Frankfurt a. M. - Altstadt - Dom-Römer-Areal

  • Über das Schwarz-Interview rege ich mich nicht übermäßig auf, der Mann hat halt eine andere Meinung und merkt, daß der Wind sich gedreht hat. Aber selbst Schwarz hat sich in der Tat schon ein bißchen bewegt:

    Zitat

    Wir könnten zum Beispiel prüfen, ob wir die Häuser am Krönungsweg historisch wieder aufbauen. Das wäre dann ein schöner Anblick auf dem Weg vom Römer zum Dom.

    Das wäre doch schon mal was, das klingt schon etwas besser als das bisherige klare "nein"

    Zitat

    Wir werden sicherlich an der Braubachstraße in zeitgemäßer Form bauen, aber mit für die Altstadt verträglichen Materialien.

    Also modern mit rötlichem Sandstein verkleidet - klingt nicht so überzeugend, aber wichtiger ist ohnehin der Dom-Römer-Bereich dahinter. An der Braubachstraße standen vor dem Krieg (und stehen heute noch) sowieso nur Gebäude aus dem 20. Jahrhundert, also keine "richtigen" Altstadthäuser, die waren ja bereits vor genau 100 Jahren abgerissen worden, als die Straße angelegt wurde. Wenn sie also irgendwo unbedingt Kompromisse machen wollen und "müssen", dann im Zweifel in Gottes Namen dort...

    Zu dem Argument mit den historischen Kostümen: Das ist uralt und wurde bereits vor Jahren gegen das Berliner Schloß verwendet (u.a. Interview mit M.v. Gerkan).
    Gegenargument: Dann sollten die Orchester auch keine Musik von Mozart, Beethoven und Bach mehr spielen, sondern lieber nur noch moderne Musik von aktuellen Komponisten. Warum aber spielen die Orchester wohl nach wie vor die uralten Stücke? Vielleicht weil die Musik großartig ist und die Leute das hören wollen?

    Zitat von "Ein_Hannoveraner"

    Übrigens wird ja auch in der Mode häufig rekonstruiert, und da wird insbesondere auf bewärtes, langlebiges und "stabiles" zurückgegriffen: schaut doch mal, wie viele Ende 70er-Parka´s im Moment wieder zu sehen sind.

    Okay, aber alte Fachwerkhäuser sind ja auch was schönes, Bundeswehrparkas dagegen finde ich ungefähr so chic wie das Technische Rathaus.... :zwinkern: (vor allem an Frauen... )


    @ Der Münchner

    Gut, endlich mal einen Münchner im Forum zu haben. Kommst Du vielleicht mal an der Poschinger Straße in Bogenhausen vorbei und kannst erzählen (oder gar fotografieren), wie weit die Thomas-Mann-Villa (siehe entsprechender Forums-Faden) inzwischen ist?

  • Schloßgespenst

    Kann ich mal machen, aber leider gibt es aus München auch immer mehr schlechte Nachrichten. Zusammen mit der Schrannenhalle am Viktualienmarkt ist das die einzige Reko in München. Im Gegenzug wurden wir von Coop Himmelblaus Anbau an der Kunstakademie beglückt und gestern im ZDF-Heute-Journal mußte ich mit Entsetzen die Pläne für ein neues Museum nahe der Pinakothek erblicken. Da hat sich ja schon die einfallslose Pinakothek der Moderne breitgemacht und jetzt soll da noch ein Museum für zeitgenössische Bilder entstehen. Leider habe ich auf die Schnelle den Namen nicht richtig mitgekriegt (sowas wie Buntthaus-Bilder o.ä.). Der Neubau von einem deutsch-britischen Architektenteam besteht aus einem Glaskasten mit einem rechtwinklig angestzten zusätzlichen Glaskasten mit Farbe Rosa.
    Da sind wir wieder im innovativen deutschen Architektur-Traumland.

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, diesen ganzen Unsinn, den Flagge, Schwarz, die Bartezkos u.a. verbreiten gar nicht weiter zu kommentieren. Ich muß Restitutor einfach recht geben: es stimmt einen beinahe schon wieder optimistisch, wenn man sieht, daß das einzige, was den Reko-Gegnern noch an "Argumenten" einfällt solche idiotischen Platitüden sind.

    Aber vielleicht doch eine kurze Bemerkung zu den "historischen Kostümen": wer so redet, der hat noch gar nicht verstanden, was eine europäische Stadt eigentlich ausmacht, nämlich gerade die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

    Der Normalfall der europäischen (Alt)stadt, den es leider seit dem Bombenkrieg in Deutschland fast nicht mehr gibt, ist ein Stadtkörper, in dem sich die Zeugnisse und Bauten vieler Jahrhunderte Geschichte, vom Mittelalter bis in die Gegenwart, oft organisch und harmonisch, manchmal auch kontrastreich, anreichern und übereinander schichten. Normalerweise - aber eben leider nicht in Deutschland - leben Menschen in Europa daher in Städten, die vom ganzen Reichtum der Geschichte Europas Zeugnis geben. In denen also z.B. das Mittelalter oder die Renaissance noch heute - am Beginn des 21. Jahrhunderts - lebendige Gegenwart sind.

    Wer das ablehnt wie Schwarz oder Flagge, der ist damit letztlich der Auffassung, eine Stadt dürfe nie und nimmer Zeuge der Geschichte, nie in Steinen und Bauten sedimentierte Geschichte sein, sondern dürfe immer nur das Gesicht der jeweiligen Gegenwart, der jeweiligen Mode tragen.
    Anders gesagt: nach der Auffassung von Schwarz und Flagge dürfte es genau die "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen", die die europäische Stadt ausmacht, nicht geben.
    Wenn sie ihren Spruch von den "historischen Kostümen" ernst nehmen würden, müssten sie also konsequenterweise dafür eintreten, unverzüglich auch die Altstädte von z.B. Florenz, Prag, Venedig, Brügge oder Rom bis auf den letzten Stein abzureißen. Ja überhaupt jede Stadt, sobald die Mode wechselt, bis auf den letzten Stein niederzureißen, alle Zeugen der Geschichte radikal auszulöschen und die Stadt jedesmal völlig neu zu bauen. Das klingt zwar absurd, aber es ist die einzig logische Konsequenz des "historische Kostüme"- Arguments ... und zeigt damit nur, wie idiotisch dieses "Argument" doch eigentlich ist.

    Was den Artikel von Daniel Bartetzko angeht, hat Restitutor auch hier schon eine herrliche Replik geliefert, die das vermeintliche "Argument" in seiner ganzen nichtssagenden Lächerlichkeit bloßstellt.
    Eigentlich ist es ja wirklich zum Heulen: Der Bereich der ehem. Frankfurter Altstadt, der bsi zur Zerstörung ein reiches Ensemble aller europäischen Bauepochen der letzten 700 Jahre war, besteht heute zu wahrscheinlich 95% aus Nachkriegsbauten. Nun soll ein winzig kleiner Teil der Altstadt wiederaufgebaut werden, der das Verhältnis 95%:5% im Höchstfall hin zu 85%:15% verschieben würde uns schon schreien einige hysterische Architekturkritiker, hier solle eine ganze Epoche der Architekturgeschichte (gemeint ist wohl die Nachkriegszeit) radikal ausgelöscht werden. Das ist so grotesk, daß es schon fast eine Selbstparodie ist.

  • Philon

    Das haben Sie korrekt dargelegt. Zudem könnte man den Ideologen entgegenhalten, daß sie selbst ausschließlich nach einer 80 Jahre alten Mode bauen, nämlich Bauhaus.
    Diese Leute schöpfen die Vielfalt der Möglichkeiten in der Architektur ungefähr genauso aus, wie ein Buschtrommler die Möglichkiten der Musik ausschöpft. Hier stehen wir lauter Buschtrommlerns gegenüber, die uns weismachen wollen, daß sie die höchstentwickelte Form eines Orchesters darstellen.

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • @GanskeStortSett

    Vielen Dank für den Link.
    Da kann man wieder das übliche Architekturgewäsch nachlesen:

    " qualitativ höchstes Niveau" und " entspricht in seiner Leichtigkeit, inneren Logik und selbstverständlichen Eleganz dem Profil einer Sammlung, die private Passion mit musealem Anspruch verbindet".

    Wenn man das liest, würde man gar nicht erwarten, daß das Gebäude in seiner WAHREN Logik und Kubatur eher einem metallverrbeitendem Betrieb am Stadtrand entspricht. :gg:

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Zitat von "Philon"

    . Wenn sie ihren Spruch von den "historischen Kostümen" ernst nehmen würden, müssten sie also konsequenterweise dafür eintreten, unverzüglich auch die Altstädte von z.B. Florenz, Prag, Venedig, Brügge oder Rom bis auf den letzten Stein abzureißen. Das klingt zwar absurd, aber es ist die einzig logische Konsequenz des "historische Kostüme"- Arguments .

    Naja, das stimmt nun auch wieder nicht. Es gibt schon einen Unterschied zwischen "historische Bauten nicht rekonstruieren" und "historische Bauten abreißen" Nach Flagges und Schwarzens Argumentation dürfte ja jeder seine originalen alten Kostüme noch tragen und waschen & bügeln, man soll sich aber, wenn die alten kaputt sind, keine neuen Kostüme schneidern lassen, die genau wie die historischen Kostüme aussehen, sondern ausschließlich moderne Kleider von heutigen Designern.

    Aber lassen wir dieses Gerede, Ihr habt schon recht, wenn das ihr bestes Argument sein soll, dann haben die Ihr Pulver bald verschossen.

    Ich bin wirklich gespannt, was da heute abend im Achitekturmuseum noch so alles geredet wird. Es könnte aber passieren, daß es gar keine Diskussion pro und contra gibt, sondern nur über das "wie" einer modernen Gestaltung geht. Das wäre allerdings Zeitverschwendung. Ich gehe aber auf jeden Fall hin...

  • Philon hat schon Recht: Da wird behauptet, eine Epoche der Architekturgeschichte werde ausgelöscht - und in Wahrheit geht es um die Rekonstruktion eines Altstadtbereichs, den man in weniger als 10 Minuten durchlaufen haben kann - und das in einer Stadt mit mehr als 600000 Einwohnern...
    Es ist ja offensichtlich, dass auch nach einer solchen Rekonstruktion Frankfurt immer noch überwiegend eine moderne Stadt wäre - sie hätte dann lediglich einen Traditionskern von einer einigermaßen zufriedenstellenden Größe.

    Zu den "Argumenten" unserer drei Freunde von der Kostüm-Fraktion: Wie heißt es doch so schön, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Nun muss also die Kleidung zum Vergleich mit Architektur herhalten. Machen wir uns eines klar: Ein Gebäude, das um 1600 errichtet wurde, kann 400 Jahre später immer noch stehen. Die Kleidung, die um 1600 "in" war, wird es hingegen 400 Jahre später nicht mehr sein. Modetrends sind sehr kurzlebig. Daher ist es kühn von Flagge und Co, hier überhaupt Parallelen ziehen zu wollen.

    Ich musste bei diesem Kleidungs-"Argument" spontan an etwas denken, was vor einigen Jahren ein von mir sehr geschätzer Didaktik-Prof an der Frankfurter Uni selbstkritisch gesagt hatte: "Die Didaktik ist keine Wissenschaft, sondern ein Modebetrieb. Wenn im letzten Jahr grüne Pullover angesagt waren, dürfen Sie in diesem Jahr keine grünen Pullover tragen." Und in der Tat ist es häufig so: Pädagogisch-didaktische Lehren und Inhalte, die vor einigen Jahren aufgekommen sind, werden heute von Vertretern dieser Zunft einzig und allein aus dem Grund abgelehnt, weil sie bereits einige Jahre alt sind. Und nun bekomme ich den Eindruck, als ob Frau Flagge diese Unart übernehmen und somit auch die Architektur zu einem reinen Modebetrieb degradieren will: Was gestern war, darf doch heute nicht mehr gehen! Insofern war ihr Kleidungs-Argument geradezu bezeichnend, denn eine bessere Metapher hätte sie für ihr eigenes Architekturverständnis kaum wählen können.

    Schlossgespensts Hinweis, dass man auch keine klassische Musik mehr spielen dürfte, ist vollkommen angebracht und verdeutlicht die ganze Dümmlichkeit dieser Position.

  • Da schauen uns die Modernisten mit großen Augen an und stammeln "A-a-a-aber man kann doch nicht so bauen wie vor 400 Jahren!?" und wir schauen mit großen Augen zurück und wundern uns "Aber was um Himmels willen sollte denn schon dabei sein!?"... - so ist das, wenn Weltbilder aufeinander prallen. ;)

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Darf ich euch das hier zumuten: http://bda-hessen.de/bda/bda_new5.htm\r
    bda-hessen.de/bda/bda_new5.htm

    Zitat

    Stellungnahme des Vorsitzenden des Bundes Deutscher Architekten BDA Hessen,
    Michael Schumacher, zu den Überlegungen in den Medien hin zu einer
    "Rekonstruktion der Altstadt" in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon]

    Wenn du ein Haus baust, denke an die Stadt (Luigi Snozzi)

  • Stephan

    Danke für den versauten Nachmittag :?

    Zitat:"Weiterhin müsste geklärt werden, wie rekonstruiert werden soll: so
    authentisch wie möglich, dann zieht und knarrt es und ist energietechnisch
    ein Desaster; oder mit auf den Fassaden "aufgeklebtem" Fachwerk und einem
    zeitgemäßen Haus dahinter. Letzteres wird dann aber, wie man am Beispiel der
    "rekonstruierten" Häuser am Pariser Platz in Berlin höchst überzeugend
    nachvollziehen kann, wie eine billige Replik wirken, bei der einfach keine
    Stimmung aufkommt."

    Wir können ja mal die Gäste des beliebten Hotel Adlon befragen, ob in ihren zugigen Zimmer mit Blick auf das Brandenburger Tor einfach keine Stimmung aufkommen will.
    Manchmal weiß man nicht, ob man sich vor Lachen den Bauch halten oder lieber ungehemmt weinen möchte.

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Ich finde, Michael Schumacher sollte sich darauf konzentrieren, bei der Formel Eins nicht aus der Kurve zu fliegen, statt sich hier auch noch einzumischen... :lachen:

    Im Ernst: Ein typischer Kommentar eines Architekten, was will man erwarten...
    Was für ein polemischer Blödsinn, etwas von aufgeklebtem Fachwerk zu erzählen, wenn seit über 20 Jahren mit der Ostzeile am [lexicon='Römerberg'][/lexicon] ein beispielhafter Fachwerkbau steht, der zeigt, wie "echte" Fachwerkhäuser originalgetreu Stein für Stein und Balken für Balken rekonstruieren und auch nutzen kann. Leidet der Mann unter Realitätsverlust???? :gehtsnoch:

    Er hatte übrigens auch schon zu dem Hotelprojekt am Opernplatz seinen Senf gegeben und für moderne Architektur geworben - nicht ganz erfolgreich, wie wir gottlob registriert haben. :zwinkern:

  • Wenn man das Zitat noch mal ganz genau durchliest, dann stellt man fest, dass dort eigentlich behauptet wird, der Pariser Platz in Berlin würde von Fachwerkhäusern gesäumt:

    Zitat


    [...] oder mit auf den Fassaden "aufgeklebtem" Fachwerk und einem zeitgemäßen Haus dahinter. Letzteres wird dann aber, wie man am Beispiel der "rekonstruierten" Häuser am Pariser Platz in Berlin [...] nachvollziehen kann, wie eine billige Replik wirken [...]"

    EDIT:
    Um es nochmal deutlich zu machen: Die Aussage hier ist, dass man am Beispiel des Pariser Platzes sehr gut sehen kann, wie billig aufgeklebtes Fachwerk wirkt. :schockiert:

  • Morgen (d.h. eigentlich heute, es ist ja schon nach Mitternacht) schreibe ich einen ausführlichen Bericht zum Vortrag im Architekturmuseum. Schlossgespenst ist jetzt der erste APHler, den ich persönlich kennengelernt habe.

    Eins vorweg: Der Denkmalschützer Christian Rusch war im Publikum und hat doch während der Podiumsdiskussion tatsächlich dieses saudämliche Kostüm-Argument wiederholt. Ich bin ja fast vom Stuhl gefallen...

  • "Lupenreiner Populismus"

    Auf dem Podium saßen: DW Dreysse (Vorsitzender des Städtebaubeirats), Adelgard Weyell (stellvertretende Vorsitzende) und Ernst Ulrich Scheffler (Mitglied des Preisgerichts), der Leiter des Stadtplanungsamtes Dieter von Lüpke, der Kunsthistoriker Dieter Bartetzko, Architekturkritiker der F.A.Z., außerdem ein Psychoanalytiker namens Leuschner.

    Im Publikum waren u. a. diverse Leute von den "Freunden Frankfurts" (sogar der erste Vorsitzende), Dominik Mangelmann, Jung-Unionisten, Wolfgang Hübner (BFF), der Architekt der rekonstruierten Löwenapotheke in Aschaffenburg, der Denkmalschützer Rusch, Schlossgespenst und ich. Die Verantstalgung war gut besucht, die Stimmung war zweigeteilt, etwa zur Hälfte Rekonstruktionsgegner und zur Hälfte Befürworter, was natürlich in keiner Weise die entsprechenden Mehrheitsverhältnisse in der Frankfurter Bevölkerung widerspiegelt. Wie sagte eine alte Dame von den Freunden Frankfurts, die bei mir in der Reihe saß: "Die haben ihre Claqeure mitgebracht." Ich saß übrigens neben dem Mann vom Wiesbadener Kurier.

    Ein mir namentlich unbekannter Mann hat die Herrschaften auf dem Podium erstmal vorgestellt und gleich hinzugefügt, dass es sich natürlich um eine tendenziös besetzte Runde handele (Zwischenruf aus dem Publikum: "Allerdings!"), aber die Podiumsdiskussion könne ja den nötigen Ausgleich schaffen.

    Dreysse begann mit einen Vortrag über die Geschichte der Altstadt an sich. Dabei versuchte er Akzente zu setzen in Richtung "Nur Nazis kümmerten sich um den Erhalt der Altstadt" (hat er so in diesen Worten nicht gesagt, war aber sinngemäß die Kernsaussage), was dann später in der Diskussion natürlich aufgegriffen wurde.

    Ich kann mich nicht genau erinnern, was Lüpke gesagt hat, außer dass er die jetzt entstehende Diskussion grundsätzlich positiv findet, da ein solches Bürgerengangement zu begrüßen sei (wenn auch seiner Meinung nach mit falscher Zielsetzung).

    Scheffler wies darauf hin, dass es in dem Wettbewerb ja hauptsächlich nur um Baustruktur und Maße gegangen sei, und dass die es vielleicht unglücklich gewesen sei, auch Fassadenvorschläge zuzulassen, man müsse davon abstrahieren. Danach sagte er, dass das, was jetzt von Seiten der Altstadt-Befürworter laufe, sei lupenreiner Populismus - der erste Tiefschlag des Abends, und es sollte nicht der einzige bleiben. Scheffler sprach irgendwas davon, es ja Gründe für die Bombardierung Frankfurts gegeben habe, worauf Hübner reinrief: "Dann betrachten Sie das wohl als Strafe?" Die Stimmung war spätestens jetzt ziemlich aufgeheizt.

    Bartetzko erwies sich, für mich überraschend, als der gemäßigste von dem ganzen Haufen. Er sagte, es sei für ihn weitaus eher Populismus, wenn man den Verlauf einer historischen Gasse derart ändere und dann immer noch von "Krönungsweg" spreche. In Bezug auf seine Bautradition brauche Frankfurt nicht den Mut zum Abschied, sondern den Mut zur Treue. Allerdings, so Bartetzko, sei es falsch, die Umsetzung dieses Mutes zur Treue in der Errichtung von Rekonstruktionen zu suchen. Statt dessen verwies er darauf, dass es nach dem Krieg einmal einen Plan gegeben habe, die noch stehengebliebenen Sandstein-Erdgeschosse der Fachwerkhäuser modern zu bebauen. Dies sei für ihn der bislang beste Plan zur Gestaltung der Altstadt: Glas- und Stahlkonstruktionen auf den historischen Erdgeschossen aus Sandstein.

    Dann durte mit Leuschner der Pyscho-Onkel erzählen, welche niederen Instinkte sich hinter dem Wunsch nach einer Rückkehr der Altstadt verbergen (meine Interpretation). Eigentlich, so Leuschner, ginge es nicht um Archiktektur, sondern um den Wert oder Unwert von Frankfurt. Die Sehnsucht nach einer Rekonstruktion sei eine direkte Antwort auf die Unwirtlichkeit vieler moderner Gebäude. Seiner Meinung nach aber seien Rekonstruktionen nicht die richtige Antwort, ein solches Projekt werde misslingen. Er nannte ein Beispiel für die verfälschende Wirkung von Rekonstruktionen: So sei beispielsweise der Stadtkern von Breslau so rekonstruiert worden, dass er polnische Geschichte repräsentiere, d. h. um vorzugaukeln, Breslau sei von jeher eine polnische Stadt gewesen.

    Dann kam die gute Frau Weyell an die Reihe, die meiner Meinung nach wirklich den Vogel abschoss. Sie bezog sich darauf, dass einer der Vorredner gesagt hatte, das Technische Rathaus sei keine schlechte Architektur, es sei nur am falschen Ort. Weyell dazu: "Ich bin nicht sicher, ob das Technische Rathaus am falschen Ort steht." Weiterhin erklärte Weyell, dass das Technische Rathaus damals bei seiner Errichtung als gut befunden worden sei (Zwischenruf aus dem Publikum: Wer befand es als gut? - Keine Antwort von Weyell). Gerade Touristen hätten sich für dieses Gebäude sehr interessiert (spöttisches Gelächter aus dem Publikum). Für Weyell stelle sich nun die Frage, ob der Abbruch gerechtfertigt sei, um eine scheinbar heile Welt wiederherzustellen.
    Für mich entspricht Frau Weyell dem Klischee einer weltfremden Gelehrten...

    So, das ist der erste Teil meines Berichts. Im zweiten geht es dann um die eigentliche Diskussion.

  • Na, das war ja schon mal eine geballte Ladung an Informationen...

    Kurze Anmerkungen:

    Zitat

    Die Veranstaltung war gut besucht


    ...ist noch untertrieben, der Saal war rappelvoll, die Leute standen zum Teil oder hockten auf der Treppe. Aber nicht alle waren interessierte Bürger (siehe unten).

    Zitat

    "Die haben ihre Claqeure mitgebracht."


    Den Kommentar der alten Dame hatte ich nicht mitbekommen. Das trifft es aber auf den Punkt. Es war auffällig, wie die ersten beiden Redner für ihre Anti-Reko-Positionen von gut 25 Leuten Anzugträgern mittleren Alters sofort wie auf Kommando Applaus bekamen. Das waren offenbar Architekten - und ich mitten unter ihnen (ich kam mir vor wie ein Eintracht-Fan in der Bayern-Kurve... :augenrollen: - und es kam noch schlimmer...). Aber ich möchte dem zweiten Teil von Restitutors Bericht nicht vorgreifen.

  • Dann kam es also zur Diskussion. Als erster aus dem Publikum ergriff Hüber das Wort. Er wandte sich an Dreysse und sagte sinngemäß, dass er es bezeichnend finde, dass Dreysse den Bund tätiger Altstadtfreunde in seinem Vortrag nicht erwähnt habe, der ja schon in den 20igern, also vor den Nazis, um den Erhalt der Altstadt bemüht gewesen war. Hübner warf Dreysse vor, dies bewusst verschwiegen zu haben, um es so darzustellen, als hätten sich nur Nazis für die Altstadt interessiert und um so die Rekonstruktionsbefürworter zu diskreditieren. Dreysse erwiderte, dies sei nicht seine Absicht gewesen, er habe die Altstadtfreunde nicht erwähnt, weil er einen möglichst kurzen Abriss der Geschichte der Altstadt habe vortragen wollen.
    Meine Meinung: Für mich ist es wenig glaubwürdig, dass mit dem Verschweigen der Tätigkeit der Altstadtfreunde keine Absicht verbunden gewesen sein soll.

    Ich kann jetzt natürlich nicht alle Redebeiträge wiedergeben, es lief aber sehr emotional ab und es gab Stimmen sowohl für als auch gegen den Wiederaufbau. Vielleicht mal ein paar Dinge, die mir in Erinnerung geblieben sind:
    - Dominik Mangelmann meldete sich zu Wort, um einige Halbwahrheiten zu widerlegen und sich gegen den Populismusvorwurf zu wehren.
    - Schlossgespenst hat in seinem Vortrag die Formulierung verwendet "Die rekonstruierten Fachwerkhäuser an der Ostzeile sind ja mittlerweile nach 20 Jahren allgemein akzeptiert", worauf der Mob aus den hinteren Reihen krakeelte "Stimmt nicht! Wir mögen die nicht!" und irgendein *Mensch* (habe gerade meine ursrpüngliche Wortwahl korrigiert) behauptete, das seien ja gar keine Rekonstruktionen.
    - Ein junger Mann hat meiner Meinung nach ein sehr gutes Argument in Richtung des Psychoanalytikers vorgebracht (vielleicht ist er ja hier im Forum?), nämlich, dass ja psychologisch nicht nur interessant sei, welche Motivationen hinter der Sehnsucht nach der Altstadt stünden, sondern es sei ebenso interessant zu fragen, welche Motive sich hinter der schroffen und übertriebenen Abwehrhaltung der Rekonstruktionsgegner verbergen. Meiner Meinung nach eine sehr interessante Frage.
    - Dann war da noch ein Mann, der sagte, wenn man sich ins Erinnerung rufe, dass die Altstadt 44 zerstört wurde, dann dürfe man nicht ausblenden, was 33 passiert sei. Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht ganz den Zusammenhang zu den Rekonstruktionsplänen, aber was soll's...
    - Dann gab's noch meinen eigenen bescheidenen Redebeitrag. Ich habe erstmal auf etwas geantwortert, was Bartezko direkt vor mir gesagt hatte. Bartetzko hat sich nämlich über Dresden ereifert und darüber geschimpft, wohin ein solcher Reko-Enthusiasmus führen kann, nämlich dass in Dresden das einzig Authentische, die historischen Keller, der modernen Nutzung weichen mussten. Ich wies darauf hin, dass er es ja nun nicht so darstellen könne, als seien die Rekobefürworter in Dresden daran schuld, dass die historischen Keller vernichtet wurden, denn die wollten das ja gerade nicht! Das war ja gerade eine Niederlage der Rekobefürworter. Bartetzko erwiderte, er habe mit dem Beispiel zeigen wollen, wie der Enthusiasmus von Menschen auch missbraucht werden könne. Naja, dann kam ich zu dem, was ich eigentlich sagen wollte: Nämlich, dass es ja nun eine Tatsache ist, dass es Rekonstruktionen historischer Gebäude in Deutschland gibt (Dresden, Hildesheim, Braunschweig, etc.), und das es ja in Anknüpfung daran ja auch zu einer Theoriebildung gekommen ist, z. B. darüber welchen Zweck solche Rekos erfüllen können, worin ihr Vorteil liegt usw (man findet in dem Buch über den Wiederaufbau des Hildesheimer Marktplatzes viel Interessantes dazu). Mein Vorwurf an die Runde war nun, dass damit ja überhaupt keine Auseinandersetzung stattfindet, stattdessen kommen Argumente wie Disneyland, Populismus, heile Welt, historische Kostüme... Daher findet die Diskussion meiner Meinung nach auf einem niedrigen Niveau statt und hat von der Seite der Herrschaften auf dem Podium auch was Dogmatisches. Ich schloss dann damit, dass ich ja kürzlich in Dresden war und dort nur begeisterte Menschen gesehen habe - daher ist die Diskrepanz in der Wahrnehmung der Laien und der Experten doch irgendwie erklärungsbedürftig. Vielleicht sollten sich die Experten angesichts dieser Tatsachen mal kritisch hinterfragen. Dreysses Antwort war, dass das die Laien vielleicht auch tun sollten. Ach ja, und ich hatte noch ne Frage an Scheffler, der vorher mehrfach davon gesprochen hatte, dass es ja ein Unterschied sei, ob man ein Gebäude direkt nach der Zerstörung oder einige Jahre danach wiederaufbaue oder aber erst nach 60 Jahren. Meine Frage war, ob er diesen Unterschied auch qualitativ, also inhaltlich irgendwie definieren könne. Meine Frage blieb unbeantwortet.

    Vielleicht kann Schlossgespenst noch was ergänzen. Mir fällt vermutlich später auch noch was ein...