former German city of Breslau) had to provide 150 million bricks per year for the reconstruction of Warsaw; this accounted for 12 percent of the entire country's annual production of bricks.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • tegula

    Das gilt für eine Reihe von prominenten Städten, ja. Viele, sehr viel andere blieben trostlose Brachflächen oder wurden mit Plattenbauten bebaut, so wie wir es aus vielen ostdeutschen Städten her kennen. Als Beispiel mag ich hier mal Stettin und Elbing nennen. Vor allem in Kleinstädten sind kaum mehr als die Pfarrkirche, das Rathaus und ein Stadttor erhalten. Was uns in Erinnerung bleibt, sind die Paradebeispiele wie Warschau, Posen, Danzig oder Breslau.

    Was war dann die Paradbeispiele in BRD? Münster? Nürnberg?

  • Was war dann die Paradbeispiele in BRD? Münster? Nürnberg?

    Die Wiederaufbauprojekte in der BRD waren in der Tat etwas bescheidener. Der Prinzipalmarkt in Münster oder die Altstadt von Rothenburg ob der Tauber würden mir auf Anhieb einfallen. Oder die zwölf romanischen Kirchen von Köln, die zum Teil schwerste Zerstörungen erlitten hatten. Der Marktplatz von Hildesheim wurde erst in den 80er Jahren rekonstruiert. Ich denke, da gibt es etliche Beispiele, auch wenn sie nicht alle an die Flächenrekonstruktionen der polnischen Beispiele herankommen. Aber Dresden, Potsdam und Frankfurt dürfen wir nun gerne danebenhalten.

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