Hamburg - Freie und Abrissstadt

  • Wenn man sich vergegenwärtigt, was in Hamburg alles abgerissen wird und wurde, kann man sich ob der Diskussion um diesen Schund nur an den Kopf fassen.

  • Ein einzigartiges Geschichtszeugnis zum Zeitgeist der Nachkriegsplanung und zum sinnlosen Massenabriss der historischen Häuser an der Esplanade Ende der fünfziger Jahre in Hamburg. Ersetzt wurden die schon damals teilweise unter Denkmalschutz stehenden klassizistischen Bauten durch Punkthochhäuser.
    https://www.zeit.de/1958/31/der-ob…-mit-kloetzchen
    Der damalige Baudirektor Hebebrand wurde 1944 in Albert Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte berufen. 1952-64 war er dann Oberbaudirektor in Hamburg und konnte seine radikalen Abrissphantasien umsetzen.
    Weitere Hintergrundinfos zur Esplanade: https://de.wikipedia.org/wiki/Esplanade_(Hamburg)

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  • Ich sehe das ein bisschen zwiespältig. Einerseits war der Cityhof in den letzten Jahren eine usselige, verwahrloste graue Kiste, die an sozialen Wohnungsbau in ghettoisierten Vorstädten erinnert. Insofern ist der Abriss natürlich begrüßenswert. Andererseits präsentierte sich der Cityhof in seiner Geschichte aber auch schon mal in einem wesentlich ansprechenderem Kleid, zu seiner Erbauung hatte das Gebäude eine helle, elegante Fassade und war durchaus ein interessantes Unikat (siehe Foto). Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beklagt nicht zu unrecht den Verlust eines bedeutenden Baudenkmals der Nachkriegsjahre (Link).

  • Ich war auch mal geneigt, in dem Cityhof so etwas wie wertvolle Nachkriegsarchitektur zu sehen. Allerdings war das nur eine vorübergehende Wahrnehmungsschwäche. Es ist wirklich gut, dass diese Bausünde verschwindet. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz sollte andere Prioritäten setzen und jetzt nicht auch noch die besondere Liebe zur Nachkriegsmoderne kultivieren, wie es die Denkmalschutzbehörden ja schon länger tun.

    In dubio pro reko

  • Im heutigen Zustand stellt sich der Cityhof wirklich als Bausünde dar. Aber wie gesagt, der Anblick war einst deutlich erfreulicher, siehe Bildvergleiche.
    Das Architekturbüro GMP lieferte vor wenigen Jahren einen durchaus überzeugenden Entwurf zur Wiederherstellung des Ursprungszustands.
    Und der beschlossene Nachfolgebau ist auch nicht gerade der große Hit.

  • Also für mich sieht das nach Zeilenbau-Großblock mit Badezimmerkachel-Optik aus. Da bin ich froh, dass das wegkommt. Eher gefällt mir da sogar noch die aktuelle Variante. Der Neubau passt jedenfalls besser zur Umgebung und dem unweit gelegenen Chile-Haus. Insofern für mich eine klare Verbesserung.

  • Ich kann dem Argument, dass der "Altbau" als Beispiel der Nachrkriegsmoderne schützenswert war, durchaus folgen. Die Hochhäuser waren zu ihrer Erichtungstzeit Mitte der 50er architektonisch zumindest in Hamburg einzigartig.

    Andererseits: Städtebaulich handelte es sich auch im Ursprungszustand um eine Bausünde erster Güte. Der Standort direkt neben dem Kontorhausviertel war für die offene Bebauungsform völlig ungeeignet.

    Insofern, Abriss und Neubau in geplanter Form ergeben m. M. n. in Summe eine sehr deutliche Verbesserung, aber ein kleiner Wermutstropfen bleibt. Vielleicht spielt bei mir auch eine Rolle, dass sich persönliche Erinnerungen mit dem Bauwerk verbinden - meine Frau hat dort 10 Jahre lang ihren Arbeitsplatz gehabt.

  • Es gehört ja zur Moderne dazu, dass die Bauten jederzeit an jedem Ort der Welt reproduzierbar sind. Man muss also nicht darum trauern. Wenn ein Liebhaber dieser Architektur eine Verwendung dafür hat, kann er es irgendwo woanders noch einmal bauen. Die Unmaßstäblichkeit, die banale Formensprache und Eintönigkeit des Bauwerks wird wahrscheinlich dazu beitragen, dass es hoffentlich niemals irgendwo wieder aufersteht.

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  • Stolze 145 Jahre alt und nicht unter Denkmalschutz. Das freut den Investor Procom, der den Bau bald abreißen will. Der Abriß ist bereits genehmigt und auch der Denkmalschutz hat keine Einwände. Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) freut sich, dass auf dem Areal des prunkvollen Altbaus künftig u. A. 50 Sozialwohnungen entstehen werden.

    Commerzbank-Zentrale droht der Abriss Und wieder stirbt ein Stück Stadt-Geschichte

    Wie in einem Artikel des DEAL-Magazins bzgl. des Commerzbank-Areals zu lesen ist, wird der Altbau tatsächlich verschont und lediglich der (eigentlich unter Denkmalschutz stehende) Nachkriegsbau durch einen gefälligen Klinker-Neubau ersetzt. Dies sieht zumindest der Entwurf des Berliner Büros "Bruno Fioretti Marquez Architekten" vor, weches siegreich aus dem Architekten-Wettbewerb hervorgegangen ist (s. hier).

    Allerdings werde ich aus folgender Aussage nicht so recht schlau: "Geplant ist zudem, stilbildende Fassadenelemente des weißen Altbaus daneben zu erhalten und in einen zweiten Neubau zu integrieren." ?(

  • Sehr schöne Nachrichten, ein weiterer ätzender Nachkriegsklotz, sogar unter Denkmalschutz (!) kommt weg, hier unten links im Bild:

    stadtbild-deutschland.org/foru…dex.php?attachment/13772/
    (Foto: Michael Rauhe für das Hamburger Abendblatt)

    Und der Altbau wird erhalten.

    Das war ja eigentlich umgekehrt geplant. Der Altau wurde vom Denkmalschutz für nicht erhaltenswert erachtet, da "nur" die Fassade tatsächlich alt ist (Nach-Brand Architektur von Martin Haller), der 70er-Jahre-Klotz sollte hingegen denkmalgerecht saniert werden.

    Ich mag diese Wandlung kaum glauben - phantastisch!

    Einmal editiert, zuletzt von HelgeK (1. Oktober 2019 um 21:45)

  • Endlich mal eine positive Entwicklung in der "Freien und Abrissstadt Hamburg". Ich bin angenehm überrascht, insbesondere da so etwas nach den Errfahrungen der letzten Jahre nicht zu erwarten war.

  • Allerdings werde ich aus folgender Aussage nicht so recht schlau: "Geplant ist zudem, stilbildende Fassadenelemente des weißen Altbaus daneben zu erhalten und in einen zweiten Neubau zu integrieren."

    Das wird vermutlich heißen, der Bau wird komplett entkernt und einige der Fassaden bleiben stehen, werden aber verändert. Da eine Tiefgarage geplant ist, nehme ich an, dass da wirklich nur die Außenmauern stehen bleiben. Auf dem Rendering ist zu erkennen, dass zur Wasserseite hin die Fenstereinteilung schonmal anders ist. Außerdem ist das Dach weg und der in der Nachkriegszeit abgeschlagene Bauschmuck wird wohl leider nicht wiederkehren. Aber es ist erst mal auch nur ein Wettbewerbsentwurf, ich bin gespannt auf das Ergebnis.

  • und der in der Nachkriegszeit abgeschlagene Bauschmuck wird wohl leider nicht wiederkehren

    Vielleicht wäre es hilfreich, wenn Stadtbild dem Investor einige Bilder des Bauschmucks zukommen ließe? So könnte er vielleicht das Potenzial des Gebäudes noch besser einschätzen?

  • Das wird vermutlich heißen, der Bau wird komplett entkernt und einige der Fassaden bleiben stehen, werden aber verändert.

    Die vollständige Entkernung ist in diesem Fall meiner Meinung nach unkritisch und sogar ausdrücklich zu begrüßen, da das Gebäude in der Nachkriegszeit bereits komplett entkernt wurde und nachfolgend niedrigere Geschosse, die nicht zu den originalen Fensterlaibungen passen, eingezogen wurden.

    Offenbar werden die Altbaufassaden, soweit vorhanden, erhalten. Die Gesamtsituation, die sich ergibt wäre dem Entwurf nach für mich schlüssiger als die Vorkriegssituation mit nicht zueinander passenden Teilaufstockungen.