Dresdner Bausituation II

  • Wenn das sogenannte Neue Palais überhaupt eine sehenswerte Seite hat, dann ist es doch wohl die Fassade zum Platz, da die anderen vor Belanglosigkeit und Primitivität schmerzen. Insgesamt schließt sie außerdem den Georg-Treu-Platz ganz gut ab, er zerfließt nicht mehr in einem diffusen Raum. So gesehen finde ich das "Palais" an dieser Stelle also gar nicht so schlecht. Leider gibt es aber z.B. an der Prager Straße bessere Beispiele von Abschreibungsarchitektur.
    Wie ist es eigentlich zu diesem Bauwerk gekommen? War es nicht so, dass der Investor vom Coselpalais den Bau der Stadt "abgetrotzt" hat, um das Palais wirtschaftlich betreiben zu können? Ähnliches hat man ja auch am Taschenbergpalais erlebt.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Zitat von "Schloßgespenst"

    Was heißt das? Die jetzige Blase überspannt doch auch den Hof. Daß sie sich so extrem nach oben wölbt, ist das, was mich so stört.

    Das klingt schon sehr logisch. Bei einer flach gewölbten Kuppel würden die Druckkräfte direkt im 45 Grad Winkel (oder anderem, flacheren Winkel) auf das Dach wirken und somit die Dachkonstruktion durch Schubkraft konstruktiv gefährden.

    Je senkrechter die Kräfte in das Mauerwerk abgeleitet werden, desto besser funktioniert die Lastabtragung – in dem Fall glaube ich über die Traufe – ins (lastab)tragende Mauerwerk.

    Die Variante mit der einfachen - sprich nicht gewölbten - Glasfläche würde in diesem Fall so wirken wie eine Platte oder liegende Scheibe, die ringsum auf den Traufen wie ein Deckel darauf liegt und somit die Lasten linear in die Außenmauern ableitet.

    Ich bin natürlich kein Statiker, aber ungefähr so dürfte das bautechnisch funktionieren.

    Ad türkiser Hängerost: Soviel ich gehört habe (bitte korrigiert mich, wenn ich mich hier irren sollte), war das der glorreiche Einfall der Stadt(?) Dresden, damit diese Seite des „Palais“ eine Art Gliederung erhält und nicht so bieder in Richtung Platzfront wirkt… Der heute so oft gegen die missglückten Bauten (z.B Prisco Passage) am Neumarkt wetternde, ehemalige Baubürgermeister Just hat anscheinend auch schon vergessen, dass diese absolut unglücklichste Neumarktlösung (neben dem Kulturpalast) auf seinem Mist gewachsen ist. Es sind leider immer die selben Tölpel, denen wir diese Glanzstücke zu verdanken haben…den Baubürgermeistern! Ob schwarz oder rot, ohne GHND wär der Neumarkt längst schon tot!

  • Zitat

    Je senkrechter die Kräfte in das Mauerwerk abgeleitet werden, desto besser funktioniert die Lastabtragung – in dem Fall glaube ich über die Traufe – ins (lastab)tragende Mauerwerk.
    Die Variante mit der einfachen - sprich nicht gewölbten - Glasfläche würde in diesem Fall so wirken wie eine Platte oder liegende Scheibe, die ringsum auf den Traufen wie ein Deckel darauf liegt und somit die Lasten linear in die Außenmauern ableitet. Ich bin natürlich kein Statiker

    Ich eben auch nicht, ich habe sehr wenig Ahnung von solchen Dingen. Aber gibt es nicht viele Gebäude mit flacheren Gladächern über dem Innenhof? Das Berliner Zeughaus fällt mir da spontan ein. Oder ist dort der Innenhof sehr viel kleiner und daher physikalisch nicht vergleichbar?

  • Exilwiener hat glaube ich so schon recht mit seiner Theorie. Der große Unterschied zum Zeughaus, wo der Innenhof größer als in Dresden ist, ist der, dass dort wohl die Kuppel direkt an der Traufkante ansetzt und die Kräfte somit nicht in den Dachstuhl, sondern gleich ins Mauerwerk abgeleitet werden können.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Naja, was will man in der Prager Straße noch falsch oder richtig machen. Städtebaulich ist das gesamte Areal meiner Meinung nach eh verloren. Ein Riesenkubus neben dem nächsten, 100 m lange Plattenbauten, da erübrigt es sich über Details wie Waben an einem Kaufhaus oder Skulpturen im Stadtraum zu diskutieren. Hier wurde so viel Potential verschenkt.

    Das zynische ist ja, dass die einzig qualitätvollen modernen Entwürfe, die für Dresden je entwickelt wurden, nie kommen werden (Gewandhausentwürfe) und dass man am Wiener Platz oder in der Prager Straße, wo viele dieser Entwürfe hätten gebaut werden können, nur minderwertiger Schrott gebaut wurde. Der Wiener Platz hätte ein zweiter Potsdamer Platz werden können. Am Ende wurden es monotone Kuben, eine sanierte Endlosplatte und ein Kugelhaus, dass von der Idee gut gedacht, aber konsequent schlecht umgesetzt wurde.

    Wo war denn der wegweisende Wettbewerb für den Wiener Platz, wo waren die tollen Entwürfe der Architekten, die sich immer aufregen, dass sie in Dresden angeblich keine Chance haben. Wenn man darüber nachdenkt, könnte man sich 24 Stunden am Tag nur ärgern!

    APH - am Puls der Zeit

  • Ich trauere immer noch diesem Entwurf hinterher. Am Wiener Platz ein absoluter Hingucker.


    Estudio Banezzi Veiga S.L. (Barcelona) (Quelle: GHND)


    Auch 2-3 weitere Entwürfe, darunter der erste Platz von Cheret hätten dem Wiener Platz gut gestanden.

    APH - am Puls der Zeit

  • Zitat von "Wissen.de"

    der erste Platz von Cheret hätten dem Wiener Platz gut gestanden.


    Ein großes Loch gibt es ja noch. :D

    Mir hatte der Cheret-Entwurf auch richtig gut gefallen und ich kann es nicht verstehen, dass es anscheinend ein unüberwindbares Tabu ist, ihn an anderer Stelle zu verwirklichen. Postplatz, Ferdinandplatz, es gäbe so Viele...

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • naja ich denke die Architekten haben dies damals im Rathaus ziemlich erklärt, es stand immer die Behauptung im Raum , man habe die umliegende Bebauung aufgegriffen und in den Entwurf einfliesen lassen,nach solchen Aussagen würde es natürlich seltsam anmuten wenn plötzlich an anderer Stelle gebaut würde. Aber ich gebe Euch Recht, das wäre mal ein würdiger Eingang für die Stadt gewesen............

  • Ich frag mich überhaupt langsam, ob die Verhinderung des Neuen Gewandhauses nicht ein Pyrrhus-Sieg war. Offenbar ist die Modernistenlobby einfach zu stark, als dass das NM-Konzept umgesetzt werden kann. Eher machen die aus Bosheit alles kaputt.
    Mit den qualtitätvollen Entwürfen wäre zwar nicht der alte NM wiedererstanden, aber immerhin ein auf seine Art unikates Ensemble. So hätten die Architekten ihren Triumph, ihr modernistisches Symbol gehabt, das man sich damals sicherlich teuer abkaufen hätte lassen, gegen diverse Zugeständnisse etwa in der Rampischen oder der Moritzstraße.
    Nun wird alles verhindert, auf die lange Bank geschoben. Den Rest wird wohl die Wirtschaftskrise erledigen, und irgendwann wird der NM mit Billigschrott ergänzt werden, da, so werden sie argumentieren, dies immer noch besser als diese ewige Brache erscheint.
    Ich will nicht sagen, dass aus damaliger Sicht falsch gehandelt wurde, beileibe nicht. Aber mit dem langen Atem der Gegner hat wohl niemand gerechnet.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Stefanius:

    Ja, die Argumentation lautete: Dieses Gebäude wurde genau für diese Stelle am Neumarkt konzipiert, greift das Johanneum auf, nimmt in Sachen Materialität und Charakter Bezug auf die unmittelbare Umgebung, usw...

    Das alles mag sein, aber man sollte sich flexibel auf neue Situationen einstellen - den Entwurf stur und beleidigt beiseite legen ist nicht unbedingt die beste Lösung.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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  • Ich möchte noch einmal auf einen ganz bestimmten Punkt verweisen, der hier bislang viel zu kurz kam und der einmal ausführlich diskutiert werden müsste.

    Warum gab es für den Wiener Platz keine derart qualitativen Entwürfe wie für das Gewandhaus oder den Potsdamer Platz in Berlin. Ähnlich wie in Berlin konnten sich die Architekten hier frei austoben. Sie konnten Straßen verlegen, Plätze schaffen, Gebäude nach Belieben gestalten. Es gab doch keine Regelungen, nichts was sie gehindert hätte, sich einmal richtig zu verausgaben und zu zeigen, was die Moderne kann. Hier hätte man einen Solitär schaffen können, ähnlich der Oper in Sydney oder dem Guggenheim in Bilbao, eine Ikone der Moderne, gleichberechtigt neben der Frauenkirche, dem Zwinger und der Semperoper. Warum wurde diese Chance einfach weggeworfen?

    Hier standen den Architekten doch alle Türen offen. Hier war alles möglich. Man musste keine Rücksicht auf andere Gebäude, Traufhöhen oder sonst was legen. Davon muss ein Architekt doch träumen. und dann kommt so ein Resultat dabei heraus. Und statt sich selbst einmal zu hinterfragen, was hier falsch gelaufen ist, drängt man mit aller Macht auf den Neumarkt, einer Fläche von vielleicht 4-5 Fußballfeldern, um aus reiner Geltungssucht ein winziges Rekoareal zu zerstören, einfach aus der Angst heraus, dass den Leuten die Rekos besser gefallen könnten und sie sehen könnten, wie unterlegen die Moderne bis auf wenige Ausnahmen den "alten" Bauten ist.

    Darüber müsste mal diskutiert werden, denn damit würde man den Problemen der Moderne viel näher kommen!

    APH - am Puls der Zeit

  • Zitat von "Wissen.de"

    Man musste keine Rücksicht auf andere Gebäude, Traufhöhen oder sonst was legen.


    Aber man mußte Rücksicht auf das zerstörte Vorkriegsdresden nehmen. Und dementsprechend sollten hier wieder Würfelhäuser entstehen.
    Mir gefällt der Wiener Platz eigentlich ganz gut, ich weiß nicht, warum er hier so gehasst wird. Immerhin ist hier ein harmonisches und für sich geschlossenes Ensemble entstanden, wenn auch die Einzelbauten nicht grandios sind. Das freie Loch in Richtung Prager könnte aber gerne mit etwas Besonderem gefüllt werden. Das Kugelhaus hat sein großes Potential leider nicht genutzt, da gebe ich Dir Recht, Wissen.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
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  • ich kann mit dem Potsdamer Platz in Berlin nichts anfangen, der Wiener Platz ist allerdings wirklich nicht das Schlechteste was ich im Rahmen der Moderne in den letzten Jahren in Deutschland gesehen habe.

    @Wissen.de unterhalte Dich doch mal mit Architekten, dann dämmert einem recht schnell wo die Probleme liegen.

    @Ursus ich habe mehrfach versucht Dir eine PM bezüglich Deines Breslau DD Vergleiches zu schicken, ich habe den Eindruck dass dies irgendwie nicht funktioniert. Falls Du plötzlich 3 Nachrichten von mir bekommst, Sorry

  • Stefanius
    Passt, schon, danke, ich bastle grad an einer Antwort. bin aber heut reichlich müde und weiß nicht, ob noch was Rechtes draus wird.
    mfG uc

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • @wissen
    trefflich beobachtet und formuliert.
    Mich regt diese Thematik vor allem im Zusammenhang mit dem Altmarkt auf. Wiener und Post und Pirnaischer Platz sind schließlich (an ma. Maßstäben gemessen) einigermaßen peripher, hier stand auch niemals etwas wirklich Bedeutendes, aber dass ein agorales Zentrum wie der Altmarkt dermaßen in Belanglosigkeit versinkt , ist ein starkes Stück.
    Auch hier hätte zB der Cheret-entwurf gut gepasst und einen ansprechenden Kontrast zum Stalin-Barock bzw zu etwaigen Rekos ergeben.
    Stattdessen Investorenmüll der üblesten Sorte. Und hier ist kein Arschitekt da, der stattdessen "moderne Architektur" verlangt.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
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    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Danke Wrba, Dein Blog ist super!!!

    Interessant, dass auf dem Bauschild immer noch das Gewandhaus drauf ist. Sie könnens nicht lassen. :zwinkern:
    Und auch der fürchterliche Q7-Entwurf darf zur Abschreckung nicht fehlen. Dass sich an dieser Stelle mal Kollhoffs enge Schloßstraße mit Mailänderpassageneingang hätte befinden können, verdränge ich besser...

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  • Mir ging es einfach auch nochmal darum, dass diesem Mythos, in Dresden hätte die moderne Architektur nie eine Chance gehabt, einmal entschieden entgegenzutreten. Eine Lüge wird nicht wahrer wenn man sie nur oft genug wiederholt. Darauf sollte auch in der öffentlichen Diskussion viel häufiger hingewiesen werden.

    Die Moderne hatte ihre Chance in Dresden, mehrfach, sie hat sie einfach nicht genutzt. Dies ist die Wahrheit.

    Und im Bewusstsein des eigenen Versagens stellt man dieser gruseligen Mittelmäßigkeit dann eine Ikone des Barock, die Frauenkirche gegenüber.

    Und die Leute sind doch nicht dumm. Sie sehen doch auch die Unterschiede. Und es ist doch klar, dass die Architekten mit aller Macht versuchen, die Strahlkraft weiterer Rekos einzugrenzen und die Frauenkirche in eine Sonderposition zu schieben, denn wenn die Rekos erst mal flächig da sind und von der Öffenbtlichkeit respektiert und akzeptiert werden, dann könnte dies zum Dammbruch werden. Und dies ist partiell doch schon geschehen. Die Diskussionen in Frankfurt und Potsdam, aber auch in Berlin zeigen dies doch eindrücklich. Daher müssen die Architekten, aus ihrer Sicht, natürlich alles versuchen, um das Rekoprojekt scheitern zu lassen, damit es keine Nachahmer gibt. Denn es geht hier um den Bestandschutz einer ganzen Berufsgruppe und noch wichtiger, einer Ideologie. Diese wird bis zuletzt verteidigt.

    APH - am Puls der Zeit

  • Zitat

    Mich regt diese Thematik vor allem im Zusammenhang mit dem Altmarkt auf / Altmarkt dermaßen in Belanglosigkeit versinkt , ist ein starkes Stück. / Investorenmüll der üblesten Sorte.


    Du kennst ja meine Meinung, ich kann sie mir auch hier nicht sparen. Stalinbarock und Legohaus finde ich weder belanglos noch Investorenmüll der übelsten Sorte. An diesem innerstädtischen Platz ist es mir deutlich lieber, die Harmonie und der behäbige Charakter in Sandstein bleiben einigermaßen gewahrt, als dass Cheret oder Dekonstruktivismus einkehrt (was Du wohl bevorzugen würdest). Extravagante Moderne sehr gerne in die sozialistische Trostlosigkeit, aber nicht zur Vollendung eines historisierenden Altmarkts - hier ist mir das Ensemble wichtiger als der spektakuläre Kontrast.

    Das Legohaus: http://3.bp.blogspot.com/_hyMAHRDzt_I/S…2XY/s1600/9.JPG
    Quelle: Wrbas Dresden-Blog

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