Berlin - Unter den Linden

  • Habe mir heute den Zollernhof angesehen, eine wirklich feine Architektur, nicht zuletzt wegen ihrer tektonischen Logik. Die unteren vier Geschosse sind durch kolossale Lisenen gegliedert, die mit einem Sturz und darüber liegendem Gurtgesims verbunden sind. In jede der Travéen sind in der Erdgeschosszone schmale Mauerstreifen mit scheitrechtem Bogen Bogen eingestellt. Drauf sitzt eine Brüstung, deren gebauchte Konsolen zwei Sohlbänke tragen. Mittig auf den Sohlbänken steht eine Streben mit abgefasten Kanten, der an den Innenseiten der Kolossaslisenen gleiche Profile entsprechen. Diese gleichsam in die Interkolumnien der Lisenen eingestellt Sekundärstruktur schließt nach oben auch mit einem abgefasten Profil ab. In einer dritten Ebene sind in die Zwischenräume der Streben drei Fenster als sich selbst tragende Binneneinheiten mit leicht vorspringenden Brüstungen eingestellt. Die Fensteröffnungen wiederum werden von Kreuzstockrahmen gefüllt, in die wiederum vier sprossenunterteilte Flügel eingesetzt sind. Wir haben also das Prinzip von 5 eineinander verschachtelten Gestaltungsebenen:

    1 Kolossallisenen
    2 Erdgeschossfenster mit aufgesetzten Streben
    3 Übereinanderstehende Fenstereinheiten
    4 Kreuzstock
    5 Sprossen

    Im Sinne der Fraktalität wird die Gliederung von der Makrostruktur bis zur Fenstersprosse schrittweise heruntergebrochen. Sehr schön dann auch das Fugenbild der scheitrechten Bögen und die Idee, dass die Konsolen sich unter der Auflast gleichsam stauchen. Schade nur die abgehängten Decken in den Durchfahrten.


    (https://www.google.com/search?tbm=isc…ULX5wEhUuOZYxM:)

    https://de.wikipedia.org/wiki/Zollernho…ollernhof_2.JPG

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • In unmittelbarer Nähe zum Zollernhof das Haus UdL 28, das mir auch ausgezeichnet gefällt.
    Auf den ersten Blick wirkt es, als sei eine ionische Kolossalordnung nach Art römischer Podiumtempel auf ein Sockelgeschoss mit Bandrustika gestellt. Jedoch zieht sich die Erdgeschossarchitektur an den beidne Seiten bis zum Figurenfies fort. Wir haben es also eher mit einer viergeschossigen Quaderarchitektur zu tun, deren drei mittlere Achsen in den beiden oberen geschossen gleichsam ausgeschnitten wurden, um einer Kolonnade mit drei Travéen Platz zu machen. Die Travéen sind - wieder nach dem Prinzip ineinandergeschachtelter Strukturen - mit Fenstern gefüllt, die sich dadurch ergeben, dass nach dem trilytischen System drei Stützen zwei Stürze tragen und so zwei Fenster ergeben. In diesem Sinne sind pro Travée jeweils drei Zwillings-Trilythen übereinander gesetzt. Über dem Gebälk, dem übrigens zugunsten eines größeren Figurenfrieses der Architerav fehlt, folgt das Attikageschoss.
    In den äußeren Seitenachsen geht die Quaderung, wie schon gesagt, nach oben weiter, wobei das tektonische Denken auch hier strikt beibehalten wurde. Die Fenster sind Aussparungen, Sohlbänke und Stürze bestehen aus seitlich in den Quaderverband ausgreifenden Balken. Zwischen erstem und zweiten OG sind als nachgeordnete Elemente kleine Reliefplatten eingesetzt.
    Wir haben also ein sehr schönes Zusammenspiel von Wand- und Gliederbauweise und wie beim Zollernhof ein Denken in klarer tektonischer Logik. Und wieder wird die Struktur über das Prinzip der Fraktalität bis in die Fensterrahmen fortgesetzt. Nur die Dachzone ist durch den Ausbau verdorben....
    Original sind auch nicht mehr die Seitenportale, wie waren in der DDR aufgerissen und wurden später - recht geschickt - neu überdeckt. Leider habe ich kein Detailfoto, auch hier ist der Fugenschnitt in Verbindung mit der Muschelkalk-Oberfläche sehr apart.

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…_Daimler_01.jpg

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  • Das Haus wurde erbaut für die [EDIT: Daimler Motoren Gesellschaft] - später wurde es übernommen von der Gemeinschaftsgruppe Deutscher Hypothekenbanken.

    Nicht nur die Dachzone war repräsentativer als heute, sondern auch zwischen 2. und 3. Obergeschoss befanden sich an den Seiten ebenfalls kleine Reliefplatten (hatte ich schon vermutet). Hier ist alles noch viel besser zu sehen.

    1951 waren die Kriegsschäden schon beseitigt, ohne dass Wiederherstellungen erfolgten.
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d0/Bundesarchiv_Bild_183-10438-0008%2C_Berlin%2C_Unter_den_Linden%2C_geschmückt%2C_Stalin-Portrait.jpg

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Dazu auch noch ein Foto vom Mercedeshaus und des halben Zollernhofes, wo einst die Kleine Kirchgasse verlief (deshalb noch heute öffentlicher Durchgang)

    Mercedes:

    Unter den Linden

    Zollernhof:

    Unter den Linden

  • @Mantikor und @Spreetunnel
    Danke für die Bilder, das sieht natürlich gleich nochmal ganz anders aus! Der Zollernhof als Eckbau - mit nur sechs Achsen und durchgehedem Figurenschmuck ist natürlich viel besser proportioniert.
    Und am Daimlerhaus bekommt die Kolonnade durch den dreieckigen Dachaufbau die Anmutung einer Tempelfront. Zugleich finden die Säulen in den Attikafiguren einen vertikalen Abschluss.
    Die Fenster sind auch anders gebildet, es gibt durchlaufende Balkone mit schönen Konsolen. Und die Seitenachsen haben im 3 OG Rundfenster, die mit den Rundfenstern innerhalb der Kolonnade korrespondieren.
    Schade, dass man die Chance nicht genutzt hat, das wiederherzustellen.

    Gibt es eigentlich eine Publikation zur alten Bebauung UdL?

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  • Das Haus der Deutschen Hypothekenbanken (UdL 50/51 - siehe Postkarte oben) lag direkt neben dem Bankhaus Bleicheröder (UdL 51/53)?

  • Was ich mich ja frage: Eine Architektur wie das Haus Deutsche Hypothekenbanken/Daimlerhaus wäre heute natürlich recht aufwändig zu gestalten - und, wenn man in den Kategorien der 'Moderne' denkt, nicht zeitgemäß. Aber Fassaden wie das Zollernhaus sind so zeitlos, in diesem Sinne könnte man auch heute noch problemlos bauen, v.a. auch mit ähnlichen Materialien, sprich aus einem Muschelkalk mit porös-lebendiger Oberfläche anstatt aus glatten Granitplatten o.ä.
    Man könnte, an anderem Ort, sogar so etwas in Backstein bauen, das ginge auch. Aber offenbar sind die heutigen Architekten nicht imstande, entsprechende Fassadenstrukturen überhaupt zu erkennen bzw. sie zu analysieren und sie dann zu transponieren. Da zeigen sich eben gewaltige Defizite in der Ausbildung....

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  • Seinsheim:

    Ich habe ein Buch im Regal stehen ( leider 3180 km von hier entfernt) welches den Titel 'Unterden Linden' trägt.

    Titelbild:
    Unter den Linden

    Auf ca. 130 Seiten wird hier der gesamte Verlauf der historischen Linden gezeigt. Es ist im nicola-Verlag erschienen.

    Quelle

  • Danke für den Hinweis, werde ich mir besorgen!
    3180 km sind ja ganz schön viel!

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  • Falls Du das antiquarische Buch nicht mehr bekommst - ich habe noch ein Exemplar übrig, dann musste Dich melden.

    Eine schöne Postkarte aus 193X vor der Verdoppelung des Zollernhofs.

    1950 nach Wiederaufbau, das Haus rechts vom Zollernhof ist dann später leider noch gefallen (wann?). https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bund…der_Schweiz.jpg

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Lieber Mantikor, das ist wahnsinnig nett, vielen Dank!!
    Habe es über ZVAB bei einem befreundeten Antiquar entdeckt, der schenkt's mir. Einen schönes Wochenende Dir!

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  • Es ist wohl auch das prominenteste {noch heute stehende, nicht staatliche} Bauwerk aus wilhelminischer Zeit. Die Fenster mit den abgeschrägten Laibungen sind übrigens ein Zitat des Palazzo Barberini in Rom bzw. der syrischen Bögen an den Portalen IV und V des Schlosses.

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    Einmal editiert, zuletzt von Seinsheim (4. Mai 2019 um 21:53)

  • Sorry, war ein Schnellschuss. Ich meinte die noch vorhandenen Privatbauten. Die Staatsbibliothek von Ihne, einer meiner Lieblingsbauten, hatte ich ausgeblendet.

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  • Und ausgerechnet gegenüber diesem Bau befindet sich die m. E. inferiorste Ecke der Linden ... Diese unbebaute Raumkante nordwestlich der Komischen Oper sieht aus wie der Hinterhof eines Baumarkts. Ich warte seit nun schon fast 30 Jahren darauf, dass da endlich mal was passiert ... Vor knapp 25 Jahren gab's glaub ich sogar mal eine Visualisierung, die eine neuurbanistische Lösung vorschlug - und gar nicht schlecht aussah ... Aber das Ganze ist wohl schon seit ewigen Zeiten im Sand verlaufen. Muss man da Angst haben, dass bezüglich dieses DDR-Längsriegels irgendwann der Denkmalschutz zuschlägt?

    Google maps

  • Ich würde noch gerne dieses Haus zu Ehren kommen lassen. Die Seitenachsen als Risalite in reiner Wandarchitektur ausgeführt, die dem Bau Halt geben. Die fünf Achsen dazwischen bis auf das EG und das Attikageschoss als Gliederbaueweise, deren Stützen sich in er Mittelachse des 2. und 2. OG zu Säulen steigern. Weine weitere Steigerung in der Vertikalen nach oben: über dem 1. OG ein Balkongitter, über dem 2. OG ein verkröpftes Gebälk mit Balkongitter, über dem 3. OG Gebälkvorsprung mit Giebel (= Ädikulamotiv).Etwas problematisch das Relief über dem Ladenfenster im EG. Es wirkt wie ein riesiger Sturz, da man die Stützen hinter der Glasfläche kaum wahrnimmt. Ursprünglich standen sie weiter vor und übten eine tragende und die Fassade gliedernde Funktion aus. Hier bestünde aus denkmalpflegerischer Sicht noch Nachbesserungsbedarf.


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  • Es wäre eigentlich lustig, das Zentrum von Ost-Berlin mal eine Woche im Rahmen eines Festivals mit exakt diesen Schildern zu schmücken. Als ausländischen Gast könnte man passend zum Korea-Transparent dazu Kim Yong-un einladen.