Berlin-Kreuzberg - Mehringplatz (ehem. Belle-Alliance-Platz)

  • Wenn ich das recht in dem verlinkten Artikel sehe, dann sind zwei neue Kopfbauten im Süden des Platzes geplant. (Bild 4 der Bildstrecke) Wie wäre es denn, man würde an deren Stelle das Hallesche Tor rekonstruieren? Die Gebäude sind dann zwar Solitäre und vermutlich etwas transloziert, aber im Großen und Ganzen wäre es eine Wiederherstellung der Eingangssituation und ein enormer optischer Gewinn für das Stadtareal.

    http://www.bilderbuch-berlin.net/bilder/berlin_…78x1304xin.jpeg

  • Wer glaubt dran, dass mit dem Abriss einer Gebäudebrücke und einigen Neugestaltungen der Grünanlagen dieses voll in die Hose gegangene modernistische Reißbrettexperiment zu heilen ist? Ich nicht.

    Diesem Platz fehlt es doch an allem. Diesem von den Lebensadern seiner Straßen abgetrennte Leichnam wird ein Facelifting allein nicht wiederbeleben. Nur Totalabriss dieser merkwürdigen Beton-Donuts und Neustrukturierung der Platzsituation wird hier wohl heilsam sein. In den Hochhäusern ringsum wohnen tausende Menschen, die ein Stadtteilzentrum, einen Stadtplatz, mit funktionierter Infrastruktur brauchen. Diese Riegelstrukturen versponnener Nachkriegs-Utopisten können dem nie gerecht werden. Aufgelockerte Struktur mit Dienstleistern und Geschäften aller Art gehören an den Platz.

    2 Mal editiert, zuletzt von Tektor (14. Februar 2015 um 04:20)

  • Ja, ich weiß! Nach 10 oder 20 Jahren weiterer Verslumung werden dann abermals Foren und Gremien tagen, die herauszufinden haben, was (wieder mal) falsch gemacht wurde. Da wird einem doch nur übel dabei! Sie krallen sich an (Bauhaus-)Ideologien fest, wollen die Bürger mit Licht, Luft, und jede menge Grün beglücken, aber auf wirkliche Bedürfnisse der Bürger und deren Ansprüche an einen Stadtplatz am Ende der Friedrichstraße reagieren sie nicht. Hier werden modernistische Verschorfungen kultiviert, genau wie in Alt-Berlin. :kopfschuetteln:

  • Abreißen? die heutige Bebauung von Scharoun und Düttmann, Propheten der Moderne? Das wäre, als würde man den Palast der Republik abreißen, was seid ihr für Banausen! Ach der is weg, na dann... :lachentuerkis: :biggrin:

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Das, was mich dabei immer am meisten ärgert ist, dass alle sehen können, dass diese Stadt an diesem Punkt nicht funktioniert - sie weiter verslumt - und jeder kann sehen woran das liegt, aber keiner macht was. Höchstens ein wenig Kosmetik. Weil es hier um wertvolle Zeugnisse der Moderne geht und um große Architekten-Namen. Bauhaus wird dahergebetet als wäre es eine Religion. Man, wird mir schlecht! Ich sage: Wenn dieser modernistische Schwachsinn nicht funktioniert, müssen die Abrissbagger her! Aus! Ende! Punkt! Basta! Es ist, als ob es einige immer noch nicht verwinden können, dass diese Bauideologie an den Menschen gescheitert ist. An jenen, die damit eigentlich beglückt werden sollten. Das südliche Ende der Friedrichstraße, eine der belebtesten Straßen Berlins, führt in eine tote Sackgasse eines Ghettos. :gehtsnoch:

  • Nunja, in diesem Falle kann man der Bauhausschule und ihren berechtigten Anliegen eigentlich keinen wirklichen Vorwurf machen. Zumal die ja auch nicht mittelbar die "Architektur" dort verbrochen hat.

    Denn des Pudels Kern dort ist die von Le Corbusier initiierte abscheuliche Charta von Athen, quasi die Antithese zur europäischen Stadt. Modernistischer Städtebau also.

  • Richtig, erbse, es war dieses verheerende Gemisch von Bauhaus und Le Corbusier, das zur Implosion weiter Teile von Städten in ganz Deutschland geführt hat. Leergebombt und anschließend totmodernisiert. Die Grundidee von Bauhaus und Charta von Athen mögen vielleicht edel gewesen sein, nur was Folgegenerationen daraus gemacht haben ist genau das, was heute den Menschen so schwer im Magen liegt. Die Radikalität frisst am Ende sich selbst.

  • Ich versuche - da die Verschiebung aus dem Kreuzberg-Strang leider nicht erfolgt - nochmals, die thematische Zuordnung herzustellen.

    Das südliche Ende der Friedrichstraße, eine der belebtesten Straßen Berlins, führt in eine tote Sackgasse eines Ghettos.


    Deswegen wäre ein erster Schritt zumindest diesen grauenhaften Überbau am Halleschen Tor zu beseitigen.

    Bildquelle: Wikipedia, Urheber 'Harald Rossa', CC BY-SA 2.5

    Auch wenn die so entstehende Sichtachse zum Blücherplatz nicht sonderlich schön ist, wäre diese notwendige, optische Öffnung des Rundplatzes ein erster Schritt. Mittelfristig wäre hier eine (wie auch immer originalgetreue) Rekonstruktion der Magistratsklaviere, die 'Heimdall' anführte, eine zukunftsweisende Idee; langfristig sollte hier eine Wiederherstellung der Verbindung der südlichen Friedrichstadt mit dem restlichen Kreuzberg erfolgen. Diese eindrückliche Luftaufnahme aus dem Jahr 1958 zeigt, wie das auch mit beschränktem Kfz-Verkehr möglich gewesen wäre, bevor man sich entschied, die Tempelhofer-Ufer-Straße durch den Blücherplatz zu prügeln und die Hallesche-Tor-Brücke an der querenden Durchgangsstraße enden zu lassen.

    Zum Abschluss, ein weiterer Gruß aus Berlin.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Gar nicht mal so sehr die Nachfolgegeneration der Charta. In Manifesten und Leitschriften des deutschen Wiederaufbaus / Nachkriegsstädtebaus der späten 40er finden sich Phrasen wie "Durchlüftung", "modernisieren", "Restbestände nötigenfalls abtragen" und immer wieder "verkehrsgerecht" mit erschreckend absoluter Richtigkeitsanmaßung. Und Corbusier war in seinem architektonischen Denken in größtem Maße totalitär.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • Ich glaube, man sollte hier auch die Charta von Athen nicht mit Bauhaus in einen Topf werfen. Meines Wissens ging es beim Bauhaus primär darum, neue Gestaltungsmöglichkeiten des Bauens zu finden, die zu den neu entwickelten Werkstoffen und Produktionsmethoden passten und somit ein künstlerischen Gegenpol zu den damals in großer Zahl gebauten Gründerzeitbauten mit Katalogbestuckung zu bringen. Um Städtebau ging es beim Bauhaus m.E. weniger, zumal die dortigen Künstler sehr handwerklich geprägt waren.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Um Städtebau ging es beim Bauhaus m.E. weniger,

    Das stimmt wohl, aber gerade durch das Ignorieren der städtebaulichen Prinzipien, nach denen die europäische Stadt errichtet wurde und funktioniert, leistete das Bauhaus dem städtebaulichen Desaster der Nachkriegsentwicklung Vorschub. Das Bauhaus lehrte, das Gebäude nur noch als freistehenden Baukörper, mehr oder weniger als Solität zu begreifen, der Stadtraum wurde aufgegeben, und dieses Prinzip beherrscht Architektur und Städtebau bis zum heutigen Tage. Selbst da, wo die Blockstruktur fast unausweichlich ist, merkt man den Entwürfen an, dass sich die Architekten dagegen sträuben, sich auf Fassadenarchitekur und Parzellenbebauung zu beschränken. Beinahe überall verrät sich das unterschwellige Bestreben, die Bauhaus-Kiste zu retten.

  • Naja, so ganz unschuldig waren die Bauhäusler nicht an dem, was im 20. Jh. alles schief ging im Städtebau. Sicher steht Le Corbusier in seiner Radikalität ziemlich allein da - mit seinen Mitstreitern. Die Gesellschaft in die Moderne zu transferieren war aber auch Leitmotiv von Bauhaus, vielleicht nicht gar so radikal wie die Charta von Athen. Brücken zwischen beiden gab es jedenfalls. So saß der Bauhäusler Hannes Meyer 1928 mit am Tisch der Charta.

    Interessantes zur Volkserziehung des Bauhauses, besonders Absatz 2. Die Auflösung der historischen Stadt bedingt die Akzeptanz der daraufhin 'erzogenen' Bevölkerung. Die gibt es bis heute nur in wenigen Schichten:

    http://www.magentas-netzwerk.com/Texte/Bauhaus%20(Teil%202).html

  • Im Grunde ist der Mehringplatz ein Paradebeispiel für das der Moderne inhärente Scheitern an der Aufgabe, Stadt zu bauen. Man wollte irgendwie die Figur des runden Platzes beibehalten, aber auf keinen Fall einen Stadtraum im herkömmlichen Sinne wiedergewinnen. So kam die Figur zweier parallel verlaufender Gebäudeschlangen zustande, die lediglich das Zeilenbauprinzip abwandelte und die Zeilen in eine Rundung zwang. Aber weder der kreisförmige Innenbereich noch der Korridor zwischen den Zelen erlangten den Charakter urbaner Stadträume, da auch die primitiven Einheitsfassaden solches weder leisten konnten noch wollten. Die Verslumung war von Anfang an diesem Pseudo.Stadtgebilde eingeschrieben.

  • ^"Stadtreparatur" wird immer mehr zu einem beflügelten Wort. Sie tut auch not nach all den Verirrungen eines gebotenen schnellen Wiederaufbaus. Auch in den rot-grünen Sümpfen von Kreuzberg wird man diesen Ruf eines Tages vernehmen. :smile:

  • Das Problem, dass die Stadt vom Reißbrett mit der Formensprache der Moderne nicht funktioniert ist doch, dass alles genormt und gleich aussehen muss. In der Vergangenheit gab es das Problem auch schon, jedoch hatten die Erbauer einer barocken Reißbrettstadt ein ganz anderes Repertoire an Formen und Farben zur Verfügung. Man darf hier die Moderne nicht verteufeln, denn gerade in ihren Anfangsjahren hat sie es geschafft lebenswerte Stadträume zu schaffen. Die frühen Wohnprojekte wie in Berlin, [lexicon='Leipzig'][/lexicon], Hamburg und selbst hier in Kaiserslautern und Ludwigshafen, mit ihren begrünten Innenhöfen, Loggien und ihren aus unserer heutigen Sicht oft zu grellen Farben, da wurde munter gelb, kobaltblau, mit rosa und grün kombiniert, sprechen für sich. Die Ausprägungen reichten vom Reihenhaus bis zu imposanten Zeilenbauten, wie in der Weißen Stadt in Berlin. Das vermittelte Lebensfreude, die Menschen lebten und leben da gerne. Die Pervertierung der Moderne kam mit den Wohnmaschinen Le Corbusiers, die den Wunsch der Menschen nach dem menschlichen Maß völlig ignorierten, abtaten und wohl schon alleine durch ihre Brutalität zur Verrohung ihrer Bewohner beitrugen. Der Mensch braucht Gemütlichkeit um sich wohl zu fühlen. Ganz streng genommen sieht es doch in den heute so beliebten Altstädten wie Prag, Rom oder hier in Deutschland Bamberg oder Erfurt architektonisch aus wie bei Tante Käthe auf der Kommode. Aber ist das Kaffetrinken sonntags bei ihr nicht schön? :biggrin: Dieses kreative Chaos gefällt und, weil es Geborgenheit und nicht gleich Unordnung bedeutet, langweilig ist es jedenfalls nie.

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Die angestrebte Belebung durch einen (hoffentlich anspruchsvollen) Umbau der Erdgeschoßzone halte ich für eine sehr gute Maßnahme. Allerdings verstehe ich dann nicht, warum man das gesamte Gebiet unbedingt als Fußgängerzone erhalten bzw. noch weitgehender zu einer solchen machen will. M.E. würde gerade Straßenverkehr der Verslumung entgegenwirken. Man könnte den Mehringplatz auch ohne Abriß des inneren Ringes zu einem Kreisverkehr machen und sollte die Hallesche-Tor-Brücke wieder für den Individualverkehr öffnen.

    Da eine Wiederherstellung des architektonischen Vorkriegszustands leider absolut illusorisch ist, sollte man sich darauf konzentrieren, das beste aus dem heutigen Bestand zu machen. Sanierungen wie die des Bikini-Hauses haben ja gezeigt, daß es durchaus möglich ist, Architektur der 50er und 60er Jahre in einen ansprechenden Zustand zu versetzen – den Willen und die nötigen Mittel vorausgesetzt.

    Als Vorbild sehe ich z.B. den ursprünglichen Zustand des Dizengoffplatzes in Tel Aviv (vor dem Bau des schrecklichen "Autobahnkreuzes"). Beide Plätze haben annähernd dieselbe Größe (also auch genug Raum für einen Kreisverkehr) und sind von der Architektur des International Style geprägt (welche in beiden Fällen einer vernünftigen Sanierung harrt).


    Mehringplatz, 1970er Jahre

    Dizengoffplatz, 1930er Jahre