Hildesheim - Rekonstruktion 'Umgestülpter Zuckerhut'

  • Ich denke, der Betonsockel ist einfacher (= billiger) zu erstellen als ein richtiger Bruchsteinsockel. Der wird dann hinterher noch hübsch verblendet, und das Bild des Zuckerhuts ist komplett. Jetzt muss nur noch ein Experte auf die glorreiche Idee kommen, ein Blech zwischen Sockel und Schwelle zu legen, und die Fäulnis ist perfekt vorprogrammiert - solche Ausführungsdetails haben Handwerker noch vor wenigen Jahren auf Lager gehabt.
    Was den Baugrund angeht: genau unter dem Zuckerhut laufen in der Tat mehrere Leitungen entlang, auch ein großer Abwasserkanal (der wohl recht desolat ist, in der Zeitung stand, der müsse saniert werden.) Da ist wohl wirklich nicht mehr viel archäologisch Interessantes vorhanden. (Ganz im Gegensatz zum Platz selber - bei der Umgestaltung vor einigen Jahren kamen ja jede Menge Knochen zum Vorschein.) Ich habe beim Ausheben der Baugrube zufällig gesehen, dass direkt vor den Pfeilerfundamenten des Pfeilerhauses eine Sandsteinmauer zum Vorschein kam, die in der Baugrube aufhörte. Vermutlich ist das das Fundament der alten Friedhofsmauer. Da der Bauherr aber bis Weihnachten Richtfest feiern will und im März das Haus eingeweiht werden soll, wäre natürlich jede Verzögerung nur störend gewesen.

  • Der Zuckerhut wird nicht in einer Nacht- und Nebelaktion aufgebaut, sondern in enger Zusammenarbeit mit der Stadt (Denkmalbehörde). Dazu gab es in der lokalen Presse genügend Berichte. Ohne das ok der Stadt hätte man bestimmt nicht weiter bauen können – auch da scheint es keine Probleme gegeben zu haben. Nur einige Häuser weiter entfernt hat man z.B. beim Neubau am ehem. Woolworth-Gebäude auch die historische Kelleranlage entdeckt und einfach in den Neubau integriert.

  • Zitat von "Riegel"

    Wegen aufsteigender Feuchtigkeit habe ich keine Bedenken, da gut verdichteter Beton wasserundurchlässig ist. Bei Bruchsteinmauerwerk ist die Kapillarwirkung grösser, egal was für ein Mörtel verwendet wird. Nimmt man einen harten Zementmörtel (also wie bei Beton), so löst sich dieser mit der Zeit von den verwendeten Steinen, seien es Bruchsteine, Ziegel oder dergleichen. Die so entstehenden dünnen Spalten (Haarrisse) ziehen dann das Wasser wiederum an. Nimmt man einen weichen Mörtel - wie nach historischem Vorbild Kalkmörtel - so saugt dieser selber Wasser auf.

    Bei einem historischen Haus, oder bei einem historisch anmutenden, rekonstruierten Haus muss man aber mit Feuchtigkeit leben!


    Ich glaube zudem dass da noch ein Kalksteinputz drauf kommt (vor rund vier Wochen stand mal so etwas ähnliches in der Zeitung).


    Etwas Historisches zum Zuckerhut, das auch einiges erklären könnte bezgl. Materialwahl:

    (…) die Nordwand des Hauses Andreasplatz 29, besser bekannt als „Umgestülpter Zuckerhut“, um mehr als 75 cm nach innen geneigt hatte. Außerdem war zwischen dem Haus und dem Nachbargebäude ein Zwischenraum von mehr als 5 cm entstanden. Moniert wurden auch die ungenügenden Fundamente sowie zahlreiche Risse in zwei Sockelmauern und Außenwänden. Die Ostseite des Hauses hatte sich im Erdgeschoss um mindestens 20 cm, im Giebel sogar um mindestens 30 cm aus dem Lot nach außen geneigt. Die Ständer des Ostgiebels waren gebrochen und die Sprossen des darin befindlichen Bodenfensters gebogen bzw. ebenfalls gebrochen, auch hatten sich zwei Fensterscheiben gelöst. Zusammengefasst wurde festgestellt: „Das Haus schiebt offenbar von Norden und Westen nach Osten und Süden, insbesondere nach dem Haus Hoherweg 31 zu und droht der Einsturz, der bei dem starken Wagenverkehr nach und von dem Andreasplatz, auch mit schwerem Fuhrwerk und in Folge der dadurch hervorgerufenen Erschütterungen leicht eintreten kann.“

    (...) Gleichzeitig beschwerte sich dort auch August Weinrich, Besitzer des benachbarten Hauses Andreasplatz 28, das als „Pfeilerhaus“ bekannt ist. Er hatte festgestellt, dass der von einem Anbau des „Zuckerhuts“ umschlossene dritte Sandsteinpfeiler seines Gebäudes auf einer Seite bis auf Zimmerhöhe stark behauen worden war. Dadurch drohte auch dem „Pfeilerhaus“ der Einsturz.

    (…) Später folgte die erfolgreiche Instandsetzung des Zuckerhuts.

    Zitate aus dem Städtischen Archiv vom 2.April 1897

    Auch darf man nicht vergessen, dass der Zuckerhut (im Gegensatz zum Vorgängerbau) völlig freistehend aufgebaut wird.

  • Danke für die aktuellen Bilder Hildi!
    Dazu hätte ich aber noch eine Frage: Was ist das für eine zweite Öffnung am Nachbargebäude? Kommt da noch was hin?

    Zitat von "Hildi"

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Die Öffnung, die unter das Pfeilerhaus führt, ist die Verbindung vom Zuckerhut zum Cafebereich. Der Durchgang unter dem Pfeilerhaus wird mit Glas geschlossen, um diesen Bereich künftig zusammen mit den Resten des Pavillons als Cafe nutzen zu können.
    Was die enge Zusammenarbeit mit der Stadt angeht: Das ist zwar richtig, aber Bauunternehmen, die unter Termindruck stehen, reißen archäologische Funde und Befunde schon gerne mal schnell raus und schmeißen sie weg - wo nix ist, kann auch kein Archäologe den Bau mehr aufhalten. Ob das hier so war, ist nicht nachvollziehbar. Dass die Mauer aber direkt an der Baugrube endete, läßt zumindest die Frage aufkommen.

  • Nochmals zum Sockel aus Beton:
    Das Erdgeschoss wird ja "modern" errichtet, da das ursprüngliche Aussehen des Erdgeschosses nicht bekannt ist. Dieses wurde ja im 18. oder 19. Jahrhundert ersetzt. Gibt es denn irgendwo eine Ansicht, wie das neue Erdgeschoss aussehen soll? Ich habe nur noch eine Perspektive des Wettbewerbsergebnisses in Erinnerung. Unter diesem Aspekt habe ich nichts gegen einen Betonsockel einzuwenden, wenn das Erdgeschoss eine neuzeitliche Handschrift erhalten soll. So schwach in Erinnerung habe ich Wände, welche im Raster der Obergeschosse aus Pfosten bestehen werden, und dazwischen eine Verglasung. Die Aussteifung wird wohl mit modernen Mitteln erfolgen, da die ursprüngliche Verstrebung nicht bekannt ist, und auch das "Anlehnen" ans ursprüngliche Pfeilerhaus wegfällt.

    Zur Archäologie:
    Für die Betonplatte musste nicht tief ins Erdreich gegraben werden. Wenn ich die Photos betrachte, dürfte es sich um keinen Meter gehandelt haben. Auch wenn neben den von Hildi erwähnten x Leitungen noch kleine Reste ungestörter Bodenschichten vorhanden wären, dürften diese durch den Betonsockel kaum beeinträchtigt worden sein. Archäologische Grabungen erfolgen im Allgemeinen nur dort, wo Bodenschichten zerstört werden.

  • Phantastisch, das ist Handwerk. Und nochmals vielen Dank für die Fotos.

    @ Hildi. Wenn Du mir einen Gefallen tun willst, könntest Du bei nächster Gelengenheit das Bauschild etwas größer photographieren. Mich würden die Baubeteiligten interessieren.

  • Ach nein, was soll das denn! Sind das etwa gesägte Holzbalken :schockiert: ? Abgesehen davon, daß das Beilen der Balken materialtechnische Vorteile hatte - mit diesen glatten, sterilen Kanten und Oberflächen wird man nie die Lebendigkeit handwerklicher Fachwerkbauten hinbekommen. Also wenn rekonstruiert wird, dann auch bitte richtig.

  • Die weit verbreitete Meinung mit dem Handbeilen würde ich nicht so eng sehen. Es gibt Bauten bis ins 15. Jahrhundert zurück, wo man gesägte Balken finden kann. In der Forschung kenne ich keinen Bericht, der sich mit der Frage befasst, wieviel effektiv von Hand gebeilt wurde, und wieviel gesägt.

    Und bei den heutigen Baupreisen finde ich es sinnvoll, dass man bei der Balkenbearbeitung diesen Kompromiss eingegangen ist. Dass man die Maschinensägespuren so belässt, finde ich ein bisschen dogmatisch; es ist aber eine weit verbreitete Mode. Auch früher erhielten gebeilte und gesägte Balken ihren "Feinschliff/Finish" mit dem Hobel, und somit hätte ich mir auch eine andere Oberfläche gewünscht.

    Ich finde es auch schade, dass die Balkenkanten so scharf und geradlinig sind. Früher ging man mit dem Holzverbrauch sehr sparsam um, und da wählte man für einen Balken den dünnstmöglichen Stamm aus, um den Holzverlust möglichst gering zu halten. Somit nahm man in Kauf, dass die eine oder andere Kante waldkantig war (d.h. abgeschrägt). Solche Waldkanten verliefen meist leicht konisch, je nach der Wachstumsform des Stammes. Auch Äste in diesem Bereich hatten eine optische, kurze Verdickung eines Balkens zur Folge. Solche Eigenheiten beleben eine Fassade sehr. Es gibt aber die Tendenz, dass teurere Bauten eher scharfkantige Balken aufweisen (den grösseren Holzverbrauch leistete man sich), und einfachere Bauten eher Balken mit Waldkante. Diesbezüglich geht man bei der Rekonstruktion des Zuckerhutes sicher nicht einen falschen Weg, auch wenn der andere Weg das Skurile dieses Gebäudes noch unterstreicht hätte.

    Interessant finde ich zudem, dass das Erdgeschoss als vollständige Fachwerkkonstruktion erstellt wird, und nicht nur aus Pfosten, wie ich anfänglich glaubte. Hierbei wählte man offenbar nicht mehr den Zustand des 18. oder 19. Jahrhunderts, wie ihn der originale Zuckerhut am Schluss aufwies.


    Und hier gleich mal eine erste Gegenüberstellung:

    Zitat von "Palantir"

    Ein hier noch nicht gezeigtes Prachtbild vom Durchgang am Zuckerhut:

    Quelle: LIFE bei Google

    (Beitrag auf Seite 15)

    Zitat von "Hildi"

  • Gut, die Kosten sind natürlich ein Argument. Aber seht Euch mal die historischen Bilder des Umgestülpten Zuckerhuts genau an: da erkennt man deutlich die leicht unregelmäßige Bearbeitung der Hölzer (da war auch, meine ich, im Original nichts gesägt); die Balkenstärken sind nicht immer ganz konstant, die Oberflächen nicht ganz eben. Man merkt halt, daß es ein natürliches Material ist, und daß es sich um Handwerksarbeit handelt; und dieser Eindruck gehört für mich bei diesem Gebäude auch dazu. Ich meine, das Haus wird jetzt ja nicht rekonstruiert, weil es baugeschichtlich besonders wertvoller war, sondern doch gerade wegen der stimmungsvollen Atmosphäre. Und dann tritt man genauer ran und sieht akkurate Kanten und maschinelle Sägespuren...

  • Hesse: Als das Foto gemacht wurde, war der original Zuckerhut auch schon bald 400 Jahre alt, hier jedoch entsteht ein Neubau !!
    Lass uns mal abwarten, wird schon gut !!

  • @ Hesse
    Ich habe in einem Artikel über die rekonstruierte Samstagsberg-Zeile in Frankfurt das Problem der Balkenbearbeitung auch schon mal gestreift. Dort wurden an den Rückseiten wohl probeweise die Balken an einer Fassade sägeroh belassen, und an einer zweiten mit dem Schropphobel bearbeitet. An den Vorderseiten wurden viele alte Balken zweitverwendet. Vielleicht kennst Du diesen Beitrag noch nicht; er ist mittlerweile schon vier Jahre alt:

    http://www.architekturforum.net/viewtopic.php?p=18930#p18930">viewtopic.php?p=18930#p18930


    @ all
    Auf den Photos von Hildi sieht man, dass die Streben des Erdgeschosses eine zusätzliche Verbindung mit der Schwelle durch eingelassene Metallanker erhalten haben. Lediglich ein Holzzapfen nach historischem Vorbild hätte da wahrscheinlich nicht genügt, da die Horizontalkräfte (Wind, künftige Verformungen etc.) nicht unbedeutend sind.