Mit etwas Verspätung geht's jetzt nach Goslar, und ich muss sagen, die Stadt ist echt der Wahnsinn und trägt ihren Weltkulturerbetitel auf jeden Fall zu Recht. Zwar gibt es auch hier einige Bausünden (vor allem die üblichen Verdächtigen: Karstadt und Sparkasse sowie zwei Parkhäuser), doch ein Großteil der Altstadt ist ziemlich geschlossen erhalten und bietet hunderte von historischen Fachwerk- und Steinhäusern, laut "Das Bürgerhaus in Goslar" (1975) 64 Häuser aus der Zeit vor 1500, 184 Häuser aus dem 16. Jahrhundert, 64 Häuser bis 1650, 98 Häuser zwischen 1650 und 1700, 403 Häuser aus dem 18. Jahrhundert (vor allem wegen zwei großen Stadtbränden, die fast das gesamte nordöstliche Drittel der Stadt inklusive der Stephanikirche eingeäschert haben)und knapp 700 jüngere Häuser.
Doch genug Statistik, begeben wir uns nun auf eine Reise durch Goslar. Wir betreten die Stadt von Norden, durch das Rosentor - oder zumindest das, was das 19. Jahrhundert und die historistischen Überformungen davon übrig gelassen haben.
Direkt vor dem Rosentor befindet sich die romanische Kirche des ehemaligen Neuwerk-Klosters, das in der Renaissance-Zeit in die Stadtbefestigung einbezogen wurde (es liegt zwischen Stadtmauer und Wall). Leider war die Kirche gerade geschlossen (wie üblich).
Apropos Stadtbefestigung: Von der Stadtmauer und den Wällen sind noch einige Reste erhalten. Auch viele Türme sind zumindest noch als Stümpfe erkennbar, und auch bei den meisten Stadttoren gibt es noch Reste der Wachtürme (wie eben am Rosentor). Von den Tortürmen ist allerdings nur noch das innere Breite Tor samt historisch überformter Kaserne im Zwinger zwischen Mauertor und Walltor erhalten. Doch mehr dazu später. Insgesamt ist die Stadtbefestigung durch die relativ gut erhaltenen Wallanlagen, die heute als Grüngürtel die Altstadt umschließen, noch gut erkennbar, wenn auch ziemlich löchrig und durchlässig geworden.
Wenn wir durch die Rosentorstraße gehen, erkennen wir, dass auch Goslar mit der Zeit geht und eine Raketenabschussrampe auf einem historistischen Gebäude angebracht wurde.
In der Schilderstraße begegnen wir dem ersten von vielen Spätrenaissance-Fachwerkhäusern. Dieses Exemplar, Schilderstraße 12, stammt von 1660.
Blick in die Schilderstraße Richtung Norden. Im Hintergrund in schöner Ecksituation das Haus Schilderstraße 23 von 1609. Solche Ecksituationen gibt es übrigens reichlich in der Goslarer Altstadt, denn an vielen Stellen, wo kleine Nebenstraßen in die Hauptstraßen einmünden, sind diese platzartig aufgeweitet, wodurch die Eckhäuser so "in Szene gesetzt" werden können.
Schöne Neoromanik (immer noch Schilderstraße):
Ebenfalls in der Schilderstraße befindet sich die Jacobikirche, die in ihrer Ausrichtung seltsamerweise deutlich nach Südosten abweicht:
Nun gehen wir an der Mauerstraße entlang in Richtung Breites Tor. Dort stoßen wir auf den Weberturm, den am besten erhaltenen Turm der Stadtbefestigung.
Rückseite (hinter uns befindet sich übrigens ein Parkhaus - keine Ahnung, welcher betrunkene Stadtplaner das an der Stelle genehmigt hat):
Blick zum Teufelsturm:
Nun kommen wir zu den wenigen Bausünden (damit wir's hinter uns haben). Blick in die Straße Vogelsang (rechts hinten Karstadt):
Für den Karstadt-Klotz musste ein ganzer Häuserblock weichen, und auch wenn "nur" historistische Bauten und Fachwerkhäuser aus der Wiederaufbauzeit nach dem Stadtbrand von 1780 dafür abgerissen wurden, stört dieses Bauwerk die Geschlossenheit des Stadtbilds doch sehr massiv:
Nun sehen wir auf dem Weg zum Breiten Tor, wie einheitlich das Stadtbild nach den großen Stadtbränden von 1728 und 1780 wieder aufgebaut wurde. Gerade die klassiztischen Fachwerkhäuser waren sicherlich alle ursprünglich verschiefert, was leider nur noch bei relativ wenigen Beispielen erhalten ist:
Bausünde in der Mauerstraße. Dem Stil nach sogar erst aus den späten 70ern oder frühen 80ern:
So wie die Häuser links sahen sicher alle Fachwerkhäuser in der Bäckerstraße, der Breiten Straße und den angrenzenden Nebenstraßen, deren Bebauung im 18. Jahrhundert zerstört wurde, ursprünglich aus:
Blick zum Breiten Tor:
Vom äußeren Breiten Tor ist "nur" noch der Wachturm stehengeblieben. Leider sind äußeres und inneres Tor heute durch eine Hauptstraße getrennt:
Kaserne im Torzwinger:
Auf dem Wall (bzw. im ehemaligen Stadtgraben) geht's nun weiter in Richtung Süden der Altstadt. Unterwegs kommen wir am überwölbten Ausfluss der Abzucht vorbei, die sich bis heute offen von West nach Ost durch die Altstadt schlängelt:
St. Annen, ehemaliges Armenhaus:
Stumpf eines weiteren Mauerturms (Kegelworth):
Das Straßenschild sagt schon alles:
Diese unscheinbare Nische mit dem geschickt platzierten Streugutkasten ist die ehemalige Durchfahrt des Gröperntors, das schon mit der Anlage der Wallanlagen im 16. Jahrhundert aufgegeben wurde. Normalerweise würde man an der unscheinbaren Nische achtlos vorbeigehen, da es dort nicht mal eine Infotafel dazu gibt, obwohl die Stadt sonst reichlich damit gesegnet ist:
An der Stephanikirche gibt es noch einige barocke Fachwerkhäuser aus der Wiederaufbauzeit nach dem ersten Stadtbrand von 1728 zu sehen (wie schon erwähnt sind die nach dem zweiten Stadtbrand 1780 errichteten Häuser schon klassizistisch geprägt):
Die Stephanikirche wurde 1728 ebenfalls zerstört und barock wieder aufgebaut, jedoch als traditionelle Hallenkirche, sogar mit Strebepfeilern:
Südlich der Stephanikirche haben in der Gosestraße ein paar Häuser beide Stadtbrände überlebt. Besonders interessant ist die Inschrift dieses Hauses von 1551:
Das Nachbarhaus wurde zwar später verschiefert, doch die Knaggen können nicht vertuschen, dass es um 1500 entstanden sein muss:
Schöner Historismus im niedersächsischen Fachwerkstil. Solche Bauten gibt es auch außerhalb der Altstadt. Dieser ausgeprägte Lokalhistorismus scheint eine Besonderheit der Harzregion zu sein, denn auch in Wolfenbüttel und Quedlinburg habe ich reichlich Beispiele dafür gesehen:
Spätgotisches Fachwerkhaus in der Kornstraße über mittelalterlicher steinerner Kemenate:
Spätbrutalistisches Parkhaus in der Kornstraße über neuzeitlicher betonerner Baugrube:
Barocker Steinbau mit aufgesetztem Fachwerkgeschoss, im Kern jedoch älter:
Verschiefertes Renaissancehaus in der Schwicheltstraße:
Hier stand bis 1852 die Caecilienkapelle (heute als Parkplatz genutzt):
Über die Knochenhauerstraße (mit einem offenbar jüngst wieder freigelegten Fachwerkhaus, dessen Zierschnitzereien arg gelitten haben)...
...gelangen wir in den vom Stadtbrand verschont gebliebenen Teil der Stadt. In der Glockengießerstraße gibt es eine geschlossene Häuserzeile mit Bauten vom Spätmittelalter bis zum frühen 17. Jahrhundert: