St. Gallen (SG) (Galerie)

  • Sehr schöne Bilder mit kurzweiligen Bemerkungen!
    Du hast recht Riegel, wenn anstatt des Asphaltes Granitpflaster und als Lampen schöne Laternen stünden würde das dem ganzen noch mehr Atmosphäre geben.

  • Zitat von "RMA"

    ... Die Abbildung von 1545, die du erwähnst, wird wahrscheinlich wie von Frankfurt die in Sebastina Münster's "Cosmographia" sein, oder?


    Die älteste Darstellung der Stadt ist der Holzschnitt von Heinrich Vogtherr von 1545, gestochen nach einer Zeichnung von einem Sattler namens Gügi. Diese Abbildung war für die "Stumpf Chronik" (Chronik der Alten Eidgenossenschaft) bestimmt, wurde aber mindestens ein halbes Jahrhundert lang auch für andere Werke verwendet. Ob auch für die Cosmographia, ist mir unbekannt.

    Die Ansicht ist insofern bedeutend, als dass sie vom Detailreichtum her, nicht aber von der Perspektive, die Stadt schon sehr genau zeigt. Die Kirchtürme und die Stadtbefestigung entsprechen denjenigen in jüngeren Abbildungen. Vor allem einige Bauten ausserhalb des Mauergürtels erkennt auch die Bauforschung wieder.


    St. Gallen um 1545; erster verkleinerter Nachschnitt für die Stumpf Chronik nach Heinrich Vogtherr (Originalgrösse)

  • Wow, mein Haus kann nun auch aus der Vogelschau bewundert werden!!! :)

    Bing Maps - Anfahrtsbeschreibungen, Verkehrsinfos und Straßenbedingungen

    Ich fasse mich ganz kurz, da ich heute nicht viel Zeit zum Schreiben habe, aber wer "meine" Stadt überfliegen möchte, kann dazu mit der Übersicht vergleichen, welche ich bereits schon mal eingestellt habe:


    schwarz = Kloster und Stadt vom 10. bis 14. Jh., gestrichelt = Stadterweiterung ab E. 14. Jh., grau = heutige Bebauung, Äquidistanz der Höhenkurven = 20m (Grafik: Riegel)

    Der Ausschnitt befindet sich innerhalb der gestrichelt eingezeichneten Erweiterung des Stadtkerns; der schwarze Fleck bezeichnet die St. Mangenkirche mit dem weissen Kirchturm. Mein Haus befindet sich rechts von der Kirchturmbasis und der Linde.

    Nebst der Altstadt mit der Klosteranlage empfehle ich dem Liebhaber von Historismus- und Jugensdstilvillen einen Flug über den Rosenberg, der Schokoladenseite der Stadt. Das Quartier zwischen der Altstadt und dem Bahnhof ist nicht weniger interessant. Morgen besuche ich wahrscheinlich die Stiftsbibliothek, welche ausschlaggebend ist, dass die Klosteranlage in die Liste der Unesco-Weltkulturgüter aufgenommen worden ist. Ich hoffe, dann die Bildergalerie endlich wieder mal zu erweitern.

    Nun noch zwei Bilder von meiner "APH-Forum Schreibstube"; das erste Bild zeigt den aktuellen Zustand, und das zweite den Zustand nach der projektierten Fachwerkfreilegung, welche ich vielleicht bereits diesen Sommer teilweise in Angriff nehmen werde.


    Und zum Abschluss noch eine andere Vogelschauansicht nach erfolgter Rekonstruktion der einzelnen Bauetappen; ein Puzzle aus 501 Jahren Baugeschichte...


    Kernbau: 1507 oder kurz danach (hier nicht sichtbar)
    rot: 1628
    violett: zwischen 1628 und 1696
    orange: 1696
    gelb: 1770
    hellblau: wahrsch. 1824/25
    dunkelblau: wahrsch. 1867 oder kurz danach
    grün: 20. Jh.

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (7. Februar 2012 um 12:58)

  • Ich kann RMA nur beipflichten. Vielen, vielen Dank für die Mühen eine wirklich schöne Galerie von St. Gallen zu erstellen!
    Besonders gefällt mir die nette Mischung aus Fachwerk und Jahrhundertwende. Bei so einem Konglomerat aus allerlei Altbeständen finde ich die wenigen Neubauten nicht so störend.

    @ Riegel: Wie kommen die verschiedenen Jahreszahlen Deiner "APH-Forum Schreibstube" zustande? Gibt es genaue Aufzeichnungen über das Haus, oder hast Du das Gebälk untersuchen lassen?

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Aufzeichnungen über das Haus wird es erst ab dem 16. Jahrhundert geben, und zwar in den Bauprotokollen im Stadtarchiv. Diese sind jedoch noch weitgehend unerforscht, da die Einträge zu einem bestimmten Haus nur äusserst schwer zu eruieren sind. Die Einträge sind gassenweise vorgenommen worden, aber noch ohne Hausnummern. Und wenn das Haus keinen Eigennamen besitzt, wird die Erforschung noch schwieriger. Man müsste jeweils eine ganze Gasse systematisch durchackern, aber auch dann kommt man noch nicht zum Ziel. Von einigen Baubewilligungen wurde kein Gebrauch gemacht, und viele Baumassnahmen erfolgten ohne Baubewilligung. Zusätzlich müssten noch die Handänderungsprotokolle beigezogen werden, da in den Bauprotokollen die Hauseigentümer vermerkt sind. Aber auch die Handänderungsprotokolle sind noch nicht aufgearbeitet...

    Man muss auch bedenken, dass alle schriftlichen Quellen bis um 1900 in altdeutscher Schrift gehalten sind, und dazu jeder Stadtschreiber seine eigene Handschrift besass. Nur schon das Lesen benötigt jahrelange Erfahrung!

    1811 beabsichtigte die Stadt, das Haus zu kaufen, um es fortan als Pfarrhaus zu benutzen. Daher sind der damalige Baubestand und die folgenden Baumassnahmen im Stadtarchiv gut dokumentiert, aber nur in schriftlicher Form. Bei Häusern in privater Hand wäre dies nicht der Fall, da ein Eigentümer selber über Baumassnahmen entschied, und nicht wie ein Stadtrat Sitzungsprotokolle erstellen musste. Aber bereits 1867 verkaufte es die Stadt wieder an einen Privatmann. Das Bauarchiv besitzt allgemein erst ab den 1860er Jahren Baupläne; lückenlos aber erst ab den 1880er Jahren. Der erste verlässliche Bauplan des Hauses datiert erst von 1911, als die heute noch bestehende Wäschehängeterasse über dem Dach errichtet wurde.

    Meine Art von Bauforschung ist die bauarchäologische Erforschung. Nur schon anhand genauer Aufnahmepläne kann man einzelne Bauetappen oder frühere Dachschrägen erkennen. Und durch Baumassnahmen, bei denen jüngere Verkleidungen schichtweise entfernt und dokumentiert werden, kommt die Rohbausubstanz ans Tageslicht. So entstand beispielsweise aus der Zusammenfassung aller Aufnahmepläne die oben gezeigte Isometrie.

    Nach der Bestimmung der einzelnen Bauetappen konnte das Holz dann dendrochronologisch untersucht werden, was die Datierungen von 1507 bis 1770 ergab.

    Speziell an diesem Haus ist nun der Hohlraum zwischen den südwärts anstossenden Gebäuden! Durch starke Bodensetzungen und Verformungen der Häuser entstanden dazwischen Hohlräume. Somit gelang es, den baugeschichtlichen Bezug zu den Nachbarhäusern zu ermitteln.


    . .

    Zum Bild links: Die Hohlräume erstrecken sich bis über vier Geschosse, und sind im Schnitt V-förmig (die Fundamente verschoben sich ja nicht) und können somit in den oberen Geschossen kletternderweise begangen und erforscht werden (zum Glück wiege ich nicht 100 kg!). Die linke Fachwerkwand zeigt sauber verputzte Gefache, während das Holz keine Farbe aufweist, aber doch angewittert ist. Demnach handelt es sich um eine einst freiligende Aussenwand. Somit schätze ich, dass die Wand die ersten 20 bis 30 Jahre freigestanden hatte (es handelt sich um die Wand, welche in der oben gezeigten Isometrie rechtwinklig an die rot gekennzeichnete Wand rechts anschliessen würde, und datiert also von 1628). Die Wand rechts gehört zum Nachbarhaus, und wurde von innen her aufgemauert, und verdeckte fortan meine Wand (man sieht oben im Bild die Mörtelbrauen zwischen den Backsteinen hervorquellen). Unten im Bild ist eine Linie im Verputz schwach erkennbar; bei dieser handelt es sich um die Ansatzstelle einer Vermörtelung zum Dachziegelanschluss des Nachbarhauses, als dieses noch ein Geschoss niedriger war. Ich ziehe daraus den Schluss, dass das Nachbarhaus vor 1628 errichtet worden war, aber erst nach 1628 aufgestockt worden war. Aus lauter solchen Zusammenhängen und Schlüssen entsteht dann eine Baugeschichte eines Hauses.

    Zum Bild rechts: Der Hohlraum winkelt dann rechtwinklig am Ende meines Hauses ab, und gibt die Sicht zum übernächsten Nachbarhaus frei. Auch hier wieder: die Wand rechts ist infolge der Putzflächen sicher älter als die Wand links. Die rechte Wand ist übrigens die Seitenwand des roten Fachwerkhauses im weiter oben gezeigten Bildpaar. Weiter vorne wird es dann aber so eng, dass auch für mich schlanken Wurf kein Weiterkommen mehr möglich ist...

  • Vielen Dank für den anschaulichen Stadtrundgang! :D

    Und ich dachte vorher, solches Fachwerk gäb's fast ausschließlich in Deutschland. (England und Frankreich (außerhalb des Elsass) haben ja noch sehr unterschiedliche Stile)

    Warum gibt es eigentlich so viele Nachkriegsbauten in der Innenstadt? Gut, viele ist vielleicht übertrieben, aber ich hab auf vielen Bildern welche ausmachen können. Die Stadt wurde im 2. Weltkrieg doch nicht beschädigt, oder?

  • Letzten Freitag hatte ich bei Schneefall einen Spaziergang über den Rosenberg (Historismus- und Jugendstilvillenviertel an Südhanglage) und durch die Altstadt unternommen. "Wie immer" beginnt ein solcher Rundgang bei der Kathedrale, und ich bin jedesmal wieder von diesem Bauwerk fasziniert, obwohl ich es fast jeden Tag sehe! Der Gegensatz von grosszügigem Klosterhof und kleinteiliger Altstadt unterstreicht das Majestätische der ehemaligen Klosterkirche der Fürstabtei St. Gallen.


    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


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    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3


    Während dem diesjährigen Advent leuchtet zum ersten Mal die neue Weihnachtsbeleuchtung, welche über die ganze Altstadt verteilt ist, unabhängig von gut frequentierten Passantenlagen oder wenig begangenen Randlagen. In Zeiten von Energiesparmassnahmen wurde diesbezüglich auch die Weihnachtsbeleuchtung optimiert, und diese verbraucht nur noch 10% des Strombedarfs einer herkömmlichen Beleuchtung. Bestückt ist sie mit Leuchtdioden; das Fazit ist aber, dass sie in einem kalten Weiss statt in einem warmen Gelb leuchtet. Im Grossen und Ganzen finde ich die neue Weihnachtsbeleuchtung gelungen, und sicher wird noch einiges daran optimiert. Es muss auch erwähnt werden, dass von der Idee bis zur fertigen Realisierung nur ca. eineinhalb Jahre vergingen, obwohl hier die Stadtverwaltung, die Politik, die Gassengesellschaften und die Hausbesitzer involviert waren und letztendlich ihren Segen dazu gaben.

    Nach den ersten Schritten durch den Schnee präsentierte sich die Altstadt vor dem Eindunkeln so:

    4

    Wiboradabrunnenplätzchen an der Magnihalden. Die Häuserzeile entstand in dieser Form zwischen 1423 und dem 18. Jahrhundert.


    5

    Die Marktgasse hinab vom Kloster zum Marktplatz


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    Anstelle des spätgotischen Heiliggeistspitals entstand 1846 eine klassizistische Häuserzeile mit vier unterschiedlich breiten Privathäusern. Daraus schliesse ich, dass die Brandmauern der unterschiedlichen Gebäudeteile des Spitals damals erhalten bleiben. Das links angeschnittene Haus wurde ca. 1983 abgebrochen und anschliessend rekonstruiert. Dabei wurde ein Stahlskelett errichtet, teils ausbetoniert und teils ausgemauert. Die beiden mittleren Gebäude erhielten in den 1990er Jahren eine sich am ursprünglichen Zustand orientierende Neugestaltung der Ladenfronten, nachdem die ursprünglichen Fronten in den 1960er Jahren völlig verändert und verunstaltet worden waren.


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    Die Marktgasse in umgekehrter Richtung vom Marktplatz zum Kloster hinauf. Die Klostertürme sind im Hintergrund schwach zu erkennen; ebenso weiter links auch der neugotische Turmhelm der St. Laurenzenkirche.


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    Kurz vor dem Marktplatz mündet die Neugasse in die Marktgasse hinein. Auch wenn an der Neugasse fast der gesamte Baubestand aus der Zeit zwischen 1930 und 1980 stammt, erhielt sie ihren Namen schon vor mehr als 500 Jahren. Es ist aber bemerkenswert, dass sich beinahe alle historischen Parzellenbreiten bis heute behaupten konnten.


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    Leider brannte an der parallel zur Marktgasse verlaufenden Kugelgasse die Weihnachtsbeleuchtung nicht. Die Gasse läuft auf den St. Laurenzenkirchturm zu, weshalb diese zusammen mit zwei reich geschnitzen Erkern ein häufiges Postkartenmotiv darstellt.


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    Zurück wieder beim Brunnenplätzchen an der Magnihalden, allerdings während eines früheren Schneefalls.


    Die Fortsetzung des Spaziergangs auf den Rosenberg wird bald folgen.

  • Vielen Dank fuer die schoene Fotos aus St Gallen. Es ist gut zu wissen, dass so grosse historische Staedte noch vorhanden sind. Einige Fotos erinnert mir an Alt-Nuernberg.

  • ... und nicht zu wenig leider an Neu-Nürnberg...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ist mir beim Anschauen der Galerie auch immer wieder aufgefallen. Überall ab und zu unnötige 50er Jahre Bauten. Wollten die Stadtplaner damals "moderne Akzente" in der Altstadt setzen? Trotzdem, St. Gallen hat eine wunderbare Altstadt und mit dem Stiftsbezirk Denkmäler von europäischem Rang.

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.

  • Zitat von "Gil"

    Einige Fotos erinnert mir an Alt-Nuernberg.

    Dieser gewagte Vergleich wurde bereits schon mal am Schluss von Seite 1 dieses Stranges formuliert. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sowohl in Nürnberg als auch in St. Gallen die traufständige Bauweise vorherrscht, und eine angenehme Mischung zwischen Massiv- und Fachwerkbauten besteht.

    Zitat von "ursus carpaticus"

    ... und nicht zu wenig leider an Neu-Nürnberg...

    In dieser Hinsicht muss ich Dir leider SEHR recht geben... Nach den angekündigten Rosenbergphotos werde ich eine Serie aller Neubauten nach 1920 einstellen, und zwar sortiert nach Erstellungszeit. Es wird für mich ein Experiment werden, wie man in einem jeweiligen Jahrzehnt in der Altstadt gebaut hat.

    Zitat von "Breslau06"

    Wollten die Stadtplaner damals "moderne Akzente" in der Altstadt setzen?

    Es waren weniger die Stadtplaner, sondern zuerst Privatleute und dann vor allem Gesellschaften. Nur beim Marktplatz wurde in den 30er und 50er Jahren Stadtplanung betrieben, da diese Zone seit Abbruch des Rathauskomplexes zwischen 1865 und 1877 bis zum heutigen Tag nie befriedigend gestaltet worden war. Und die Stadtplanung tut sich auch heute noch sehr schwer damit!!! Ich möchte darauf jetzt aber nicht eingehen, weil dies ein sehr aktuelles Thema in unserer Stadt ist, und dieses die Bildergalerie hier sprengen würde.

  • Zitat

    Die Stadtplanung tut sich auch heute noch sehr schwer damit!!!

    Davon können wir hier in Luzern auch ein Lied singen. Was hier für Fehler nach 1945 gemacht wurden ist unvorstellbar. Du warst bestimmt auch schon in Luzern, vielleicht ist dir die ein oder andere Bausünde aufgefallen. Ich dokumentiere das mal hier kurz:


    Wir sehen ein alte Briefkarte von 1900. Luzern war damals schon eine der meistfrequentierten Orte Europas. In dieser Zeit entstanden prächtige Gründerzeitpaläste, von denen es noch viele gibt, aber auch vieles wurde unnötig abgerissen.
    Von links nach rechts siehst du:

    -Hotel Monopol (erhalten, Turmhaube in den 60ern abmontiert, 1997 wieder draufgesetzt.)
    -Hotel Gotthard (1969 für ein scheussliches Bankgebäude abgerissen)
    -Postgebäude (erhalten)
    -Hotel du Lac (1948 für ein graues, monotones Telefongebäude abgerissen.)
    -Seidenhof (Ursprünglich dreiteiliges Stadtpalais, heute nur noch der äusserste rechte Teil erhalten. 1.Teil 1956, 2.Teil 1971 abgerissen.)


    Hier sehen wir noch das alte Hotel Gotthard.


    Et voila. Seit 1969 darf dieses Scheusal unser Stadtbild bereichern.

    Was unsere beiden Städte auch verbindet, ist das Fehlen unserer Trams. Für mich unerklärlich, warum man in St. Gallen 1957 und in Luzern 1961 die Trams abgesetzt hat. Gerade diese Verkehrsmittel prägen eine Stadt in grossem Masse.

    Aber bei euch in St. Gallen gibt es ja Hoffnung. Wann entscheidet das Stimmvolk über die Tram-Initiative?

    Bei euch am Hauptbahnhof gibt es übrigens ein sehr prächtiges Gebäude, das Postgebäude. Nur dieses Hochhaus nebenan nervt.

    In der Altstadt die Macht, im Kneiphof die Pracht, im Löbenicht der Acker, auf dem Sackheim der Racker.

    Hätt' ich Venedigs Macht und Augsburgs Pracht, Nürnberger Witz und Straßburger G'schütz und Ulmer Geld, so wär ich der Reichste in der Welt.

  • Diese im Stadtbild völlig unpassenden Bausünden scheinen ein häufiges schweizer Phänomen zu sein (nicht nur ein deutsches). Als ich dieses Jahr in Basel war, sagte ich meinen Freunden, daß offenbar der Krieg wirklich nicht die Ursache unserer zerrissenen Stadtbilder sei. In der Schweiz hatte der Krieg kaum zugeschlagen, aber man fand die gleichen unproportional in Altbaubestände hereingesetzten Kisten, sobald man den unmittelbaren Altstadtbereich verlies. Ich war wirklich erschrocken, wohl weil ich geglaubt hatte, nun ins Idyll zu fahren. Auf barocke oder gründerzeitliche Wohngebäude folgten typische 50er-Jahre-Bauten, dann Wohnblöcke im Stil der 60er und 70er, dann moderne Stahl-Glas-Komplexe. Alles völlig unzusammenhängend nebeneinander. Jedes Jahrzehnt modernistischer Moden war ablesbar, je mehr man in die Randbezirke kam, und umso jünger und größer die Blöcke, umso grauseliger wurde es. Auch wenn meine Begleitung mich bisweilen darauf hinwies, welcher tolle Stararchitekt sich hier und dort hatte verewigen dürfen. Offenbar ist in der Schweiz eben zu viel Geld vorhanden, um jedem kurzlebigen Trend oder Namen hinterherhecheln zu können.

  • Westeuropa ist offenbar wirklich anders als Mitteleuropa. In der Schweiz waren wahrscheinlich in erster Linie Aspekte des Kommerzes ausschlaggebend, in Westdeutschland zweifellos auch, wenngleich hier auch ein starkes ideologisches Moment hinzukam.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von Treverer

    Warum gibt es eigentlich so viele Nachkriegsbauten in der Innenstadt? Gut, viele ist vielleicht übertrieben, aber ich hab auf vielen Bildern welche ausmachen können. Die Stadt wurde im 2. Weltkrieg doch nicht beschädigt, oder?

    (Beitrag vom 29.9.2008 auf Seite 4)

    Auf das Phänomen der zahlreichen Neubauten, vor allem innerhalb der Altstadt, komme ich gerne später wieder zurück, wenn ich alle Neubauten ab 1930 innerhalb der Altstadt nach Jahrzehnten geordnet präsentieren werde.


    Nun möchte ich aber einen Abstecher auf den Rosenberg machen. St. Gallen liegt ja eingebettet in einem Tal zwischen dem Rosenberg im Norden und dem Freudenberg/Bernegg im Süden. Die Bebauung der beiden Hänge setzte erst im späten 19. Jahrhundert ein; vorher bestanden hier nur vereinzelt Landwirtschaftsbauten und Sommerhäuser reicherer Bürger.

    Mit dem Aufschwung St. Gallens als Textilstadt ab etwa 1870 setzte eine rege, und vor allem auch üppige Bautätigkeit ein. Während auf dem südwärts gerichteten Rosenberg gutbetuchte Bauherren ihre Villen und qualitätsvollen Mehrfamilienhäuser errichteten, wurden der nordwärts gerichtete Freudenberg und die Bernegg mit einfacheren, grösseren Mehrfamilienhäusern zugebaut. So entstand am Rosenberg ein heute noch gut erhaltenes Ensemble von über hundert Villen und Mehrfamilienhäusern, das diese Blütezeit der Stadt vor hundert Jahren dokumentiert.

    Ausgehend von der Altstadt führten am Hangfuss westwärts die Rosenbergstrasse Richtung Zürich, und ostwärts die St. Jakob-Strasse/Langgasse in Richtung Kanton Thurgau und Konstanz. Diese beiden Ausfallsachsen erhielten eine teilweise geschlossene Bebauung aus Gründerzeit- und Jugendstilbauten. Dahinter folgen bereits die ersten Villengrundstücke, und je weiter hinauf man kommt, desto reichere Liegenschaften trifft man an.
    (die Winterphotos entstanden am 17.12.2010)


    1

    Rosenbergstr. 38, erbaut um 1780 als Sommerhaus in einfachem barockem Stil, Umbau in historistischen Formen durch Gustav Adolf Müller 1889.

    Dieses als Sommerhaus errichtete Gebäude befindet sich direkt gegenüber dem Bahnhof. Der Rosenbergrundgang beginnt hier, und erfolgt in leicht westlicher Richtung über die Rosenberg-, Stauffacher-, Zwingli-, Tell- und Winkelriedstrasse.
    Bing Maps - Anfahrtsbeschreibungen, Verkehrsinfos und Straßenbedingungen


    2

    Die Lage des Rosenbergs veranschaulicht die folgende Aufnahme vom Freudenberg nordwestwärts über die Altstadt auf den mit Bäumen dichtbewachsenen Rosenberg. Im Hintergrund rechts erkennt man bereits Baden-Württemberg mit dem Gebiet um Stuttgart.



    3

    Eine sehr frühe Ansichtskarte zeigt die beginnende Rosenbergüberbauung. Im Vordergrund verläuft die Rosenbergstrasse mit den ersten geschlossenen Häuserzeilen. Die Aufnahme ist zwischen 1880 und 1890 entstanden, und zeigt am rechten Bildrand die ersten villenähnlichen Mehrfamilienhäuser Zwinglistr. 31 (mit Turm) und 33 (im Bau).

    In der Ansichtskarten-Trilogie möchte ich noch auf ein Kuriosum hinweisen, und zwar auf das freistehende dreigeschossige Haus mit breitem Quergiebel.



    4

    Dieselbe Ansicht zehn bis zwanzig Jahre später (zwischen 1901 und 1904) zeigt die in diesem Bereich bereits vollendete Bebauung. Auch an der Rosenbergstrasse entstanden weitere geschlossene Zeilen (von rechts nach links Nrn. 44-50: 1900/01, Nrn. 52-60: 1892). Für die Erstellung der Nr. 44 (mit Brandmauer) wurde ein Viertel des freistehenden klassizistischen Hauses abgebrochen.



    5

    Um 1904 wurde die Zeile mit dem Kopfbau Nr. 42 anstelle des abgeschnittenen klassizistischen Hauses ergänzt.


    6

    Rosenbergstr. 42, erbaut 1904 durch Wagner & Weber


    7

    Als grosse Ausnahme steht als einzige Villa südseitig der Rosenbergstrasse die Villa "Wiesental", erbaut kurz vor 1880 durch Daniel Oertly. An einer Kreuzung mit Autobahnanschluss gelegen, wird die Villa heute trotz Denkmalschutzstatus bewusst dem Verfall ausgeliefert, um dereinst einer profitableren Bebauung mit Bürogebäuden Platz zu machen. Immerhin wurde einem Abbruchgesuch vor ein paar Jahren nicht stattgegeben, da noch kein Ersatzbau geplant war.
    Bing Maps - Anfahrtsbeschreibungen, Verkehrsinfos und Straßenbedingungen


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    Gegenüber zeugt eine Sequoia von einstigen weiteren Villengrundstücken, welche bereits in den 1940/50er Jahren mit Wohnblöcken überbaut wurden.


    9

    Als Abkürzungen den Rosenberg hinauf dienen weitläufige Treppen mit Holzstufen. Eine von diesen, die Grünbergtreppe, führt zur Stauffacherstrasse, und geht von dort weiter bis zur Dufourstrasse als höchstgelegene Strasse hinauf.


    10

    Stauffacherstr. 2, erbaut 1903 durch Gustav Adolf Müller

    Auf halber Höhe der Grünbergtreppe treffen die Tell-, Melchtal- und Stauffacherstrasse zusammen. Hier möchte ich gerade mal die Gelegenheit packen, und etwas zu den Strassennamen schreiben:

    Ursprünglich war der noch unbebaute Rosenberg in grosse Güter unterteilt, welche reicheren Stadtbürgern gehörten, die dort ihre Sommersitze errichten liessen. Diesen Sommersitzen gaben sie die Namen ihrer Häuser in der Altstadt. Der Name des Gutes "zum Rosenberg" hat sich aus unerklärlichen Gründen vor allen anderen durchgesetzt und ist zum Namengeber des ganzen Hügelzuges geworden. Tatsächlich existiert in der Altstadt heute noch das Haus "zur Rose".

    Die ersten beiden, privat angelegten Strassen den Rosenberg hinauf hiessen "Greifenstrasse" (vom Gut "zum Greifenacker" resp. Haus "zum Greif" in der Altstadt), und Tigerbergstrasse (vom Gut "zum Tigerberg" resp. Haus "zum Tiger" in der Altstadt).

    Als dann die serpentinenförmige Greifenstrasse in ein planmässig angelegtes Strassennetz eingebunden wurde, erhielten die einzelnen Abschnitte neue Namen. Diese neuen Strassen erhielten dann die Namen von Persönlichkeiten und Helden der frühen Schweizergeschichte (wie Eingangs erwähnt "Tell", "Melchtal" und "Stauffacher"). Die Tell- und die Melchtalstrasse sind Teile dieser ursprünglichen Greifenstrasse.


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    Stauffacherstr. 2 - 6, weiter oben Dufourstr. 109


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    Ansichtskarte von ca. 1905, Situation praktisch unverändert, nur das Grundstück links ist in den 1960er Jahren durch Mehrfamilienhäuser überbaut worden, wobei ein Teil des Gartengeländers bis heute überdauert hat


    13

    Stauffacherstr. 6, erbaut 1899 durch Kantonsbaumeister Adolf Ehrensperger


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    Zuoberst an der Grünbergtreppe empfängt einen das jüngste Kind auf dem Rosenberg, das sogenannte "Baumhaus".


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    Eingangsfassade des "Baumhauses"...


    16

    Von den höher gelegenen Liegenschaften hat man diese Ansicht auf die gegenüberliegende "Bernegg" (Nordhang). Auch wenn dort qualitätsvolle Bauten anzutreffen sind, ist sie dichter und mit grösseren Bauten bebaut, welche spürbar eine Preisklasse tiefer liegen.

    Diesen Blick wird es so nicht mehr lange geben, wie am Baukran ersehen werden kann. Hier entsteht die Fachhochschule in einem vierzehngeschossigen Turm banalster CAD-Architektur...


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    Zwinglistr. 25, erbaut 1888 durch Carl Weigele in Neurenaissance, Umbauten 1903 und 1910 durch Wendelin Heene, anlässlich derer das ursprüngliche, flachgeneigte Walmdach durch ein Mansarddach ersetzt wurde, und dem Haus nun einen Rokokostempel aufdrückte. Lange Zeit war hier eine Schule beheimatet, und nach deren Auszug in den 1990er Jahren erwarb es eine Handelsfirma, welche hier ihren Hauptsitz einrichtete.

    Eigentlich wäre wieder eine Wohnnutzung wünschenswert gewesen, aber die Unterteilung in bspw. drei Wohnungen hätte grosse Eingriffe in die Bausubstanz der ursprünglich von einer Familie bewohnten Villa bedeutet. Die Nutzung als Geschäftssitz kommt der ursprünglichen, einheitlichen Nutzung näher. Unentschuldbar ist der in den steil abfallenden Garten hineingesetzte moderne Vorbau.
    Bing Maps - Anfahrtsbeschreibungen, Verkehrsinfos und Straßenbedingungen
    Bing Maps - Anfahrtsbeschreibungen, Verkehrsinfos und Straßenbedingungen ... .%20Gallen


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    Ausschnitt aus einer Photo-Ansichtskarte von ca. 1903 mit dem ursprünglichen Dach


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    Tellstr. 18, erbaut 1896 durch Ferdinand Wachter. Besonders wirkungsvoll ist hier der Zufahrtsweg mit dem Turm im Hintergrund in Szene gesetzt. Typisch für die Rosenbergvillen ist die Gestaltung der Gärten mit vielen Ziergehölzen und Parkbäumen, sodass heute viele Villen in ein waldähnliches Grundstück eingebettet sind.


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    Besonders am obersten Turmgeschoss kann vermutet werden, dass die Fassaden einst reicher gestaltet waren. Ein Ausschnitt aus der Ansichtskarte weiter oben (Bild Nr. 4) bestätigt diese Vermutung. Demnach waren die Fassaden durch eine Ornamentmalerei gegliedert. Es ist möglich, dass die Gebäudeecken und Turmkanten mit Backsteinlisenen betont waren.


    21

    Ausschnitt aus der Postkarte weiter oben (Bild Nr. 4) zwischen 1901 und 1904


    22

    180° gedreht präsentiert sich an der Kreuzung Winkelried-/Tellstrasse der Blick seit ca. 10 Jahren so...
    Immerhin noch keine Schüttel- oder Strichcodefenster, dafür aber Schüttelbalkone


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    Nach einem Schaudern geht es die Winkelriedstrasse wieder hinauf:
    Villa "Tannhalde", erbaut 1891/92 durch Adolf Müller


    24

    In der Strassengabelung Winkelried-/Zwinglistrasse befindet sich auf schmalem Grundriss die Villa "Winkelried", erbaut 1886 von Johann Fasquel, umgebaut 1907 durch Eugen Schlatter, wobei die historistische Fassadengliederung zugunsten einer solchen im Landhausstil aufgegeben worden war.

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (8. Juni 2012 um 16:22)

  • [...]
    Die nördliche Altstadt, das "St. Mangenquartier", besitzt ausserordentliche Wohnqualitäten, auch wenn es bei den älteren Stadtbewohnern lange einen schlechten Ruf hatte: bis um 1800 war es die "mindere Stadt", wo vorwiegend Handwerker und Arbeiter wohnten; in den 60er Jahren hatte hier die Rockerszene ihre Lokale, und in den 80er Jahren erreichte die Drogenszene das Quartier.

    50

    Durch zahlreiche Gebäudesanierungen und damit einer optischen Aufwertung hat das Quartier diese Zeiten glücklicherweise überstanden!
    [...]

    (aus Beitrag 38)

    Alle betroffenen Häuser, deren Kernbauten 1433 und 1468 errichtet worden waren, habe ich in Etappen zwischen 1987 und 2002 restauriert. Und letzte Nacht passierte folgendes:
    St. Galler Tagblatt online

    Bildergalerie

    Bericht im Schweizer Fernsehen

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (23. Dezember 2012 um 13:32)

  • Riegel: das ist ja dramatisch, speziell da du ja so viel Arbeit und Mühe investierst hast, um diese Häuser zu den schönen Prachtstücken zu machen, die sie bis heute waren. Ich hoffe, dass die Häuser ausreichend versichert waren und ein Wiederaufbau in den vorherigen Zustand möglich ist. Toi, toi, toi!

  • So kurz vor Weihnachten, wie in Konstanz (heute vor zwei Jahren). Das tut mir natürlich leid, dass es ausgerechnet diese Häuser in Deiner Nähe, die Du sicherlich einwandfrei und vorbildlich restauriert hast, getroffen hat.

  • Bilder werden ich hier sicherlich auch wieder mal bieten. Das folgende hat zwar nichts direkt mit Architektur zu tun, aber mindestens mit "wohlklingender" Architektur:

    Klang-Event mit St. Galler Kirchenglocken

    http://www.zusammenklang.com

    Die beiden Künstler haben sich betreffend Schallausbreitungsgeschwindigkeit aber eine denkbar schlechte Stadt, die im Schnitt acht mal so lang wie breit ist, ausgesucht. Vielleicht eignet sie sich aber speziell, weil sie in einem Tal liegt.

    Edit.: die vorangehenden Links nicht mehr aktiv, leider... dafür hier ein anderer Link:
    https://www.srf.ch/news/regional/…galler-publikum

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (11. August 2019 um 17:46)