• Mit etwas Verspätung geht's jetzt nach Goslar, und ich muss sagen, die Stadt ist echt der Wahnsinn und trägt ihren Weltkulturerbetitel auf jeden Fall zu Recht. Zwar gibt es auch hier einige Bausünden (vor allem die üblichen Verdächtigen: Karstadt und Sparkasse sowie zwei Parkhäuser), doch ein Großteil der Altstadt ist ziemlich geschlossen erhalten und bietet hunderte von historischen Fachwerk- und Steinhäusern, laut "Das Bürgerhaus in Goslar" (1975) 64 Häuser aus der Zeit vor 1500, 184 Häuser aus dem 16. Jahrhundert, 64 Häuser bis 1650, 98 Häuser zwischen 1650 und 1700, 403 Häuser aus dem 18. Jahrhundert (vor allem wegen zwei großen Stadtbränden, die fast das gesamte nordöstliche Drittel der Stadt inklusive der Stephanikirche eingeäschert haben)und knapp 700 jüngere Häuser.

    Doch genug Statistik, begeben wir uns nun auf eine Reise durch Goslar. Wir betreten die Stadt von Norden, durch das Rosentor - oder zumindest das, was das 19. Jahrhundert und die historistischen Überformungen davon übrig gelassen haben.



    Direkt vor dem Rosentor befindet sich die romanische Kirche des ehemaligen Neuwerk-Klosters, das in der Renaissance-Zeit in die Stadtbefestigung einbezogen wurde (es liegt zwischen Stadtmauer und Wall). Leider war die Kirche gerade geschlossen (wie üblich).



    Apropos Stadtbefestigung: Von der Stadtmauer und den Wällen sind noch einige Reste erhalten. Auch viele Türme sind zumindest noch als Stümpfe erkennbar, und auch bei den meisten Stadttoren gibt es noch Reste der Wachtürme (wie eben am Rosentor). Von den Tortürmen ist allerdings nur noch das innere Breite Tor samt historisch überformter Kaserne im Zwinger zwischen Mauertor und Walltor erhalten. Doch mehr dazu später. Insgesamt ist die Stadtbefestigung durch die relativ gut erhaltenen Wallanlagen, die heute als Grüngürtel die Altstadt umschließen, noch gut erkennbar, wenn auch ziemlich löchrig und durchlässig geworden.

    Wenn wir durch die Rosentorstraße gehen, erkennen wir, dass auch Goslar mit der Zeit geht und eine Raketenabschussrampe auf einem historistischen Gebäude angebracht wurde.

    In der Schilderstraße begegnen wir dem ersten von vielen Spätrenaissance-Fachwerkhäusern. Dieses Exemplar, Schilderstraße 12, stammt von 1660.

    Blick in die Schilderstraße Richtung Norden. Im Hintergrund in schöner Ecksituation das Haus Schilderstraße 23 von 1609. Solche Ecksituationen gibt es übrigens reichlich in der Goslarer Altstadt, denn an vielen Stellen, wo kleine Nebenstraßen in die Hauptstraßen einmünden, sind diese platzartig aufgeweitet, wodurch die Eckhäuser so "in Szene gesetzt" werden können.

    Schöne Neoromanik (immer noch Schilderstraße):

    Ebenfalls in der Schilderstraße befindet sich die Jacobikirche, die in ihrer Ausrichtung seltsamerweise deutlich nach Südosten abweicht:

    Nun gehen wir an der Mauerstraße entlang in Richtung Breites Tor. Dort stoßen wir auf den Weberturm, den am besten erhaltenen Turm der Stadtbefestigung.

    Rückseite (hinter uns befindet sich übrigens ein Parkhaus - keine Ahnung, welcher betrunkene Stadtplaner das an der Stelle genehmigt hat):

    Blick zum Teufelsturm:

    Nun kommen wir zu den wenigen Bausünden (damit wir's hinter uns haben). Blick in die Straße Vogelsang (rechts hinten Karstadt):

    Für den Karstadt-Klotz musste ein ganzer Häuserblock weichen, und auch wenn "nur" historistische Bauten und Fachwerkhäuser aus der Wiederaufbauzeit nach dem Stadtbrand von 1780 dafür abgerissen wurden, stört dieses Bauwerk die Geschlossenheit des Stadtbilds doch sehr massiv:

    Nun sehen wir auf dem Weg zum Breiten Tor, wie einheitlich das Stadtbild nach den großen Stadtbränden von 1728 und 1780 wieder aufgebaut wurde. Gerade die klassiztischen Fachwerkhäuser waren sicherlich alle ursprünglich verschiefert, was leider nur noch bei relativ wenigen Beispielen erhalten ist:

    Bausünde in der Mauerstraße. Dem Stil nach sogar erst aus den späten 70ern oder frühen 80ern:

    So wie die Häuser links sahen sicher alle Fachwerkhäuser in der Bäckerstraße, der Breiten Straße und den angrenzenden Nebenstraßen, deren Bebauung im 18. Jahrhundert zerstört wurde, ursprünglich aus:

    Blick zum Breiten Tor:


    Vom äußeren Breiten Tor ist "nur" noch der Wachturm stehengeblieben. Leider sind äußeres und inneres Tor heute durch eine Hauptstraße getrennt:

    Kaserne im Torzwinger:


    Auf dem Wall (bzw. im ehemaligen Stadtgraben) geht's nun weiter in Richtung Süden der Altstadt. Unterwegs kommen wir am überwölbten Ausfluss der Abzucht vorbei, die sich bis heute offen von West nach Ost durch die Altstadt schlängelt:

    St. Annen, ehemaliges Armenhaus:

    Stumpf eines weiteren Mauerturms (Kegelworth):

    Das Straßenschild sagt schon alles:

    Diese unscheinbare Nische mit dem geschickt platzierten Streugutkasten ist die ehemalige Durchfahrt des Gröperntors, das schon mit der Anlage der Wallanlagen im 16. Jahrhundert aufgegeben wurde. Normalerweise würde man an der unscheinbaren Nische achtlos vorbeigehen, da es dort nicht mal eine Infotafel dazu gibt, obwohl die Stadt sonst reichlich damit gesegnet ist:

    An der Stephanikirche gibt es noch einige barocke Fachwerkhäuser aus der Wiederaufbauzeit nach dem ersten Stadtbrand von 1728 zu sehen (wie schon erwähnt sind die nach dem zweiten Stadtbrand 1780 errichteten Häuser schon klassizistisch geprägt):

    Die Stephanikirche wurde 1728 ebenfalls zerstört und barock wieder aufgebaut, jedoch als traditionelle Hallenkirche, sogar mit Strebepfeilern:


    Südlich der Stephanikirche haben in der Gosestraße ein paar Häuser beide Stadtbrände überlebt. Besonders interessant ist die Inschrift dieses Hauses von 1551:

    Das Nachbarhaus wurde zwar später verschiefert, doch die Knaggen können nicht vertuschen, dass es um 1500 entstanden sein muss:

    Schöner Historismus im niedersächsischen Fachwerkstil. Solche Bauten gibt es auch außerhalb der Altstadt. Dieser ausgeprägte Lokalhistorismus scheint eine Besonderheit der Harzregion zu sein, denn auch in Wolfenbüttel und Quedlinburg habe ich reichlich Beispiele dafür gesehen:


    Spätgotisches Fachwerkhaus in der Kornstraße über mittelalterlicher steinerner Kemenate:


    Spätbrutalistisches Parkhaus in der Kornstraße über neuzeitlicher betonerner Baugrube:

    Barocker Steinbau mit aufgesetztem Fachwerkgeschoss, im Kern jedoch älter:


    Verschiefertes Renaissancehaus in der Schwicheltstraße:

    Hier stand bis 1852 die Caecilienkapelle (heute als Parkplatz genutzt):

    Über die Knochenhauerstraße (mit einem offenbar jüngst wieder freigelegten Fachwerkhaus, dessen Zierschnitzereien arg gelitten haben)...


    ...gelangen wir in den vom Stadtbrand verschont gebliebenen Teil der Stadt. In der Glockengießerstraße gibt es eine geschlossene Häuserzeile mit Bauten vom Spätmittelalter bis zum frühen 17. Jahrhundert:





  • An der Ecke zur Straße Trollmönch gibt es dieses bemerkenswerte Steinhaus. Eine ehemalige Kapelle?


    Vorbei am Zwinger von 1517, der im Zusammenhang mit dem Stadtwall angelegt wurde...

    ...geht es in die Abzuchtstraße. Hier gibt es mehrere Häuser, in denen sich mittelalterliche Kemenaten verbergen:



    In der Königsstraße 1 befindet sich in einer ehemaligen Stiftskurie von 1514 das Goslarer Stadtmuseum. Aus Zeitmangel konnte ich da leider nicht reingehen:


    Direkt nebenan befindet sich ein Fachwerkneubau - jedenfalls nach der Inschrift zu urteilen:

    Wir nähern uns langsam der Kaiserpfalz...


    Noch mal ein Blick auf einen sehr interessanten Bau des Historismus...

    Dann liegt sie vor uns, die staufische Kaiserpfalz, die im Kern noch aus dem 11. Jahrhundert stammt, jedoch stark historistisch überformt wurde:

    Die Torhalle ist der letzte Rest des im 19. Jahrhundert abgebrochenen Doms:

    Im Inneren befinden sich neben einem Kaiserthron auch einige Spolien des Doms sowie das Portal, durch das man ehemals von der Vorhalle aus die Kirche betreten konnte:

    Heute befindet sich an der Stelle des Doms ein schnöder Parkplatz. Auf dem Pflaster sind angeblich die Umrisse des Doms markiert, doch habe ich diese angeblichen Markierungen nicht erkannt (die auf dem Bild sichtbaren dunkleren Steine markieren lediglich die Parkflächen):

    Richtig übel ist übrigens das 60er/70er-Jahre-Gebäude hinter dem Parkplatz. Ich hab leider nicht dran gedacht, es zu fotografieren, aber auf einem der folgenden Bilder kann man es hinter der Kopie des Braunschweiger Löwen erahnen:



    Blick hinter die Kaiserpfalz:




    Von der hier vorbeiziehenden Stadtmauer hat sich sogar ein Stück Wehrgang mit Treppe erhalten:

    Wie verlassen die Kaiserpfalz wieder (das Pfalzmuseum schließt leider um 16:00 Uhr und ich war erst kurz nach vier dort angekommen) und gehen durch die Straße Am Liebfrauenberg zu der Stelle, an der die Abzucht in die Stadt hineinfließt:




    Sehr interessant ist ein Blick in die Gasse An der Gose. Es gibt nämlich ein kleines Bächlein namens Gose, das (heute innerhalb der Altstadt fast komplett kanalisiert) nach etwa 400 m Weg durch die Altstadt in die Abzucht mündet. Ehemals floss die Gose offen durch diese enge Gasse und machte sie noch enger. Der Verlauf der Gose ist klar im Straßenpflaster markiert.

    Spätmittelalterliches Fachwerk in der Bergstraße:

    Am Ende der Bergstraße lag ehemals das Klaustor. Von ihm haben sich nur noch spärliche Mauerreste erhalten - und die Kapelle St. Nicolaus:

    Auf dem Weg zum ehemaligen Frankenberg-Kloster, das den Westabschluss der Altstadt bildet, kommen wir abermals an schönen Fachwerkhäusern vorbei:



    Die Klosterkirche (natürlich ebenfalls geschlossen) liegt strategisch günstig auf einem Hügel. Zur Kirche gelangt man durch einen historistischen Torbau, zum ehemaligen Klosterkomplex (heute Altenheim) durch ein spätgotisches Portal:


    Die Klosterkirche weist eine Besonderheit auf, die von Osten erstmal gar nicht auffällt:



    Doch auf der Westseite sehen wir, dass sie in die Stadtmauer einbezogen wurde. Die ehemalige Doppelturmfront wurde in der Barockzeit zu einem Mittelturm umgebaut:

    Südlich der Kirche befindet sich das Fundament eines ehemaligen Stadtmauerturms...

    ...nördlich der Kirche ist ein weiterer Turmstumpf, leider wurde durch den Bau der Straße dessen Ende "abrasiert" (zu dem eigenartigen Aufbau sage ich mal lieber nichts):

    Nun bin ich etwas außerhalb der Altstadt entlanggegangen. Hier gibt es schöne gründerzeitliche Villen im niedersächsischen Stil:



    Wieder zurück in der Altstadt gibt es in der Kettenstraße und am Frankenplan (direkt vor dem Kloster) weitere Renaissancefachwerkbauten:


    Zum Abschluss des ersten Teils gibt es noch ein paar Bilder aus der Frankenberger Straße. Die gotischen Kemenaten und Steinhäuser geben einen Vorgeschmack auf das, was uns im zweiten Teil der Bilder im Zentrum der Stadt (rund um Marktplatz und Brusttuch-Haus) erwartet:



    So, die 100 sind voll. Bislang habe ich mich eher um das Zentrum der Altstadt herumgeschlängelt. Die restlichen Bilder (wobei ich mir aus Zeitmangel leider nicht alles in der gebotenen Ausführlichkeit ansehen konnte) folgen morgen.

  • Hallo liebe Gemeinde, hallo lieber Autor,

    schade, dass Du nicht im Museum und in der kaiserpfalz warst. Im Museum findet sich der u.a. der Crodoaltar, in der Kaiserpfalz das Herz Heinrichs III und vor allem die originale Lehne des Kaiserstuhls, sowie viele kapitelle aus der Kaiserpfalz und anderer Gebäude aus Goslar, u.a. auch eines mit der Judensau, einer seltenen Darstellung in unserem Raum, gibt es sonst nur in Brandenburg und Worms soweit ich weiss

    Ich kenne übrigens die Fundamente hinter der Kaiserpfalz noch als Ruine mit stehenden Mauern sind die abgerissen worden ?
    Ach ja und geh nochmal in die Neuwerkkirche, dort steht ein originaler romanischer Lettner, allerdings umfunktioniert zu einer Orgelempore und romanische Fresken.
    Ansonsten schön gemacht vielen dank

  • Grandiose Eindrücke eines Fackwerknirvanas. So sieht sie also aus die heute wohl zweitgrößte Fachwerkaltstadt Europas - sofern Troyes über noch mehr Fachwerkhäuser verfügt. Mit Hilfe der Dendrochronologie hat man in den letzten 30 Jahren bestimmt etliche Fachwerkbauten zurückdatieren können, die man rein stilistisch jünger eingeschätzt hat. Schön ist es auch zu sehen, dass im Häuserbestand Goslars sogar noch spätromanisch-frühgotische Steinbauten erhalten sind. Kaiserpfalz und romanische Kirchen zeugen von der großen Bedeutung der Stadt im Mittelalter, danach schlummerte sie vor sich hin - eigentlich die ideale Entwicklung zur Konservierung eines altertümlichen Stadtbildes, leider folgten noch einige Stadtbrände. Trotz dessen und einiger Nachkriegssünden sucht das Erhaltene sicherlich erst einmal seinesgleichen.

    Vielen Dank, Maxileen, für diese und auch die anderen wunderbaren Harz-Galerien.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Vielen Dank für die schönen Bilder! Da meine Großeltern in Goslar gelebt haben, war ich früher ein-, zweimal im Jahr dort. Eine wunderschöne Stadt. Bezüglich der Bausünden aus neuerer Zeit will ich dir zwar nicht widersprechen, jedoch finde ich es bemwerkenswert, dass immerhin versucht wurde, einen Bezug zur Umgebung herzustellen: Karstadt hat ein schiefergedecktes Walmdach, das Parkdeck ist so tief und unauffällig wie möglich gehalten und ebenfalls mit Schiefer verkleidet, selbst der kleine Aufbau auf den Turmstumpf ist aus Holz und Schiefer und zeichnet die Umrisse des Turmes nach - nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Ich wäre diese Bausünden auch lieber heute als Morgen los. Aber im Verhältnis zu den meisten anderen deutschen Städten halten sich Ignoranz und Arroganz bezüglich der historischen Umgebung hier noch einigermaßen in Grenzen.

  • Zitat von "Tobias"

    Aber im Verhältnis zu den meisten anderen deutschen Städten halten sich Ignoranz und Arroganz bezüglich der historischen Umgebung hier noch einigermaßen in Grenzen.

    Auf jeden Fall, man denke nur an Höxter; dort stehen in der Innenstadt noch ein halbes Dutzend ausdrucksstarker Fachwerkhäuser, die mit ihren Rosetten und Bändern kaum ihresgleichen finden, jedoch isoliert in einem Meer von Beton- und Glaskisten.

    Georg Friedrich

    Aus Frankreich kommen zwar hübsche Mädchen, auch die Barockschlösser und gotischen Kathedralen sowie den Rotwein wollen wir gelten lassen, aber das öde, langweilige französische Fachwerk?
    Ich bitte Dich, das läßt sich doch kaum mit den verschiedenen deutschen Ausformungen desselben vergleichen. Außerdem wäre ich mir nicht sicher, ob nicht in Celle oder Quedlinburg eben so viele F.W.häuser stehen, wobei es sicher nicht auf die Quantität ankommt, sondern sowohl auf die Qualität des einzelnen Hauses sowie auf die Ensemblewirkung.

  • Erstmal Danke für die Bilder und deine Mühen, Maxileen. Wirklich ganz wunderbar, auch wenn du offenbar Pech mit dem Wetter hattest - schade!

    Zitat von "Georg Friedrich"

    [...] Mit Hilfe der Dendrochronologie hat man in den letzten 30 Jahren bestimmt etliche Fachwerkbauten zurückdatieren können, die man rein stilistisch jünger eingeschätzt hat. [...]

    Diesbezüglich würde mich mal interessieren, ob es *aktuelle* Literatur über niederdeutsche Fachwerkbauten in der Art von "Fachwerk vor 1600" (das ja für Süddeutschland geschrieben wurde) gibt, die auf dendrochronologischen Untersuchungen basiert. Die "Das Bürgerhaus in ..."-Reihe wurde ja schon genannt, nur reflektiert die eben den Forschungsstand vor 30 Jahren, als man sich nicht zu träumen gewagte, dass wir noch Fachwerkbauten aus dem 13. Jahrhundert besitzen.

    Zitat von "FriedrichvonGaertner"

    Aus Frankreich kommen zwar hübsche Mädchen, auch die Barockschlösser und gotischen Kathedralen sowie den Rotwein wollen wir gelten lassen, aber das öde, langweilige französische Fachwerk?
    Ich bitte Dich, das läßt sich doch kaum mit den verschiedenen deutschen Ausformungen desselben vergleichen. [...]

    Das ist aber vor allem dem Zweiten Weltkrieg zuzuschreiben. Wir wissen ja alle, dass Frankreich aufgrund seiner Geschichte (im Gegesatz zu Deutschland) nie wirklich viele mittelgroße Städte besessen hat, an denen Deutschland ja trotz der Zerstörung der meisten Großstädte immer noch seinen kulturellen Reichtum festmachen kann. So haben sich in Frankreich die wirklich bedeutenden Fachwerkensembles in einigen größeren Städten gescharrt, und ausgerechnet die sind meist zerbombt worden (v. a. in der Normandie, wo es einige wirklich herausragend schöne Beispiele für Fachwerk der Renaissance gab). Ich neige fast zu behaupten, dass die Franzosen in der Summe, was Fachwerk angeht, schlimmer vom Krieg geschädigt wurden als Deutschland.

  • Teile des Strangs wurden, da offtopic, in einen nicht sichtbaren Bereich des Forums verschoben. Danke für euer Verständnis. Und zurück zum Thema. :)

  • @FriedrichVonGärtner

    Was hat deine Post mit Goslar Altstadt oder Architektur zu tun.
    Und bitte bleibt sachlich. Personangriffe finde ich nicht angebracht.

    Zurück zum Goslar.
    Ja, es ist ja erstaunlich dass dieser Stadt in Niedersachsen gibt. Zusammen mit Celle, Lünenburg steht dieser Städte in schöne Kontrast zu Hannover...

  • So, weiter geht's. Im Zentrum der Stadt, vor allem an der Bergstraße, der Schreiberstraße, dem Hohen Weg und den Straßen, die an den Markt angrenzen, findet sich die wertvollste und älteste Bausubstanz Goslars. Dass selbst unter unscheinbaren deutlich ältere Bausubstanz verborgen ist, zeigt das Haus Schreiberstraße 11, das im Kern vermutlich aus dem 13. Jahrhundert stammt und im 19. Jahrhundert stark verbaut wurde:

    Die Schreiberstraße mündet in die Bergstraße:




    Seltene Vollrosette über einer Eingangstür:

    Das Siemenshaus besitzt noch vollständige Brauereieinbauten aus dem 18. Jahrhundert:

    Bergstraße 52/52A von 1881 mit Spolien des Vorgängerbaus von 1564:


    Obere Mühlenstraße:


    Bergstraße 6, Massivbau von etwa 1500, durch spätklassizistischen Quaderputz stark verändert:


    Und wieder Historismus:


    Weitere Stein-Fachwerk-Mischbauten in der Bergstraße:



    Am Ende der engen Bergstraße steht man unvermittelt vor der Marktkiche (im Kern aus dem 12. Jahrhundert, doch bis ins Spätmittelalter ausgebaut):

    Gegenüber der Marktkirche steht das Bäckergildehaus (Marktstraße 43), einer der bedeutendsten Profanbauten der Stadt. Das Haus entstand 1501 (steinernes Untergeschoss, die Fenster entstanden jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts) bzw. 1557 (Fachwerk-Speichergeschoss mit Erker) und kam erst im 19. Jahrhundert in Privatbesitz:



    Das Haus Marktstraße 15 ist im Kern ein spätgotischer Steinbau, der jedoch um 1660 in den beiden Obergeschossen mit einer Fachwerkfassade versehen wurde. Das Erdgeschoss wurde seit 1880 mehrfach durch Ladeneinbauten verändert.

    Fachwerkhäuser mit den obligatorischen Ladeneinbauten:

    Das Brusttuch ist das berühmteste Bürgerhaus der Stadt. Es steht ganz in der Nähe des Bäckergildehauses und entstand 1521 auf trapezförmigem Grundriss und unter Einbeziehung älterer Bauteile. Zwar wurde auch das Brusttuch Ende des 19. Jahrhunderts historisierend verändert, jedoch hat man dabei versucht, die ursprüngliche Inneneinteilung mit hoher Däle möglichst wieder herzustellen:



    Schöner historistischer Neubau (was dafür abgerissen wurde, darüber möchte ich jetzt lieber nicht nachdenken - stilistisch fügt sich das Haus jedenfalls gut in die Umgebung ein):

    Noch einmal die Marktkirche (man beachte, dass der Himmel sich aufgeklart hat - natürlich pünktlich zum Sonnenuntergang):

    Gotischer Steinbau mit klassizistischer Fassade und grausamem Ladeneinbau, der auch vor der Giebelseite nicht Halt gemacht hat:

    Großes Heiliges Kreuz, Spital, 1254 gegründet:


    Zum Abschluss folgen nun noch einige Bilder rund um den Marktplatz. Beginnen wir mit dem Rathaus (15. Jh., mit romanischem Kern):



    Die 1494 erbaute Kaiserworth, das ehemalige Gildehaus der Gewandschneider. Vor allem durch die jüngste Restaurierung mit Rekonstruktion der Fassadenbemalung wirkt die Kaiserworth fast prachtvoller als das Rathaus, was die Bedeutung der Gewandschneidergilde in der Stadt zeigt:

    Die übrigen noch vorhandenen Gildehäuser sind weniger prachtvoll. Das Kaiserringhaus von 1787 wurde nach dem Brand von 1780 gebaut und ist möglicherweise der ehemalige Standort des Münzergildehauses:

    Am Schuhhof schließlich lag das ehemalige Schuhmachergildehaus - bis 1780, denn da fiel auch dieses dem Stadtbrand zum Opfer. Die westliche Seite des Platzes hat den Brand jedoch überstanden:

    Ganz zum Schluss noch ein Bild des Hinterhauses von Marktstraße 1. Auch wenn es auf den ersten Blick mittelalterlich aussieht, stammt es erst von 1907. Die (blinden) Fenstergewände mit Kleeblattbögen stammen vom 1906 abgebrannten Haus Marktkirchhof 1.

    Morgen folgt dann eine Galerie von Halberstadt. Macht euch auf einiges gefasst...

  • Zitat

    Macht euch auf einiges gefasst...

    Wen schaudert's nicht schon, wenn er oder sie bedenkt, dass Hildesheim noch etwas schoener als Goslar gewesen sein muss..

    Zitat

    Das Kaiserringhaus von 1787 wurde nach dem Brand von 1780 gebaut und ist möglicherweise der ehemalige Standort des Münzergildehauses:

    Im Althochdeutschen im Hildebrandslied heissen Muenzen 'Cheisurringa'. Kaiserring ist also wohl eine alte Bezeichnung fuer 'Muenze'. Das ist auch logisch: eine Muenze war ein ringfoermiges Ding mit dem Bildnis des Kaisers darauf.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "RMA"

    Diesbezüglich würde mich mal interessieren, ob es *aktuelle* Literatur über niederdeutsche Fachwerkbauten in der Art von "Fachwerk vor 1600" (das ja für Süddeutschland geschrieben wurde) gibt, die auf dendrochronologischen Untersuchungen basiert.

    Ja, das würde mich auch interessieren. Ich kenne leider keines.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Zitat von "FriedrichvonGaertner"

    Ich bitte Dich, das läßt sich doch kaum mit den verschiedenen deutschen Ausformungen desselben vergleichen.

    Diesen Eindruck habe ich irgendwie auch. Die qualitative Kluft zwischen profanem Wohnungsbau und hochstehender Sakralarchitektur erscheint in französischen Altstädten oftmals ausgeprägter als in deutschen. In England ist dieser Unterschied noch frappierender. Möglicherweise ist dies ein Phänomen für geschlossene Flächenstaaten mit starker Zentralgewalt und dementsprechend schwachen städtischen Verfassungen.

    Zitat

    Außerdem wäre ich mir nicht sicher, ob nicht in Celle oder Quedlinburg eben so viele F.W.häuser stehen, wobei es sicher nicht auf die Quantität ankommt, sondern sowohl auf die Qualität des einzelnen Hauses sowie auf die Ensemblewirkung.

    Quantitativ sicher nicht: etwa 1500 Fachwerkhäuser in Goslar, etwa 1200 in Quedlinburg, etwa 500 in Celle

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Ich habe gerade auf Wikipedia gelesen, dass das Kaiserhaus der Kaiserpfalz mit 54 Metern Länge und 18 Metern Tiefe der größte (zudem angeblich auch am besten erhaltene) Profanbau des 11. Jahrhunderts in Deutschland und seiner Zeit überhaupt ist. Der Saalbau beherbergt zwei Säle von 47 Metern Länge und 15 Metern Tiefe. Zur historistischen Rekonstruktion nach Jahrhunderte langem Verfall des in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gewiss nicht besonders gut erhaltenen Baus schreibt der Artikel:

    "1865 stürzten im Kaiserhaus wieder Mauern ein, und auf der Tagesordnung des Goslarer Rates stand damit das Thema „Abbruch“. Dieser konnte aber abgewendet werden, stattdessen empfahl eine staatliche Kommission die Restaurierung des Gebäudes. Die Bauarbeiten hierzu begannen am 14. August 1868. Am 15. August 1875 besuchte Kaiser Wilhelm I. die Baustelle und gab dem Projekt damit quasi die „nationale Weihe“. 1879 war die Restauration des Bauwerks abgeschlossen, das Ergebnis aber aus heutiger Sicht „über das Ziel hinaus geschossen“: Im nationalen Überschwang der Zeit hatte man den Bau ins Monumentale erhöht und diverse Bausünden begangen. Der Arkadengang vom Kaiserhaus zur Ulrichskapelle, die Freitreppenanlage vor der Ostfront, die zwei Nachbildungen des Braunschweiger Löwen und die Reiterstandbilder der Kaiser Barbarossa und Wilhelm I. (1900/01 errichtet) seien hier stellvertretend, weil am augenfälligsten, genannt. Auch im Inneren des Gebäudes zeugen die von Prof. Hermann Wislicenus in der Zeit von 1879 bis 1897 geschaffenen monumentalen, historisierenden Wandgemälde vom nationalen Hochgefühl jener Zeit."


    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserpfalz_Goslar

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Jepp, die Kaiserpfalz ist wohl ähnlich wie der Frankfurter Römer ein gutes Beispiel dafür, dass der Historismus manchmal zu weit gegangen ist. Andererseits würde die Pfalz wohl heute nicht mehr stehen, hätte man die Umbauten des 19. Jahrhunderts nicht vorgenommen, insofern ist das Ganze noch vertretbar.

    Danke nochmal an Maxileen für die weiteren Bilder. Das "Brusttuch" bietet wohl am besten noch Einblick in die Monumentalität und Qualität der Fachwerkbauten, von denen dutzende in dieser Art bis '45 noch in Hildesheim standen. Lange über diesen Verlust nachdenken darf man wirklich nicht. :weinen:

  • Zitat von "RMA"

    Danke nochmal an Maxileen für die weiteren Bilder. Das "Brusttuch" bietet wohl am besten noch Einblick in die Monumentalität und Qualität der Fachwerkbauten, von denen dutzende in dieser Art bis '45 noch in Hildesheim standen. Lange über diesen Verlust nachdenken darf man wirklich nicht. :weinen:

    #

    Naja, ich freue mich über dass es Goslar überhaupt in die Form wie heute gibt.

    Die Fotos sind sehr gut. Die Stadt ist schön im Winter und im Sommer. Was mich besonders gut gefallen ist ja die Marktplatz die Wirklich beeindruckend ist...

    Danke!

  • Ja, die Bilder von Goslar sind der Hammer.

    Ich war als Kind in Goslar und dann hat es ein grosses Eindruck auf mich gemacht. In Schweden gibt es ja keine Fachwerkstädten und erstmal mal in solche Quantitäten. Die Bruder Grimm und Goslar. Ich war ja in Goslar zweimal danach: einmal mit Schnee und einmal ohne Schnee. Heute liegt ja Goslar auch in Konkurrenz mit Wernigerode und Quedlinburg.

  • Nachdem hier schon einige Galerien über Fachwerkstädte eingestellt worden sind, kann ich nur noch sagen "Goslar ist umwerfend"! Vielen Dank an Maxileen und Alexander für die sehr informativen Bilder! Hier wird mit sehr viel Sachkenntnis und Sorgfalt restauriert, und vor allem ist mir aufgefallen, dass auch viel Augenmerk auf die Dachlandschaft gerichtet wird. Sicher erkennt man einige Dachflächenfenster, aber diese sind immer noch zurückhaltender als eine hohe Anzahl von grossen Schleppgauben, Giebellukarnen oder Dacheinschnitte für Balkonterrassen (Stichwort Dresden...). Wichtig ist auch bei Neueindeckungen die Verwendung von naturroten Dachziegeln oder Schiefer, und der Verzicht auf dunkel engobierte Dachziegel.