Hamburg - Freie und Abrissstadt

  • OK, im Wortsinne wird es keine Reko, sondern in der Tat nur ein 'Erinnerungsbau'. Ich sehe den Entwurf aber deutlich positiv: Die Erdgeschosszonengestaltung orientiert sich mit den Markisen dichter am 20er- Jahre Original als der jetzige Zustand. Die heutige Fenstergestaltung wirkt meiner Meinung nach sehr 'wuchtig', der vorgestellte Entwurf wirkt leichter. Das Original lag irgendwo auf halben Weg dazwischen. Die derzeitige Ziegelfassade stammt aus den 70ern, die Steine wirken m. M. n. vor Ort betrachtet ziehmlich 'billig' und haben mit dem Material und der typischerweise sehr hochwertigen Ausführung der 20er nur wenig gemein - die Fassade ist daher aus meiner Sicht keinen besonderen Erhaltungsaufwand wert. Hier wird es auf die tatsächliche Auswahl der Steine ankommen, die Visualisierung selbst lässt keinen Rückschluss auf die künftige Wertigkeit zu.

  • Hier noch eine dichtere Ansicht des "Neuen Deutschlandhauses" aus der WELT: https://www.welt.de/img/regionales…schlandhaus.jpg

    Ich bin überrascht und durchaus angetan. So eine respektable Lösung hätte ich Hamburg (und Hadi Teherani) nicht zugetraut. Vielleicht ein erster Fingerzeig hin zu einem würdigeren Umgang mit der eigenen baukulturellen Identität. Es gab richtig gute Alternativentwürfe, die sollten an anderer Stelle eine Chance erhalten. Hier gehört das frühmoderne Deutschlandhaus hin.

  • Bei genauerem Vergleich von Originalzustand, IST-Zustand und Entwurf ist mir aufgefallen, dass es gegenwärtig und im Entwurf ein 3. Staffelgeschoss gibt, das beim Original fehlt. Weiterhin ist beim Entwurf die Erdgeschosszone deutlich höher als bei beiden Vorgängerversionen.

    Die durch die Veränderungen gewonnene zusätzliche Höhe sehe ich als Verbesserung. In dem weiten Straßenraum erscheint das Ergebnis stimmig. Das höhere Erdgeschosszone wirkt großzügiger, nicht so "gedrückt".

    Man sollte natürlich nie den Tag vor dem Abend loben, aber aus meiner Sicht ist der Entwurf damit besser als das Original und der IST-Zustand. Als Reko bezeichnet werden kann er so aber in der Tat nicht mehr.

  • Grundsätzlich finde ich es gut, dass Kubatur und Optik auch beim Neubau wieder aufgegriffen werden - bei Hadi Teherani durchaus nicht selbstverständlich. Dennoch frage ich mich, warum man nicht so konsequent ist und dann die komplette Fassade rekonstruiert, so wie sie in den 1920ern gebaut wurde. Es ist ja nicht so, dass diese handwerklich gefertigte Ornamente hatte.

    In diesem Fall wäre ich immer noch für den Erhalt, da der jetzige Bau nicht unbedeutende Originalsubstanz enthält.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • In diesem Fall wäre ich immer noch für den Erhalt, da der jetzige Bau nicht unbedeutende Originalsubstanz enthält.

    Ist mir so nicht bekannt. Das Innere wurde durch Sprengbomben zerstört. Die noch erhaltenen originalen Fassadenlemente wurde bei der Renovierung in den 70ern vollständig beseitigt.

  • 1895...bleibt stehen. 124 Jahre, to be continued
    1979...kommt weg, nach 40 Jahren

    Also: Welche Architektur steht hier für Wertbeständigkeit und Nachhaltigkeit? Wäre ein Wunder, wenn man endlich mal begreifen würde, statt wieder nur für 40 Jahre zu bauen.

    In dubio pro reko

  • Der Abriss der Gänsemarktpassage scheint noch diskutiert zu werden. C&A kommt wohl sicher. Beides sind allerdings keine Altbauten im Sinne dieses Forums.

    Die Gänsemarktpassage stammt vom Beginn der 80er, in den 90ern überformt. Im wesentlichen geht es bei den Abrissplänen um den Kopfbau zum Gänsemarkt hin. Die Passage bildet meiner Meinung nach mit ihren 3 Teilbereichen (postmoderner Kopfbau zum Gänsemarkt, gründerzeitlicher Kopfbau zu den Colonnaden, + die eigentliche Passage) insgesamt ein charmantes Ensemble, das sich gut in den Bestand einordnet. Die Gefahr einer Verschlimmbesserung ist also leider hoch.

    Das C&A Gebäude in der Möckebergstraße ist ein - angesichts der Entstehungszeit in den 60ern(!?) - ansehlicher klassisch-moderner Bau. Ein Kasten, ja, aber durchaus feingliedrig und mit stimmigen Proportionen. Auch dieser Bau hat IMHO eine Qualität, dass bei Abriss und Ersatz Potential für eine Verschlimmbesserung vorhanden ist.

    Edit: Zur Verdeutlichung Links auf Bilder der Gebäude. Da mutmaßlich CR geschützt, keine direkte Einbindung: C&A , Gänsemarktpassage

    2 Mal editiert, zuletzt von HelgeK (11. Januar 2019 um 10:38)

  • Eigentlich ist es bedrückend, bei welchem Endpunkt die gegenwärtige modernistische Architektur angelangt ist. Wenn schon der Abriss von Häusern der 60er, 80er und 90er Jahren voller Sorge gesehen wird, weil ein Neubau wohl eine weitere Verschlechterung oder "Verschlimmbesserung" der Situation mit sich bringen würde, dann ist hier gehörig etwas falsch gelaufen. Und zwar mit der ganzen Ausbildung an den Universitäten. Die Entfremdung zwischen einer abgehobenen Kreativ-Blase und dem allgemeinen Geschmack der Bevölkerung scheint ja immer mehr wie eine Schere auseinander zu gehen.
    Wie lange also sollen diese Leute eigentlich noch an den Architektur-Hochschulen den Nachwuchs ausbilden dürfen, der dann dieses Zeugs in die Straßen stellt? Wann werden diese Seilschaften an den Unis und im BdA endlich ausgekehrt?

  • Stolze 145 Jahre alt und nicht unter Denkmalschutz. Das freut den Investor Procom, der den Bau bald abreißen will. Der Abriß ist bereits genehmigt und auch der Denkmalschutz hat keine Einwände. Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) freut sich, dass auf dem Areal des prunkvollen Altbaus künftig u. A. 50 Sozialwohnungen entstehen werden.

    Commerzbank-Zentrale droht der Abriss Und wieder stirbt ein Stück Stadt-Geschichte

    In dubio pro reko

  • Wenn heutige Architektur nicht so gruselig hässlich wäre und etwas Adäquates - so wie noch in der hochkulturellen Phase unserer Geschichte - stets nachkäme, dann wäre dieser Abriss und jener der angesprochenen Villen sicherlich nicht so brutal traurig, weil baukultureller Ersatz anstatt treten würde. Leider wird hier aber Wertiges gegen Billigramsch ersetzt.

    Eines ist aber definitiv sicher: Das Gebäude, das nachfolgen soll wird keine 145 Jahre auch nur annähernd schaffen/leisten! Wo sind hier aber die Ökofaschisten und deren ansonsten pawlow‘schen Kreischstimmen? Alle 30-40 Jahre ein Neubau nun an dieser Stelle ist wohl das ökologisch am wenigsten Nachhaltige auf der Welt!

    Einmal editiert, zuletzt von Exilwiener (13. März 2019 um 20:30)

  • Jetzt ist es also so weit. Der Abriss wurde ja schon vor einigen Jahren befürchtet. Leider hat das Gebäude das Pech, daß es von einem kulturlosen Investoren gekauft wurde, der keinen Sinn für die historie und das Stadtbild Hamburgs hat. Es hätte ja auch anders kommen können.

    Wenigstens aber wird auch das benachbarte Commerzbank-Hochhaus abgerissen. Dieser Kasten stand ja, absurderweise, unter Dankmalschutz. Wurde zum Glück aufgehoben.

    Mal abwarten, was da nun auf dem Areal geplant wird. Doch viel Hoffnung gibt es nicht. Wie Exilwiener es schon treffend formulierte, kann man in unserer heutigen Zeit schon sicher davon ausgehen, daß ein gruseliger und unpassender Neubau folgen wird.