Berlin - Molkenmarkt und Klosterviertel

  • Wann sind denn "die Berliner" das letzte Mal "aufgestanden"? Aus moralischen Gründen vielleicht oder aus naiven Erwägungen des Weltfriedens. Aber aus Gründen des Städtebaus oder der Architektur? Ich kann mich nicht erinnern und die Litaratur gibt da auch nichts her.

    Nein, am Molkenmarkt entstehen die gleichen Großblöcke wie an der Karl-Liebknecht-Straße oder an der Heidestraße. Die Bebauungspläne stehen ja und nun könnten nur noch nennenswerte archäologische Funde das Projekt verzögern. Parallel zur Umverlegung der Straßen wird die Grundstücksvergabe geben, die angesichts der vom Senat bestimmten Jurys sicher ähnliche Architekturen wie das Strichcodehotel hervorbringen wird.

    Aufregen wird sich darüber niemand, die Öffentlichkeit wird es schulterzuckend hinnehmen wie die Bebauung des Kapelleufers oder des Alexanderplatzes. Das Beispiel aus Frankfurt zeigt ziemlich genau das gleiche Straßenprofil, dass an der Grunerstraße vorgesehen ist. Und leider auch die zu erwartende Architektur, es muss ja wegen des Straßenlärms zu 90 % Gewerbe sein.

  • Ja, aber dann sind die Berliner selber schuld, wenn sie dieses Ergebnis dann so hinnehmen. So ein Protest muss dann aus der Stadtgesellschaft kommen und kann nicht von außen organisiert werden. Und wer weiß, irgendwann kommt man vielleicht auch in Berlin auf neue Gedanken. Dass der Tagesspiegel überhaupt mal auf die Frankfurter Idee für Berlin hin gewiesen hat, ist ja für dieses Blatt schon eine kleine Revolution, man sollte also nie nie sagen.

    Aber natürlich ist es in Belrin viel schwieriger wie in anderen Städten, weil erstens Berlin sehr auf die jeweiligen Stadtteile schielt und man als Berliner gefühlt zumindest in erster Linie erst mal aus Charlottenburg oder Kreuzberg kommt und erst in zweiter Reihe Berliner ist, was die Bindung an die Berliner Mitte und das historische Stadtzentrum eben deutlich schwächt.

    Zudem ist Berlin von so vielen Zuzügen geprägt, dass es die verwurzelte Bevölkerung in diesem Maße nicht in ausreichender Form gibt. Ferner ist das linke Milieu in Berlin extrem stark und das klassische Bürgertum konzentriert sich auf einige Bereiche im Westen.

    Berlin hat eben viele Zentren und ganz andere Strukturen als viele andere deutsche Städte. Somit nimmt der Berliner, der vielleicht aus Charlottenburg kommt, Mitte nicht vordringlich als sein Problem wahr. Aber das gilt es eben schrittweise zu verändern und dem Berliner zumindest näher zu bringen, wo die Stadt als Ganzes eben mal entstanden ist und wie fahrlässig es wäre, die Chance einer Sichtbarmachung dieser Wurzeln jetzt einfach für diese furchtbaren Pappburgen weg zu werfen!

    APH - am Puls der Zeit

  • Ich denke die moderne Architektur wäre wesentlich angenehmer, wenn sie kleinteiliger wäre. Kleine Parzellen, die von unterschiedlichen Architekturbüros bebaut werden würden, hätten sicher nicht diese grauenhafte Monotonie auf mehrere hundert Meter länge Straßenfront zur Folge.
    Aber selbst großparzellige Investorenarchitektur muss ja nicht häßlich sein. Tietz war ein gutes Beispiel. in zahlreichen Städten kaufte er zahlreiche alte Häuser auf, ließ sie abreißen und baute dann ein gewaltiges Kaufhaus auf dieses Areal.
    Die fähigen Architekten schafften es, diese Riesenbauten trotzdem abwechslungsreich zu gestalten, so dass sie nicht störten. Im Gegenteil sie waren sogar ein städtebaulicher Gewinn. Heutzutage sind soche Riesenkaufhäuser immer Altstadtzerstörend.

    Tietz in Berlin:

    Tietz in Aachen:

  • Das ist ja alles erschreckend und kommt nach Krieg, Abrisswelle der 50er- 70er nun der dritten Stadtzerstörung gleich. Schade, schade, schade, damit muss man die Berliner Altstadt endgültig abschreiben. Was geht nur in den Köpfen der Planer vor - hassen sie Berlin?

  • Rekonstruktionen, auch einzelner Bauten, sind nicht vorgeshen und durch den B-Plan auch nur durch krasse Verschiebungen theoretisch möglich. Ein Wiederaufbau des Jüdenhofes wird ausgeschlossen. Auch der französische Kirchhof soll nur abstrakt als Platzform wiederentstehen. Irgendwelche "Leitbautenkonzepte" gibt es nicht.

    Was die Architektur betrifft stimmt dies leider. Der Jüdenhof selbst kehrt sehr wohl zurück, zum Teil auch deutlich kleinteiliger mit zwei bis vier Vollgeschossen als die übrigen Blöcke:

    (Ausschnitt aus B-Plan 1-14, online unter: http://fbinter.stadt-berlin.de/ScansBPlan/01_mit/0100014_Bl1.pdf)

    Es liegt also in der Tat an der Zivilgesellschaft, wenigstens hier Rekonstruktionen oder eine angepasste Architektur wie in Lübeck zu fordern.

  • Denke mal, die meisten Berliner wird es nicht interessieren, weil es eben kein Kiez ist. Die paar Leute, die in der Nähe wohnen haben das Nikolaiviertel oder das Rathausforum. Und der Rest hat den Namen Molkenmarkt noch nie gehört. Wie denn auch? Er ist ja nicht erkennbar. Der Molkenmarkt ist nur noch Hinterhof und Zubringerstraße.

  • ^^Aber nur der Form halber, keine rekonstruierten Fassaden. Und der Jüdenhof darf erst gebaut werden, wenn die Schallabschirmung durch die Gewerberiegel schon errichtet ist.

  • Der B-Plan gibt aber nicht vor, wie die Fassaden auszusehen haben (zumindest nicht die Karte, die Begründung habe ich gerade nicht zur Hand). Insofern wäre es jetzt in der Tat die Chance, über Rekonstruktionen nachzudenken, gerade, wenn durch die Ausgrabungen, den Straßenbau und die Lärmschutzbebauung noch ein wenig Zeit bleibt.

    Ich habe die Ausstellung in der Parochialkirche auch genau unter dem Aspekt verstanden, dass die Debatte von der Gesellschaft Historisches Berlin und weiteren Vereinen angestoßen wird - sonst hätte man sich die Veranstaltung auch sparen können. Allein der Glaube, dass man beim Senat auf offene Ohren stößt, der fehlt mir.

  • Aber ich habe "die Begründung zur Hand". Es soll ausdrücklich keine Reknstruktion werden. Dass hatten viele Bürgervereine schon vor mehr als 10 Jahren (!) vorgeschlagen.

  • Kannst du die Begründung verlinken? Im FIS-Broker finde ich leider nur die zeichnerischen und textlichen Festsetzungen, die keine Aussagen über die Unzulässigkeit von Rekonstruktionen machen.

  • In den Berliner Tageszeitungen wird über den Beginn der Arbeiten rund um den Molkenmarkt / Klosterviertel berichtet. Die Arbeiten starten mit den archäologischen Ausgrabungen im Herzen von Berlin.

    TSP

  • Man lese sich mal die launigen Leserkommentare durch. Die einen gehen auf die Palme, weil ihre geliebte 5-spurige Stadtautobahn fortan einen Knick bekommt. Die anderen meckern über Investoren aus Fernost. Die Dritten geifern über das "historische Idyll" dass jetzt als Pendant zum (natürlich überflüssigen) Stadtschloss entstünde.

    Mann, Mann, Mann. Die wollen wirklich keinerlei Veränderung in ihrer Stadt. Am liebsten alles in der Zeit von Erich H. einfrieren. Ich weiß nicht, ob das die generelle Berliner Mentalität ist oder eine Hinterlassenschaft der DDR-Vorzeigebürger, die einst dort angesiedelt waren (Ost-Berlin ist ja bis heute Hochburg der Ostalgie). Ein wirklich schwieriges geistiges Erbe, das sich dort artikuliert.

  • Wann ist denn mit Architekten-Wettbewerben hinsichtlich der neu zu errichtenden Gebäude zu rechnen ??

    In den Planungs-Fotomontagen des Senats hat man sich jedenfalls vorsichtshalber schon mal der trivialen Zeitgeist-Architektur bedient, also reichlich Rasterfassaden, wuchtige Klötze und bloß keine Satteldächer. Business a usual also in der Berliner Architektur ? Nach dem Beitrag von Konstantin ist das wohl leider ziemlich wahrscheinlich. :augenrollen:


    Bildquelle: Beitrag 120

  • Und dann doch keine Einflüsse vom Erfolg der FFM Reko's oder Neumarkt Reko's in der Innenstadt???
    Ist dann dass Bisschen Historismus in D. denn nur am Schlossfasaden, Neumarkt und Altdtadt FFM's vorbehalten?

    Muss auch sagen dass die Klassische Neubauten in Berlin und sonstwo in D. doch sehr wenig ähnlichkeiten haben mit er Gründerzeitbauten aus1900 bis 1918. Die hatten fast allen auffällende Fassadegiebel, Dachtürmchen, Gauben, Mansarde Dächer, Sprossenfenster und Rundbogenfenster, Stuck, Balkons oder Logien. Die klassische Neubaukisten die jetzt mit tausenden gebaut werden haben das alles nicht und sind meistens auch ziemlich monoton mit hundert Meter länge Straßenfronten. Da soll sich im Architektur doch etwas ändern müssen......Altbauten sind weit und breit beliebt und sollen als Vorbild gelten....wenigstens am Aussenseite. Kleinteilige bauten im Blockrandbebauning, aber auch keine "Town-häuser" bitte.

    M.m.n. Geglücktes Einzelfall steht in der Bergmann Strasse und fügt sich wirklich gut in der Umgebung ein.

  • Zur Ehrenrettung der Berliner von denen oft beklagt wird, dass sie so desinteressiert an ihrer Stadtmitte wären:
    Ich denke, dies wird zum Teil auch an der Darstellung in den Medien liegen. Wenn ich z.B. den Artikel im TS lese, entsteht doch für den uninformierten Leser der Eindruck, dass hier quasi eine Wiederherstellung erfolgt.
    https://www.tagesspiegel.de/berlin/molkenm…t/23858326.html

    In dem Artikel heißt es: "Seit zehn Jahren steht fest, dass der historische Molkenmarkt wieder entstehen soll - nun geht es los." Von moderner Architektur ist keine Rede.
    Weiterhin wird bedauert, dass "die historisch bedeutenden Gebäude im Umfeld, wie das Rote Rathaus, die Parochialkirche und das Alte Stadthaus „isoliert und beziehungslos zueinander“ liegen.


    Wenn ich so informiert werde, würde ich nie davon ausgehen, dass hier moderne Klötzchenarchitektur enstehen soll.

  • Man lese sich mal die launigen Leserkommentare durch. Die einen gehen auf die Palme, weil ihre geliebte 5-spurige Stadtautobahn fortan einen Knick bekommt...


    Die beste (wenn auch kostspielige) Lösung wäre doch, die "Stadtautobahn" an diesem Teilabschnitt zu untertunneln (vergleichbar der Nord-Süd-Verbindung am Reichstag / Tiergarten).
    Dann könnte auch das sowieso nur sehr kleine Nikolaiviertelchen mit dem Molkenmarkt-Viertelchen zusammenwachsen und die mächtige Autofahrer-Lobby wäre außen vor.

    An so breiten Durchgangsstraßen wird keine kleinteilige Architektur entstehen, anspruchsvolle schon gar nicht. Wozu auch? An Orten, an denen vor allem Autos von A nach B rauschen, wird ohnehin keine Aufenthaltsqualität entstehen können.

  • Wann ist denn mit Architekten-Wettbewerben hinsichtlich der neu zu errichtenden Gebäude zu rechnen ??

    In den Planungs-Fotomontagen des Senats hat man sich jedenfalls vorsichtshalber schon mal der trivialen Zeitgeist-Architektur bedient, also reichlich Rasterfassaden, wuchtige Klötze und bloß keine Satteldächer. Business a usual also in der Berliner Architektur ? Nach dem Beitrag von Konstantin ist das wohl leider ziemlich wahrscheinlich. :augenrollen:


    Bildquelle: Beitrag 120

    Kann mich bitte jemand zu den Entwürfen abholen, damit ich meine Schnappatmung unter Kontrolle bekomme? Ist das Beschlusssache oder der Erstentwurf eines gelangweilten Ersties?

  • Diese Ansicht stammt von vor 2014 und ist längst überholt. Vor dem Stadthaus soll ein Platz entstehen und eine Gasse, die auf die Nikolaikirche zugeht. Was die angedachte Architektur angeht wird sich aber sicher nicht mehr viel ändern, wenngleich die gezeigten Klötzchen nur Füllbauten und keine Entwürfe darstellen.

    Jetzt ist erst einmal die Archäologie dran, die sich reiche Funde verspricht und damit auch mehr Wissen über die Anfänge der Stadt.

    Dann wird die Grunerstraße verlegt, damit Platz geschaffen wird.

    Dann ist wieder die Archäologie dran, um unter der jetzigen Straßenfläche zu forschen.

    Dann wird man weiter sehen..............

  • Wann sind denn "die Berliner" das letzte Mal "aufgestanden"? Aus moralischen Gründen vielleicht oder aus naiven Erwägungen des Weltfriedens. Aber aus Gründen des Städtebaus oder der Architektur? Ich kann mich nicht erinnern und die Litaratur gibt da auch nichts her.

    Nein, am Molkenmarkt entstehen die gleichen Großblöcke wie an der Karl-Liebknecht-Straße oder an der Heidestraße. Die Bebauungspläne stehen ja und nun könnten nur noch nennenswerte archäologische Funde das Projekt verzögern. Parallel zur Umverlegung der Straßen wird die Grundstücksvergabe geben, die angesichts der vom Senat bestimmten Jurys sicher ähnliche Architekturen wie das Strichcodehotel hervorbringen wird.

    Aufregen wird sich darüber niemand, die Öffentlichkeit wird es schulterzuckend hinnehmen wie die Bebauung des Kapelleufers oder des Alexanderplatzes. Das Beispiel aus Frankfurt zeigt ziemlich genau das gleiche Straßenprofil, dass an der Grunerstraße vorgesehen ist. Und leider auch die zu erwartende Architektur, es muss ja wegen des Straßenlärms zu 90 % Gewerbe sein.

    … man muss es Ihnen [den Berlinern] nur schmackhaft genug machen und ihnen die Möglichkeit aufzeigen sich zu wehren, dann traut sicherlich auch das Urgestein aus den Randbezirken und dem Umland in die Stadt. ;)

    Es ist die gewohnte Ohnmacht der Bevölkerung Widerstand zu leisten oder sich gegen etwas zu erheben. Immerhin haben wir Deutschen viele Jahre wie die Made im Speck gelebt und in Zeiten der massiven Unterhaltungsmedien wie YouTube, Netflix, Spielekonsolen und Co. scheinen sie wie hypnotisiert! Da hilft nur der kalte Waschlappen und einmal freundlich, aber zielführend durchschütteln!