Dresden, Neumarkt - Allgemeines

  • @Ursus

    100 % Zustimmung. Jeder normalsinnige Mensch würde daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Aber nein, in Dresden gibt es eine Stadtverwaltung die genau das Gegenteil macht und sogar den noch nicht einmal fertigen Neumarktbereich am Liebsten auf Postplatzniveau hinabstürzen möchte.

    Ohne den – noch - stimmigen Dresdner Neumarkt und der Hand voll wieder aufgebauter Vorkriegsbauten in Richtung Elbfront wäre auch hier Dresden eine grausliche Kloake wie im Rest der ehemaligen Altstadt.

  • Ergraut wie die Haare der Architekten, die genau wissen, was die Jugend sich wünscht. Genau so die Fassaden, deren Grundton grau ist. Das Grauen kennt keine Grenzen.

  • Deshalb wirkt auch der Spruch so schön zynisch, den Prof. Knerer auf dem geplanten Neubau am Postplatz anbringen möchte: "Ein Leben ohne Freude ist wie eine weite Reise ohne Gasthaus". Genau das spricht doch aus all dem Grau und der Einförmigkeit... :? :augenrollen:

  • Zum Thema Gestaltungskommission habe ich eine interessante Texttstelle im Buch "Abschied vom alten Dresden von M. Lerm, 1993 entdeckt. Dort heißt es auf S. 35:

    "Beleg für die zunehmende Politisierung waren bereits Mitte des Jahres 1946 Bestrebungen, den Einfluß der kommunistischen Mitglieder im Wiederaufbauausschuß zu vergrößern. Die 'Richtung' sollte durch die 'Einheitssozialisten gewährleistet werden'. Plädiert wurde auch für die Bildung eines zusätzlichen, beratenden Ausschusses: 'Hier haben die Vertreter der politischen Parteien, der Wirtschaft und Industrie die technischen Entschlüsse des Kollektives gutzuheißen und durch die von ihnen vertretenen Volksmassen zu aktivieren.'"

    Das Prinzip war also das gleiche wie heute: Schaffung einer Institution, die die gewünschte Richtung "gutheißt" und pseudo-demokratisch legitimieren soll... :augenrollen:

  • Quote from "Christoph"

    Das Prinzip war also das gleiche wie heute: Schaffung einer Institution, die die gewünschte Richtung "gutheißt" und pseudo-demokratisch legitimieren soll...

    So zynisch würde ich dann doch nicht sein! Meiner Meinung nach hat man von politischer Seite her mit der Einrichtung der Kommission keine ästhetischen Vorentscheidungen treffen wollen. Allerdings hat man die Besetzung dieses Gremiums den Experten mit ihren "geschulten Augen" überlassen, sodass das Ergebnis entsprechend sein musste. Letztlich ging es hier nicht um Demokrie, sondern, welch Ironie, um Qualität!

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Ohne Zynismus kommt man nicht weit.

    Quote

    (BB)Letztlich ging es hier nicht um Demokratie, sondern, welch Ironie, um Qualität!

    Naja, und die Frage, was Qualität ist, ist leider eben eine politische, zumindest in diesem Fall.

  • Quote from "ursus carpaticus"

    Ohne Zynismus kommt man nicht weit.


    Naja, und die Frage, was Qualität ist, ist leider eben eine politische, zumindest in diesem Fall.

    Präzisiere noch ein bisserl: "ideologische".

  • Quote from "ursus carpaticus"

    Naja, und die Frage, was Qualität ist, ist leider eben eine politische, zumindest in diesem Fall.

    Zumindest hat man von Seiten der Politik den falschen Leuten die "Entscheidungsbefugnisse" über Qualität verliehen.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Wir sollten die "geschulten" Augen eher "verschulte" Augen nennen. Qualität wird einseitig mit modernistischen Formen gleichgesetzt. Warum schweigen die Experten eigentlich über das Postplatz-Debakel und hetzten pausenlos über den Neumarkt? Hat die Gestaltungskommission etwa schlechte Arbeit geleistet, oder was ist am Neumarkt schief gegangen? Ich kann die ganze Verlogenheit nicht mehr ertragen, mit der gegen Rekonstruktionen gehetzt und für kubistische Zumutungen geworben wird.

  • Das Problem ist doch die vorherrschende Meinung, daß es sich nun mal um Fachleute handelt, und die können das eben am besten beurteilen, die "müssen es ja wissen" - und auf deren Urteil kann man sich verlassen. Die sind vom Fach, die wissen, was richtig und falsch ist. Dieses Obrigkeitsdenken gegenüber der Architektenschaft ist auch im Frankfurter Altstadtstreit bereits zum Problem geworden.

    So eine mit Architekten besetzte Kommission mag ja ihren Zweck erfüllen, wenn sie zum Beispiel verhindert, daß ein durchgeknallter russischer Oligarch oder ein dubaiischer Ölscheich am Neumarkt ein kitschiges Phantasieschloss mit bunten Türmchen und Kuppeln baut. Die Fachleute könnten auch dann hilfreich sein, wenn es darum geht, Verfälschungen und Vereinfachungen an einer geplanten Rekonstruktion zu verhindern (genau da waren die Fachleute aber leider ein Totalausfall, wie man in den Quartieren I bis IV sehen kann).

    Zu wenige Leute erkennen aber, daß man für die grundsätzliche Frage, ob historische Bauten rekonstruiert werden sollen oder nicht, eben gerade keine Architekten braucht: Für das "Wie" braucht man Fachleute - über das "Ob" können Bürger und Politiker selbst entscheiden. Und zu wenige erkennen, daß hier eine Minderheit mit allen Mitteln ihre Ideologie durchdrücken will.

  • Wer sind eigentlich die Experten mit den geschulten Augen? In Dresden sind es überwiegend Architekten. In der Gestaltungskommission ist ein einziger (Alibi-)Kunsthistoriker, nämlich Prof. Magirius.
    Diese Experten wollen ihre Deutungshoheit über die gebaute Umwelt, in diesem Fall der Altstadt behaupten. Welch Anmaßung der Bürger, mögen diese Experten denken, dass in der Altstadt auch Altbauten stehen sollen. Sie würden lieber die Altstadt neu erfinden und eine Traditionslinie erfinden, die selbstverständlich auf moderne Formen setzt. Die Bürger dagegen wollen Rekonstruktionen, weil sie es Leid sind, ihre Städte der destruktiven Deutungshoheit der Architekten preiszugeben.
    Was in Dresden, Frankfurt, Berlin etc. stattfindet ist ein Kampf um Zeichensetzungen im öffentlichen Raum. Im Falle von Rekonstruktionen verweigend die Experten ihre Mitarbeit und setzen vielmehr auf ein Misslingen.

  • Quote from "Vitruv"

    Im Falle von Rekonstruktionen verweigend die Experten ihre Mitarbeit und setzen vielmehr auf ein Misslingen.

    Richtig und darüber hinaus behaupten manche - nicht unbegründet - sogar, dass diese von wem auch immer so genannten "Experten" so gut wie keine Ahnung von Baugeschichte haben bzw. noch daran interessiert sind, um deren Manko nachzulernen. Wie soll da bitteschön etwas Ganzes dabei heraus kommen?!

    Der Jurist lernt Rechtsgeschichte in- und auswendig, ebenso der Mediziner in seinem Fachgebiet... . Das kann für den heute angehenden Architekten doch nur billig sein?! "Wer hohe Türme bauen will, der muss lange am Fundament verweilen" sagt ein Sprichwort.

  • Die Experten beladen sich dagegen garnicht erst mit dem schweren Gepäck der Geschichte. Dann müssten sie sich ja einem Vergleich stellen. Sie messen sich lieber am allerheiligsten Bauhaus und reden alles Vorherige als Puppenstubenarchitektur schlecht. Und zu allem Überfluss reden sie den Menschen, die Altbauten in der Altstadt erwarten ein, dass ihr Bedürfnis pathologisch und der immer komplizierter werdenden Zeit geschuldet sei. Wer sich von den immer gleichen Floskeln der Modernisten zu emanzipieren vermag, wird schnell erkennen, wessen Einstellung die eigentlich pathologische ist.

  • Der Widerspruch wurde beim Entwicklungsforum Innere Neustadt doch deutlich:

    Der "Experte" Pfau vom BDA wetterte zunächst gegen das "Drama Neumarkt", da hier nur für Touristen und nicht für Dresdner gebaut werde.
    Der "Experte" Pfau vom BDA meinte zu den Vorschlägen der GHND und den historisierenden Entwürfen "Fenster mit Sprossung, wo dann Kissen rein gelegt werden und der Fernseher, dass ist die Strasse - so etwas gibt es heute nicht mehr..."

    In einer ungeheuerlichen Abgehobenheit wird hier in regelrechter "Heilsbringermanier" für den modernen Dresdner gebaut. Der hat dann aber bitte nicht gemütlich, etwas konservativ und verträumt zu sein, sondern aufgeklärt, flexibel, offen und cool.
    Die derzeit in Dresden (und auch andernorts) maßgeblichen Architekten und Stadtplaner bauen letztlich für den ungebundenen, flexiblen und immer mobilen Menschen. Die Sterilität ist dabei das Zeichen für die Austauschbarkeit. Somit ist es egal, ob man heute in Dresden, morgen in Frankfurt und kurz drauf in New York ist. Hauptsache die Gebäude funktionieren - Eigenart, Detailverliebtheit, Identifikation, das Besondere etc. sind da völlig unwichtig. Da das ganze System mit mobilen überregional agierenden Investoren, Architekten und Planungsamts-Karrieristen so wunderbar funktioniert, muss es als Störung aufgefasst werden, wenn eine Bürgerinitiative Mitspracherecht einfordert.

  • Richtig, gebaut wird für den "Weltbürger", der sich in jeder Stadt zuhause fühlen soll. Emotionale Gebundenheit an einen Ort, an die Heimat, kennt dieser Architekt anscheinend nicht. Vielmehr soll dem Bürger die Gefühlsduselei gründlich ausgetrieben werden. Kalte Fassaden, die keinerlei Gefühle mehr zulassen, haben System.
    Derlei Architekten sind keine Heilbringer, sondern Unheilbringer. Sie prophezeihen die Entwurzelung und beschwören die Emotionslosigkeit. Solche Menschen sind die Ursache für vielerlei psychische Gebrechen. Das offene Geheimnis ist aber, dass sie die Worte, die sie sprechen, nicht ernst meinen. Ihnen geht es ausschließlich darum, mit dem geringsten Aufwand soviel Geld wie möglich zu verdienen - mit den immergleichen Kästen. Sie sind falsch bis ins Mark. Darum ist es so wichtig, dass es Bürgerinitiativen gibt, sonst würden sie ihr falsches Spiel solange betreiben, bis es nichts mehr zu verdienen gibt. Sie sind die wahren Demagogen.

  • Vitruv und Christoph:
    200 Prozent Zustimmung. Eure Worte könnten von mir nicht besser formuliert sein, sie treffen das Problem gut. :applaus:
    Das schlimme ist nur, daß immer noch Nachwuchs für diesen Architekten-Ungeist an den Lehranstalten erzeugt wird.

  • Volle Zustimmung!

    Die Besetzung der Gestaltungskommission mit BDA-Architekten ist geradezu grotesk. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Positionspapier des BDA von 2007 hinweisen, das sich mit den vielerlei vorhandenen Rekonstruktionstendenzen "auseinandersetzt".

    BDA Sachsen » Positionen

    Trotz meines eigenen Exkurses muss ich der Ordnung wegen darauf hinweisen, dass wir diese Diskussion an geeigneterer Stelle fortsetzen sollten.

    http://www.architekturforum.net/viewtopic.php?f=51&t=2459&start=72

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Quote

    Dresdner Debatte: Wie wird der Neumarkt ein Platz für die Dresdner?
    Öffentlicher Dialog zur Stadtentwicklung in Dresden startet am 8. Juni - http://www.dresden.de">http://www.dresden.de

    Quelle: GHND

    Eigentlich ist die Fragestellung verdreht: Auf dem Neumarktbereich tummeln sich Dresdner und Gäste, während das unmittelbar ringsum liegende Plattenbaughetto verständlicherweise links liegengelassen wird. Wenn diese unwirtliche Plattenbaulandschaft irgendwann einmal aus dem Altstadtbereich getilgt wird, dann besteht auch dort die Chance auf eine Urbanisierung, wodurch der Neumarkt sein Inseldsein verlieren würde.

    Also, wie wird die Plattenbaualtstadt rund um den Neumarkt so städtebaulich attraktiv, dass auch die Dresdner sich dort aufhalten wollen (und nicht als Plattenbau-Mieter).