Artikel zum Thema Rekonstruktion

  • Ach ja, das ist dieselbe, die mich vor zwei Jahren auf dem Rekonstruktions-Symposium des Bundesbauministeriums in Berlin mit sich überschlagender Simme angeblafft hat, ich hätte kein Recht (sic!), den Verlust der deutschen Städte im 2. Weltkrieg als Verlust zu erleben und zu erfahren und dabei klang, als wäre sie kurz vorm Nervenzusammenbruch.
    Die Frau ist übrigens auch Mitglied der "Arbeitsgemeinschaft Gefährdete Nachkriegsmoderne (ARGE)" an der TU Berlin und hat in Herrn Buttlars Sammlung von Anti-Reko-Pamphleten einen Beitrag mit dem Titel "Denkmalverlust als soziale Konstruktion" geschrieben. Alles klar, Leute?! Der Verlust von Dresden, Frankfurt, Nürnberg, Hildesheim etc. ist nur eine "soziale Konstruktion" :gehtsnoch:

    Insgesamt fast schon eine Karikatur. Wenn solche Leute nicht allen Ernstes - wie in diesem Fall - Professuren für Denkmalpflege innehätten, könnte man ein solches pseudo-intellektuelles, hysterisches Geschwurbel, über das jeder ernsthafte Philosoph oder Sozialwissenschaftler nur den Kopf schütteln kann, beinahe schon wieder lustig finden.

  • Ich finde Emotionalität sehr sympathisch. Man sollte mehr Veranstaltungen organisieren, um darüber zu debattieren. Die Denkmalpfleger haben bestimmte Doktrinen aus Kaisers Zeiten verinnerlicht wie dieses Dehio Diktum. Denkmalpfleger sind eben konservativ auf ihre Art. Dabei geht es bei Rekonstruktionen gar nicht um Denkmalpflege, sondern um selektive Mimesis des Historischen.

  • Die Denkmalpfleger haben bestimmte Doktrinen aus Kaisers Zeiten verinnerlicht wie dieses Dehio Diktum. Denkmalpfleger sind eben konservativ auf ihre Art.

    Nee, mit Dehio liegst du in dem Fall völlig falsch. Ich habe in unserer UB mal ein bißchen in den Aufsätzen von Frau Dolff-Bonekämper geblättert und was einem da entgegentritt ist eine geschlossene dekonstruktivistisch-poststrukturalistische Ideologie, die mit Dehio nicht das geringste zu tun hat.
    Der Tenor ist eher: Identität ist böse, totalitär, Nazi. Gut und anti-totalitär sind nur: die Brüche, das Zerbrochene, Differente, Negative; die Abwesenheit und der Verlust von Identität. Das hat alles eher Anklänge an eine Negative Theologie. Daher auch ihre Vergötzung des Verlustes.

    Mit Dehio hat das wirklich nicht das mindeste zu tun, auch wenn die Schlußfolgerungen für die Praxis vielleicht identisch sein mögen.

  • In der Geschichtswisseschaft ist es grundsätzlich so, dass ein Ereignis im Spiegel seiner Zeit verstanden werden muss. Nur so wird es erklärlich. Man kann sich nicht mit heutigem Wissen und Zeitgeist historischen Frakten nähern, so würde man bsw. die Ernennung Hitelrs als Reichskanzler nie verstehen können.

    Dehio agierte um 1900 in einem Umfeld, in dem der Historismus grassierte. Erstens war historische Substanz in Hülle und Fülle da und zweitens war diese eher durch "Rekonstruktionsvorhaben" der anderen Art gefährdet, Schlösser, Burgen und ähnliches sollten durch "Nachempfindungen" rekonstruiert werden während Originales zerfiel. Diese Rekos hatten häufig nur etwas mit der Fantasie der Architekten zu tun, kaum mit historischen Belegen.

    Dass sich Dehio in diesem Kontext für das Primat der Substanz ausspricht ist normal, sehr nachvollziehbar. Aber diese Aussage läßt sich nicht zwei Weltkriege und zwei Diktaturen später auf das 21. Jahrhundert übertragen.

    Selbst Dehio hat sich für Rekonstruktionen ausgesprochen, wenn sie ordentlich dokumentiert sind und dem Wunsch der Bevölkerung entsprechen. So gesehen würde sich dehio heute sicher von seinen Fans deutlich distanzieren...

  • Wie "Philon" es ja bereits mitteilte, haben die Äußerungen dieser Dame aber nichts mit Dehio zu tun. Das ist negative Theologie (Spätergebnis des "Schuldkults"), die unter anderem im Bereich der Architektur ihre zunehmend wahnwitzigeren Stilblüten treibt.

  • Eben nicht Dekonstruktion/Poststrukturalismus sondern Sozialkonstruktivismus, eine Lehrmeinung aus der Mitte der 60er Jahre.

    Ian Hacking hat das zuletzt zerlegt. Es ist eben wie mit allen Lehrmeinungen, da kann man ganz gut mit Methodenklappern, in dem Falle nachweisen/hindeuten, dass etwas sozial konstruiert ist (nur ein anderes Wort für "tradiert") und das mit der komplizierten Fachsprache diskutieren, als sei dadurch etwas bewiesen oder entlarvt. Solche Methoden dienen oft dazu einen Bereich mal umzupflügen und ganz anders anzugehen. Als Einzelner fällt das oft schwer gegen einen etablierten Apparat, also braucht man eine Schule. Da hat man dann auch die ganzen Argumentwerkzeuge zur Verfügung, die ja evtl. in einem Diskurs praktisch sein dürften. Wenn es sich dann verschult und die Professoren die Fleischtöpfe bewachen wird es langweilig, und es kommen wieder andere Lehrmeinungen auf, die das Establishment herausfordern.

    Ich finde das Argument mit dem Gabi Dolff-Bonekmper "kein Recht" aufschlussreich. Um Tradition aufzugreifen braucht man natürlich kein Recht an dieser Tradition. Auch nicht ganz neu die Vorraussetzungen ihres Gedanken, wie Mephistoteles in Goethe's Faust: "Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen". Wir brauchen nicht Erben zu sein, um den Barock zu okkupieren oder uns in einer Reihe mit den Preussen stellen um ihre Schlösser zu bauen oder in eine Reihe mit den Pharaonen zu stellen, um einen Obelisken zu errichten.

  • Wer weiß schon, in welchem Land oder in welcher Welt Hanno Rauterberg lebt, wenn er solch Zeugs schreibt?

    Zitat

    Eifriger denn je bauen die Deutschen landauf, landab neue Kirchen und Schlösser und Villen...

    Zitat

    Heute aber werden die Denkmale nicht länger als Gegengewicht gebraucht. Man bewahrt sie, wenn überhaupt, der Form halber, weil man den Anmutszauber der Geschichte nicht missen möchte. Als Bedeutungsträger haben sie ausgedient.

    Zitat

    Längst ist es in der Gegenwartsarchitektur üblich geworden, auch in historischen Formen zu bauen. Beliebt sind neoklassizistisch geprägte Villen genauso wie Fachwerkhäuser oder Art-déco-Variationen.

    Zitat

    Heute hingegen bedient man sich ungeniert im Fundus der Architekturgeschichte, ein neuer Historismus macht sich breit.

    Zitat

    Ganz offensichtlich geht es bei diesen Retroprojekten weniger um die Rückgewinnung der Geschichte als um einen Triumph der Gegenwart. Es sind Gesten der Macht: Mit Hochhäusern beherrschen wir den Himmel, mit Rekonstruktionen die Vergangenheit.

    Möglichst abstrakt und zeitgenössisch korrekt alleinig die kritischen Aspekte bisheriger Reko-Projekte betonend, wird die Betrachtung auf die Metaebene gehoben und frei drauflosgeschwurbelt, um am Ende doch keine Meinung zu haben. Aber gut, dass wir mal darüber geredet haben...

    Architektur: Jetzt ist Früher heute | Kultur | ZEIT ONLINE

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Zitat

    Dass sich Dehio in diesem Kontext für das Primat der Substanz ausspricht ist normal, sehr nachvollziehbar. Aber diese Aussage läßt sich nicht zwei Weltkriege und zwei Diktaturen später auf das 21. Jahrhundert übertragen.

    Sehr gut ausgedrückt. Volle Zustimmung.


    Selbst Dehio hat sich für Rekonstruktionen ausgesprochen, wenn sie ordentlich dokumentiert sind und dem Wunsch der Bevölkerung entsprechen. So gesehen würde sich dehio heute sicher von seinen Fans deutlich distanzieren...

    Es gab einen zweiten renommierten Kunsthistoriker, ich glaube Klement war sein Name. Er vertrat die selbe These wie Dehio, Rekonstruktion = böse. (Habe mir erlaubt das etwas zu simplifizieren).

    Im Gegensatz zu Dehio aber, der von Hiroshima, Dresden, Düren (90 Prozent zerstört) etc. nie erfuhr weil er vorher verstarb, erlebte Klement den II WK. Er soll im Kölner Dom 1945 dann Vorträge gehalten haben in denen er sich permanent selbst widerlegte und gefordert haben: "Baut's lieber doch wieder auf"...

    Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Anwendung der Dehio-Doktrin auf die Nachkriegszeit völliger Unsinn ist. Denn das würde beeinhalten, so zu tun als ob in den den 100 Jahren zwischen Dehios Forderungen und heute nicht geschehen ist, was aber unter Architekten leider die Norm ist. Die Dehio-Doktrin speziell auf das Deutschland ab "Stunde Null" anzuwenden, ist absolut weltfremd, unlogisch und beinah verantwortungslos.

    "Die Modernisten sollten sich endlich eingestehen, dass sich die Qualität einer Stadt konventioneller Architektur verdankt" - (H. Kollhoff).

    Einmal editiert, zuletzt von Petersburg (26. Januar 2012 um 02:05)

  • Außerdem: Selber denken und selber entscheiden, fällt vielen Menschen, auch wenn sie sich für gebildet und intellektuell versiert halten, anscheinend unendlich schwer. Denn wer ist Dehio? Ein Kunsthistoriker, der vor hundert Jahren an der Uni Straßburg (das damals deutsch war), lehrte. Wieso hat seine Meinung so unendlich viel Gewicht gegenüber jeder anderen? Wenn die Menschen keinen Papst haben, der ihnen die Werturteile vorgibt, dann basteln sie sich eben einen. Jede Stellungnahme zu den Themen Architekur und Rekonstruktion, die fortan Dehio als Kronzeugen ins Feld führt, sollte mit Hohngelächter quittiert werden !

  • Ob modern oder historisierend, es gibt immer Kulturbarbaren. Man denke was die Nazis mit dem Braunschweiger Dom angestellt haben.

    Es soll ja eben nicht eine "bessere Geschichte" geschaffen werden, nach dem Zeitgeschmack.

  • Ein Artikel von geradezu peinlicher Zerfahrenheit und Emotionalität.. Und das Schlimmste der völlig zusammenhanglose Titel "Als hätte es den Zweiten Weltkrieg nie gegeben". Nur eines ist deutlich: jede Auseinandersetzung eines Architekten mit der Historie, und sei sie noch so provozierend, lässt die Autorin rot sehen und sogleich Dachlandschaften "mittelalterlicher und vormittelalterlicher" Altstädte imaginieren, zu denen angeblich deutsche Innenstädte z.Zt. verwandelt werden. Aber es gibt ja mittlerweile eine ganze Kritikerriege, die plötzlich das Land von rekonstruierendem und vergangenheitsverliebtem Bauen überzogen sehen und dagegen anpoltern. Wahnsinn, was schon ein einziges Rekonstruktionsprojekt unter Millionen Bauten der Alltagsmoderne auszulösen vermag!

  • Hallo, bei meiner Beschäftigung mit dem Thema "Rekonstruktion" bin ich auf eine sehr umfangreiche Abhandlung des Themas mit dem Titel "Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume" (herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung", 2010) gestossen. Ich finde, dass hier zwar naheliegende Ansätze wie Bauästhetik zu sehr auf Kosten beinahe tiefenpsychologischer Ansätze ala Grunewald ("Reko auf der Couch" :biggrin: ) ausgeklammert werden, dennoch interessantes Material (von sozusagen "offizieller Stelle").
    Ich denke der Text ist hier wahrscheinlich schon bekannt, da ich ihn aber nicht gefunden habe, hier der Link mit der Übersicht (dort findet sich auch ein Link zum Text selbst):Quelle: Baufachinformation (online), Stand: 07.02.2012

  • "Das Auf und Ab der Frankfurter Architektur folgt unseliger Tradition. Doch die heutige Verhunzung übertrifft noch den zerstörerischen Wiederaufbau. Ein Gang durch die Baustellen der City."
    Großbaustelle Frankfurt: Stümper des Städtebaus - Debatten - FAZ

    Zitat

    Frankfurt baut kurzsichtig, beherrscht von Willkür, Wettstreit, Hektik. Obwohl dies zunehmend wirre Flickwerk aus Trends und Gestalt gewordenem Immobilienhandel nach ordnenden Köpfen und Händen schreit, reagieren Architekten und Investoren auf das Wort Gestaltungssatzung wie auf den Ruf nach einer kommunistischen Diktatur und singen stattdessen das Loblied vom freien Spiel der Kräfte.

  • Respekt! Derart viel Reflexion über hiesige Architektur und Städtebau kann man wohl nur von Qualitätsmedien erwarten. Aber wie gesagt, es geht, abgesehen von so manchen Extremen, nicht nur um Frankfurt. Ähnliche Tendenzen kann man leider in der gesamten Republik erkennen. Da wird die mehr oder weniger organisch gewachsene Stadt schnelllebigen Optimierungswünschen internationaler Immobilienentwickler geopfert, die mit ihren funktionalen und ästhetischen Standartlösungen dafür sorgen, dass unsere Städte immer mehr an Identität verlieren. Leider wird dieser Tendenz beinahe flächendeckend keinerlei Einhalt geboten. Stattdessen versuchen uns die Bauämter meist sämtliche Errungenschaften der Gegenwart als großartige Verbesserungen zu verkaufen. Dennoch spürt man kaum Unmut, sind wohl die Menschen schon zu stark von ihrer oft nur aus dem Auto, oder dem klimaoptimierten Wohnzimmer, wahrgenommenen Umwelt entfremdet. So verkommen unsere Städte zum Wühltisch der sich selbst verdauenden Konsumgesellschaft. Und an die Stelle von Werten, treten Zins und Tilgung.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Ein Klasse Artikel, der genau zeigt, wie Stadtplanung heutzutage gemacht wird. Die kurzfristige Befriedigung von Konsumwuenschen steht vor jeglicher Eleganz und Nachhaltigkeit, frei mach dem Motto: Nichts ist fuer die Ewigkeit. Am schlimmten ist, dass diese Gebaeude als umweltfreundlich verkauft werden. Die Materialermuedung bei modernen Baustoffen wie etwa Glas ist tatsaechlich hoch. Kein Wunder also, dass zum Beispiel am Berliner Hauptbahnhof schon einige Ausbesserungsarbeiten vorgenommen werden mussten. Das was daraus resultiert: Kosten und Abfall. Gebaeude aus klassischen Materialien brauchen teilweise 50 Jahre keine Grundlegende aeussere Sanierung. In meiner Heimatstadt etwa hat das Feuerwehrgebaeude vor kurzem ein neues Dach bekommen. Das Alte war aus den 30ern.

  • Gut geschriebener und treffender Artikel! Gerade mit der "Nachhaltigkeit" der modernen Baustoffe ist es ja nun nicht so weit her. Unser Dach ist von 1920 und top in Schuss!

    Außerdem ein liebevoller Blick auf den Architekturstil der Fünfziger Jahre, die ich ebenfalls für unterschätzt halte.

  • Ich möchte auf einen lesenswerten Artikel über Rekonstrutionen aus der PNN aufmerksam machen.

    Zitat

    ...Damit reiht sich Hannover ein in den Trend, mit rekonstruierten Herschersitzen verloren gegangene Identität wiederzufinden. (...) Die Süddeutschen (Münchner und Würzburger Residenz, Nürnberger Burg, Neues Schloss in Stuttgart) haben damit ja bald nach dem Krieg begonnen. Die Nord- und Ostdeutschen brauchten sehr viel länger – weil sie das, was die Bomben stehen gelassen haben, zuerst einmal komplett abrissen (Berlin, Potsdam, Braunschweig). Nach Braunschweig ist mit Herrenhausen nun schon das zweite Schloss in Niedersachsen neu entstanden: ein Bundesland ist auf der Suche nach sich selbst. (...) Wer einmal die Braunschweiger dabei beobachtet hat, wie liebevoll sie die Cafés vor ihrem neuen Schloss bevölkern, wie also selbst dieses Monstrum Anziehungskraft besitzt, das Potenzial hat, eine neue Stadtmitte auszubilden, der macht sich um die Zukunft von Herrenhausen keine Sorgen.

    :daumenoben:

    Siehe: http://www.pnn.de/kultur/716036/